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Sexismus ohne Ende
Eine Ukrainerin kämpft gegen Diskriminierung

9. Mai 2018 | Von Pauline Tillmann
Fotos: Pauline Tillmann

Der Feminismus ist überall anders ausgeprägt. Wir wollen in den nächsten Monaten einen Blick auf interessante Aktivistinnen werfen und aktuelle Strömungen näher vorstellen. Den Anfang macht eine Feministin aus der Ukraine. Ihr Name: Iryna Slawinska.

Von Pauline Tillmann, Kiew

Iryna Slawinska geht mit schnellem Schritt voraus. Ihr Büro befindet sich auf der Prachtmeile von Kiew, Kreschatyk Nummer 36. Das ist eigentlich die Hausnummer des staatlichen ukrainischen Rundfunks. Allerdings hat das was Iryna Slawinska tut wenig mit Staatsfunk zu tun. Die 30-Jährige arbeitet für „Hromadske Radio“, eine unabhängige Nichtregierungsorganisation, die während der Proteste auf dem Maidan vor vier Jahren von einer Handvoll bekannter Journalisten gegründet wurde. Beim staatlichen Rundfunk mieten sie ein paar Räume im Erdgeschoss.

Durchschlagenden Erfolg hatte „Hromadske“ während der Proteste vor allem mit permanenter Live-Berichterstattung. Plötzlich hatten die Zuschauer und Zuhörer nicht mehr das Gefühl, nur gefilterte Informationen zu bekommen, sondern das wahre Bild. Zeitgleich mit der Radiostation wurde auch ein Fernsehsender gegründet, der sich allerdings in einem anderem Stadtteil befindet. Beide arbeiten weitgehend unabhängig, betont Iryna Slawinska. Grundsätzlich sei die Unabhängigkeit das wichtigste Merkmal von „Hromadske“: „Unsere Organisation gehört keinem reichen Oligarchen sondern den Menschen, die für sie arbeiten.“

Das bringe viel Verantwortung mit sich, aber eben euch eine Menge Freiheiten. Freiheiten, von denen Journalisten in anderen ukrainischen Medienhäusern nur träumen können. Auch wenn es keine regelmäßigen Anrufe vom Eigentümer gebe, so herrsche oftmals doch eine „Schere im Kopf“. Man kann es auch schlicht Selbstzensur nennen. Bei „Hromadske“ gibt es dagegen keine Agenda, keine klare politische Ausrichtung. Finanziert wird es durch Crowdfunding sowie ausländische Stiftungen und Botschaften.

Seit vier Jahren arbeitet Iryna Slawinska beim Radio. Davor hat sie an der Linguistischen Universität in Kiew studiert und einen Master in französischer Literatur gemacht. 2009 war sie fertig mit Studieren und hat zunächst als Übersetzerin gearbeitet. Parallel dazu hat sie Literaturkritiken für ihren Blog geschrieben, später für das unabhängige Onlinemedium „Ukrainiskaja Prawda“.

„Eigentlich wollte ich nicht in den Journalismus sondern unterrichten. Nach dem Studium habe ich auch als Dozentin an der Universität gearbeitet, habe aber schnell gemerkt, dass das nicht meins war“, so die 30-Jährige rückblickend. Die beiden Hauptprobleme: zu geringes Gehalt und zu große Abhängigkeit. Das Durchschnittseinkommen in der Ukraine beträgt 250 Euro. Journalisten verdienen etwas mehr. Reich werden sie trotzdem nicht. Deshalb gehen viele, die gut ausgebildet sind und mehrere Sprachen können, ins Ausland.

Für Iryna Slawinska keine Option. Schließlich werde sie in ihrem Heimatland gebraucht – unter anderem bei der Kampagne „Povaha“, übersetzt Respekt. Auf der Webseite http://povaha.org.ua berichten eine Handvoll Frauen über Sexismus in den ukrainischen Medien und in der Politik. Iryna ist eine davon. Seit 2004 bezeichnet sie sich als Feministin: „Damals war das noch eine Beleidigung, die Leute fühlten sich allein durch den Begriff provoziert.“ Vor sechs Jahren gab es schließlich eine Reihe von Frauen, die sich öffentlich zum Feminismus bekannten und anfingen in Kiew publikumswirksame Veranstaltungen und Diskussionsrunden zu organisieren.

Alltagssexismus nach wie vor weit verbreitet

Die Community und der Kreis der Unterstützter – darunter auch immer mehr Männer – wachsen weiter, aber die verbale Gewalt ist nach wie vor hoch. Das fängt mit sexistischen Bemerkungen im Alltag an und hört bei Überschriften wie „Sex-Bomben im ukrainischen Parlament“ in den Medien nicht auf. Nur drei Ministerposten sind Frauen besetzt, der Anteil der weiblichen Abgeordneten liegt bei zwölf Prozent und ist damit deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Iryna Slawinska sagt, der Zugang zu Politik sei für Frauen deutlich schwieriger. So würden sie meist erst gar nicht bei Wahlen aufgestellt werden. Wenn sie doch antreten möchten, müssen sie das aus eigener Tasche bezahlen. Der Grund: „Männer holen vor allem andere Männer nach“, so die Aktivistin. Deshalb ist eine der Hauptforderungen von „Povaha“ eine Quote von 20 Prozent bei der nächsten Parlamentswahl 2019.

Außerdem kritisiert sie das öffentliche Bild von Frauen in den Medien. Wenn über Parlamentarierinnen gesprochen wird, dann in erster Linie über ihre Kleidung, ihre Frisur, ihr Aussehen und ihr Privatleben. Es gibt kaum eine Zeitung oder einen Fernsehsender, der sich mit ihren politischen Inhalten auseinandersetzt. Wenn man sich ansieht, welche Experten im öffentlichen Diskurs zu Wort kommen, so sind das nur zu 14 Prozent Frauen. „Dabei gibt es Politikwissenschaftlerinnen oder Ökonominnen, aber man macht sich nicht die Mühe, nach ihnen zu suchen“, sagt die Journalistin sichtlich empört.

Deshalb hat sie mit ihren Mitstreiterinnen bei „Povaha“ eine Datenbank ins Leben gerufen namens „Frag eine Frau“, bei der sich inzwischen 300 Expertinnen registriert haben und bei der man nach geeigneten Speakerinnen suchen kann. Auch in Deutschland gibt es eine vergleichbare Liste unter https://speakerinnen.org/de. Wichtig sei auch in die Regionen zu gehen und dort Trainings für Journalisten anzubieten, um das Bewusstsein für eine geschlechtergerechte Sprache zu schärfen. Das Problem sei, dass der größte Teil der Bevölkerung Alltagssexismus und sexistische Medienberichte achselzuckend hinnimmt. Es fehlt so etwas wie ein öffentlicher Aufschrei.

Ehrlicherweise muss man sagen, dass das auch in Deutschland lange der Fall war. Und auch nach dem #aufschrei ist wenig passiert. Erst mit der aktuellen globalen Debatte zu #metoo, gibt es einen breiten Konsens darüber, dass die meisten Frauen anzügliche Bemerkungen zur Genüge kennen und dass sich das nur ändert, wenn Männer in entsprechenden Machtpositionen ihr Handeln auf den Prüfstand stellen. Derzeit arbeitet Iryna Slawinska mit einigen Linguisten an einem Nachschlagewerk für weibliche Formen. So soll es im Ukrainischen künftig im allgemeinen Sprachgebrauch nicht nur den Experten, sondern auch die Expertin geben.

Einen weiteren wichtigen Bereich sieht die Aktivistin in der Bildung: „Wenn man sich mal die Mathematikbücher anschaut, sind sie voll von Klischees. Die Mädchen spielen mit Puppen und die Jungs gehen auf Entdeckungsreise.“ Das sei vielleicht nur ein kleines Detail, aber es zeigt exemplarisch das Denken vieler Ukrainer. Die meisten glauben noch immer an eine klassische Rollenverteilung. Dabei geht es darum, dass sich die Frauen emanzipieren und für ihre Rechte einstehen.

„Dass Frauen in Polen auf die Straße gehen, um gegen ein neues Abtreibungsgesetz zu demonstrieren, finde ich sehr ermutigend. Und auch wenn wir uns Frankreich anschauen, dann wird dort das Thema sexuelle Belästigung sehr viel ernsthafter geahndet als in der Ukraine“, sagt die 30-Jährige. Deshalb wünscht sie sich, dass auch Frauen in ihrem Land ernster genommen werden. Ein wichtiger Schritt wäre ihrer Meinung nach ein ausgeglichenes Parlament: Iryna Slawinska träumt davon, dass es irgendwann zur Hälfte aus Frauen besteht. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.

 

Dieser Artikel wurde freundlich unterstützt durch den Club Villingen – Schwenningen. Vielen Dank!
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Von Pauline Tillmann, Konstanz

Pauline Tillmann ist Gründerin und Chefredakteurin von DEINE KORRESPONDENTIN. 2011 bis 2015 war sie freie Auslandskorrespondentin in St. Petersburg und hat für den ARD Hörfunk über Russland / Ukraine berichtet. Zuvor hat sie beim Bayerischen Rundfunk volontiert. Pauline ist regelmäßig als Coachin, Beraterin und Speakerin im Einsatz. 2022 erschien ihr Buch „Lust auf Lokal – das Handbuch für Community-Journalismus“, außerdem hat sie das Buch „Frauen, die die Welt verändern“ herausgegeben. Mehr unter: http://www.pauline-tillmann.de.

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Sabrina ProskeMünchen
Saado Ali* ist eine junge Mutter aus Nordsomalia. Sie flieht hochschwanger mit ihrem kleinen Sohn Yusuf vom Krieg. Zwischen provisorischen Zelten und Planen setzen plötzlich ihre Wehen ein. Mit uns spricht sie erstmals über ihre Erfahrungen als Schwangere in einem Kriegsgebiet.

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