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Zwischen Frust und Freiheit
Wunsch nach mehr Gleichberechtigung in Iran

13. Oktober 2021 | Von Julia Neumann
Es gibt sie, die emanzipierten Frauen in Iran. Aber: Das System macht es ihnen nach wie vor sehr schwer. Fotos: Julia Neumann

Die politische Führung des Iran ist erzkonservativ, doch in den 40 Jahren der Islamischen Republik hat sich das Leben der Frauen von den Vorschriften des Systems deutlich entfernt. Ein Stimmungsbericht.

Von Julia Neumann, Teheran

Farzaneh Fazaeli hat für das Treffen ein hippes Café ausgesucht. Die Gäste sitzen in Vintage-Sesseln. Die Kellnerin trägt ihr Kopftuch lässig als Schal – eine Seltenheit in Iran. Frauen müssen Kopftücher tragen. Viele wehren sich aber gegen die Verordnung, indem sie das Tuch nicht feststecken, sondern nur über den Kopf legen und vorne Haare herausschauen lassen.

Der Ort passt im ersten Moment nicht zu Fazaeli. Denn: Sie ist gläubige Muslima, trägt ihr geblümtes Kopftuch eng über dem Haar. Unterdrückt fühle sie sich dadurch nicht – im Gegenteil: „Es ist befreiend, sich bedeckt zu kleiden.“ Der erste Impuls, aus europäischer Sicht über Frauen in Iran zu schreiben, ist wohl, sich mit denen zu beschäftigen, die das System verteufeln.

Zum Beispiel auf die Feministinnen zu schauen, die sich öffentlichkeitswirksam das Kopftuch abgezogen haben und dafür ins Gefängnis gingen. Doch weil sich gerade in Iran vieles schwarz-weißen Deutungsmustern entzieht, beginnt dieser Text mit einer Frau, die Vorteile im System der Islamischen Republik sieht.

Raisi-Unterstützerinnen bei Wahlkampfveranstaltung.

Fazaeli ist 30 Jahre jung, hat sechs Jahre ihrer Kindheit in Australien verbracht und zurück in Teheran Internationales Recht studiert. Hier arbeitet sie als Journalistin bei einem Staatssender. „Die Männer behandeln uns mit Respekt“, sagt Fazaeli und führt es auf die Bekleidungsregeln zurück. „Mir hat noch nie ein Mann gesagt, dass er nicht möchte, dass ich arbeiten gehe.“ Doch gerade einmal 18,9 Prozent der Frauen sind aktuell am Arbeitsmarkt beteiligt.

Iranische Gesetze diskriminieren den Zugang von Frauen: So sind die Berufe, die sie ausüben dürfen, eingeschränkt. Ein Mann darf seiner Ehefrau rechtlich legal verbieten, arbeiten zu gehen. Für einige Stellen braucht es die schriftliche Zustimmung des Ehemanns und er hat das Recht, seiner Frau den Reisepass abzunehmen – Arbeiten, die mit Reisen verbunden sind, gehen deshalb oft an Männer.

Strenge Regeln für Männer und Frauen

Das iranische Zivil- und Strafrecht basiert auf schiitisch-islamischen Gesetzen. Im öffentlichen Raum müssen Frauen nicht nur Kopftücher, sondern auch lange Oberteile, einen sogenannten Manteau („Mantel“ oder Tunika) tragen, die Knöchel sollten bedeckt sein. Männer müssen lange Hosen und langärmelige Shirts anziehen.

Hotelmanager*innen müssen auf eine Heiratsurkunde bestehen, bevor sie einem Paar ein Zimmer geben. Homosexuelles Verhalten, Ehebruch und Sex außerhalb der Ehe sind illegal und können die Todesstrafe zur Folge haben. Gleichzeitig erfährt die feministische Bewegung mit Präsident Raisi, der seit August im Amt ist, einen herben Rückschlag.

Er folgt der Linie des politischen und religiösen Oberhauptes Ali Khamenei, der 2013 die wichtigste Rolle der Frauen in der Gesellschaft als Hausfrau und Mutter von Kindern beschrieb. Raisis Frau, Jamileh Alamolhoda, ist zwar die erste Präsidentenfrau, die auch akademische Doktorin ist – doch auch sie betont ihre Rolle als Hausfrau. Während einer Wahlkampfveranstaltung 2017 kritisierte sie, dass sich „Frauen wie Männer verhalten“. Dass Frauen arbeiten gingen, sei ein westliches Konzept, welches sie ablehne.

 

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Wählerin in Teheran.

Die 33-jährige Mitra sitzt mit einer Freundin und ihrem Ehemann im Restaurant einer Shoppingmall. Grellweiße Lichter leuchten von der Decke, Rolltreppen verbinden fünf Etagen voller Bekleidungsgeschäfte, Dessousläden und Juweliere. Ihren Nachnamen möchte Mitra nicht nennen, aus Angst vor der Religionspolizei. Sie erzählt, dass sie eine Kunstschule für Mädchen ins Leben gerufen hat. „Alles war fertig und ich brauchte die Erlaubnis der Polizei. Aber sie haben die Unterschrift verweigert, weil in dem Gebäude auch ein Institut für Jungs war und sie wollten nicht, dass beide Geschlechter sich treffen.“

Frauen in Kunst und Kultur sind nicht gewollt

Mitra ging zu einem ranghohen Polizisten. „Ich erklärte ihm, dass ich mein ganzes Erspartes in das Institut gesteckt habe und er sagte: Das war ein Fehler.“ Nun arbeitet sie als angestellte Kunstlehrerin. Mitra weint. Sie möchte gerne in Iran bleiben, aus Liebe zu ihrem Land. Dennoch ist sie enttäuscht vom System: „Dieses Land sollte uns gehören, aber wir können nicht viel darin unternehmen.“ Frauen in Kunst, Kultur und Sport sind den Mullahs ein Dorn im Auge, weil sie so die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zögen.

Ali Khamenei bekräftigte 2020 in einer Fatwa (Rechtsgutachten) ein Verbot des Singens für Frauen. Deswegen wurden im Januar 2021 zwei Solistinnen einer Frauenmusikgruppe in Kermanshah von der Sicherheitspolizei vorgeladen und festgenommen – weil sie an einem Werbevideo für ein Möbelhaus mitwirkten. Sie kamen auf Kaution frei. 2016 untersagte Khamenei mit einer Fatwa den Frauen das Fahrradfahren. Als der Bürgermeister von Isfahan 2019 die Regel strikt durchsetzen wollte, posteten dort Frauen Fotos von sich auf Rädern in den sozialen Medien. Trotz des Verbots fahren Frauen im Land weiter Rad.

Die Zahl der Frauen, die sich auflehnen, wird größer

Viele Frauen wehren sich trotz Angst vor Konsequenzen. Das sagt auch die bekannte Oppositionelle und Tochter eines Ex-Präsidenten, Faezeh Haschemi Rafsandschani: „In Teheran tragen manche Frauen kein Kopftuch beim Autofahren oder auf der Straße. Manche Frauen haben damit angefangen, sie sind dafür ins Gefängnis gekommen – und nun machen es immer mehr. Sie haben auch dafür gekämpft, ins Stadion gehen zu dürfen. Der Sportminister hat sie nicht reingelassen, aber die Polizei hat die Türen des Stadions geöffnet, die Fifa hat gedroht, das Nationalteam von Wettbewerben auszuschließen.“

Porträt Faezeh Haschemi Rafsandschani.

Wenn Menschen den Druck erhöhten, müsse die Regierung etwas verändern, schlussfolgert Rafsandschani, die sich selbst als Feministin bezeichnet. „Die Frauen selbst bringen den Wandel, die Regierung kann sie nicht mehr kontrollieren.“ Rafsandschani war zwischen 1996 und 2000 Abgeordnete im Parlament. Sie erkämpfte, dass Frauen öffentlich Sport treiben dürfen und verantwortete einen Fahrradweg für Frauen in Teheran.

Politisch hat Iran eine der geringsten Beteiligungen von Frauen im Parlament weltweit. Nur 5,6 Prozent des iranischen Parlaments sind weiblich. Zwar sind zumindest rechtlich Frauen nicht vom politischen Leben ausgeschlossen, einige sind in der Lokalpolitik aktiv. Allerdings wurden alle Frauen, die sich zur diesjährigen Wahl als Präsidentin aufstellen ließen, vom Wächterrat aussortiert – viele von ihnen hätten psychische Probleme, so die Begründung. Eine Frau hat noch nie zur Wahl gestanden.

Frauen wählen, damit es nicht schlimmer wird

Gleichzeitig mag es überraschen, dass viele Frauen den ultrakonservativen Raisi unterstützten. Vor der Wahlkampfbühne und bei der Wahlparty schwenkten viele Frauen im Tschador iranische Papierfahnen und feierten seinen Sieg. Der in Teheran lebende Soziologe Taghi Azadarmaki hat dafür eine Erklärung: „Zum einen war die Gesellschaft nicht frei in ihrer Wahl“, sprich der Wächterrat habe viele Kandidaten gar nicht zugelassen. Zum anderen würden Frauen pragmatisch denken: „Vielleicht tut er nichts für uns. Aber zumindest werden wir nicht gestört.“ Es gibt zwar Regeln, aber Verfehlungen werden hingenommen – vielleicht besser als neue Regeln.

So wie ein striktes Kopftuchverbot, das Schah Reza Pahlevi im Jahr 1936 verkündet hatte und das viele konservative Frauen zwang, zu Hause zu bleiben, anstatt an die Universitäten zu gehen. Im iranischen Feminismus gebe es die radikalen Frauen, die ihre Ideen aus Europa oder den USA erhielten und sich auf das Kopftuch fokussierten, erklärt der Soziologe. Und es gebe einen iranischen Feminismus, der sich den traditionellen Geschlechterrollen widersetze: Die Frauen gingen arbeiten, fragten nach Arbeitsteilung in der Ehe und nutzten die Texte aus dem Koran, um ihre Ansichten durchzusetzen.

Außerdem gibt es Frauen wie Farzaneh Fazaeli, die mit den Regeln gut klarkommen. Sie erfahre keinen Sexismus an ihrem Arbeitsplatz oder ungleiche Behandlung von Frauen beim Staatssender. „Unser Gehalt ist absolut gleich und wir bekommen die Positionen, die wir haben möchten.“ Der einzige Unterschied sei, dass die Frauen keine Nachtschicht zugeteilt bekämen, um sie nicht zu belasten – „aber darüber bin ich ganz froh“, sagt sie und lacht.

Konservative Regeln zum Schutz der Frauen?

Doch das Portal „IranSalary“ erhob 2018, dass der Gender Pay Gap in Iran bei 27 Prozent liegt. Die wenigen Frauen, die es schaffen, eine Position im Management zu ergattern, verdienen im Schnitt sogar 47 Prozent weniger als ihre Kollegen. Trotz des diskriminierenden Umfelds stellen Frauen die Mehrheit bei den nationalen Hochschulaufnahmeprüfungen. Wie die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ schreibt, war die Arbeitslosigkeit bei iranischen Frauen bereits 2017 doppelt so hoch wie bei Männern. Jede dritte Frau mit Bachelor-Abschluss hatte damals keinen Job – und das war vor Corona, neuen Sanktionen seitens der USA und der Wirtschaftskrise.

Park in Teheran.

Unter der litten im Übrigen auch Männer, gibt Fazaeli zu bedenken: „Von ihnen wird erwartet, die Miete oder das Essen zu bezahlen. Selbst wenn die Frau ihr eigenes Einkommen hat; das darf sie für sich behalten und ausgeben.“ Iranische Männer müssen finanziell für die Familie sorgen. Eine große Belastung, vor allem in der Wirtschaftskrise, in der viele ihre Jobs verloren haben. Obwohl sie darum weiß, wünscht sich Fazaeli einen Ehemann in traditioneller Geschlechterrolle. Mehr noch: Sie hat ihre Familie beauftragt, ihr die Anwärter auszusuchen. Die Anforderungen seien hoch: Falls er beim ersten Treffen keine Blumen mitbrächte, sei er raus.

Männer, die sich öffentlich für Feminismus stark machen, gibt es wenige. Einige standen beschützend neben den Frauen, die 2019 aus Protest ihr Kopftuch abnahmen. Klar ist: Von den chauvinistischen Mullahs ist kein Feminismus zu erwarten. Auch nicht von Frauen wie Farzaneh Fazaeli, die sich am System nicht stören. Es braucht Kraft und vor allem Mut, in Iran für einen Wandel einzustehen. Den haben nur diejenigen, die sich extrem am System aufreiben, Doch viele, die Unrecht erfahren, sind hoffnungslos oder erschöpft, so wie Kunstlehrerin Mitra.

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Von Julia Neumann, Beirut

Julia Neumann berichtet als freie Korrespondentin aus dem Libanon. Sie beschäftigt sich mit den Kulturen und Gesellschaften Westasiens und Nordafrikas und recherchiert vor allem zu Genderthemen, Migration und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Sie hat Journalistik in Dortmund, Internationale Politik in Ifrane (Marokko), Soziologie und Geschichte des Vorderen Orients in Erfurt und Beirut studiert. Mehr unter: www.neumannjulia.de.

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