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Was bleibt von #MeToo?
Fünf Medienmacherinnen ziehen Bilanz

21. Februar 2018 | Von Pauline Tillmann
Felicia Mutterer (Mitte) gründete das Indie-Magazin „Straight“ und sagt sie wolle in Zukunft ohne #MeToo leben. Foto: Dóra Diseri

Das US-amerikanische Magazin „The New Yorker“ hat mit seinen Enthüllungen über Harvey Weinstein im Herbst 2017 eine Lawine der Entrüstung losgetreten. Bald darauf folgte #MeToo. Weltweit haben sich Frauen über diesen Hashtag auf Twitter zu Wort gemeldet und von ihren Erfahrungen mit Sexismus oder sexualisierter Gewalt berichtet. Doch hat sich aufgrund der Debatte wirklich etwas verändert? Wir haben Medienfrauen nach ihrer Einschätzung gefragt.

 

Foto: Jennifer Fey

Von Teresa Bücker, Chefredakteurin Edition F

#MeToo beschäftigt mich als Frau und als Journalistin schon lange – sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt sind mir schon früh begegnet, persönlich und immer wieder als Gegenstand meiner Arbeit. In der Redaktion von EDITION F musste wir daher nicht den Fragen nachgehen, die in den letzten Wochen immer wieder gestellt wurden, weil es dazu schon lange und abgesicherte Antworten gibt: Warum Menschen erst so spät ihr Schweigen über Gewalt brechen, die ihnen erfahren ist. Ob es Machtmissbrauch und tolerierte sexuelle Belästigung in allen beruflichen Branchen gibt. Ob Männer nun nicht mehr flirten dürfen.

Das sind nicht die zentralen Fragen, die die #MeToo-Debatte aufwirft. Die wichtige Frage ist: Welche Lösungen gibt es, damit diese Dinge nicht mehr geschehen? Damit der Anteil von Frauen (und viele Männer werden im Laufe ihres Lebens ebenfalls Opfer von Belästigung und sexualisierter Gewalt), die sexuell gedemütigt oder missbraucht werden, signifikant zurückgeht? Wie schaffen wir es, dass Menschen im Beruf fair miteinander umgehen und keine Frau jemals das Gefühl haben muss, sie müsse jemandem sexuell gefallen und zur Verfügung stehen, um ihren Job zu behalten oder dort voranzukommen? Wie schaffen wir es, dass Männer nicht mehr vergewaltigen? Dass Frauen angstfrei abends joggen oder nach Hause gehen können?

Zudem kratzt die #MeToo-Debatte in Deutschland bislang nur an der Oberfläche und verlor sich zu oft im Blick auf privilegierte Frauen. Dass sexueller Missbrauch oft in Kontexten extremer Abhängigkeit passiert, zum Beispiel Frauen mit Behinderungen, oder dass die Unterbringung von geflüchteten Frauen nicht ausreichend vor Gewalt schützt sondern diese eher begünstigt, ist bislang kaum adressiert worden. Gerade hier sind Journalist_innen gefragt, den Menschen, die nicht die gleichen Chancen haben, am Diskurs zu partizipieren, Gehör zu verschaffen.

#MeToo gibt uns als Gesellschaft aber auch als Journalist_innen zahllose Fragen mit auf den Weg, die wir angehen müssen. Ich verstehe es als journalistische Aufgabe, Wege in eine gleichberechtigte, freie Gesellschaft aufzuzeigen – es liegt viel Arbeit vor uns, aber auch viel Potenzial, Dinge zu bewegen.

 

Foto: privat

Anna-Maria Wagner, Referentin für Digitale Kommunikation, Chancengleichheit und Diversity beim Deutschen Journalisten-Verband

Anders als der deutsche #Aufschrei hat die globale #MeToo-Kampagne auch innerhalb der Branche selbst etwas bewegt und Tabus gebrochen. Viele Medienhäuser haben sich erstmals selbstkritisch mit Sexismus und Machtmissbrauch in ihren Redaktionen beschäftigt und die internen Debatten und Aufarbeitungsprozesse teils auch transparent abgebildet. Neu war in diesem Zusammenhang, dass viele männliche Kollegen ihre Erfahrungen mit Sexismus oder sogar aktiver Übergriffigkeit geschildert haben. Diese Öffnung des Diskurses in allen Facetten ist ebenso wichtig, wie überfällig.

Fälle von tätlichen Übergriffen oder gar Vergewaltigungen in deutschen Redaktionen sind meines Wissens trotz der Dauerpräsenz des Themas und interner Aufklärungsmaßnahmen nicht bekannt geworden. Die Notwendigkeit, neue Beschwerdestellen für Betroffene zu schaffen, wie es etwa die ARD im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der „Causa Wedel“ zuletzt angekündigte, sehe ich deshalb nicht zwingend. Zumal der #MeToo-Diskurs dafür gesorgt hat, dass die Rolle der Gleichstellungsbeauftragen sowie der Betriebs- und Personalräte in den Medienhäusern wieder stärker in den Fokus gerückt ist.

Sie berichten auch von einer gestiegenen Zahl von Anfragen im Zusammenhang mit Sexismus. Gut, dass das Problembewusstsein an diesen zentralen Schnittstellen in den Betrieben geschärft wurde. Klar sollte aber sein: Ein echter Wandel wird nicht durch Debatten allein herbeigeführt. Erst wenn in den Führungsebenen der Verlage und Rundfunkanstalten gelebte Gleichberechtigung und Vielfalt eingezogen ist, wird auch sexualisiertem Machtmissbrauch der Nährboden entzogen.

Auch die Frage nach der Verantwortung der Medien sollte an diesen Tagen besonders laut gestellt werden. Anschuldigungen über sexualisierte Gewalt werden häufig als „Sex-Skandal“ oder „Sex-Vorwürfe“ bezeichnet, übrigens nicht nur im Boulevardjournalismus. Nun geht es bei den aktuellen Schlagzeilen um Harvey Weinstein und Dieter Wedel natürlich nicht um Sex, sondern um Machtmissbrauch, Mobbing und teils schwere Gewaltstraftaten.

Solche verharmlosenden Formulierungen dienen dazu, den Voyeurismus des Publikums zu bedienen und verhöhnen die Betroffenen. Das trifft übrigens auch und gerade zu, wenn die Opfer keine Prominenten sind. Auf der anderen Seite schadet schlecht recherchierte und undifferenzierte Berichterstattung der Glaubwürdigkeit der Debatte. Gerade bei medial aufgeheizten Themen sind oberste journalistische Sorgfalt und Differenzierung essenziell. Die Diskussion über den verantwortungsvollen journalistischen Umgang mit Tätern und Opfern von Sexualstraftaten ist noch längst nicht abgeschlossen.

 

Foto: Fox / Uwe Völkner

Sissi Pitzer, Mitglied im Journalistinnenbund und bei ProQuote

Ehrlich gesagt, ich glaube, dass nichts bleibt im Sinne von „Das haben wir ausdiskutiert, was bleibt an Erkenntnis?“. Sondern dass es gerade erst richtig losgeht; das Thema fängt erst an, die gesellschaftliche Diskussion zu bestimmen. In Deutschland waren die Reaktionen auf die Weinstein-Enthüllungen relativ verhalten – Empörung über den US-Produzenten ja, aber zunächst keine Bekenntniswelle vergleichbar der von US-amerikanischen Schauspielerinnen.

Bis die beiden Stories der Wochenzeitung DIE ZEIT erschienen sind – und sie haben sicher nicht nur mir erst einmal den Atem verschlagen. Den KollegInnen, die im Team intensiv recherchiert haben, gebührt ein großes Dankeschön – und ein Stück Bewunderung für ihre Hartnäckigkeit. Beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang dann vor allem ein Mann: ZEIT-Herausgeber Giovanni die Lorenzo, der das Erscheinen dieser brisanten Artikel überhaupt erst ermöglicht und juristisch abgesichert hat – more to come, vermute ich.

Ich bin sonst kein Fan von ihm – auch wenn er den Anteil von Frauen in Führungspositionen in seinen Redaktionen ordentlich nach oben katapultiert hat. Aber seine Äußerungen und TV-Auftritte, die ruhige Art, wie er seine Entscheidung, diese medienrechtlich durchaus schwierige Verdachtsberichterstattung durchzuziehen, begründet hat, flößen mir Respekt ein. Genau das Gegenteil gilt für die unterirdischen Posts und Kommentare, die die ZEIT-Enthüllungen im a-sozialen Netz begleitet haben. Wer sich das antut und es, zumindest auszugsweise, liest, der versteht sofort, warum betroffene Frauen damals nichts gesagt haben und auch heute noch vielfach lieber schweigen oder anonym bleiben wollen.

Was mich besonders aufgeregt hat: Das Argument, die Vorfälle seien ja längst verjährt. Sind Belästigung, Demütigung, gar Vergewaltigung weniger schlimm, weil sie vor langer Zeit geschehen sind? Sexualisierte Gewalt, das ist nicht nur ein Thema für die glamouröse Filmbranche oder die außerhalb der Norm stehende Theater-, Musik-, Künstlerszene. Überall dort gibt es einen Aufschrei von Frauen, siehe Burgtheater, siehe Museen in den USA. Und immer mehr Lebensbereiche kommen hinzu – oder besser: waren immer schon betroffen. Der Sport beispielsweise – siehe die jüngsten Enthüllungen über den Skisport in Österreich oder den Mannschaftsarzt der US-Turnerinnen.

Weitere Branchen werden folgen, zwangsläufig. Denn überall, wo Abhängigkeit und Machtgefälle herrschen, werden vor allem Männer diese Situation ausnutzen – von Anzüglichkeiten bis hin zur sexualisierten Gewalt. Nicht alle, aber viele, zu viele. Darüber sprechen hilft. Den Betroffenen Unterstützung anbieten hilft. In der Öffentlichkeit nicht schweigen hilft. Solidarisch sein hilft. Trolle und Hater in die Schranken weisen hilft. Und es wird auch helfen, wenn mehr Frauen an verantwortlichen Positionen sind und Männer mit ihrer Machtfülle nicht mehr unter sich bleiben.

 

Foto: Axel Kuhlmann

Inga Höltmann, Koordinatorin der Digital Media Women (DMW) in Berlin

Um etwas über die Wahrnehmung und die Rolle von Frauen im Medienbereich sagen zu können, muss man sich zwei Bereiche genauer anschauen: Einerseits, wer die Arbeit in den Redaktionen macht, wer dort führt und wer dort sichtbar ist, wessen Arbeit wertgeschätzt wird, aber auch, wie Frauen in journalistischer Arbeit repräsentiert und dargestellt werden. In beiden Feldern sehen wir immer noch eine klare Unwucht.

Journalistinnen sind noch immer weniger häufig in Führungspositionen und sie werden auch seltener mit Journalistenpreisen bedacht. Noch immer sind zum Beispiel 95 Prozent aller Chefredakteure deutscher Regionalzeitungen männlich, diese Zahl ist bekannt und hat sich in den vergangenen Jahren auch nur unwesentlich geändert. Gleichzeitig tauchen Frauen weniger häufig als Gesprächspartner und Experten auf. Und interessanterweise neigen auch Journalistinnen – genauso wie ihre männlichen Kollegen – eher dazu, Männer zu befragen.

Sowohl nach innen als auch nach außen haben Frauen also noch immer einen schwereren Stand. Ich bemerke aber, dass sich in den Redaktionen insofern etwas ändert, dass das zumindest thematisiert wird. Wenn ein „Altherrenkommentar“ publiziert wird – wie eine Kollegin kürzlich im Fall Wedel ein Meinungsstück nannte – dann wird heute in der Redaktionssitzung darüber diskutiert und dann vielleicht sogar der Raum geschaffen, dass auch eine andere Stimme zu Wort kommt.

Damit einher geht aber auch eine gewisse Unsicherheit gerade bei männlichen Kollegen. In einer Redaktionssitzung verwahrte sich kürzlich ein Kollege nachdrücklich gegen die Zuschreibung „mittelalte weiße Männer“ – wissend, dass er theoretisch in diese Kategorie fällt. Wir gerieten darüber in eine Diskussion: Was ist richtiges Verhalten hier in der Redaktion? Wo bemerkt man(n) die eigenen Privilegien vielleicht nicht?

Ich merke auch, dass die Meinungen darüber, was angemessen ist und was vielleicht sexistisch ist, noch immer weit auseinander gehen – sowohl in der Berichterstattung, als auch im Umgang miteinander. Es braucht ein geschultes Auge und viel Fingerspitzengefühl, um subtile Diskriminierung zu entdecken. Nicht jede/r hat Lust darauf oder findet das wichtig. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass gerade an vielen Ecken etwas aufbricht, was das Geschlechterverhältnis oder Stereotype angeht. Die Debatte wird eindrücklicher und ernsthafter geführt und, so meine Hoffnung, damit auch nachhaltiger.

 

Foto: Denys Karlinskyy

Von Felicia Mutterer, Gründerin Straight

Eine Erinnerung: Konferenz in einer deutschen Sportredaktion. 50 Meinungsmacher*innen (überwiegend Männer) in Sachen Leibesertüchtigung der Eliten sitzen zusammen. Es wird auf das Wochenende zurückgeblickt. Am Sonntag war in der programmeigenen Sportsendung eine promovierte Kickboxerin zu Gast. Ein Kollege, der gerne leger im Stuhl hängt und seine Beine dabei vornehmlich breitet, quittiert kaugummikauend den Besuch der Sportlerin im Studio mit folgenden Worten: „Mich hat das nicht interessiert. Alles was ich mir gemerkt habe: Hinten raus kommt sie immer noch mal!“ Fast alle lachen. Über eine sexistische Bemerkung. 

Ich habe in einer Sportredaktion, eine Bastion der Männlichkeit, gearbeitet und war bei dieser Konferenz dabei. Damals war ich empört über seine Worte, dennoch blieb ich stumm und reagierte auf Sexismus und die weibliche Benachteiligung eher stumpf. Aussprüche wie des Kollegen gehörten zum Alltag, wurden nie geahndet und ließen mich wenn vor allem eines: an mir zweifeln – ich fragte mich oft, ob ich nicht einfach zu empfindlich bin. Die Reduzierung von Frauen zum Objekt, die ständige Sexualisierung erschien mir wohl schlicht zu selbstverständlich: Von unangemessenen Bemerkungen über vom Hand streichelnden Vermieter bis zum Vorgesetzten, der die Hand aufs Knie legte. Es ist schwierig Frauen zu finden, die damit keine Erfahrung gemacht haben. Ich kenne keine.

Eigentlich unerträglich. Viele Frauen akzeptierten stillschweigend und sagten: So ist das eben. #MeToo bringt diesen Missstand nun ans Licht. Längst überfällig und laut genug, um eine nachhaltige Veränderung anzustoßen. Der Zuspruch ist riesig. In der ganzen Welt erzählen Frauen ihre Geschichten und vernetzen sich. #MeToo verleiht Frauen eine Stimme, prangert das System an: Eines, das Männer stützt, Frauen presst. #MeToo peitscht die patriarchalen Strukturen und die Galionsfiguren des Konstrukts: Den hängengebliebenen Mann. Dass es von denen eine Menge gibt, war nicht unbekannt. Aber das es nicht ok ist, so zu sein, das ist nun endlich im Kommen. Stilles Ertragen ist out. Auch wenn es hart klingt: Abrechnung ist in. Denn wir müssen ausverhandeln: Wie wollen wir miteinander leben? In Zukunft unbedingt ohne #MeToo.

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Von Pauline Tillmann, Konstanz

Pauline Tillmann ist Gründerin und Chefredakteurin von DEINE KORRESPONDENTIN. 2011 bis 2015 war sie freie Auslandskorrespondentin in St. Petersburg und hat für den ARD Hörfunk über Russland / Ukraine berichtet. Zuvor hat sie beim Bayerischen Rundfunk volontiert. Pauline ist regelmäßig als Coachin, Beraterin und Speakerin im Einsatz. 2022 erschien ihr Buch „Lust auf Lokal – das Handbuch für Community-Journalismus“, außerdem hat sie das Buch „Frauen, die die Welt verändern“ herausgegeben. Mehr unter: http://www.pauline-tillmann.de.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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