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Sie folgen ihrem Ballgefühl
Wie spanische Fußballerinnen zu Profis werden

5. November 2019 | Von Christine Memminger
Immer mehr Menschen begeistern sich in Spanien für Frauen-Fußball. Fotos: Christine Memminger

Früher waren sie als „Mannweiber“ verschrien, heute kommen bei Top-Spielen Zehntausende zu ihnen ins Stadion. Immer mehr Spanierinnen spielen Fußball. Jetzt wollen sie für mehr Gleichberechtigung im Profisport streiken. Denn obwohl die Liga professioneller wird, können die Spielerinnen nicht davon leben.

Von Christine Memminger, Barcelona

Der Tag von Torhüterin Miriam De Francisco Ramírez und Stürmerin Elena Julve Pérez ist dicht getaktet. Das bringt die Profikarriere mit sich. Zwischen Training und Physiotherapie stehen die beiden Frauen kurz am Spielfeldrand und beantworten Fragen. Für die 18-jährige Julve hat sich einiges verändert, seit sie beim RCD Espanyol Barcelona in der ersten Liga spielt. „Ich muss jetzt auch meinen Ernährungsplan einhalten“, erklärt sie. „Es ist ein Job, man muss es professionell angehen. Man muss sich voll darauf konzentrieren.“

Vor allem jetzt, denn sie hatten einen denkbar schlechten Saisonstart. Am Wochenende muss ein Sieg her. Die Sache hat nur einen Haken: Nachmittags widmen sich die Spielerinnen Job und Studium. „Wenn wir doch nur vom Fußball leben könnten!“, wünscht sich die Torhüterin, die alle nur „Mimi“ nennen. „Aber man weiß eben nie, wie lange die aktive Karriere dauert – und deswegen braucht man einen Plan B.“

Koordinator Lauren Florido Revilla.

Als einer der ersten hatte ihr Verein Espanyol Barcelona seit 1970 eine Frauenabteilung. „Eine ganz bewusste Investition“, erklärt Lauren Florido Revilla, der sie heute koordiniert. „Die Basis ist das wichtigste. Wir pflegen die Jugendmannschaften und haben große Spielerinnen hervorgebracht.“ Sie haben die Meisterschaft und nationale Pokale bereits in einer Zeit gewonnen, als Fußballerinnen noch als „Marimachos“, zu Deutsch „Mannweiber“, verschrien waren. Seitdem hat sich viel getan. „Inzwischen hat jeder kleine Verein eine Frauenabteilung. Und das bedeutet, dass die Spielerinnen schon von klein auf gefördert werden“, sagt Florido.

So wie Torhüterin Mimi. Als sie fünf Jahre alt war, wurde in der Schule gefragt, wer Lust auf Fußball hätte. „Ich bin meinem Instinkt gefolgt und habe mich gemeldet“, erzählt die heute 26-Jährige. Schnell war ihr Platz im Tor. „Weil es keine andere machen wollte und ich so ein Gefühl hatte, dass es das Richtige ist.“ Sie stieg in die Top-Mannschaften auf und spielt nun seit vier Jahren beim Espanyol Barcelona in der ersten Liga. Zusätzlich arbeitet sie halbtags als Produktmanagerin, passenderweise direkt beim Verein. Trotzdem wohnt sie noch bei ihren Eltern, weil sie es sich nach eigenen Angaben nicht leisten kann, auszuziehen.

 

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Zwar hat der Club inzwischen vieles zur Professionalisierung des Teams getan. Sie trainieren vormittags, haben einen eigenen Betreuer*innenstab, reisen erste Klasse und übernachten an Auswärts-Spieltagen – wie die Männer – im Vier-Sterne-Hotel. Bilder wie die vom Kontrahenten FC Barcelona soll es bei ihnen jedenfalls nicht geben. Vergangenes Jahr sorgte ein Tweet aus einem Flugzeug landesweit für Aufregung: Die Barça-Männer saßen in der erste Klasse, die Barça-Frauen in der zweiten Klasse auf dem Flug zu einem gemeinsamen Auftritt in den USA.

In puncto Gleichberechtigung hapert es trotzdem noch „an vielen, vielen Stellen“, meint Mimi: „Die Feminismus-Bewegung gibt uns natürlich bei unseren Forderungen Aufwind. Aber es fehlt noch viel, vor allem in der Außendarstellung und was das Geld angeht.“ Auch Stürmerin Julve fordert mehr Verständnis für Sportlerinnen, die sich für eine Profi-Karriere entscheiden: „Fußballerinnen und Fußballer leben für ihre Leidenschaft, den Fußball. Und das muss bei beiden gleich angesehen werden.“

Zwischen 500 und 5.000 Euro Spielerinnengehalt

Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl der Fußballerinnen in Spanien verdreifacht. Knapp 64.000 von ihnen sind aktuell in Vereinen aktiv. Der spanische Fußballverband fördert sie explizit und hat seit diesem Jahr auch neue Regeln für den Profisport vorgegeben: Jeder Verein braucht ein Mindestmaß an Struktur, beispielsweise muss er sich an Mindestlöhne halten. Für einen Halbtagsjob sind das aktuell jedoch gerade mal 450 Euro im Monat.

Mit der U19-Nationalmannschaft wurde Stürmerin Elena Julve 2018 Europameisterin und quasi über Nacht berühmt.

„Grob gesagt verdienen die Spielerinnen in der ersten Liga zwischen 500 und 5.000 Euro“, sagt Koordinator Lauren Florido. Jede einzelne verhandle ihr Gehalt selbst, daher könne man keine generelle Aussage treffen. „Bei uns im Verein liegen die Löhne ungefähr im Mittelfeld,“ so Florido, „ich werde aber persönlich dafür kämpfen, dass sie weiter steigen.“ Er erklärt, dass die Bedingungen in der Liga genau genommen noch „semi-professionell“ seien und auf eine komplette Professionalisierung hingearbeitet werde.

Vielen Spielerinnen reichen diese Versprechen nicht mehr. Sie fordern, dass sich noch in diesem Jahr tatsächlich etwas an ihren Arbeitsbedingungen ändert. Da die letzte Verhandlungsrunde zwischen ihrer Gewerkschaft AFE und den Clubs gescheitert ist, haben sie einen unbefristeten Streik angekündigt. Ab Mitte November sollen keine Partien der Damen-Liga mehr stattfinden, bis ihre Forderungen umgesetzt werden. Unter anderem sind das feste Arbeitsverträge für 75-Prozent-Stellen und ein Mindestlohn von 16.000 Euro brutto jährlich, also mehr als 1.300 Euro pro Monat. Die Zeit der Nebenjobs soll endlich vorbei sein. Doch die Arbeitgeber argumentieren, sich solche Kosten nicht leisten zu können.

Denn trotz allem sei der Frauensport für die Vereine noch immer ein Verlustgeschäft, erklärt Florido. „Im Moment ist es so, dass die Vereine, die eine starke Männermannschaft haben, Geld in den Frauensport pumpen können. Aber das ist ein Fass ohne Boden.“ Als Koordinator beim Espanyol Barcelona ist der 50-Jährige auch für Spielerinnentransfers und Werberechte zuständig. „Wenn wir wollen, dass die Spielerinnen davon leben können, muss auf wirtschaftlicher Ebene Geld fließen“, meint er. Übrigens hat auch Florido noch einen Nebenjob als Buchhalter in einem anderen Unternehmen.

Torhüterin “Mimi” (l.) und Elena Julve beim Training.

Gewissermaßen einen Durchbruch auf diesem Gebiet gab es vergangenes Jahr, als María „Mapi“ León für 50.000 Euro Ablöse von Atlético Madrid zum FC Barcelona wechselte – eine Premiere in Spanien. Da der Sponsor der Liga Iberdrola den Frauensport ebenfalls öffentlichkeitswirksam fördern will und die Übertragungsrechte für die Spiele im Fernsehen erstmals verkauft wurden, fließt nun tatsächlich etwas Geld. Und die Spielerinnen selbst vermarkten sich immer besser in der Werbung. Mimi bekommt beispielsweise ihre Torwarthandschuhe von einem Sponsor und Stürmerin Julves Stollenschuhe sind ebenfalls von einer bekannten Marke finanziert.

Wenn Mädchen gegen Jungs spielen

Überhaupt geht es allen Beteiligten natürlich nicht nur um Geld, das betonen sie. Es geht ihnen um gleichberechtigten Sport. Vor allem Stürmerin Elena Julve sprüht nur so vor Begeisterung, wenn sie vom Training in der ersten Mannschaft spricht. Sie habe ihre Technik verbessern können und sei durchsetzungsstärker und schneller geworden, seit sie auf so hohem Niveau trainiere. „Bis vor kurzem habe ich noch davon geträumt und jetzt darf ich es erleben. Eine unglaubliche Erfahrung!“ Sie ist sozusagen eine Quereinsteigerin: Bis sie 13 Jahre alt war, war sie in einem Leichtathletik-Verein und kickte nur zum Spaß mit ihren Freundinnen. Doch dann wurde ein Trainer auf sie aufmerksam.

Jetzt schießt sie im Training eine Ecke nach der anderen auf das Tor von Mimi. Trainer Salvador Jaspe hat trotz des schlechten Saisonstarts noch Ambitionen mit der Mannschaft. Im vergangenen Jahr wurde die immerhin Tabellenneunte. Er sieht die größte Stärke der Frauen in ihrem Ballgefühl. „Ich habe sogar schon Mädels mit besserer Technik gesehen als Jungs. Das muss man akzeptieren.“ Deshalb unterstützt er auch die Idee von gemischten Ligen bei den Jugendmannschaften. „Bis zum Alter von 12, 13 sollen sie gegeneinander spielen. Da lernen beide am meisten dazu.“

“Mimi” wünscht sich, dass sie vom Fußball spielen leben kann.

Danach seien die Männer dann körperlich überlegen. Seit ein paar Jahren haben sich die spanischen Jugend-Ligen für dieses Modell geöffnet und tatsächlich belegen die Mädels regelmäßig die vorderen Plätze in der Tabelle. „Ich trainiere sie genau wie die Jungs. Da gibt es gar keinen Unterschied“, sagt Jaspe. „Die Mädels verbessern sich sogar schneller, meiner Meinung nach.“ Und der Wettbewerb in der Damen-Liga werde immer härter. Endlich könne Spanien auch international mithalten.

Das kommt beim Publikum gut an: Vergangene Saison wurde im Top-Spiel des FC Barcelona gegen Atlético Madrid ein Zuschauer*innen-Rekord mit mehr als 60.000 Fans im Stadion aufgestellt. Das Land wird von einer neuen Begeisterung für diesen Sport erfasst. Auch im Bereich der Trainerinnen und Schiedsrichterinnen gibt es Jahr für Jahr mehr Anwärterinnen. Und die Erfolge einzelner Mannschaften in internationalen Wettbewerben lassen sich auch sehen.

Mit der U19-Nationalmannschaft wurde Elena Julve zum Beispiel 2018 Europameisterin und quasi über Nacht berühmt. Solche Events begleiten nun auch die Medien vermehrt. Statt von „Frauenfußball“ wird immer häufiger direkt von „Fußball“ gesprochen – was die Spielerinnen seit langem fordern. Gleichzeitig wächst ihre Fangemeinde. Julve folgen inzwischen beispielsweise mehr als 15.000 Menschen auf Instagram. Nebenbei studiert die 18-Jährige Kriminologie. „Mein Traum wäre aber natürlich, irgendwann in der Nationalmannschaft zu spielen und dann an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen.“

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Von Christine Memminger, Barcelona

Christine Memminger bezeichnet sich selbst als Münchner Kindl mit spanischen Gewohnheiten. Derzeit lebt sie in Barcelona und arbeitet dort als freie Journalistin für Radio, Online und Print. Sie hat in Eichstätt Journalistik und in Barcelona Europäische Integration studiert, beim Bayerischen Rundfunk volontiert und stets großes Interesse an gesellschaftspolitischen Themen. Mehr unter: www.fraubarcelona.wordpress.com.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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