Im Gespräch erzählt Nalan Sipar, warum sie heute mehr Unternehmerin als Journalistin ist, was sie von der US-Medienlandschaft gelernt hat und wie sie mit ihrer Firma „MedyaN“ eine Plattform für People of Color aufbauen will.
Zusammenfassung:
Nach ihrem Stipendium in Stanford sieht sich Nalan Sipar mehr als Unternehmerin denn als Journalistin. Mit „MedyaN“ will sie eine Plattform für People of Color aufbauen, die informiert, verbindet und empowernd wirkt. Ihr neues Format orientiert sich an türkischer Gastfreundschaft und stellt emotionale Nähe ins Zentrum. Langfristig plant sie eine Medienakademie für migrantische Talente.
Von Pauline Tillmann, Konstanz
Ich habe dich vor zwei Jahren bereits portraitiert, Nalan. Jetzt warst du mit dem John S. Knight Fellowship neun Monate an der Stanford University in Palo Alto. Du hast im Vorgespräch gesagt, dass du dich quasi neu erfunden hast, dass du eine bessere Version von dir auf den Weg gebracht hast. Hat sich auch deine Vision verändert?
An der eigentlichen Vision hat sich nicht viel geändert. Ich habe jedoch viel an meiner Mission gearbeitet. Sie lautet jetzt: „MedyaN ist das Medium für das ‚neue‘ Deutschland. Wir machen Videos, die informieren, empowern und verbinden.“ Ich möchte also nach wie vor eine Plattform aufbauen, auf der sowohl unsere „Originals“, also unser eigener Content als auch der Content von Kooperationspartnern publiziert wird – ähnlich wie Netflix. Das heißt, dass unsere Community auch Content von anderen Medienhäusern konsumieren kann, den diese bei uns „parken“ und der von uns ins Türkische und andere Sprachen übersetzt wird.
Und wie hat sich deine Rolle als Journalistin durch diese Zeit verändert?
In meinem Stipendium ich einen Berater, der zum Ende meiner Zeit an der Stanford-Universität zu mir gesagt hat „I now see you more as an entrepreneur than as a journalist“. Ich habe an der Stanford Graduate School of Business (GSB) viele Seminare besucht, um mir Business-Skills anzueignen. Manche Studierende investieren mehr als 200.000 Euro, um an diesen Seminaren teilzunehmen – als JSK-Fellows hatten wir die Möglichkeit, sie im Rahmen unseres Fellowships kostenfrei so zu besuchen.
Die Themen reichten von Entrepreneurship bis hin zu Marketing: Wie bildet man große Unternehmen, wie gewinnt man Kunden, wie verhandelt man mit Kunden etc. Von den Besten zu lernen, ist schon ziemlich geil, muss ich sagen. Das hat mir ein Selbstbewusstsein im Business gegeben, das ich früher nicht hatte.

Unternehmerische Skills hatte ich mir schon in Deutschland angeeignet – durch Programme wie beim Media Lab Bayern oder den YouTube News Creator Accelerator. Aber das Mindset und Selbstvertrauen kamen an der GSB und hat mir auch den entscheidenden Schub gegeben. Ich war zwar immer von meiner Vision überzeugt, aber jetzt weiß ich ganz genau, dass ich auch in der Lage bin, sie umzusetzen.
Und dass ich die Einzige in Deutschland bin, die das kann. Denn ich kann beide Sprachen, kenne beide Kulturen, ich bin die erste Journalistin mit Migrationshintergrund aus Deutschland, die dieses weltweit renommierte Journalismus Fellowship besuchen durfte – und jetzt bin ich auch eine Unternehmerin.
Jetzt fühle ich mich sowohl mental als auch fachlich bestens auf das vorbereitet, was vor mir liegt. Die USA haben mir vor Augen geführt, dass Ideen wie meine Wirklichkeit werden können. Gerade in der Latino-Community gibt es zahlreiche Vorbilder, die ähnliche Visionen bereits erfolgreich umgesetzt haben. Das bestätigt mir: Es ist möglich – auch bei uns!
Bevor du dein Stipendium angetreten hast, hast du regelmäßig Clips auf YouTube veröffentlicht. Unter anderem hast du Umfragen mit Menschen in Kreuzberg gemacht und auch mal Olaf Scholz interviewt, bevor er Bundeskanzler wurde. Wie ist da aktuell der Stand?
In den USA habe ich nur wenige Videos produziert. Mit einem dpa-Abo erstellte ich täglich Clips zu den vier, fünf wichtigsten Nachrichten – auf Deutsch vertont, mit türkischen Untertiteln. Die redaktionelle Abnahme war jedoch so aufwendig, dass ich das Projekt nach zwei Monaten aufs Eis gelegt habe.
Bist du eigentlich immer noch eine One-Woman-Show?
Ich werde mich bald für den neuen Media Forward Fund bewerben. Aber egal, wie weit ich damit kommen werde: Ab Herbst werde ich mit freien Kolleg*innen arbeiten. Ich entwickle derzeit ein neues Format, das sich über Werbeeinnahmen und Sponsoring finanzieren wird. Aufgrund seines Charakters als Kochshow bietet es ideale Voraussetzungen für Partnerschaften mit Marken.
Mein Ziel ist es, wirtschaftlich unabhängig von Förderstrukturen zu werden und ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufzubauen. Die aktuelle Entwicklung ist vielversprechend – die Finanzierung der Pilotfolgen ist gesichert. Ich bin überzeugt, dass das Format das Potenzial hat, sich am Markt zu etablieren und profitabel zu wachsen.
Du lädst deinen Content unter anderem auf YouTube, Instagram und TikTok hoch. Warum ist es dir wichtig, als Creatorin auf TikTok präsent zu sein?
Vor drei Jahren habe ich begonnen, TikTok aktiv zu nutzen – und heute ist die Plattform ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit. Einige meiner erfolgreichsten Videos erreichten 150.000 bzw. 175.000 Aufrufe. Meine Community informiert sich in erster Linie über Social Media, insbesondere in der Türkei, wo Plattformen wie TikTok besonders beliebt sind.
Viele Menschen, die mir und anderen unabhängigen Journalistinnen folgen, wissen: Wir gehören zu den Ersten, die dort präsent waren. Das liegt auch daran, dass klassische Medienstrukturen in der Türkei zunehmend wegbrechen – sichere Festanstellungen sind selten geworden, viele Journalist*innen arbeiten nicht mehr für etablierte Medienhäuser, sondern haben eigene YouTube-Kanäle aufgebaut und produzieren Inhalte eigenständig.
Die türkische Öffentlichkeit ist es längst gewohnt, qualitativ hochwertigen Journalismus auf Social Media zu finden – und weiß auch, wie man dort gezielt nach verlässlichen Informationen sucht. Davon profitiere ich sehr. Ich bin überzeugt: TikTok wird für meine journalistische Arbeit in Zukunft sogar noch wichtiger werden als YouTube.
Und was ist mit Instagram?
Instagram ist für mich immer noch eine Wohlfühloase, in der ich tatsächlich mit meinen Follower*innen in Kontakt trete. Wo ich ein bisschen von mir berichte, persönlicher werden kann, wo ich Fragen von ihnen entgegennehme und beantworte. Es ist eher ein direkter Kommunikationsweg mit mir.
In den letzten Jahren sind so auch sehr persönliche Beziehungen entstanden, weil ich während der Corona-Pandemie zum Beispiel oft Instagram-Live-Videos gemacht habe. YouTube, TikTok und Twitter sind hingegen Plattformen, auf denen ich hauptsächlich publiziere. Dort gehe ich ehrlich gesagt nicht auf Kommentare ein, weil mir die Zeit und Ressourcen fehlen. Aber: In Zukunft möchte ich mein Community-Management auf allen Social-Media-Plattformen definitiv verbessern.

Aus unserem letzten Gespräch habe ich mitgenommen, dass du die erste deutsch-türkische Tagesschau machen willst. Was ist davon übrig?
In den vergangenen fünf Jahren habe ich viele Formate ausprobiert – und dabei nicht nur meine Stärken entdeckt, sondern auch ein besseres Verständnis für mein Publikum entwickelt. Besonders die Straßeninterviews haben mir gezeigt, dass sich Menschen mir gegenüber öffnen. Diese Vertrauensbasis ist eine meiner wichtigsten Qualitäten als Reporterin – und sie bildet auch das Fundament für mein neues Format.
Während meiner Zeit an der Stanford University habe ich verinnerlicht: Man sollte sich nicht in Lösungen, sondern in das Problem und das Produkt verlieben. Der mediale Zeitgeist hat sich seit meinem Start stark verändert. Viele Menschen meiden klassische Nachrichtenformate – Emotionen, Nähe und Authentizität sind ihnen heute wichtiger. Durch den kontinuierlichen Austausch mit meiner Community habe ich ein feines Gespür dafür entwickelt, was sie bewegt und was sie brauchen.
In der Pandemie waren es verlässliche Informationen – also habe ich aufgeklärt. Heute sind es mentale und emotionale Ressourcen, die fehlen – nicht zuletzt durch die gesellschaftliche Stimmung, die unter anderem durch den Aufstieg der AfD belastet ist. Genau hier setzt mein neues Format an: Es wird ein emotionales, nahbares Format sein, das meine Community in den Mittelpunkt stellt.
Inspiriert ist es von der türkischen Tradition der „Misafirlik“ – dem gegenseitigen Besuchen. Man isst zusammen, redet über das Leben, teilt Sorgen und Gedanken. Diese Kultur des respektvollen Miteinanders folgt ungeschriebenen Regeln: Man spricht offen, aber immer mit Rücksicht. Diese Atmosphäre bietet den idealen Rahmen, um auch schwierige gesellschaftliche Themen anzusprechen – mit Tiefe, Wärme und Respekt.

Hast du dich denn von der deutsch-türkischen Tagesschau verabschiedet? Du hast ja auch von einem deutsch-türkischen ARTE geträumt …
Ich beginne zunächst mit dem neuen Format – alle weiteren Inhalte hängen von den verfügbaren Ressourcen und möglichen Kooperationen ab. ARTE zeigt, dass journalistische Angebote weit über klassische Nachrichten hinausgehen können: mit Reportagen aus den Bereichen Kultur, Bildung, Gesundheit, Technologie und Wirtschaft. Genau in diesen Feldern sehe ich ebenfalls großes Potenzial und möchte sie perspektivisch mit eigenen Formaten anpacken.
Vor Kurzem haben die Neuen Deutschen Medienmacher*innen gefordert, die Tagesschau in unterschiedlichen Sprachen zu publizieren, da dies durch KI mittlerweile sehr einfach möglich ist. Warum macht man das nicht? Was denkst du?
Meiner Meinung nach scheitert es immer wieder an den Medienhäusern. Ihnen fehlen sowohl der Wille als auch die finanziellen Ressourcen dafür. Es braucht eine externe Korrektur der öffentlich-rechtlichen Medien – genau deshalb mache ich auch mein eigenes Ding. Ich habe jahrelang die Öffentlich-Rechtlichen kritisiert und 100 Wochen lang jeden Freitag auf LinkedIn gepostet, warum es ein deutsch-türkisches ARTE braucht. Aber kritisieren ist nicht das, was die Menschen gerade brauchen. Sie wollen Ergebnisse sehen. Deshalb habe ich meine Kritikphase beendet und befinde mich nun in der Aufbau- und Produktphase. Wir wollen liefern.
Letztes Jahr hat Esra Karakaya einen viel beachteten Auftritt bei der re:publica hingelegt und unter anderem dich als Creatorin genannt. Ich habe das als Empowerment-Moment wahrgenommen, bei dem klar wird: Jeder kann seine Stimme öffentlich machen und eigene Themen platzieren. Es war wahrscheinlich noch nie so einfach, seine Themen zum Beispiel auf TikTok sichtbar zu machen…
Das stimmt, aber das ist ja kein neues Phänomen. Im Prinzip ist das der Fall, seit es Social Media gibt. Deshalb kann man TikTok auch als Beitrag zur Demokratisierung von Inhalten sehen. Ich würde jungen Kolleg*innen, zum Beispiel aus der BPoC-Community, heutzutage unbedingt raten, unabhängig zu werden und eigene Inhalte zu produzieren und hochzuladen. Sie müssen nicht mehr durch das Nadelöhr der öffentlich-rechtlichen Anstalten gehen, um guten Journalismus zu machen. Gleichzeitig kann es sich heutzutage eigentlich kein Publisher mehr leisten, nicht auf TikTok präsent zu sein.
Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?
Kurzfristig möchte ich die Kochshow umsetzen, mittelfristig möchte ich solide, professionelle Strukturen bei „MeydaN“ aufbauen und den Content diversifizieren. Langfristig möchte ich in die Türkei expandieren, da beide Länder sowohl politisch als auch wirtschaftlich sehr starke Beziehungen haben. Mein Traum ist eine Medienakademie zu gründen, die Migrant*innen zugutekommen soll, die im Medienbereich Fuß fassen wollen – sozusagen eine Vorschule für das klassische Volontariat.

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