Lerne inspirierende Frauen aus der ganzen Welt kennen.

Lerne inspirierende Frauen weltweit kennen.

Ein Meer für alle
Wellen, die Möglichkeiten schaffen

2. Juli 2025 | Von Helena Kreiensiek | 10 Minuten Lesezeit
Spaß in den Wellen: Rund 50 Mädchen erleben bei „Surfkids Shredding Senegal“ nicht nur den Sport sondern auch Empowerment. Alle Fotos: Helena Kreiensiek

Im westafrikanischen Senegal stärkt Surfunterricht das Selbstbewusstsein von Mädchen und jungen Frauen. Wie der Wassersport auch wirtschaftliche Perspektiven bietet, erklärt Marta Imarisio vom Projekt „Surfkids Shredding Senegal“.

Von Helena Kreiensiek, Dakar

 

Zusammenfassung:

Im Senegal lernen Mädchen beim Projekt „Surfkids Shredding Senegal“ das Surfen – und gewinnen dabei Selbstvertrauen, Gemeinschaft und neue Perspektiven. Marta Imarisio fördert mit ihrem Team gezielt junge Frauen, bricht traditionelle Rollenbilder auf und zeigt: Das Meer gehört allen. Neben dem Sport geht es auch um Bildung, Umweltschutz und neue Chancen für eine selbstbestimmte Zukunft.

 

Aufwärmen: Unter Anleitung von Marta Imarisio wird sich am Strand von Yoff aufgewärmt.

Der Sand fliegt zu allen Seiten, während rund 20 Kinder in einem großen Durcheinander im Kreis rennen. Auf ein Signal von Kursleiterin Marta Imarisio formen die Kinder plötzlich kleine Grüppchen und umarmen sich fest. Kurz kommt Stillstand in die wuselige Gruppe, während das Kichern und laute Lachen über das Tosen der brechenden Wellen zu hören ist.

Es ist ein Aufwärmspiel, mit dem sich die Kinder auf ihre Surfstunde vorbereiten. Hier, am kilometerlangen Sandstrand von Yoff, im Norden von Senegals Hauptstadt Dakar, lernen bis zu 50 senegalesische Kinder das Wellenreiten. „Surfkids Shredding Senegal“ nennt sich das Projekt des ASC Malika Surf, das den Wassersport mit Lern- und Arbeitsmöglichkeiten verbindet.

Spätestens seit dem Kultfilm „Endless Summer“ aus dem Jahr 1966 rückt das westafrikanische Land als Surf-Destination immer mehr ins Rampenlicht. Eine der wohl ikonischsten Szenen zeigt die Protagonisten des Films, wie sie an der Insel N’Gor eine perfekte, endlos laufende Welle surfen. Die Insel N’Gor und die berühmte Welle locken noch immer Tourist*innen aus aller Welt an.

Doch für viele Kinder vor Ort bleibt der Sport unerreichbar – sei es aus finanziellen Gründen oder „weil der Respekt vor dem Meer sehr groß ist“, erzählt Marta Imarisio. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Aziz Kane leitet die gebürtige Italienerin seit gut 15 Jahren die Surfschule an Dakars längstem Strand.   

Marta Imarisio leitet gemeinsam mit Ehemann Aziz Kane das Projekt „Surfkids Shredding Senegal“.

Mit jeder Welle wachsen

Was 2010 ganz klein begann, ist mittlerweile zu einem großen Projekt angewachsen: Hunderte Kinder haben dank „Surfkids Shredding Senegal“ gelernt, Wellen zu meistern. Einen besonderen Fokus legt die Gründerin dabei auf die Förderung von Mädchen: „Das Meer ist traditionell eine Männerdomäne. Das kommt vom Fischfang, der nur von Männern betrieben wird, während die Frauen normalerweise am Strand auf die Fische warten, um sie dann zu verkaufen“, erklärt die 45-Jährige.

Mit der Initiative „Girls are up!“ schaffen Marta Imarisio und ihr Team gezielt Räume, in denen junge Mädchen Selbstvertrauen im Wasser gewinnen und ihre Fähigkeiten ohne Vorurteile entwickeln können. Neben Surftraining geht es dabei auch um Empowerment und den Abbau von Geschlechterstereotypen.

Eine von ihnen ist Aisha. Die Elfjährige ist bereits seit fünf Jahren dabei: „Ich surfe richtig gerne. Am besten gefällt mir, dass ich dabei mit meinen Freundinnen zusammen bin“, erzählt sie. „Meine Mutter verkauft hier am Strand Fisch mit Reis, deshalb kennt sie die Surfschule und unterstützt es, dass ich drei Mal die Woche hierherkomme.“ Die 19-Jährige Khadija dagegen ist erst seit vergangenem Sommer dabei. „Das Meer hat mir am Anfang Angst gemacht, da ich erst schwimmen lernen musste“, sagt sie. Zunächst habe es einiges an Überwindung gekostet, ins Wasser zu gehen.

„Aber man wird gut betreut und unterstützt. Als meine Eltern das gesehen haben, durfte ich kommen.“ Als Mutter kann Marta Imarisio dies gut verstehen: „Ich würde meine Kinder auch nicht einfach unbetreut ins Meer schicken“. Teil des Konzepts von Surfkids Shredding ist daher die gegenseitige Unterstützung. „Die erfahrenen Kinder begleiten die Neuen. Und natürlich sind wir dabei“, sagt sie. Ehemann Aziz Kane nickt bekräftigend, während er mit wachsamem Blick das Treiben der Kinder und Jugendlichen beobachtet.

Déguène Thioune (rechts) ist professionelle Surferin und hat selbst bei den Surfkids das Wellenreiten gelernt. Gemeinsam mit Freundin Maimouna gibt sie ihre Liebe zum Surfen nun an andere Senegalesinnen weiter.

Die Entstehung einer Bewegung

Die haben sich mittlerweile in Grüppchen aufgeteilt. Ein Teil ist bereits mitten in den Wellen, ein anderer Teil macht noch Trockenübungen am Strand. Darunter auch Déguène Thioune. DieSurferin imitiert auf dem Bauch liegend das Paddeln und springt dann auf. Ihre Schülerinnen machen die Bewegung nach. Die 19-Jährige ist amtierende senegalesische Meisterin und Afrikas Vizemeisterin im Surfen. Ihre erste Surfstunde hatte sie damals bei Malika. Als Teilnehmerin des Surfkids Shredding Programms gibt sie heute ihre Liebe zum Sport durch Unterricht weiter und zählt zum festen Surfkids-Team.

„Als wir vor zehn Jahren hier angefangen haben, gab es noch keinerlei Surf-Infrastruktur“, erinnert sich Marta Imarisio. Sie selbst ist Athletin und liebt das Wellenreiten. Heute ist die Szene eine lebendige Mischung aus lokalen Talenten und internationalen Besucher*innen. Während sich Marta Imarisio eine Haarsträhne aus dem mit Sonnencreme bedeckten Gesicht streicht, ist ihr die Freude anzusehen: „Viele der neu gegründeten Surfschulen werden heute von jungen Erwachsenen geleitet, die bei uns als Kinder angefangen haben. Das macht uns richtig stolz.“

Die Mehrheit kommt aus benachteiligten Haushalten im dicht besiedelten Stadtviertel Yoff. Heute sind Surf-Camps und Schulen entstanden, kleine Läden, in denen eigene Surfbretter hergestellt werden, auch Initiativen für nachhaltigen Tourismus und den Schutz der Meere und Küsten nehmen allmählich zu.

Die Surfschule des ASC Malika Surf.

Land im Umbruch

Mit seiner langen Atlantikküste ist vor allem der Fischereisektor einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Laut der Welternährungsorganisation trägt die Fischerei zu mehr als drei Prozent des nationalen BIP bei, während der Tourismus bei 2,5 Prozent liegt. Doch die Zeiten, in denen sich mit Fischerei gutes Geld verdienen ließ, sind vorbei. Überfischung und Meeresverschmutzung setzen der Branche zu. Auch am Strand von Yoff spülen die Wellen immer wieder Plastiktüten und Flaschen an, und einheimische Fischer kehren zunehmend mit leeren Netzen nach Hause zurück.

Ein wesentlicher Grund dafür sind internationale Fangflotten, die die Gewässer leerfischen. Die ehemalige Regierung Senegals erteilte vor allem Schiffen aus China und Russland großzügige Lizenzen, deren Besatzung nicht selten zu viel abfischten. Die im März 2024 neu gewählte Regierung hat bereits angekündigt, dem gegenzusteuern und alte Fischereiabkommen neu zu verhandeln – darunter auch ein Abkommen mit der Europäischen Union. Es ist ein politischer Umbruch mit Ansage.

Doch die Herausforderungen vor denen Präsident Bassirou Diomaye Faye und dessen Premierminister Ousmane Sonko stehen sind groß: Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit in Senegal bei etwa 23 Prozent. Viele Menschen arbeiten unter prekären Verhältnissen, fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Mit einem Durchschnittsalter von 19 Jahren ist sie außerdem sehr jung. Perspektiven müssen her.

Am kilometerlangen Sandstrand von Yoff lernen die Kinder aus den angrenzenden Stadtvierteln das Wellenreiten.

Neue Perspektiven für Mädchen

Genau die will der ASC Malika mit seinen Projekten schaffen: „Wir versuchen den Kindern beizubringen, dass sie sich, wenn sie kreativ sind und Eigeninitiative zeigen, ihr eigenes Einkommen generieren können“, erklärt Marta Imarisio. Das Meer biete Perspektiven, auch für Mädchen. Während Senegals Strände sich in den kühleren Abendstunden zu Freiluft-Sportplätzen verwandeln, wo Fußball gespielt wird oder Fitness-Übungen gemacht werden, sind Mädchen und Frauen in den Sportgruppen eher selten zu finden. Noch seltener im Wasser.

„Manchmal wissen sie nicht, wie sie Zugang zum Sport finden, manchmal ist es eine Geldfrage und manchmal fehlen die Informationen über Angebote. Und sehr oft fehlen einfach Vorbilder für Mädchen“, sagt Marta Imarisio, während sie zielstrebig durch den Sand in Richtung Meer stapft. Dort haben die Schülerinnen von Déguène Thioune es geschafft, ihre ersten kleinen Wellen zu reiten.

Beim Blick auf die Gruppe hält Marta Imarisio inne: „Surfen hat heute auch viel mit Marketing zu tun“, sagt sie. „Viele Marken stellen Neoprenanzüge mit wirklich kurzen Shorts her. Das ist für die Mädchen hier oft unangenehm.“ Die richtigen Outfits zu finden, die mit der lokalen Kultur vereinbar sind, sei nicht immer einfach. Meist finde sich eine Lösung, mit einem Paar zusätzlichen Shorts zum Beispiel. „Aber die Kleiderfrage ist trotzdem ein Thema, vor allem im Sommer, wenn das Wasser warm ist“, sagt sie.

Auch an Land entwickelt sich das Projekt stetig weiter. „Wir versuchen gerade, einen Raum zu schaffen, an dem die Kinder sich treffen können. Mit einer Bibliothek, die für alle offen steht, aber auch ein Rückzugsort sein kann“, erzählt Marta Imarisio. Die Pläne stehen, nun geht es darum, die nötigen Mittel zu finden. „Wir haben zum Beispiel an zwei alte Schiffscontainer gedacht, die wir umfunktionieren können“. Die  Vision dahinter steht fest: Kinder und Jugendliche, die sich sicher, selbstbewusst und frei in den Wellen bewegen – und darüber hinaus.


 

Steady


Du magst unsere Geschichten über inspirierende Frauen weltweit und willst uns AKTIV unterstützen? Darüber freuen wir uns! Entweder wirst du ab 5 Euro im Monat Mitglied bei Steady (jederzeit kündbar) oder lässt uns eine Direktspende zukommen. Wir sagen: Danke, dass du deinen Beitrag leistest, damit guter Journalismus entstehen und wachsen kann.


 


image/svg+xml

Von Helena Kreiensiek, Dakar

Helena Kreiensiek ist Westafrika-Korrespondentin mit Sitz in Dakar, Senegal. Zwischen 2020 und 2022 lebte sie in Burundi und von 2022 bis 2024 berichtete sie aus Uganda. Ihre Arbeit konzentriert sich auf Themen rund um Menschenrechte, Umweltschutz, Bildungsgerechtigkeit und die Reintegration ehemaliger Kindersoldaten. Sie schreibt, fotografiert und produziert Podcasts und Audiostücke.

Alle Artikel von Helena Kreiensiek anzeigen

image/svg+xml
Sarah TekathAmsterdam
In globalen Krisen werden Tiere bei Rettungs- und Hilfsmaßnahmen häufig übersehen. Das gilt für Nutz-, Wild- und Haustiere gleichermaßen, denn oft sind die Besitzer*innen gezwungen, sie zurückzulassen. Gleichwohl gibt es Menschen, die sich dieser Tiere annehmen und für deren Schutz ihr Leben riskieren. Die Niederländerin Esther Kef ist eine davon.

Newsletter Anmeldung

Trage dich jetzt für unseren kostenfreien Newsletter ein, der dich jede Woche mit aktuellen Infos zu neuen Artikel und mit Neuigkeiten rund um DEINE KORRESPONDENTIN versorgt!

Abonniere unseren kostenfreien Newsletter