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Vielfalt in den Medien
Interview mit einer britischen Aktivistin

17. August 2022 | Von Eva Tempelmann
Hannah Ajala, britische Journalistin und Gründerin des Netzwerk „We are Black Journos" kämpft für mehr Vielfalt in den Medien. Fotos: PA Media

Hannah Ajala ist freie Journalistin und arbeitet in Großbritannien und afrikanischen Ländern. 2018 gründete sie das Netzwerk „We are Black Journos“. Ihr Ziel: Schwarze Journalist*innen sichtbarer machen. In Großbritannien sind 95 Prozent aller Journalist*innen Weiß. Die Vielfalt des Landes und der Weltanschauungen spiegelt das nicht wider. Eva Tempelmann hat sie für uns interviewt.

Hannah Ajala, auf Ihrer Webseite beschreiben Sie sich als Journalistin, Mentorin, Reisende und Gläubige. Woran glauben Sie?

Ich glaube an Richtung statt Geschwindigkeit. Ich glaube daran, dass die Stimmen von marginalisierten Gruppen gehört werden müssen. Und ich glaube, dass sich jeder und jede so viel wie möglich den Dingen widmen sollte, die ihn oder sie inspirieren und antreiben. Verfolge deine Leidenschaften.

Sie beschreiben sich auch als „explorer“, also Entdeckerin und Erkundende. Was genau erkunden Sie?

Meine journalistische Arbeit hat mich im wahrsten und auch übertragenen Sinne an viele Orte geführt. 2019 war ich für längere Zeit in afrikanischen Ländern unterwegs und kam in Kontakt mit Menschen und Regionen, die westliche Medien mit Weißem Blick als unterentwickelt, arm und voller Korruption bezeichnen würden – all diese negativen Zuschreibungen, die nicht der Vielfalt der Lebenswirklichkeiten dort entsprechen. Als Journalistin kann ich in diese Realitäten eintauchen, Fragen stellen und eben viel entdecken. Ich lerne unglaublich viel, journalistisch und persönlich.


 

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Sie sind als Kind nigerianischer Eltern in London aufgewachsen, haben Sozial- und Kulturwissenschaften studiert und sind über ein Trainee-Stipendium zur BBC gekommen. Heute arbeiten Sie als freie Journalistin und widmen sich unter anderem Ihrem Netzwerk „We are Black Journos“, das Sie 2018 gegründet haben und mit dem Sie eine diversere Berichterstattung in der britischen Medienlandschaft vorantreiben wollen. Wie kam es dazu?

Ich bin mit fünf älteren Brüdern in London aufgewachsen. Meine Eltern kamen in den 1970er Jahren aus Ibadan – einer Stadt in der Nähe der Hauptstadt Lagos in Nigeria – nach England. Damals erlaubte die britische Regierung die Immigration ohne Visum. Ich bin meinen Eltern für diesen Schritt sehr dankbar, weil das Aufwachsen in London meinen Geschwistern und mir viele Möglichkeiten und Freiheiten eröffnete. Als Journalistin ist es für mich ein großes Privileg, mit meinem englischen Pass für meine Arbeit überall hinreisen zu können.

Während eines Panels des britischen Journalistinnenbundes „Women in Journalism“ diskutieren Hannah Ajala, Yalda Hakim und Camilla, Herzogin von Cornwall, die Wichtigkeit von Vielfalt und Inklusion und die Repräsentanz von Frauen im Journalismus.

Nach meinem Studium kam ich über ein Programm, das Schwarze, Asiat*innen und Menschen ethnischer Minderheiten förderte, an eine Ausbildung bei der BBC und begann, in Radio und Fernsehen über nationale und internationale Themen zu berichten. Vor drei Jahren habe ich mich selbständig gemacht und arbeite heute für globale Nachrichtenprogramme wie den BBC World Service, die sich Vielfalt der Perspektiven auf die Fahnen schreiben und übrigens in so vielen Sprachen senden wie kein anderer Sender weltweit.

Kurz vorher hatte ich das Netzwerk „We are Black Journos“ gegründet, weil ich etwas gegen die mangelnde Diversität im Journalismus und in den Medienhäusern unternehmen wollte. Die Mitarbeitenden in den Nachrichtenprogrammen, die über Länder und Menschen berichteten, deren Muttersprache nicht Englisch ist, waren fast alle Weiß. Das war in keinster Weise repräsentativ für die Menschen, über die sie berichteten. Diese fehlende Repräsentanz war nicht nur in meiner Organisation vorherrschend, sondern in vielen anderen Medienhäusern. In ganz Großbritannien gab es 2016 nur 0,2 Prozent Schwarze Journalist*innen, 2,5 Prozent asiatischen Hintergrunds und heute sind es wenige mehr. Umso wichtiger ist mir, mit einem physischen Netzwerk die Arbeit Schwarzer Journalist*innen stärker hervorzuheben und sie sichtbar zu machen. Ich möchte deutlich machen, dass wir als Schwarze in allen Bereichen arbeiten und etwas zu sagen haben – und andere Menschen vielfältiger Hintergründe übrigens auch.

Wie waren Ihre eigenen Erfahrungen bei der BBC? Waren Sie zu Beginn Ihres Traineeprogramms dort die einzige Schwarze?

Im Gebäude, in dem rund 150 Menschen arbeiteten, war ich tatsächlich die einzige Schwarze. Es gab nur noch zwei Schwarze Sicherheitsleute und eine Schwarze Reinigungskraft. Hier habe ich schnell die Dynamiken verstanden, wie mehrheitlich Weiß die Medienindustrie war und immer noch ist. Das Ausmaß des Ganzen habe ich erst später begriffen und die damit verbundene Notwendigkeit, etwas an diesen Strukturen zu ändern.

Ich fühlte schnell die Ebene von Verantwortung, als Journalistin nun für die Schwarze Community sprechen zu müssen. Aber das kann ich gar nicht. Schwarze Menschen sind so divers wie Weiße. Wir kommen aus unterschiedlichen Regionen und Hintergründen, haben unterschiedliche Bildung erfahren. Als Schwarze Menschen teilen wir sicherlich manche Themen, aber wir sind nicht gleich.

Was macht das Netzwerk „We are Black Journos“ konkret?

„Black Journos“ ist ein Netzwerk für Schwarze Journalist*innen, das sich für Vielfalt und Inklusion einsetzt. Wir bieten einen Raum für Diskussionen, Austausch und Zugehörigkeit. Momentan sind es etwa 300 Journalist*innen – Tendenz steigend. Die meisten kommen aus Großbritannien, etwa 15 Prozent aus den USA und fünf Prozent aus afrikanischen Ländern.

Hannah Ajala sagt: „Ich bin eine Entdeckerin: Das Kennenlernen von Menschen und ihren Geschichten spielt in meinem Leben eine große Rolle.“

Wir organisieren Veranstaltungen, haben einen Podcast, einen Newsletter und sind sehr aktiv in den Sozialen Medien, um unsere Community über unsere Themen und Veranstaltungen auf dem Laufenden zu halten. In diesem Jahr liegt der Fokus auf der „Power of Partnership“, also Kollaborationen mit größeren Organisationen wie der „Financial Times“ oder dem Netzwerk von Journalistinnen in Großbritannien, „Women in Journalism“. Das Schöne ist, dass diese Organisationen auf uns zukommen, nicht wir auf sie. Die Notwendigkeit unseres Anliegens – diversere Perspektiven in den Medien – ist also beiden Seiten bewusst.

Wohin hat sich das Netzwerk der „Black Journos“ entwickelt?

Seit unserer Gründung vor vier Jahren haben wir mit vielen Nachrichtenagenturen und Medien zusammengearbeitet: CNN, BBC, Channel 4, Time Out, Bloomberg oder Marie Claire. Sie treten an uns heran und wollen bessere Verbündete werden, sogenannte „Allies“, um die Kluft zwischen Anspruch (Vielfalt abbilden) und Wirklichkeit (homogene Redaktionen und Perspektiven) zu schließen. Verbündete zu sein und zu haben ist enorm wichtig in einer Industrie, die vor allem Weiß ist und in denen marginalisierte Gruppen immer am Rande bleiben. Um Inklusion und Teilhabe aller voranzutreiben, müssen alle mitmachen – vor allem Menschen in einflussreichen Positionen, die nach wie vor meist Weiß sind. Denn die Ausgrenzung ist nichts Vorübergehendes. Sie ist täglich präsent und strukturell verankert. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis der erste asiatische und später noch der erste Schwarze Nachrichtensprecher im britischen Fernsehen zu sehen war. 

Die BBC hat 2017 das 50:50 Equality-Projekt gestartet, mit dem sie die Geschlechterdarstellung und Repräsentanz von Frauen in den Medien grundlegend verändern will. Bisher mit großem Erfolg: Heute sind in 61 Prozent der BBC-Teams und Produktionen Frauen und Männer gleichermaßen vertreten – ein Anstieg von 26 Prozent in fünf Jahren. 143 Organisationen in 30 Ländern haben sich der Initiative angeschlossen. Im vergangenen Jahr erweiterte die BBC ihr Bestreben für mehr Vielfalt vor und hinter Kamera um die Zahlen 50:20:12. Das heißt konkret: 50 Prozent Frauen, 20 Prozent Schwarze, Asiat*innen und ethnische Minderheiten und 12 Prozent Menschen mit Behinderungen. Anscheinend tut sich also etwas. Wie sehen Sie persönlich Veränderungen in dem Anliegen, die Vielfalt der Gesellschaft auch in den Medien und Medienhäusern abzubilden?

Es ist ein langsamer Prozess. Die Optimistin in mir sagt: Immerhin tut sich überhaupt etwas. Schwarze Journalist*innen waren sehr lange Zeit überhaupt nicht sichtbar, sodass jede Art von Fortschritt besser ist als gar keiner. Es wird auch mehr heute mehr über strukturelle Diskriminierung gesprochen und aktiv gehandelt. Aber es ist eine Schande, dass im vergangenen Jahr ein weiterer Schwarzer (George Floyd) von einem Weißen Polizisten getötet werden musste, bis sich auch Nicht-Betroffene über den strukturellen Rassismus empören und sie feststellen: Black Lives Matter.

Was wünschen Sie sich für den Journalismus in der Zukunft?

In meiner Arbeit, in unserem Netzwerk geht es um die Wirkung von Storytelling, des Erzählens von Geschichten. Die Repräsentation des Erzählten darf dabei nie in Frage gestellt werden – egal welches Geschlecht, Hautfarbe, sozialen Hintergrund oder sexuelle Orientierung jemand hat. Ich hoffe, dass der Journalismus so repräsentativ ist, wie er gerne wäre. Eines meiner liebsten Zitate ist: „Die Medien können nicht die Gesellschaft widerspiegeln, wenn die Gesellschaft nicht in den Medien widergespiegelt ist.“ Guter Journalismus muss also in Verbindung sein mit seinem Publikum und dieses repräsentieren: mit den Millionen und Milliarden von Menschen, die Zugang haben zu den Informationen, denen wir vertrauen und die wir jeden Tag verbreiten.

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Von Eva Tempelmann, Münster / Lima

Eva Tempelmann hat 2014 bis 2020 mit ihrer Familie in Peru gelebt und dort als freie Journalistin, Übersetzerin und Lektorin gearbeitet. In ihren Reportagen, Interviews und Analysen berichtet sie über Umweltkonflikte in Peru, Menschenrechte und soziale Bewegungen. Sie ist Co-Autorin des Reiseführers Peru & Westbolivien (Stefan Loose, 2018) und Peru & Bolivien (Marco Polo, 2020). Mehr unter: http://www.evatempelmann.com.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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