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Fantasievolle Mörderinnen
Über irische Krimi-Bestseller-Autorinnen

16. Februar 2022 | Von Mareike Graepel
Liz Nugent (links) und Catherine Ryan Howard (rechts) gehören zu Irlands erfolgreichsten Krimi-Autorinnen. Foto: Mareike Graepel

Zwei Drittel der 2021 für den „Irish Book Award“ nominierten Krimi-Autor*innen sind Frauen. Diese Quote ist in Irland keine Überraschung. Seit Jahren stammen dort die meisten Thriller, Gruselromane und Psycho-Krimis von Schriftstellerinnen. „Wir kennen uns mit Angst besser aus als Männer“, sagt die diesjährige Gewinnerin Catherine Ryan Howard.

Von Mareike Graepel, Dublin  

Catherine Ryan Howard und Liz Nugent haben zusammen 31 Menschen umgebracht. Dabei wirken sie freundlich, entspannt und gar nicht grausam, wie sie so auf der Terrasse hinter Nugents hübschem Reihenhaus sitzen. Vielleicht ein wenig hungrig, okay, aber es ist Mittagszeit. Liz Nugent holt Antipasti, Dips, Brot und Besteck. Gefährlich scharf ist nicht das Messer auf dem Tisch, sondern die Fantasie der beiden: Sie zählen zu den erfolgreichsten Krimi-Autorinnen Irlands.

Rechnen wir die Opfer von Sam Blake, Tana French, Jo Spain, Sinéad Crowley und ihren Kolleginnen dazu, geht die Summe an Toten in die Hunderte – jedes einzelne Opfer ist jedoch „nur“ eines auf dem Papier, denn keine der Autorinnen hat sich im wahren Leben einen Mord zuschulden kommen lassen. Doch die Angst, dass ihnen selbst etwas zustoßen könnte – vor allem wenn sie abends oder nachts allein unterwegs sind – kennen sie alle.

Laut einer Umfrage der „Fundamental Rights Agency“ gibt es in Irland im EU-Vergleich die zweithöchste Anzahl an Frauen, die aus Angst vor Übergriffen Orte oder Situationen meidet: Neun von zehn fühlen sich unwohl, wenn sie allein unterwegs sind. Dabei besteht durchaus eine reale Gefahr: Knapp 15 Prozent der irischen Erwachsenen sind laut einer aktuellen Studie irgendwann in ihrem Leben vergewaltigt worden, und jede*r Dritte hat in irgendeiner Form sexuelle Gewalt erlebt.

„Ich halte immer meinen Schlüssel als potentielle Waffe in der Hand, wenn ich im Dunkeln auf dem Heimweg bin, und gehe nur an vielbefahrenen Straßen entlang“, erklärt Liz Nugent, die in den vergangenen Jahren mehrere irische Buchpreise und die renommierte James-Joyce-Medaille erhielt. Ihr neuester Krimi heißt „Kleine Grausamkeiten“ und ist gerade in Deutschland erschienen. „Mein Mann nimmt immer den kürzesten Weg von der Bahn nach Hause, durch den Park. Ich nie. Wie es ist, allein da durchzugehen? Keine Ahnung.“

Charaktere müssen nicht sympathisch sein

Catherine Ryan Howard, die in „The Nothing Man“ den Spieß umdreht und eins der weiblichen Opfer, das entkommen konnte, den Serienkiller jagen lässt, beschreibt die Wartezeit auf die Dubliner Stadtbahn so: „Ich frage mich abends am Gleis jedes Mal, neben welchem Menschen ist es am sichersten? Wo stelle ich mich hin? Zumindest weiße, heterosexuelle Männer nehmen Angst nicht so wahr wie wir. Männer schreiben von Macho-Helden und Frauen oft aus der Sicht der Gestalkten.“

Catherine Ryan Howard gehört zu den erfolgreichsten Krimi-Autorinnen Irlands.

Was nicht bedeutet, dass es in ihren Büchern keine Männer gibt. Oder dass sie ausschließlich Täter sind. Aber Catherine Ryan Howard achtet beim Ausgestalten der männlichen Figuren darauf, dass sie ihnen nicht zu viel Empathie-Fähigkeit zuschreibt. Und Liz Nugent passt auf, dass sie die Männer nicht zu beobachtend sein lässt. „Körper, Kleidung und physische Details wahrzunehmen und bei anderen – vor allem Frauen – zu beschreiben und zu bewerten, das machen Männer nicht“, sagt sie.

Das Verhältnis der Geschlechter ihrer Leser*innen ist sehr unterschiedlich. Liz Nugent weiß, dass ihre Bücher zu 60 Prozent von Frauen gelesen werden, bei Catherine Ryan Howards Krimis sind es etwa 80 Prozent. Das kann an den Hauptfiguren liegen. Tatsächlich sind es in Liz Nugents Büchern sehr häufig männliche Charaktere, aus deren Sicht die Dublinerin schreibt.

Die drei Brüder in ihrem aktuellen Krimi beispielsweise sind jeder auf seine Art und Weise schwierig, egozentrische Typen im Showbusiness. Es sind Charaktere, die den Lesenden nicht unbedingt sympathisch sein sollen, aber die trotzdem faszinieren. In der Rezension des Buches schreibt die Wochenzeitung DIE ZEIT, dass es ein Euphemismus wäre, „die Binnenbeziehungen als dysfunktional zu beschreiben: Toxisch träfe es besser.“

Dabei meint Liz Nugent trocken: „Ich schreibe in der Fiktion gern aus der männlichen Perspektive. Männer planen nicht so weit im Voraus – was mir gut passt, weil ich manchmal beim Schreiben selbst noch nicht weiß, wie am Ende die Auflösung der Tat sein wird. Und Männer sind in ihrer Denkweise eher geradeaus, sie zweifeln nicht so an sich selbst.“ Auch deswegen, sagt Liz Nugent, sei es umso wichtiger, den Erfolg der Frauen im Krimi-Genre zu feiern. Ihrer Meinung nach hätten irische Frauen – endlich – ihre Stimme gefunden und müssten nicht mehr still sein.

Frauen befreien sich von Schraubzwingen

Doch warum kommt der große Erfolg erst jetzt? Dass Frauen ängstlich sind ist kein Phänomen des neuen Jahrtausends. Auch zu Bram Stokers Zeiten, dem Erfinder von Dracula, waren sie höchstwahrscheinlich ungern allein nachts unterwegs – nicht nur, weil sie Angst vor Vampiren hatten. Trotzdem gab es bis vor Kurzem wenige so erfolgreiche Krimi-Autorinnen in Irland wie derzeit.

Valerie Bistany, Direktorin des „Irish Writers Centre“, ordnet den Trend zeitlich so ein: „Krimis und Thriller von Frauen sind in Irland seit etwa einem Jahrzehnt sehr angesagt, als Tana French die Welle lostrat und mit ihrem ersten Roman ‚Grabesgrün‘ international Erfolg hatte.“ Einige Tana-French-Krimis sind als Serie mit dem Titel „Dublin Murders“ verfilmt worden, Liz Nugents Bücher wurden bereits in 15 Sprachen übersetzt.

Nugent selbst untermauert die Erklärung des Trends mit historischen und gesetzlichen Veränderungen: „Frauen in Irland hatten dank der Schraubzwinge, die die katholische Kirche der Gesellschaft lange angelegt hat, bis in die 90er Jahre kaum Rechte und keine Stimme. Scheidung, Verhütung, Homosexualität und Abtreibung – das war alles illegal.“

Irland hat erst 2015 für die gleichgeschlechtliche Ehe und 2017 für das Recht auf Abtreibung gestimmt. Es gibt derzeit viele Neuerungen in vielen Lebenslagen. Seit gut einem Jahr beschäftigt dazu ein erschütternder Bericht über katholische Mütterheime und Zwangsadoptionen das Land. „Wann hört das endlich auf, dass wir solche Nachrichten lesen müssen? Es ist Zeit, dass wir Frauen zuhören: im wahren Leben, in der Literatur, überall“, meint die Erfolgsautorin.

„Frauen schreiben oft in gestohlener Zeit“

In einem anderen Interview hat Sam Blake eine weitere Erklärung für die Erfolge der irischen Krimi-Autorinnen, die sie auch mit einer gesellschaftlichen Veränderung in Verbindung bringt: „In Irland haben wir zwar eine lange Tradition des Makabren und Kriminellen. Auch Sherlock Holmes-Erfinder Conan Doyle war irischer Abstammung und als Kind viel in Irland. Dass es jetzt so viele Thriller-Autorinnen gibt, hat auch mit moderner Technologie und der neuen Generation Frauen zu tun. Viele von uns schaffen das aber immer noch vor allem durch harte Arbeit – oft schreiben wir in gestohlener Zeit, obwohl wir tagsüber arbeiten, uns um die Familie kümmern und einen Haushalt führen.“

Für Catherine Ryan Howard ist das Schreiben mittlerweile ein Vollzeitjob – „56 Days“ ist ihr fünftes Buch – und sie ist dankbar dafür. Um diesen Interviewtermin wahrnehmen zu können, hat sie sich als große Ausnahme einen halben Tag vom Schreibtisch entfernt, an dem gerade der sechste Krimi entsteht. „Das mache ich sonst in der Schreibphase wirklich nicht. Da tauche ich ab, aber ich sage im Freundeskreis und bei der Verwandtschaft vorher Bescheid. So kann ich mich wochenlang zurückziehen und schreiben.“

Sie erklärt, dass sie sich oft von Meldungen und Nachrichten inspirieren lasse und ihren Plot auf einer skurrilen Tatsache oder einer Tat aufbaue, über den sie in der Zeitung gestolpert sei. Manchmal seien es auch öffentliche und anonyme Geständnisse auf Webseiten wie postsecret.com, die die Grundlage für einen Krimi bilden könnten. „Besonders ungelöste Fälle oder Lücken in Gesetzen finde ich sehr spannend, da lasse ich nicht locker, bis ich eine Möglichkeit gefunden habe, um den Fall in meiner fiktionalen Version der Ereignisse zu lösen. Ich lege ganz genau fest, wie der Plot sein soll, bevor ich anfange, zu schreiben.“

Liz Nugents aktueller Krimi „Kleine Grausamkeiten“ ist gerade in Deutschland erschienen.

Liz Nugent arbeitet anders: „Manchmal weiß ich nicht, wie die Geschichte ausgehen soll bis ich zwei Drittel des Buches geschrieben habe. Das Schreiben ist auch für mich sehr spannend.“ Sie schenkt allen am Tisch ein wenig Tee nach und erklärt weiter: „Ich schreibe, um nicht einsam zu sein. Wenn ich schreibe, bin ich von meinen Figuren umgeben. Je dunkler ich deren Charaktere werden lasse, desto mehr tratsche und lästere ich in meinem Kopf wie beim Kaffeeklatsch über die jeweils anderen Figuren.“

Beide können heute vom Schreiben leben. Doch das war nicht immer so. Die 39-jährige Ryan Howard arbeitete als Verwaltungsangestellte für ein Reiseunternehmen in den Niederlanden und als Rezeptionistin in einem Hotel in Disney World, Florida. Auf ihrer Website verrät sie, dass sie früher von der Idee besessen war, Virologin zu werden, und dass sie immer noch hofft, Astronautin bei der NASA zu werden, wenn sie groß ist.

Liz Nugent, Jahrgang 1967, war früher als Stage-Managerin mit „Riverdance“ auf Tour und beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender RTÉ in der Verwaltung tätig, bevor sie erste Stücke für den gälischen Kanal und das Kinderfernsehen verfasste. Es waren Jobs so harmlos wie der Sonnenschein in diesem Dubliner Garten – bevor sie begannen, auf Papier zu morden.

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Von Mareike Graepel, Haltern

Mareike Graepel lebt in Haltern und Irland. Sie ist unser Head of Partnerships und kümmert sich um Kooperationen mit (Medien-)Partner*innen. Sie schreibt seit ihrer Jugend für lokale, regionale und überregionale Tageszeitungen und Magazine – zunächst als freie Mitarbeiterin, dann als Redakteurin und seit 2017 selbstständig als Journalistin und Übersetzerin. Ihre Themen drehen sich meist um Gesellschaft, Umwelt, Familie, Gesundheit und Kultur.

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Sabrina ProskeMünchen
Saado Ali* ist eine junge Mutter aus Nordsomalia. Sie flieht hochschwanger mit ihrem kleinen Sohn Yusuf vom Krieg. Zwischen provisorischen Zelten und Planen setzen plötzlich ihre Wehen ein. Mit uns spricht sie erstmals über ihre Erfahrungen als Schwangere in einem Kriegsgebiet.

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