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„Sei unabhängig und beneidenswert“
Warum Frauen selbst Hand anlegen sollten

8. Januar 2020 | Von Katja Fischborn
Frauen und Handwerk, das muss sich nicht ausschließen - im Gegenteil - wie Sylvia Adamec eindrucksvoll beweist. Foto: Handwerkerinnenhaus

„Können Sie das denn überhaupt – als Frau?“ Sylvia Adamec hat es satt, solche Sprüche zu hören. Die Handwerkerin und Trainerin hat in ihrem Leben zwischen Baustelle und Baumarkt mit vielen Vorurteilen zu kämpfen und will andere Frauen ermutigen, nicht mehr länger auf (männliche) Helfer zu warten, wenn etwas repariert werden muss.

Von Katja Fischborn, Köln

Rote Lippen, Leo-Pumps – Sylvia Adamec versteckt ihre Weiblichkeit nicht. Mittlerweile sind diese Accessoires sogar fast zu ihrem Markenzeichen geworden. Und zwar auch dann, wenn sie auf die Baustelle oder in den Baumarkt geht. Doch die Baukoordinatorin aus Düsseldorf hat es satt, nach 23 Jahren Berufserfahrung noch immer jede Woche einen dummen Spruch zu hören, der ihre Eignung anzweifelt. Auch deshalb gibt sie spezielle Kurse für Frauen, um ihnen beizubringen, wie sie Löcher bohren oder Silikonfugen erneuern.

Sylvia Adamec zeigt den Inhalt ihrer Handtasche, rechts unten (Foto: Katja Fischborn).

Zwar gebe es immer mehr Frauen, die „nicht basteln, sondern bauen“, sagt Adamec. Damit sind wohl in erster Linie Tischlerinnen und Malerinnen gemeint, wie die Zahlen des Zentralverbands des deutschen Handwerks bestätigen. Doch eine Frau auf der Baustelle ist für viele noch immer etwas Besonders. Adamec, die eine Ausbildung zur Elektrikerin gemacht hat und seit Jahren in der Branche arbeitet, muss sich den Respekt der Männer oft verdienen. Meist dadurch, dass sie zeigt, was sie draufhat. Dafür hat die 40-Jährige in ihrer Handtasche immer Werkzeug dabei: mindestens einen Elektroschraubendreher, einen Linienlaser und ein Multifunktionswerkzeug.

Dabei ist sie eher schick als im Blaumann unterwegs. „Ich habe keine Zeit, mich mehrmals am Tag umzuziehen“, erklärt sie. „Ein Outfit muss für alles funktionieren, auch, wenn ich abends noch auf eine Vernissage eingeladen bin.“ Prinzipiell fühle sie sich in Arbeitsdress und Kleid gleich wohl. „Wenn ich eine Arbeitshose und Stahlkappenschuhe trage, habe ich einen hemdsärmeligeren Gang“, berichtet sie selbstkritisch.

Ihr Geld verdient sie damit, dass sie Häuser oder Wohnungen renoviert und saniert – natürlich hat sie auch ihre eigene komplett umgestaltet. „Das Geschäft boomt, ich kann mich vor Aufträgen kaum retten“, erzählt sie. Viele Kund*innen seien erstaunt, dass sie als Frau ihre eigene Firma führe, ganz ohne Mann an der Seite. Doch daran hat sie sich längst gewöhnt. Bescheidenheit sei in ihrem Beruf nicht angebracht, ein etwas rauerer Ton und auch ein männliches Verhalten gehörten dazu.

Dabei kommt es regelmäßig zu unangenehmen Situationen. Immer wieder gibt es Männer, die Anordnungen einer Frau nicht akzeptieren oder ganz offen nachfragen, ob sie das überhaupt könne. Vor allem ältere Kollegen seien oftmals immer noch der Meinung, dass Frauen nichts auf der Baustelle verloren hätten. Für Jüngere sei das inzwischen normaler. Obwohl die Handwerkerin einiges gewohnt ist, verletzen sie auch heute noch frauenfeindliche Sprüche: „Ich finde das ungerecht, weil mir in der Regel niemand hilft.“

Ihre Herzensangelegenheit ist aber, zu zeigen, dass jede Frau heimwerken kann. An den Wochenenden gibt sie deshalb Kurse, in ihrer eigenen Location in Düsseldorf und für die Kölner Heimwerkerakademie „DIY Academy“ (DIY = do it yourself) in deren Werkstätten und in Baumärkten deutschlandweit. Dazu gehören auch reine Frauenkurse. Der Grund: „Frauen verhalten sich anders, wenn ein Mann anwesend ist. Der kann noch so hässlich oder alt sein. Man merkt den Unterschied.“ Nur unter Frauen sei die Atmosphäre gelöster und es entstehe eine enorme Energie, wenn alle an der gleichen Sache interessiert seien.

„Pack es selbst an“

Bereits seit 20 Jahren stünden Frauen als eigene Zielgruppe für die Baumärkte im Fokus, berichtet Kerstin Schmitz-Mohr, verantwortlich für das Schulungsangebot bei der „DIY Academy“. Gab es früher einen speziellen „Selbst ist die Frau“-Kurs, könne man heute jedes Thema von Fliesen legen bis Kleinreparaturen im Haushalt als Frauenkurs buchen. Es gibt in Baumärkten ganze Abendveranstaltungen, die etwa „Women’s Night“, „Frauenpower“ oder „Ladies Night“ heißen. Und es kommen alle: junge Mütter, Studentinnen, Singlefrauen und ältere alleinstehende Damen.

Etwa 20 Prozent der rund 1.300 Workshops pro Jahr seien reine Frauenangebote, Tendenz leicht fallend. „Die Gründe für diese Entwicklung sind unterschiedlich. Es ist auch selbstverständlicher geworden, dass Frauen einfach in alle Kurse gehen.“ Dennoch sei die Herangehensweise der Geschlechter sehr unterschiedlich, sagt Schmitz-Mohr: „Männer legen direkt los, Frauen gehen überlegter und planerischer vor – und sind damit oft erfolgreicher.“ In gemischten Seminaren neigten Männer dazu, den Frauen durchaus gut gemeint die vermeintliche „Arbeit“ abnehmen zu wollen. „Genau das ist aber nicht zielführend“, so Schmitz-Mohr.

Trainerin Adamec möchte, dass Frauen sich durch die heimwerklichen Fähigkeiten frei machen. Ihr Wahlspruch lautet: „Hör auf, auf Helfer zu warten. Pack es selbst an.“ Die positiven Folgen formuliert sie auch gleich mit: „Sei unabhängig, sei frei und sei beneidenswert.“ Jede dritte Frau traue sich ihrer Einschätzung nach zu, eine Wand zu streichen oder zu tapezieren. Viele seien gezwungen, sich selbst zu helfen, wenn Mann, Freund oder Kumpel eben nicht zur Verfügung stünden und Handwerker für kleine Reparaturen schwer zu bekommen seien. Dabei müsse am Ende nicht jede eine Heimwerker-Queen werden.

Klare Empfehlung für Frauen im Handwerk

Eine Ausbildung gerade im Bereich Elektrik und Anlagenmechanik empfiehlt sie Frauen aber auf jeden Fall. „Frauen denken mehr darüber nach, was sie tun – und hier ist Köpfchen gefragt!“ Viele Werkzeuge und damit Arbeiten seien zudem leichter geworden. Doch ob frau eine Lehre im Handwerk in Erwägung ziehe, sei oft Erziehungssache, findet Adamec. Sie hat schon früh mit ihrem Großvater, bei dem sie aufwuchs, gebaut. „Ich habe permanent mein Zimmer umgestellt und umgestrichen.“

Als ihr Opa starb und sie mit 17 Jahren auf sich allein gestellt gewesen sei, habe sie gemerkt, dass sie kreativ sein musste, wenn sie etwas haben wollte. Zweimal habe sie sich in ihrem Leben bereits aus dem Nichts herausgearbeitet. „Deshalb habe ich ein Grundvertrauen in mich, ich werde es immer wieder schaffen.“ Neben der Selbsthilfe sieht sie es als Stärke, andere um Unterstützung zu bitten: „Ich habe immer ehrlich gesagt, was los ist. Da habe ich oft eine Hand gereicht bekommen.“

Schon in jungen Jahren positive Erlebnisse in der Werkstatt zu erleben, prägt fürs ganze Leben. Deshalb gibt es in Köln bereits seit 30 Jahren das Handwerkerinnenhaus (HWH), eine bundesweit recht einmalige Einrichtung mit einem Angebot für Frauen, aber vor allem für Mädchen im Teenageralter. Im vergangenen Jahr zählte die Einrichtung etwa 1.000 Teilnehmerinnen, dazu kamen rund 150 in den fortlaufenden Kursen.

Frauen lernen in speziellen Kursen, Fliesen zu legen (Foto: DIY Academy).

Manche Mädchen haben einfach Interesse am Handwerk, aber viele haben Probleme in der Schule, gehen ungern und unregelmäßig zum Unterricht. Das Handwerkerinnenhaus will ihnen neue Perspektiven bieten, eine Berufsorientierung; und zur Stärkung der sozialen Kompetenzen einfache Projekte zum Sägen, Schrauben, Bohren, die Fehler erlauben und Erfolge bescheren. „Viele lassen sich schnell darauf ein, haben bald eigene Ideen und arbeiten in Eigenregie“, berichtet Schreinerin Jennifer Grabe.

Jungen und Mädchen zu trennen sei notwendig: „Die Jungs preschen oft vor, lassen den Mädchen wenig Raum.“ In der Einrichtung arbeiten nach diesem Konzept deshalb nur Frauen ­– sie sollen nicht nur anleiten, sondern auch Vorbild sein. Nicht immer sei das leicht, räumt Grabe ein. Doch das oft positive Feedback der Mädchen, die sie manchmal über Jahre begleiteten, sei die Anstrengung wert. Demnächst will das HWH das Angebot sogar auf Grundschülerinnen ausweiten. Und für die „Großen“ gibt es an den Wochenenden eigene Fahrrad-Reparaturkurse, Schrott-Schweißen oder Möbel reparieren.

Online-Botschafterin mit großen Plänen

Ihre Passion für das Hand- und Heimwerken demonstriert Sylvia Adamec als „FrauVomBau“ auf ihrer Website, auf Instagram und Facebook. Hier erklärt sie Werkzeuge, berichtet vom Alltag auf Baustellen und Erlebnissen mit Kund*innen, gibt praktische Tipps und fragt auch mal nach Meinungen und Ratschlägen anderer. Man sieht sie mal in Latzhose, mal im Kleid auf Leitern stehen, um „mal eben“ eine Leuchte anzuschließen. Drei Stunden täglich investiere sie in Social Media. Dabei ist sie stetig bemüht, ihre Community zu vergrößern.  

Ihr nächstes Projekt: eine eigene Kollektion für Frauen auf der Baustelle, die dort nicht als Handwerkerinnen, sondern etwa als Sicherheitsbeauftragte zuständig sind. Die Herausforderung: Sie sollen durch ihre Kleidung als Fachfrauen erkennbar sein. Aber bitte nicht in Pink! Hier spalten sich die Meinungen unter Fachfrauen: Manche mögen rosa Werkzeuge, weil die männlichen Kollegen diese in Ruhe lassen, andere hassen sie regelrecht. Adamec meint, wichtiger als jede Farbe sei die angepasste Funktionalität ausgewiesener „Frauenwerkzeuge“ – und damit eine Arbeitserleichterung für Menschen mit kleineren Händen und weniger Kraft.

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Von Katja Fischborn, Köln

Katja Fischborn lebt und arbeitet nicht in der Ferne, sondern in Köln. Bis 2017 war sie als Redakteurin bei der Heimwerker- und DIY-Zeitschrift “selbst ist der Mann” angestellt, aktuell ist sie für ein DIY-Onlinemagazin tätig. Für “Deine Korrespondentin” ist sie hauptsächlich als Lektorin im Einsatz, bevor die Texte aus aller Welt online zu lesen sind. Doch wenn es die Zeit erlaubt, sucht sie auch selbst nach interessanten Geschichten von, mit und über Frauen in Deutschland und schreibt sie auf.

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