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Vier Wochen Geisel
Eine Begegnung mit der Journalistin Giuliana Sgrena

1. Mai 2015 | Von Sabine Rossi
Giuliana Sgrena sagt, vor ihrer Entführung habe sie nicht gewusst, was Angst ist. Foto: privat

Vor zehn Jahren wurde die italienische Journalistin, Giuliana Sgrena, im Irak entführt und vier Wochen lang festgehalten. Am 4. März 2005 geht ihre Geiselnahme dramatisch zu Ende. Wir haben Giuliana Sgrena in Rom getroffen und mit ihr über ihre Entführung gesprochen. Wie war es für sie als Frau in der Gewalt von Männern? Wie hat das Erlebte ihr heutiges Leben verändert?

Von Sabine Rossi, Rom

„Per me la cosa più importante era di mantenere la dignità. Intanto ero sempre molto combattiva e non mi arrendevo di fronte a nulla.“

Ihre Würde sei ihr das Wichtigste gewesen. Sie habe darum gekämpft und sich nicht gebeugt, sagt Giuliana Sgrena. Während sie von ihrer Entführung spricht, zieht die kleine, zierliche Frau ihre Strickjacke immer wieder enger und schlingt die Arme um den Körper. Woher sie die Kraft genommen hat, weiß sie bis heute nicht.

Giuliana Sgrena: „Zu Hause bin ich eigentlich eine, die wegen jeder Kleinigkeit weint, aber dort habe ich nicht eine Träne vergossen. Einmal hat einer von ihnen zu mir gesagt: „Warum weinst du nicht? Das würde dir helfen.“ Aber diesen Sieg hätte ich ihnen nie gegönnt. Und wenn es einer von ihnen mit seinen Scherzen zu doll trieb, habe ich gesagt: “Ich könnte eure Mutter sein.” Dann sind sie still geworden.“

Sie, das sind die beiden jungen Männer, die Giuliana Sgrena Anfang 2005 einen Monat lang rund um die Uhr bewachten. Auf Mitte 20, maximal 30 Jahre schätzt Giuliana Sgrena die beiden. Sie selbst war zum Zeitpunkt ihrer Entführung knapp doppelt so alt. Weil sie älter war, hätten ihr die beiden einen gewissen Respekt gezollt – genauso wie es in der arabischen Welt üblich ist. Die erste Nacht ihrer Gefangenschaft musste sie mit ihnen in einem Zimmer voller Waffen verbringen. Danach hatte sie einen eigenen Raum, ohne Fenster. Das Licht kontrollierten ihre Entführer von außen. Sie musste klopfen, wenn sie auf die Toilette wollte. Alle persönlichen Sachen hatten sie ihr abgenommen. Nicht einmal einen Zettel und einen Stift hatten sie ihr gelassen.

Giuliana Sgrena: „Ich blieb fast die ganze Zeit im Bett, denn es war sehr kalt zu dieser Jahreszeit. Eine Heizung gab es nicht, und so kroch ich unter einen Berg aus Decken. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, hatte ich Angst, dass sie mich töten würden. Ich war davon überzeugt, dass das geschehen würde, denn ich hatte ihr Gesicht gesehen. Beide waren nicht vermummt.“

Schon kurz nach ihrer Entführung war im Internet ein Bekennerschreiben aufgetaucht. Eine Gruppe mit dem Namen „Islamischer Jihad“, verlangte den Abzug aller italienischen Soldaten aus dem Irak. Italien war 2003 in einer Allianz, unter anderem mit den USA und Großbritannien, in den Irak einmarschiert. Für Giuliana Sgrena war klar, dass die Regierung unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi niemals darauf eingehen würde. Und auch wenn ihr ihre beiden Wächter versicherten, dass sie nichts mit dem Ultimatum zu tun hatten, dass sie ihr niemals die Kehle durchschneiden würden, sie glaubte ihnen nicht. Als sie überzeugt war, dass das Ultimatum abgelaufen sein müsse, begann sie, von innen gegen ihre Zimmertür zu schlagen.

Giuliana Sgrena: Die beiden Wächter kamen und fragten, warum ich so einen Aufstand mache. Ich sagte ihnen: „Ihr sollt mich doch töten!“ Sie haben versucht mich zu beruhigen und mir angeboten, einen Film anzusehen. Ich bin mit ihnen in ihren Raum gegangen, und dann haben sie mir einen amerikanischen Kriegsfilm gezeigt. Das war noch schlimmer. Am nächsten Morgen haben sie die Tür zu meinem Zimmer geöffnet, und ich war überzeugt, dass es jetzt soweit ist. Aber sie haben nur gesagt: „Du bist ja schon wach“, und sind wieder gegangen. Für mich war das die längste Nacht meines Lebens.“

In den Wochen ihrer Entführung baute Giuliana Sgrena eine gewisse Beziehung zu ihren beiden Wächtern auf. Sie war nie gefesselt und musste auch kein Kopftuch tragen. Die Gewalt sei ausschließlich psychischer Natur gewesen. Vor allem war es die ständige Angst vor dem Tod. Außerdem hatte sie Angst, ihr Gedächtnis zu verlieren, wenn sie tagelang mit niemandem gesprochen hatte. Manchmal kamen die Entführer abends zu ihr und redeten über Fußball – einer von ihnen war ein großer Fan des AS Rom – über Religion oder ihre Familie.

Giuliana Sgrena: „Sie wollten wissen, ob ich verheiratet bin, und ich habe ja gesagt, weil ich seit vielen Jahren mit meinem Partner zusammenlebe. Dann fragten sie, ob ich Kinder habe. Nein. Meine Antwort hat sie verwundert, und noch mehr wunderte sie, dass mich mein Mann nicht verstoßen hatte. Ich konnte ihnen nicht erklären, dass es eine bewusste Entscheidung war. Später kam einer von ihnen und fragte mich: „Bist du deshalb schon mal bei einem Arzt gewesen?“ Er war ganz besorgt, dass ich keine Kinder hatte. Für ihn war das sonderbar.“

Die Scherze und kleinen Geschichten täuschen über das hinweg, was Giuliana Sgrena die ganze Zeit über gefühlt hat: Angst. Aber sie halfen, die Anspannung, die zum Greifen war, ein kleines Bisschen abzubauen. Das Gefühl der Angst, ist Giuliana Sgrena geblieben – auch nach ihrer Entführung und nach der Befreiung, die tragisch endete. Kurz vor dem Flughafen von Bagdad wurden sie und die beiden Agenten des italienischen Geheimdienstes von US-amerikanischen Soldaten beschossen. Einer der Agenten starb, als er Giuliana Sgrena mit seinem Körper beschützte. Sie selbst wurde an Schulter und Lunge verletzt. Ein halbes Jahr später flog sie nach Afghanistan, um von dort über die Wahlen zu berichten.

Giuliana Sgrena: Vor meiner Entführung wusste ich nicht, was es heißt, Angst zu haben. Das bedeutet nicht, dass ich unvorsichtig war. Ich war immer sehr rational. Ganz bewusst habe ich mich entschieden, nach Afghanistan zu reisen, in eine Risikoregion. Wenn die Angst dauerhaft von mir Besitz ergriffen hätte, wäre ich vielleicht nie wieder irgendwo hingegangen.“

In ihrem Alltag hat sich für Giuliana Sgrena vieles geändert, vor allem die Art wie sie die Dinge wahrnimmt. Sie plane nicht mehr langfristig, mache keine Projekte für die Zukunft, sagt sie. Das habe ihr den Enthusiasmus genommen. Gleichzeitig nehme sie jeden Moment intensiver als früher wahr.

Giuliana Sgrena: Für mich hat sich vieles relativiert. Früher habe ich mich auch über Kleinigkeiten aufgeregt. Heute ist mir klar, dass diese Kleinigkeiten bedeutungslos sind in Anbetracht dessen, was geschehen ist. Ich bin toleranter geworden.“

Homepage von Giuliana Sgrena: http://giulianasgrena.globalist.it/

 

 Info-Box: Zeittafel zum Irakkrieg 2003

11. September 2001: Attentat auf die Türme des New Yorker World Trade Centers und auf das Pentagon in Washington. Ein weiteres Flugzeug stürzt auf einem Feld in Pennsylvania ab. 3000 Menschen sterben an diesem Tag.

29. Januar 2002: US-Präsident, George W. Bush erklärt den Irak zusammen mit Iran und Nordkorea zur „Achse des Bösen“. In den folgenden zwölf Monaten sammeln und veröffentlichen britische und US-amerikanische Geheimdienste – wie sie es nennen – „Beweise“, die belegen sollen, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt.

20. März 2003: Eine Allianz, angeführt von den USA und Großbritannien beginnt den Einmarsch im Irak. Auch Italien ist an dieser „Koalition der Willigen“ beteiligt. Anfang April 2003 marschieren die internationalen Soldaten in der Hauptstadt Bagdad ein und stürzen den irakischen Machthaber, Saddam Hussein.

11. Mai 2003: US-Präsident Bush erklärt die Kampfhandlungen im Irak für beendet. Dennoch gibt es in vielen Landesteilen weiterhin schwere Gefechte, u. a. in Falludscha.

Mai 2004: Fotos und Berichte belegen, dass US-Soldaten, Geheimdienstler und Söldner von Privatunternehmen irakische Häftlinge im Gefängnis Abu Ghuraib gefoltert und misshandelt haben.

30. Januar 2005: Erste Parlamentswahlen im Irak. Giuliana Sgrena war nach Bagdad gereist, um über die Wahlen zu berichten und über das Schicksal der Flüchtlinge von Falludscha.

Juni 2009: Großbritannien zieht einen Großteil seiner Truppen ab. Auch die USA beginnen mit dem Abzug der Soldaten. Der letzte US-Konvoi verlässt erst im Dezember 2011 das Land.

Nach Angaben der US-Regierung kämpften mehr als 1,5 Millionen Soldaten im Irak. Etwa 4.500 US-Soldaten wurden getötet, mehr als 30.000 verletzt. Über die Zahl der irakischen Opfer gibt es keine genauen Angaben. Die Organisation IraqBodyCount.org schätzt, dass bis zu 114.000 Zivilisten ums Leben kamen. 

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Von Sabine Rossi, Köln

Sabine Rossi ist Redakteurin bei dem Radiosender COSMO (WDR). Spezialisiert ist sie auf den Nahen Osten, vor allem auf Syrien, wo sie nach ihrem Studium ein Jahr gelebt hat. Regelmäßig verstärkt sie das Hörfunkteam im ARD-Studio Kairo. Für „Deine Korrespondentin“ sucht sie nach starken Frauen im Nahen Osten – und die sind gar nicht so selten.

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