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Von Recht und Liebe
Bianca Walther forscht über historische Frauen

18. August 2021 | Von Katja Fischborn
Bianca Walther hat die Corona-Pandemie sinnvoll genutzt und den erfolgreichen Podcast "Frauen von damals" gestartet. Foto: privat

Helene Lange, Gertrud Bäumer und Anna Pappritz sind keine Freundinnen von Bianca Walther, doch nehmen sie und zahlreiche weitere „Damen“ viel Raum in ihrem Leben ein. Die Berliner Dolmetscherin und Historikerin beschäftigt sich intensiv mit Frauen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Darüber bloggt, postet, twittert, spricht und forscht sie intensiv und erfolgreich.

Von Katja Fischborn, Köln

Es gibt sie, die kleinen Sternstunden für Historiker*innen. Bianca Walther erlebt eigentlich gleich zwei, als sie vor zwei Jahren im Bundesarchiv das indische Reisetagebuch von Anna Pappritz findet, verborgen im Nachlass der Politikerin Marie-Elisabeth Lüders. Endlich schließt sich eine Lücke im Lebenslauf der Frau, die Bianca Walther so gründlich wie möglich kennenlernen will – so gut das eben mit einer historischen Figur geht. Endlich kann Walther nachlesen, was die Frauenrechtlerin Anna Pappritz von November 1912 bis Februar 1913 in Indien tat, wie sie reiste, was sie aß, was sie dachte.

Porträt Anna Pappritz (1904).

Ein Detail versüßte Walther den Fund noch mehr: Sie las in der maschinengetippten Abschrift den Spitznamen, den Pappritz ihrer Liebsten Margarete Friedenthal gegeben hatte: „Lemur“. Dass das einen Feuchtnasenaffen bezeichnet, darum ging es gar nicht. Doch bislang war der Kosename nur in Pappritz‘ Handschrift überliefert worden, und die hatte – Zitat „eine ganz schöne Sauklaue“. Nicht nur Walther, auch andere, die sich mit Anna Pappritz beschäftigten, hatten hier stets „Lemm“ entziffert – und gerätselt, was das eigentlich heißen solle. Nun war das Geheimnis enthüllt! „Für andere ist das vielleicht nicht viel, aber für mich war das ein tolles Erlebnis“, erinnert sich Walther.

Frauen von damals treffen Social Media

Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich vor allem mit der Geschichte von bürgerlichen Frauen aus der Zeit um die Wende ins 20. Jahrhundert: nicht immer, aber meist mit sich liebenden Frauen, die oft in der Frauenbewegung aktiv waren, Feministinnen, die sich engagierten, Grenzgängerinnen, Aktivistinnen. Die Berliner Frauenrechtlerin Anna Pappritz hat Bianca Walther zu einem eigenen Forschungsprojekt gemacht, hat das indische Tagebuch als historischen Reisebericht einer weißen, fernreisenden Frau editiert und herausgegeben.

Doch nicht nur das: Mit @PappritzOnTour twitterte Walther als ihre „Schreibkraft“ im vergangenen Corona-Winter eine Auswahl von Zitaten aus eben diesem Tagebuch. Viele hundert Leser*innen begleiteten sie dabei. Besonders erfolgreich ist Walther aber derzeit mit ihrem Projekt „Frauen von damals“. Auf Twitter und Instagram postet sie Kurzbiografien zu spannenden Frauen aus der besagten Epoche, intensiv setzt sie sich im gleichnamigen Podcast mit ihnen auseinander.

 

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Ob die bekannte schwedische Autorin Selma Lagerlöf, die umstrittene und bewunderte Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer oder die Juristin und Feministin Anita Augspurg: Alle werden von ihr liebevoll beschrieben, charakterisiert, ihre Besonderheiten und Leistungen den Hörer*innen vorgestellt. Dabei kommt Walther rasch in der Gegenwart an, zieht Vergleiche zu Figuren der Fernsehserie „Babylon Berlin“ oder schickt die Ohren auf eine Kneipentour ins lesbische Berlin der 20er Jahre. In einem der damals bekannten einschlägigen Nachtclubs, dem Eldorado, sei heute ein Bioladen, erklärt sie in der Folge „Monokel-Ball im Monbijou“. Zusammen mit ihrer Frau und Welpe Pebbles lebt sie selbst nämlich gar nicht weit davon entfernt. Geboren in Andernach in Rheinland-Pfalz zog sie bereits 1999 in die deutsche Hauptstadt.

Historikerin im zweiten Anlauf

Zwölf Folgen plus eine Bonusfolge umfasst die erste Staffel. Eine weitere werde ab dem Herbst folgen, verspricht sie – dann sei aber Schluss. Denn das Recherchieren, Produzieren und Veröffentlichen mache ihr zwar viel Spaß, doch entstand das meiste 2020 in Pandemie-Zeiten, als der freiberuflichen Dolmetscherin die Aufträge von zahlreichen Fachkongressen wegbrachen. „Da dachte ich, wohin mit all den Wörtern?“

Dass Walthers Stimme so angenehm professionell am Mikrofon klingt, hat viel mit ihrer ersten Ausbildung zu tun, doch die historischen Kenntnisse verdankt sie ihrem zweiten Studium, das sie 2014 an der FernUni Hagen abschloss. „Die Zeit von Kaiserreich und Weimarer Republik hat mich immer schon fasziniert“, sagt sie. Neben Demokratisierung und Industrialisierung passierte auch viel im Leben der bürgerlichen Frauen: „Die Korsetts weg, die Röcke kürzer, die Haare ab.“

Sie machte ihren Master in Geschichte der Europäischen Moderne und arbeitet seit 2016 an ihrer Dissertation zur „Kulturgeschichte weiblicher Lebensgemeinschaften im Bürgertum um 1900“. Hier schaut sie sich die Entwicklung in Deutschland und Schweden an. Anna Pappritz ist natürlich eine der Protagonistinnen. Zwar dolmetscht Bianca Walther Englisch und Französisch, doch zumindest lesen könne sie Schwedisch mittlerweile auch, sagt sie bescheiden.

Vorstand des ersten deutschen Frauenkongresses (Anfang März 1912 in Berlin).

Die 47-Jährige ist gründlich und genau, wenn sie „ihren“ Damen nachspürt. Sie liest viel und geht dann Quellen wie Archivsignaturen in Fußnoten nach. Fast schon Detektivinnenarbeit könnte man es nennen. „Es hat sich aber viel getan in den letzten zehn Jahren“, meint sie, vieles sei heute digitalisiert. Die Geschichtsforschung sei auch nicht so getrieben von der Suche nach der Entdeckung, sondern von der jeweiligen Sichtweise geprägt, die der oder die Forschende einnehme. „Wie wir erzählen macht die Geschichte aus.“

Insgesamt sei eher wenig Material von Frauen in Archiven gelandet, weil allgemein die Meinung vorherrschte, Frauen und ihr Handeln seien eben nicht so bedeutsam gewesen. Viele Dokumente seien zerstört worden, vor allem dann, wenn die betreffende Frau und ihr Lebensstil der Familie gar nicht so Recht gewesen sei. Viele hätten auch keine Kinder gehabt und die Unterlagen seien verloren gegangen.

Dabei war es im Bürgertum um 1900 sehr beliebt, Tagebuch zu schreiben, auch ausführliche Briefwechsel mit verschiedenen Personen wurden gepflegt. „Das war eine Art der Selbstvergewisserung, der Identität“, so Walther. „Ego-Dokumente“ könne man das auch nennen. Zum Glück hätten die Mitglieder der Frauenbewegung früh verstanden, dass sie und ihr Tun geschichtsrelevant seien, und viele Schreiben der Zeit wurden so bewahrt.

Historikerin Bianca Walther fand Gefallen am Begriff “frauenliebende Frauen”.

„Ich interessiere mich für die Lieben“

Bianca Walther will die historischen Frauenrechtlerinnen bekannt machen, aber nicht nur in ihrer politischen Bedeutung, sondern auch in ihren Beziehungen zueinander: „Ich interessiere mich für die Lieben.“ Als lesbisch oder homosexuell hätten diese sich meist nicht bezeichnet, auch wenn sie eine eindeutig emotionale Liebesbeziehung mit einer anderen Frau führten.

So hat sich Bianca Walther für den Begriff „frauenliebende Frauen“ entschieden. Es sei damals durchaus möglich gewesen, als weibliches Paar aufzutreten – „solange man nicht ins Gerede kam.“ Die Frauen lebten zusammen, trennten sich, verliebten sich manches Mal auch, ohne erhört zu werden. Eine Anbahnung sei damals gar nicht so einfach gewesen. Viele Briefe geben Zeugnis von Flirts und Werben, von Küssen und Sehnsüchten, von Enttäuschungen und Ängsten.

„Mich hat vor allem berührt, wie die Frauen in dieser Zeit aufgeblüht sind“, erklärt Walther. Sie hätten sich und ihre Körper aus der engen Rolle befreit, sich Räume geschaffen. Anna Pappritz zum Beispiel habe mit 38 Jahren Fahrrad fahren gelernt – das war 1899. Sie brach danach mit Freundinnen zu einer mehrtägigen Radtour auf, wanderte anschließend allein drei Wochen über die Alpen, obwohl sie chronisch krank war. In dieser Zeit habe sie vieles nachgeholt, sagt Historikerin Walther.

Mit Ika Freudenberg auf ein Bier

Sie kennt viele der weiblichen Biografien in- und auswendig: Ohne Zögern nennt sie Namen, Eigenschaften, Hintergründe und Verbindungen, als seien die Frauen zumindest gute Bekannte. Eine, die ihr besonders wichtig ist, deren Namen aber heute kaum jemand mehr kennt, ist Ika Freudenberg. Die Hüttenbesitzertochter aus dem Westerwald ging von Wiesbaden nach München und baute dort die bayerische Frauenbewegung mit auf. Auch wenn sie eine Musikerinnenausbildung absolvierte, studierte sie nicht, brachte sich vieles selbst bei. Finanziell war sie gut gestellt, doch sie setzte sich etwa sehr für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Kellnerinnen in den bayerischen Wirtshäusern ein.

Porträt Ika Freudenberg.

„Sie war sensibel, diplomatisch, eine Theoretikerin. Aber vor allem hatte sie einen deftigen Humor und Spaß an allem, was menschlich war“, beschreibt sie Bianca Walther. „Sie wäre eine fabelhafte Abgeordnete gewesen. Mit ihr würde ich heute sehr gerne mal ein Bier trinken gehen!“ Die Einführung des Frauenwahlrechts erlebte Ika Freudenberg nicht mehr: Mit 53 Jahren starb sie 1912 an Brustkrebs und wurde in Wiesbaden begraben. Die Würdigung ihrer besonderen Persönlichkeit soll nun aber sichtbarer werden: Eine Nachfahrin von ihr hat, mit Unterstützung von Bianca Walther und dem Archiv der deutschen Frauenbewegung, einen Antrag bei der Stadt Wiesbaden gestellt, dass Ika Freudenberg ein Ehrengrab erteilt wird.

Manch historische Frauenfigur wird aktuell sogar im Film oder in Serien gewürdigt, wenn auch oft eher fiktiv wie die Rolle der Polizistin Charlotte Ritter in „Babylon Berlin“. 1929 gab es in der „Roten Burg“ am Alexanderplatz bereits Polizistinnen, deren Verhalten sich aber sicher von dem im modernen Drehbuch vorgesehenen unterschied, so Walther. Trotz der historischen Abweichungen finde sie an solchen Rollen dennoch Geschmack.

Ihr Geheimtipp ist die BBC-Produktion „Gentleman Jack“ über die frauenliebende und erotisch vielseitige Landadelige Anne Lister, die von 1791 bis 1840 in England gelebt hat. Walther wünscht sich, dass solche Serien nicht nur im Bezahlfernsehen liefen, sondern im ganz normalen TV-Programm. Sie hat im Kopf – nur zum Spaß natürlich – bereits eine ganze Staffel über die Frauenbewegung skizziert, inklusive Besetzung aus der aktuellen Riege deutscher Schauspielerinnen. Spannenden Stoff gäbe die Zeit von der französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg sicher her.

 

DREI BEDEUTENDE FRAUEN MIT IHRER KURZBIOGRAFIE

Selma Lagerlöf – mehr als nur Nils Holgersson

Eines ihrer populärsten Bücher verankert sie auch heute noch in unserem Gedächtnis: 1906 erschien das Kinderbuch „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf.

Geboren wurde sie 1858 auf Gut Mårbacka in der heutigen Gemeinde Sunne im Värmland und war eine der bekanntesten Schriftstellerinnen des Landes; ihre Werke zählen zur Weltliteratur und sind größtenteils an Erwachsene gerichtet. 1909 erhielt sie als erste Frau den Nobelpreis für Literatur und wurde 1914 als erste Frau in die Schwedische Akademie aufgenommen. Erst 50 Jahre nach ihrem Tod wurde mehr über ihr Privatleben bekannt: Sie liebte ihre Kollegin Sophie Elkan und die Studienrätin Valborg Olander – ihre „Sekretärin“, wie es nach außen hieß.

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Mary Kingsley – Afrikaforscherin und Reisende

Sie war eine ungewöhnliche Frau, die als englische Dame das typisch viktorianische Fräuleindasein verließ, um in Afrika als Forschungsreisende zu arbeiten. 1862 wurde Mary Kingsley als Tochter eines Arztes und seiner Köchin geboren. Statt einer Ausbildung las sie sich einmal quer durch die umfangreiche Bibliothek des Vaters.


Nach dem Tod der Eltern ging sie mit 32 Jahren auf Reisen. Zum „Üben“ fuhr sie zunächst auf die Kanaren, bevor ihr Ziel zweimal Westafrika wurde. Sie bildete sich selbst zur Ethnologin aus, schrieb aus ihren Reiseerlebnissen einen 700-seitigen Bestseller und hielt zu Hause Vorträge, die ihr Publikum begeisterten. Sie wurde zu einer vehementen Kolonialkritikerin – gleichzeitig findet sich rassistisches Gedankengut in ihren Schriften. Am 3. Juni 1900 starb sie mit 37 Jahren an Typhus in Südafrika, wo sie als Krankenpflegerin tätig war.

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Helene Lange – stark für Mädchenbildung und Frauenrechte

Am 9. April 1848 wurde in Oldenburg die spätere Pädagogin Helene Lange geboren. Sie machte gegen den Widerstand der alteingesessenen Kaufmannsfamilie das Lehrerinnenexamen. Schon früh setzte sie sich dafür ein, die Arbeitsbedingungen von Lehrerinnen zu verbessern. Mehr noch als um höhere Löhne (eine Frau verdiente nur etwa die Hälfte eines männlichen Lehrergehalts) ging es Helene Lange um bessere Bildungschancen für Mädchen.

Auch in Frauenvereinen war sie aktiv. Sie war Mitgründerin und Vorsitzende des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins“, Vorsitzende des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ und Vorstandsmitglied des „Bunds deutscher Frauenvereine“, der 1894 ins Leben gerufen wurde. Mit ihrer Lebensgefährtin Gertrud Bäumer brachte sie die monatliche Zeitschrift „Die Frau“ heraus.

1919 konnten Frauen zum ersten Mal politische Mandate erhalten. Während Gertrud Bäumer in die Nationalversammlung und später in den Reichstag gewählt wurde, zog Helene Lange für die linksliberale DDP in die Hamburger Bürgerschaft ein. Da war sie bereits 70 Jahre alt. 1930 starb Helene Lange in Berlin.

 

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Von Katja Fischborn, Köln

Katja Fischborn lebt und arbeitet nicht in der Ferne, sondern in Köln. Bis 2017 war sie als Redakteurin bei der Heimwerker- und DIY-Zeitschrift “selbst ist der Mann” angestellt, aktuell ist sie für ein DIY-Onlinemagazin tätig. Für “Deine Korrespondentin” ist sie hauptsächlich als Lektorin im Einsatz, bevor die Texte aus aller Welt online zu lesen sind. Doch wenn es die Zeit erlaubt, sucht sie auch selbst nach interessanten Geschichten von, mit und über Frauen in Deutschland und schreibt sie auf.

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„Audiopedia“ ist eine Open-Source-Plattform für hörbares Wissen. Gründerin Felicitas Heyne will damit Frauen und Mädchen empowern, die keinen Zugang zu Bildung haben. Die Themen: Gesundheit, Ernährung, Wirtschaften und Frauenrechte im Allgemeinen. Seit 2022 fördern die Vereinten Nationen die Plattform als digitales Leuchtturmprojekt.
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Tausende Migrant*innen kommen jährlich in die Niederlande, doch nicht alle bekommen einen Aufenthaltstitel. Wer abgelehnt wird, es aber schafft, der Ausweisung zu entgehen, bleibt illegal im Land. Damit beginnt ein zermürbendes, endloses Versteckspiel. 
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