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Mit Höflichkeit gegen Rechtspopulisten
Interview mit Paulina Fröhlich

6. September 2017 | Von Pauline Tillmann
Foto: Kleiner Fünf

Die 26-jährige Paulina Fröhlich hat 2016, gemeinsam mit Freunden, die Initiative „Kleiner Fünf“ gegründet. Damit will sie verhindern, dass rechtspopulistische Parteien in den Bundestag einziehen, also weniger als fünf Prozent der Wählerstimmen bekommen. Chefredakteurin Pauline Tillmann hat mit ihr gesprochen.

Wie kam euch die Idee für „Kleiner Fünf“?

Paulina Fröhlich: Zwei der Gründer haben telefoniert und zeigten sich besorgt, dass die AfD in den Umfragen bei 20 Prozent liegt. Ich habe zeitgleich einen Facebook-Eintrag über ein Erlebnis mit einem Rechtspopulisten verfasst und so haben mich die anderen gefunden. Zusammen sind wir mit einigen Freunden drei Tage in die Uckermark gefahren und haben darüber gebrainstormt, wie wir damit umgehen wollen. Am Ende war klar: Wir wollen eine Initiative gründen, die vom Umfang her so ist, dass sich zwei bis drei Menschen in Vollzeit darum kümmern müssen und ihre normalen Jobs beiseite legen. Das ging mit einer großen finanziellen Unsicherheit einher, weil wir ausschließlich von privaten Spendengeldern leben. Die drei, die das machen, bekommen den Mindestlohn für 37 Stunden in der Woche, arbeiten aber deutlich mehr. Ich habe für mich persönlich entschieden: Ich stehe gerne dafür morgens auf und gebe 300 Prozent. So bin ich zur Pressesprecherin von „Kleiner Fünf“ geworden.

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Was wollt ihr damit erreichen?

Wir möchten, dass rechtspopulistische Parteien weniger als fünf Prozent bei der Bundestagswahl am 24. September bekommen und damit den Einzug verpassen. Die Strategie, die dahinter steht, ist radikale Höflichkeit und Dialog. Wir möchten erreichen, dass Menschen Lust bekommen, mit den engsten Vertrauten ins Gespräch zu kommen, das heißt mit der eigenen Mutter und dem Vater, mit Mitbewohnern und mit dem Bruder – vor allem wenn diese Nichtwähler oder Protestwähler sind.

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Womit erklärst du dir den derzeitigen Zulauf zu rechten, teilweise rechtsextremen, aber auf jeden Fall rechtspopulistischen Parteien?

Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, dass sehr viel Unmut gegenüber den etablierten Parteien besteht. Das Institut Infratest dimap, das umfangreiche Umfragen unter den AfD-Wählern nach den Landtagswahlen gemacht hat, hat herausgefunden, dass die meisten nicht aus Überzeugung die Partei gewählt haben. Also nicht weil sie sie gut finden oder gar ihr Parteiprogramm kennen. Die meisten haben sie gewählt, weil sie frustriert sind über das andere Angebot, also die Parteien, die man so kennt. Das ist also der Hauptmotivator: Frust und Unmut über das Bekannte, vielleicht auch Misstrauen in das Bekannte und damit eine klassische Protestwahl.

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Was hältst du persönlich von der AfD, der sogenannten „Alternative für Deutschland“?  

Ich bin erschrocken darüber, dass es eine Partei soweit gebracht hat, dass sie nicht einmal in unserem Bundestag sitzt und doch so weit ideell hereinlangt, dass sogar etablierte Parteien ihre Redebeiträge und Parteiprogramme anpassen, um am rechtspopulistischen Rand zu fischen. Deshalb halte ich es für wahnsinnig wichtig, dass wir – die Bevölkerung – ganz aufmerksam sind und genau hinschauen, was da passiert und gesagt wird. Dass wir Aussagen hinterfragen und versuchen herauszufinden, welche tatsächliche Motivation hinter politischen Forderungen steht. Ich kann auf gar keinen Fall über die Lippen bringen zu sagen, dass ich der AfD dankbar wäre über das politische Aufwachen, welches sie einigen von uns gebracht hat, aber dennoch möchte ich sagen, dass die AfD bei mir persönlich losgetreten hat, mich noch mehr mit Politik zu befassen. Das bedeutet, ich nehme diese Partei als Bedrohung wahr und das bringt mich dazu, mich zu informieren, mich zu engagieren, Menschen zu treffen und mich stärker einzubringen.

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Der Rechtsruck ist ja kein deutsches Phänomen. Beispielsweise auch in den Niederlanden oder in Frankreich sind rechte Parteien erfolgreich. Was ist deren Erfolgsgeheimnis?

Ich glaube einerseits, dass es richtig ist, davon zu sprechen, dass es ein europäisches Phänomen gibt. Man könnte noch Polen und Ungarn nennen. Andererseits ist es wichtig, auf die Unterschiede zu blicken und ich glaube, dass es von Land zu Land unterschiedliche Gründe gibt, warum Menschen dazu neigen, eine rechtspopulistische Partei zu wählen oder ihr nach dem Mund zu reden. Deshalb kann man das nicht so einheitlich sagen. Ich denke schon, dass die Globalisierung damit zu tun hat und der schnelle Wandel. Die Internationalität führt zu einer gewissen Überforderung bei vielen. Wo bleibe ich eigentlich? Wie verstehe ich das alles? Was bleibt mir da noch? Und rechtspopulistische Parteien behaupten – egal in welchem Land – einfache Lösungen anbieten zu können, Klarheit schaffen zu können, für das Volk sprechen zu können. Das heißt, sie versuchen sich zu etablieren als ein Anker, als ein Geländer, obwohl sie das nicht sind. Aber das wird angeboten, Menschen glauben es leicht und nehmen es dann an. Und das ist das Phänomen, das man gesamteuropäisch beobachten kann.

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Manche sprechen ja von der wohlsaturierten, politikverdrossenen Jugend. Ihr habt sehr viel Kontakt zu jungen Menschen. Könnt ihr diesen Eindruck bestätigen?

Jein. Ich ganz persönlich müsste deutlich Nein sagen, weil die Menschen um mich herum sind politisch interessiert und versiert und bringen sich ein. Es gibt natürlich viele junge Leute, die sich politisch nicht interessieren und denen man das auch nicht verübeln kann. Wenn man sich das Durchschnittsalter der Parteien anschaut, dann müsste man sich fragen, ob diese Menschen zwischen 50 und 70 tatsächlich Politik für junge Menschen machen können. Worüber ich mich tatsächlich ärgere ist, dass es Menschen gibt, die alle Voraussetzungen hätten, sich politisch einzubringen. Und damit meine ich vor allem die Ressource Zeit. Wenn jemand morgens aufsteht, acht Stunden arbeitet und dann vielleicht auch noch ein kleines Kind zuhause hat, dann ist es schwer zu sagen, ich engagiere mich gegen Rechtspopulismus. Worüber ich mich ärgere ist, dass es Menschen gibt, die die Zeit hätten, die die Kanäle kennen, es aber nicht tun aus der Haltung heraus: Bringt ja eh nichts. Das ist nichts originär Junges, aber das ist ein Phänomen, das ich beobachte und dagegen kämpfen wir ganz klar an. Wir zeigen den Menschen wie man auch niedrigschwelling, in sehr kurzer Zeit, aktiv sein kann. Wir müssen also nicht verzweifeln: Die deutsche Jugend ist nicht durchweg politikverdrossen, aber das Potenzial ist sehr viel größer.

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Ihr seid unter den Top 3 beim rtl.com mit Award. Was bedeutet euch diese Nominierung?

Für uns bedeutet das, die eigene Filterblase zu durchbrechen. Das ist ganz fantastisch! Der Award läuft dieses Jahr unter dem Motto „Mutbürger gesucht“. Damit fühlen wir uns direkt angesprochen, haben uns beworben und wurden unter Hunderten ausgewählt. Das freut uns natürlich tierisch. Das heißt, wir sind jetzt auf der RTL-Seite verlinkt und man kann sich einen Spot über uns ansehen. Das ist für uns schon Auszeichnung genug. Ob wir dann noch einen Preis bekommen, ist für uns zweitranging, weil wir schon jetzt Menschen erreichen, die nie von „Kleiner Fünf“ gehört hätten.

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RTL spricht von Mutbürgern. Würdest du dich als Mutbürger bezeichnen?

Mut ist für mich etwas, das man eher anderen zuschreibt als sich selbst. Ich weiß gar nicht, ob es wirklich Mut kostet das zu machen, was ich mache. Mut bedeutet für mich eigentlich, man müsste vor etwas Angst haben und schiebt die Angst beiseite und traut sich. Das ist die Assoziation, die ich bei Mut habe. Ich weigere mich aber, Angst zu haben. Andererseits: Ich halte mein Gesicht hin, ich nenne meinen Klarnamen und werde beschimpft und auf rechten Blogs lächerlich gemacht. Das ist nicht angenehm, das ist eine unschöne Erfahrung und manche würden auch sagen, dazu braucht es Mut. Ich selbst glaube, dass unsere Mitstreiter mutig sind, weil sie radikal höflich sind und sagen: Hier sind wir und ja, wir haben ein Problem mit der AfD.

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Wie würdest du dich in drei Worten beschreiben?

Fröhlich, unternehmenslustig und deutlich.

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Was war denn die schönste Erfahrung seit der Gründung eures Vereins „Tadel Verpflichtet“ im November 2016?

Immer wenn ich Menschen begegne, die ich gar nicht kenne und denen ich von „Kleiner Fünf“ erzähle und die dann antworten: „Ja, kenne ich schon, das sind die, die mit radikaler Höflichkeit verhindern wollen, dass die AfD in den Bundestag kommt.“ Das sind die Momente, in denen mein Herz strahlt. Das ist was ganz Besonderes, denn wir waren vor einem Jahr ein Haufen Freunde und haben uns überlegt, wir wollen was tun. Und es ist in unserer Demokratie möglich, etwas zu tun, wenn man nur will.

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Was machst du eigentlich nach der Bundestagswahl, also ab dem 25. September?

Ich werde mich erst einmal mit Kollegen und Ehrenamtlichen treffen und evaluieren. Dann werde ich Urlaub machen mit meiner Schwester und mich von dem verrückten Leben erholen, das ich jetzt führe. Danach werde ich ehrenamtlich bei „Kleiner Fünf“ weitermachen und mich nach einer anderen Stelle umschauen. Ich habe im vergangenen Jahr viel über die Organisation von Ehrenamtlichen und Vereinsstruktur gelernt, vielleicht werde ich daran anknüpfen. Ich wollte zwar immer in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sein bis dieses Projekt dazwischenkam und mir keine andere Wahl ließ als mich mit Haut und Haar hineinzuknien. Aber jetzt bin ich offen für alles was kommt.

 Zur Person: 

Paulina Fröhlich, 26, lebt in Köln, arbeitet aber meistens von Berlin aus. Dort hat ihr Verein auch seinen Sitz. „Kleiner Fünf“ ist ein Projekt des Vereins „Tadel Verpflichtet“. Der Name soll die Initiatoren daran erinnern, dass man Vorschläge machen muss, wenn man Kritik übt. Denn genau das ist in ihren Augen Demokratie: Mitgestaltung. Vor der Vereinsgründung hat Paulina Fröhlich Wassermanagement für den Nahen und Mittleren Osten studiert und bei der GIZ in Bonn ein Praktikum absolviert. Dort hat sie eine Verlängerung ausgeschlagen, weil sie das machen wollte, was ihr derzeit am „meisten am Herzen liegt“, wie sie sagt.

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Weiterführende Links: 

„Kleiner Fünf“ plant im September interessante Aktionen wie den „Bus der Begegnung“ und das „Spiel der radikalen Höflichkeit“: https://www.kleinerfuenf.de/de

Bis 15. August lief ein Crowdfunding zum „Wahlantrag“, bei der Nichtwähler und Jungwähler dazu motiviert werden sollten, wählen zu gehen: https://www.startnext.com/wahlantrag 

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Von Pauline Tillmann, Konstanz

Pauline Tillmann ist Gründerin und Chefredakteurin von DEINE KORRESPONDENTIN. 2011 bis 2015 war sie freie Auslandskorrespondentin in St. Petersburg und hat für den ARD Hörfunk über Russland / Ukraine berichtet. Zuvor hat sie beim Bayerischen Rundfunk volontiert. Pauline ist regelmäßig als Coachin, Beraterin und Speakerin im Einsatz. 2022 erschien ihr Buch „Lust auf Lokal – das Handbuch für Community-Journalismus“, außerdem hat sie das Buch „Frauen, die die Welt verändern“ herausgegeben. Mehr unter: http://www.pauline-tillmann.de.

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Sabrina ProskeMünchen
Saado Ali* ist eine junge Mutter aus Nordsomalia. Sie flieht hochschwanger mit ihrem kleinen Sohn Yusuf vom Krieg. Zwischen provisorischen Zelten und Planen setzen plötzlich ihre Wehen ein. Mit uns spricht sie erstmals über ihre Erfahrungen als Schwangere in einem Kriegsgebiet.

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