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Wie mächtig werden Brüssels Frauen?
Europas langer Kampf für die Gleichberechtigung

15. Mai 2019 | Von Franziska Broich
Simone Veil war die erste Präsidentin des EU-Parlaments (1978 - 1982). Vor zwei Jahren ist sie gestorben. Foto: EPP Group

Frauen an die Macht – so könnte der Wahlslogan von Europas Politikerinnen lauten. Denn wie im Großteil der Parlamente aller EU-Mitgliedstaaten sind sie auch in Brüssel unterrepräsentiert. Bei den Europawahlen vom 23. bis zum 26. Mai haben die Europäer*innen die Chance, genau das zu ändern.  

Von Franziska Broich, Brüssel

„Ich war wohl schon immer ein bisschen rebellisch“, sagte einst Simone Veil. Der Satz beschreibt den Elan und den Antrieb, den die Französin gehabt haben muss, um die erste Präsidentin des EU-Parlaments Ende der 70er Jahre zu werden. Veil war stark, wusste, was sie wollte. Sie überlebte das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, studierte Jura und begann eine Karriere als Politikerin. Nach ihr schaffte es nur noch eine weitere Frau an die Spitze des EU-Parlaments: die Christdemokratin Nicole Fontaine (1999 bis 2002). Doch bei der EU-Kommission und dem Rat fällt die Bilanz noch schlechter aus: Noch nie wurden sie von einer Frau geleitet.

Im Sommer werden die Ämter bei der EU neu verteilt. Mit der Europawahl vom 23. bis 26. Mai entscheiden die Bürger*innen über die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament. Neben dem Amt als Kommissionschef*in, EU-Parlamentspräsident*in und dem bzw. der EU-Außenbeauftragten muss auch der Posten von Ratschef*in und Präsident*in der Europäischen Zentralbank neu vergeben werden.

Schaffen es die Christdemokrat*innen, eine Mehrheit mit anderen Fraktionen zu bilden, hätte der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), die Chance, EU-Kommissionspräsident zu werden. Doch das wird nicht allein vom Parlament entschieden, sondern am Ende muss der Mann oder die Frau an der EU-Kommissionsspitze auch von den EU-Staats- und Regierungschef*innnen ernannt werden. Können die Christdemokrat*innen keine Mehrheit im Parlament bilden, haben die Sozialdemokrat*innen und die Liberalen Chancen – und bei denen bewerben sich auch Frauen um den Posten.

Wird Margrethe Vestager die erste Chefin der EU-Kommission?

Als potentiell erste Kommissionspräsidentin wird die Dänin Margrethe Vestager gehandelt. Die derzeitige Wettbewerbskommissarin legte sie sich mit Tech-Giganten wie Google an. Sie ist selbstbewusst, unkonventionell und spricht Probleme klar an. Doch ihre Partei ist nicht mehr an der Regierung in Dänemark beteiligt – und normalerweise schlagen Regierungen nur Kandidat*innen als Kommissar*innen ihrer Parteien vor.

Porträt von Margrethe Vestager (Foto: Radikale Venstre).

Zwar sind Anfang Juni Wahlen in Dänemark, doch Vestagers sozialliberale Partei würde derzeit wohl weniger als zehn Prozent der Stimmen erhalten. Dabei spielt bei der Vergabe der fünf Ämter spielen nicht nur Nationalität und Parteizugehörigkeit, sondern auch das Geschlecht eine Rolle. Bundeskanzlerin Angela Merkel will erst einmal Manfred Weber, den europäischen Spitzenkandidaten der Christdemokraten, unterstützen. Doch auch Vestager sieht sie als sachkundige, mutige Politikerin.

Unter den weiteren Spitzenkandidat*innen sind allerdings nur wenige Frauen: Ska Keller von den Grünen aus Deutschland ist eine von ihnen. Doch die Chancen, dass sie Kommissionspräsidentin wird, sind eher gering. Keller bringt zwar zehn Jahre EU-Parlamentserfahrung mit, aber mit 37 Jahren gilt sie für einen wichtigen Führungsposten noch immer als relativ jung. Keller nennt das Europaparlament „ein Parlament der alten weißen Herren.“ Für sie repräsentiere es nicht die Gesellschaft.

Für Keller ist Geschlechtergerechtigkeit bei jeder Gesetzgebung wichtig. Vieles wirke sich anders auf Frauen aus als auf Männer – sei es beim Klimaschutz, der Verkehrspolitik oder in der Arbeitswelt. Im EU-Parlament kümmert sich der Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichberechtigung der Geschlechter um Fragen der Gleichstellung. Zu den drei wichtigsten Themen gehörten seit 2014 unter anderem die Gleichberechtigung bei der Kindererziehung in Europa, der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen sowie die #MeToo-Bewegung.

Ein Thema, das immer wieder in der EU diskutiert wird, ist die verbindliche Frauenquote für Aufsichtsräte von Unternehmen. Einem Gesetzesvorschlag aus dem Jahr 2012 hatten die EU-Mitgliedstaaten nie zugestimmt. Danach hätten 40 Prozent aller Aufsichtsrät*innen in Unternehmen, die an europäischen Börsen notiert sind, bis 2020 weiblich sein müssen.

Ska Keller setzt sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit ein (Foto: Heinrich-Böll-Stiftung).

Und wie soll es in der EU-Kommission selbst aussehen? Dazu äußerte sich die Spitzenkandidaten Weber und Timmermans in der Wahlarena. Beide wollen, dass die Hälfte der derzeit noch 27 Kommissar*innen Frauen werden. Die EU-Kommissarin für Gleichberechtigung, Vera Jourova aus Tschechien, hat sich in der letzten Legislaturperiode kontinuierlich für einen Wandel stark gemacht. Sie setzte einen Aktionsplan gegen die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen auf, rückte den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen in der EU ins Rampenlicht, war an der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beteiligt und setzte sich gegen Gewalt gegen Frauen in Entwicklungsländern ein.

Der Wandel kommt, doch er kommt nur langsam: Ende 2017 arbeiteten innerhalb der EU laut Statistikbehörde Eurostat zwei Drittel der Frauen zwischen 20 und 64 Jahren in Teilzeit oder Vollzeit. Bei den Männern waren es knapp 80 Prozent. Doch von einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit sind Frauen noch weit entfernt. Sie sind immer noch weniger und in schlechter bezahlten Bereichen beschäftigt. Sie arbeiten zwar länger, aber ihr Stundenlohn ist geringer, sie legen mehr Karrierepausen ein und werden langsamer befördert. Vier von zehn Europäer*innen glauben, dass es die wichtigste Rolle von Frauen ist, sich um das Zuhause und die Familie zu kümmern. Dabei würden alle profitieren, wenn Arbeitswelt und Alltag gleichberechtigter aufgeteilt wären. Das nächste EU-Parlament könnte an diesem Problem arbeiten. Ideen gibt es mehr als genug.

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Hintergrund: Frauenanteil der verschiedenen Mitgliedstaaten im EU-Parlament

Den höchsten Prozentsatz von Frauen schicken die Finn*innen ins EU-Parlament. Insgesamt 77 Prozent ihrer Abgeordneten sind weiblich. Platz zwei belegen Kroatien und Irland mit jeweils 55 Prozent Abgeordneten. Kroatien hat eine festgelegte Quote: 40 Prozent der Abgeordneten müssen Frauen sein. Ähnliche Quoten haben auch Spanien, Frankreich, Italien, Belgien und Portugal. Das wirkt sich auf die Wahllisten aus, dort müssen dann zum Beispiel Männer und Frauen abwechselnd aufgeführt werden. Allerdings wurden die Quoten in einigen Ländern bei der vergangenen Europawahl nicht erreicht. Von den 96 deutschen EU-Abgeordneten waren in der Legislaturperiode von 2014 bis 2019 knapp 37 Prozent weiblich. Eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments besagt, dass sowohl kulturelle, soziale und wirtschaftliche Faktoren auf die Vertretung von Männern und Frauen in Parlamenten auswirkt, als auch das Wahlsystem – denn auch bei den Europawahlen sind die Wahlsysteme von Land zu Land unterschiedlich. Derzeit sind 37 Prozent der Abgeordneten im EU-Parlament Frauen. Bei den ersten Europawahlen 1979 waren es gerade mal 16 Prozent.

 

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Von Franziska Broich, Brüssel

Franziska Broich ist EU-Korrespondentin für die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA). Europa war schon immer ihr Ding. Nach dem Studium ging es zur DJS und danach direkt in die Onlineredaktion des Europaparlaments. 2016 wechselte sie wieder auf die journalistische Seite und will bei „Deine Korrespondentin“ den Frauen hinter dem europäischen Politikalltag ein Gesicht geben.

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