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„Hennen“ an der Macht
Afrikas Feminismus in der Krise

21. September 2016 | Von Simone Schlindwein
Einfach nur die Anzahl der Frauen in der Politik zu erhöhen hat keine Veränderung gebracht, sagt Sylvia Tamale. Fotos: Simone Schlindwein

Sylvia Tamale gilt als Afrikas führende Feministin. In ihrem jüngsten Vortrag in ihrer Heimat Uganda wettert sie jedoch nicht gegen Männer, sondern gegen das eigene Geschlecht: Nämlich die Frauen an der Macht, die die Frauenbewegung verraten.

Von Simone Schlindwein, Uganda

„Wenn Hennen erwachsen werden“ hieß Sylvia Tamales erstes Buch über Frauen in der Politik in Afrika. Sie schrieb es 1999 am Beispiel ihres Heimatlandes Uganda. Die Jura-Professorin und erste weibliche Dekanin der berühmten ugandischen Staatsuniversität Makerere gilt als eine der führenden Feministinnen des Kontinents. Mit ihrer 2011 herausgebrachten Edition „Afrikanische Sexualitäten“ hat sie es über Amazon und Co. weltweit in die Schaufenster der Buchläden geschafft. Doch jetzt rechnet sie knallhart ab: Allerdings nicht mit den Männern, sondern mit den „Hennen“ in der Politik, die den Feminismus und dessen Ziele wie Gleichberechtigung in Afrika aus ihrer Sicht so bitter verraten haben.

An einem Samstagnachmittag im August sitzt Tamale in einem Amphitheater unter freiem Himmel in den Maisha-Gärten. Das Gelände mit den wundervoll angelegten Grünanlagen gehört zu Kampalas Filmschule „Maisha“, ein atemberaubender Ort hoch oben auf einem Hügel über dem gigantischen Victoria-See. Es weht ein leichter Wind, die Sonne scheint. Rund 30 Frauen und auch einige Männer sind gekommen, um den Vortrag über „Afrikas Feminismus in der Krise“ anzuhören. Tamale ist eine brillante Rednerin. Wenn sie loslegt, kann man sich vorstellen, dass selbst der älteste Diktator des Kontinents den Kopf einzieht. In ihrem Blick liegt aber auch ein wenig Arroganz, die Überheblichkeit einer Frau, die es ohne Quoten zu etwas gebracht hat. Ihre heutige Kritik zielt aber nicht in erster Linie gegen die Patriarchen Afrikas, sondern gegen die Frauen in mächtigen Positionen.

„Jetzt haben wir schon 30 Prozent Frauen im Parlament und sie knien alle nieder und preisen den Präsidenten“, schimpft sie wüst. Dann greift sie Ugandas mächtigste Frau mit Namen an: „Janet“ sagt sie nur. Alle wissen, wen sie meint. Ugandas „First Lady“, Janet Museveni, die Frau von Präsident Yoweri Museveni, der das Land seit 30 Jahren unumstritten regiert, wurde nach den jüngsten Wahlen im Februar von ihrem Ehemann zur Bildungsministerin ernannt. „Ausgerechnet Bildung“, dachte wohl damals jede halbwegs gebildete Frau im Land. So auch Tamale und dreht die Augen gen Himmel. Janet Museveni gibt sich in ihren jüngst erschienenen Memoiren nicht unbedingt als intellektuelle Denkerin, im Gegenteil: Wenn sie von der Zeit des Bürgerkriegs der 1980er Jahre in Uganda schreibt, wie sie selbst allein mit den Kindern im Exil in Schweden lebte, während ihr Mann das Land eroberte, dann berichtet sie, wie sie täglich gebetet und Gott um Hilfe angerufen habe. „Sie studierte lieber die Bibel, während ich Biotechnologie büffelte“, lästerte im Wahlkampf Janets ärgste Rivalin, Jaqueline Mbabzi, die Frau des einstigen Premierministers, der gegen Museveni antrat. Die beiden Frauen haben sich im Exil in Schweden kennengelernt. Erst vergangenes Jahr holte die tief gläubige Janet mit 67 Jahren ihren Master nach, stolz wedelte sie mit dem Zeugnis in die Fotokameras. Jetzt ist sie also eine der „Hennen“, sozusagen die „Ober-Henne“.

Sylvia Tamale (4)
Tamale in einem Amphitheater unter freiem Himmel in den Maisha-Gärten.

„Wir brauchen einen neuen Topf“

Uganda galt in Sachen Frauen-Power in Afrika lange Zeit als Vorreiter. Als der heutige Präsident Museveni 1986 mit einer Kalaschnikow als Anführer einer Guerillabewegung das Land eroberte, kämpften in den Reihen der „Nationalen Widerstandbewegung“ (NRM), die bis heute als Regierungspartei das Land prägt, auch Frauen. Rebellenchef Museveni wollte nicht nur das Land von den Diktatoren befreien, sondern auch die Frauen aus dem Patriarchat – so zumindest die offizielle NRM-Ideologie. In der Verfassung von 1995 ist festgeschrieben: Jeder Wahlbezirk wird im Parlament neben dem regulär gewählten Abgeordneten auch von einer weiblichen Vertreterin repräsentiert. So stellen Frauen mindestens 30 Prozent des Parlaments: konkret: 112 Frauen von 375 gewählten Abgeordneten. Auch die Parlamentssprecherin, nach Präsident und Ministerpräsident immerhin die drittwichtigste Position im Staat, ist ebenfalls eine Frau, von Museveni ernannt. Sämtliche Parteien müssen also ganz konkret um Frauen werben, um genügend Kandidatinnen landesweit aufstellen zu können. Bis heute ist die Frauen-Liga der NRM-Partei eine der wichtigsten Machtsäulen von Musevenis Herrschaft – denn an den Wahlurnen sind ihm die weiblichen Fans nach wie vor treu ergeben, nicht zuletzt dank seiner Frau Janet.

Doch diese Quotenpolitik habe komplett versagt, so Ugandas führende Juristin Tamale. „Einfach nur die Anzahl der Frauen in der Politik zu erhöhen hat keine Veränderung gebracht“, kritisiert sie den sogenannten „liberalen Feminismus“ und gibt sich selbst als „radikale Feministin“ aus. „Wir müssen den Krug zerbrechen und neuen Ton zusammenmischen, um einen wunderschönen neuen Topf zu formen“, fordert sie.

In der Geschichte Afrikas habe der Feminismus schon immer eine wichtige Rolle in der Gesellschaft gespielt – doch dies sei in Vergessenheit geraten. Der Grund: „Es sind stets die Männer, die Geschichte schreiben und aufschreiben“, so Tamale. Über die Kriegerinnen des 18. Jahrhunderts in Nigeria oder die Frauenbewegung Ägyptens im 19. Jahrhundert sei in den Geschichtsbüchern der Welt nichts zu finden. Die Frauenbewegung in Afrika bekam erst mit der Unabhängigkeit von den Kolonialherren in den 1960er Jahren eine Stimme; eine, die neben der Gleichheit der Menschen egal welcher Hautfarbe auch die Gleichheit der Geschlechter einforderte. Doch heute mangele es der jungen Generation afrikanischer Frauen an aktiven und lebenden Vorbildern.

Frauen sollen aktiv Geschichte schreiben

Wieder nennt sie „Janet“ – Musevenis Frau und Bildungsministerin – als Beispiel. Sie mit Vornamen anzusprechen gehört sich in Uganda nicht. „First Lady“ wird die Mutter der „First Family“ sonst respektvoll genannt. Das hat manchmal fast royale Züge. „Ihre Ernennung hat mich sehr pessimistisch gestimmt“, sagt Tamale und nennt Beispiele der sexuellen Ausbeutung von Studentinnen in Ugandas Universitäten, von den Frauen auf dem Land, die nicht nur nach wie vor für den Haushalt und die Kinder sorgen, sondern auch die Felder bestellen und die Kassawa-Wurzeln auf dem Markt verkaufen, um Geld zu verdienen. Als besonders frauenfeindlich kritisiert Tamale die Politik des ugandischen Ethik-Ministers, Simon Lokodo, der in seinem jüngsten Gesetz Ugandas Frauen die Länge ihrer Röcke auf „mindestens bis übers Knie“ vorschrieb, der gegen Schwule und Lesben hetzt und von sich selbst in der Klatschpresse behauptet, Homosexuelle wollten ihn vergewaltigen. Keine der weiblichen  Abgeordneten hätten im Parlament gegen diese Gesetzesvorlage mobil gemacht. Eine Schande sei das, so Tamale. Gerade in Anbetracht der für Afrika außerordentlich vielen Frauen in der Politik sei das Patriarchat in Uganda nach wie vor voll ausgeprägt. „Wir stecken in einer Krise“, seufzt sie.

Das klingt nicht sehr ermutigend. In den Zuschauerreihen auf den Steinstufen des Amphitheaters hocken Dutzende ugandische aufstrebende „Super-Frauen“. Darunter Rosebell Kagumire, Afrikas berühmteste Bloggerin, oder Harriet Anena, die mit ihren Gedichten der Serie „Ein Land in Geburtswehen“ in Ugandas Nationaltheater den Zuhörern unter die Haut geht. „Twittert, schreibt, bloggt und erzählt eure Geschichten!“, ermuntert Tamale die jungen Uganderinnen. Es sei wichtig, dass Frauen endlich aktiv Geschichte schrieben – nicht nur in Afrika, so Tamale. Da steht Anena auf, räuspert sich und trägt ihr berühmtes Gedicht „Jenseits meiner Brüste“ vor. Dafür kriegt sie jede Menge Applaus.

 „Jenseits meiner Brüste“

Er ist zurück

Mein Mann ist zurück

Er stinkt nach Waragi (*Ugandischer Gin)

Er hält eine Flasche in der Hand als würde sein Leben von ihr abhängen

Die Farbe seiner Augen wetteifert mit dem Rot einer reifen Hibiskusfrucht

Er lallt

Sein Gürtel ist offen und seine nassen Hosen hängen ihm offen bis fast zu den Knien

Und er knurrt wie ein Hund, der seinen Knochen bewacht

Ich schleiche auf Zehen ins Schlafzimmer

Stehe nackt vor dem Spiegel

Ich betrachte meine Brüste

Sie stehen aufrecht wie zwei Soldaten in der Parade

Ich flüstere ihnen zu: „Ich befehle euch zu Stein zu werden!“

Zermalt meinen Mann bis er im Grab liegt

Seid meine Massenvernichtungswaffen! 

 

 

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Von Simone Schlindwein, Kampala

Simone Schlindwein ist die Afrika-Korrespondentin für die tageszeitung in der Region der Großen Seen. Außerdem arbeitet sie regelmäßig für die ARD und die Deutsche Welle. Seit 2008 berichtet sie vor allem über den Kongo, die Zentralafrikanische Republik, den Südsudan, Uganda, Ruanda und Burundi. Mehr: http://simoneschlindwein.blogspot.de.

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Sabrina ProskeMünchen
Saado Ali* ist eine junge Mutter aus Nordsomalia. Sie flieht hochschwanger mit ihrem kleinen Sohn Yusuf vom Krieg. Zwischen provisorischen Zelten und Planen setzen plötzlich ihre Wehen ein. Mit uns spricht sie erstmals über ihre Erfahrungen als Schwangere in einem Kriegsgebiet.

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