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„Lasst mehr Frauen unsere Filme machen!“
Warum Frauen vor und hinter der Kamera eine Quote fordern

7. März 2018 | Von Helen Hecker
„Es sollte vielmehr darum gehen, was für einen Job man macht“, sagt Kamerafrau Agnès Godard. Foto: Peter Himsel, Berlinale 2018

Film und Fernsehen prägen unsere Weltsicht. Ihre Geschichten und Bilder sind jedoch oft voller Stereotype. Aktuelle Studien zeigen, dass Frauen im Film nur wenig zu melden haben. Jetzt macht sich eine neue Initiative stark, die mehr Gleichberechtigung und eine 50-Prozent-Quote in allen deutschen Filmgewerken zum Ziel hat.

Von Helen Hecker, Berlin

Es scheint, als sei ein Funke entfacht worden, der so schnell nicht mehr erlischt: Die Debatte um die Rolle der Frauen im Filmgeschäft lodert und die Beteiligten drängen auf einen gesellschaftlichen Wandel. Nicht nur die turbulente Berichterstattung zu #MeToo und zahlreiche Gesprächsrunden zum Thema während der erst kürzlich zu Ende gegangen Berlinale zeigen, dass die Forderungen nach einer Gleichstellung von Frauen vor und hinter der Kamera Gehör finden. Auch die Verleihung des Golden Bären an die rumänische Regisseurin Adina Pintilie für ihren Film „Touch Me Not“ sowie die Oscar-Nominierung von Rachel Morrison als erste Frau für die „Beste Kamera“ setzten ein Zeichen.

„Unzählige Male wurde ich als „weiblicher Kameramann“ bezeichnet. Ich selbst habe das Wort Kameramann aus meinem Wortschatz gestrichen“, erzählt Nancy Schreiber bei der Berlinale Talents-Veranstaltung „Technically a Woman“. Die 69-jährige Kamerafrau, oder ­– wie sie bevorzugt – Cinematographer, die als eine der bildgestalterischen Pionierinnen des amerikanischen Films gilt, sprach gemeinsam mit ihrer französische Kollegin Agnès Godard über ihre Erfahrungen als Frau in der Filmindustrie. Auch Agnès Godard erinnert sich, dass sie vor 20 Jahren in Italien noch einen Preis für den „besten weiblichen Cinematographer“ erhalten habe. „Anstatt zu definieren, wer den Job macht, sollte es vielmehr darum gehen, was für einen Job man macht“, sagt die Kamerafrau, die unter anderem mit Wim Wenders und Claire Denis zusammenarbeitete. „Ich glaube jedoch, dass wir heute schon viel weiter sind als noch vor einigen Jahren.“

Nancy Schreiber (links) und Agnès Godard engagieren sich für mehr Chancengleichheit in der Film- und Fernsehbranche.

Beide Frauen machen sich seit langem für die Chancengleichheit von Frauen im Film stark. „An den amerikanischen Filmschulen sind es mittlerweile 50 Prozent Frauen, die Kamera studieren, weltweit arbeiten aber nur vier Prozent in ihrem Beruf. Das ist lächerlich“, findet Nancy Schreiber. Das Problem sei vor allem, dass nur wenige Frauen nach ihrer Ausbildung tatsächlich Aufträge bekämen. Die meisten Frauen seien, wenn überhaupt, im Independent-Kino tätig. „Alles dreht sich um Macht und Geld. Vor allem Hollywood beschützt das alte, männliche System“, sagt Schreiber. Sie selbst habe als junge Beleuchterin oft weite Kleidung getragen und auf Make-up verzichtet: „Ich dachte, dass mir auf diese Weise weniger Männer mit ihren Kommentaren die Arbeit erschweren. Heute weiß ich, dass ich einen Komplex hatte und damit leider nicht alleine war.“

Doch nicht nur Kamerafrauen haben es schwer. Der Verband „Women in Film“ ermittelte, dass bei den 100 erfolgreichsten Hollywood-Produktionen des Jahres 2017 nur acht Prozent Frauen auf dem Regiestuhl saßen und nur zehn Prozent die Drehbücher verfassten. Auch in Deutschland sind die Zahlen ernüchternd. In der kürzlich veröffentlichten Studie „Gender und Fernsehfilm“, im Auftrag der Filmförderanstalt FFA sowie des ZDF und der ARD, schneiden der Bereich Kamera mit nur 15 Prozent Frauenanteil und Filmton mit nur neun Prozent am schlechtesten ab.

Wenig Chancen in der Filmbranche bekommen auch Regisseurinnen: Rund 80 Prozent der 1.100 untersuchten Kino- und Fernsehfilme zwischen 2011 und 2016 wurden von Männern realisiert. Regisseurin Barbara Rohm von der Initiative „Pro Quote Film“ wünscht sich ein stärkeres Problembewusstsein: „Uns ist wichtig, dass die Thematik nicht nur auf einzelne Fälle von Frauen heruntergebrochen wird, sondern sich klar herausstellt, dass prinzipiell wenig Chancengleichheit in den Filmgewerken herrscht. Nur jeder fünfte Film wird von einer Regisseurin inszeniert und im Schnitt haben Frauen geringere Budgets und Fördermittel zur Verfügung.“

Eine Quote für Frauen im deutschen Film soll her 

Die Initiative „Pro Quote Film“, die sich im Oktober 2017 gründete, fordert daher von Entscheidern der deutschen Filmbranche eine Frauenquote von 50 Prozent in allen kreativen Schlüsselpositionen. Insbesondere öffentlich-rechtliche Sender und Filmförderer werden von dem Zusammenschluss aus Regisseurinnen, Kamerafrauen, Drehbuchautorinnen, Schauspielerinnen und anderen Gewerken aufgerufen, künftig sowohl Aufträge wie Fördergelder ausgewogener zu verteilen. „Es geht nicht darum, aufgrund des Geschlechts Entscheidungen zu treffen. Vielmehr sollten wir endlich die Möglichkeit haben, aus den besten Männern und den besten Frauen zu wählen. Talent ist zwischen den Geschlechtern gleich verteilt. Genau deswegen müssen talentierte Frauen auch zum Zug kommen“, erklärt Rohm. „Eine Quote macht den fairen Wettbewerb erst möglich und steigert damit die Qualität und Diversität auf der Leinwand. Es wird Zeit, dass in Deutschland endlich mehr Frauen unsere Filme machen.“

Die Initiative hat im Rahmen der Berlinale 2018 eine Pressekonferenz abgehalten (Foto: Dietmar Gust).

Die Initiative sieht in den strukturellen Veränderungen einen ersten Schritt, um festgefahrene Denkmuster aufzubrechen. „Entscheidend ist, dass neue Weichen gestellt werden, deren Erfolg man künftig evaluieren kann. Ich denke, es gibt neben einer Quote viele weitere Möglichkeiten. In Österreich gibt es beispielsweise ein Punktesystem und auch in Schweden und Spanien versucht man, durch neue Kriterien der Benachteiligung entgegenzuwirken“, ergänzt die Potsdamerin. Eine mögliche Maßnahme sei zum Beispiel die paritätische Besetzung der Aufsichts- und Vergabegremien von Sende- und Förderanstalten, Filmhochschulen und Festivals. Außerdem schlägt die Initiative verbindliche Genderseminare für Führungskräfte und Jurys vor, um stereotypen Wahrnehmungsmustern bei der Beurteilung von Projekten und Personen entgegenzuwirken.

Geschichten werden aus einseitiger Perspektive erzählt

Neben einer gleichen Verteilung von Aufträgen und Fördergeldern sowie gerechter Bezahlung stellen die Filmschaffenden vor allem die klischeehaften Rollenbilder auf der Leinwand infrage. „Durch die aktuelle #MeToo-Debatte haben Diskussionen um Machtpositionen im Film einen neuen Stellenwert bekommen,“ sagt Rohm, „doch es geht nicht allein um Sex oder Gewalt. Die in Filmen vermittelte Weltsicht hat existenzielle Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung. Damit ist die Gleichstellung nicht nur ein Frauenthema, sondern geht alle etwas an.“ Die Bilder im Kino und Fernsehen prägen ihrer Meinung nach unsere Ideale und seien letztlich Vorbilder für das soziale und kulturelle Verhalten, besonders von Kindern und Jugendlichen. „Es herrscht nur wenig Mut für neue Themen in Filmen und einen weiblichen Blick – Geschichten werden oft aus einseitiger Perspektive erzählt“, kritisiert die Regisseurin.

Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der Universität Rostock zum Thema „Audiovisuelle Diversität“, die durch die bekannte Schauspielerin Maria Furtwängler initiiert wurde. Die Studie beklagt vor allem die verzerrte Darstellung sozialer Realitäten: Wenn Frauen gezeigt würden, kämen sie häufig nur im Kontext von Partnerschaften vor. Auch die Kommissarin jage dem Mörder dann schnell mal in High Heels hinterher. „Es ist wichtig zu verstehen, welches Geschlechterbild mit der enormen Wirkungsmacht des Fernsehens und Kinos transportiert wird. In anderen Ländern wird schon viel getan, um die Darstellung von Frauen und Männern auf Bildschirm und Leinwand ernsthaft zu hinterfragen. Hierzulande liegen uns kaum valide Zahlen vor“, begründet Maria Furtwängler die Untersuchung.

So bestanden nur knapp 14 Prozent des TV-Programms und der über 800 deutschsprachigen Kinofilme aus dem Jahr 2016 den sogenannten „Bechdel-Test”. Er gilt international als Messlatte für die Präsenz von Frauen im Film. Der Test fragt beispielsweise, ob mehr als zwei Protagonistinnen vorkommen, ob sie erkennbare Namen haben und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Allein in Daily Soaps waren weibliche Charaktere überrepräsentiert. Ein Drittel des Fernsehprogramms kam sogar ganz ohne weibliche Protagonistinnen aus. Noch erschreckender sei der Studie zufolge die Alterslücke: Schauspielerinnen ab Mitte 30 seien sowohl im Fernsehen als auch in Kinofilmen schwindend. Ab einem Alter von über 50 Jahren komme nur noch eine Frau in Proportion zu drei Männern vor.

Film sei damit alles andere als ein Spiegel gesellschaftlicher Realität, meint die Schauspielerin Jasmin Tabatabai, die sich ebenfalls der Initiative „Pro Quote Film“ anschloss: „Es ist durchaus von Relevanz, wer die Rollen spielt.“ Um künftig im Film, aber auch in Wissens- und Informationssendungen neue Blickwinkel, facettenreichere Themen und ein repräsentatives Bild der Gesellschaft zu zeigen, sei es deshalb unbedingt notwendig, sowohl vor als auch hinter der Kamera für Chancengleichheit zu sorgen.

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Von Helen Hecker, Palermo

Helen Hecker berichtet als freie Redakteurin und Fotografin für Online, Print und TV. Sie ist unsere Community Managerin und kümmert sich darüber hinaus um unseren Instagram-Kanal. Nach ihrem Studium zur Sprach- und Politikwissenschaftlerin in Bamberg zog es sie 2008 nach Sizilien. Dort war sie lange Zeit für die nationale Dokumentarfilm-Akademie tätig und spezialisiert sich in ihrer Auslandkorrespondenz auf Italien. Mehr: www.helenhecker.de.

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