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Im ökologischen Takt
Gut für die Ohren, gut für die Umwelt

12. November 2025 | Von Anna Schütz | 10 Minuten Lesezeit
„We Love Green“ 2025: Musik und Nachhaltigkeit im Einklang. Alle Fotos: Eurydice Coffinier

„We Love Green“ gehört zu den Festivals mit dem stärksten Umweltfokus in Europa. So wird es – unter der Ägide von Gründerin Marie Sabot – zu einem Pariser Labor, das Kultur und Umweltschutz miteinander verbindet.

 

Zusammenfassung:

Marie Sabot macht mit „We Love Green“ vor, wie Kultur und Umwelt zusammengedacht werden können. Das Pariser Festival, 2010 von ihr gegründet, ist Labor, Plattform und Vorreiter für ökologische Großveranstaltungen. Mit erneuerbarer Energie, Biodiversitätsforschung und feministischer Perspektive setzt sie neue Maßstäbe – trotz Kritik an der Durchführung im Naturschutzgebiet.

 

Von Anna Schütz, Montpellier

Als Anfang Juni 2025 etwa 100.000 Besucher*innen in den Bois de Vincennes in Paris strömten, erlebten sie nicht nur eines der größten Musikfestivals Frankreichs, sondern zugleich ein Labor für ökologische Innovation. „We Love Green“, 2010 von der französischen Kulturunternehmerin Marie Sabot gegründet und ein Jahr später erstmals ausgerichtet, hat sich im Laufe der Jahre zu einem Pionierprojekt entwickelt, das Musik, Kunst und Umweltschutz miteinander verbindet.

Das Konzept geht weit über klassische Nachhaltigkeitsmaßnahmen hinaus: Von Bühnen, die komplett mit erneuerbarer Energie betrieben werden, über eine detaillierte CO2-Bilanz pro Besucher*in bis hin zu einem Forschungsprojekt in Kooperation mit dem französischen Nationalmuseum für Naturgeschichte.

„We Love Green“ setzt sich mit den ökologischen Auswirkungen seiner Aktivitäten auseinander und unterscheidet sich damit von vielen anderen Großveranstaltungen, die eher für große Müllmengen, viel Lärm und wenig Rücksicht auf Umwelt und Natur bekannt sind und ökologische Verantwortung allenfalls am Rande behandeln.

Gleichzeitig ist die Geschichte des Festivals auch die Geschichte einer Frau, die in einer von Männern dominierten Branche ihre eigene Handschrift hinterlässt. Marie Sabot hat nicht nur ein kulturelles Event etabliert, sondern auch ein Forum geschaffen, in dem Wissenschaft, Aktivismus und feministische Perspektiven sichtbar werden. Unterstützt wird sie dabei von Expert*innen aus Forschung und Praxis, die zeigen, wie ökologische Verantwortung und kulturelle Produktion gemeinsam gedacht werden können.

Klare Trennung: Nachhaltigkeit im Festivalalltag.

Musik feiern, Natur schützen

2004 gründete Marie Sabot in Paris die Agentur „We Love Art“, mit der sie seither zahlreiche Veranstaltungen im Bereich Musik und Kunst organisiert. Heute zählt sie mit über 20 Jahren Erfahrung in der Branche zu den führenden Persönlichkeiten in der französischen Festival- und Eventszene. Mit „We Love Green“ hatte die 54-Jährige von Anfang an ein doppeltes Ziel vor Augen: kulturelle Qualität und ökologische Verantwortung zu verbinden.

In einer Projektbeschreibung heißt es dazu, „We Love Green“ sei „ein Labor für Experimente“, ein Ort, an dem neue Lösungen für Produktion und Organisation ausprobiert werden, die dann als Modell für die gesamte Branche dienen können. Im öffentlichen Diskurs betonte Sabot wiederholt, dass das Festival kein bloßes Öko-Image anstrebe. „We Love Green ist weder ein Anstrich noch Greenwashing“, erklärte sie in einem Interview mit der Zeitschrift „Le Monde“.

Schon früh integrierte das Festival Nachhaltigkeit in den Kern seiner Struktur: Energieversorgung, Abfallmanagement, Ernährung und Transport wurden als zentrale Handlungsfelder definiert. Sabot brachte das Konzept wie folgt auf den Punkt: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Frage der Organisation.“

Das Festival schafft darüber hinaus Räume für Debatten, kreative Reflexion und interdisziplinären Austausch. Mit Blick auf internationale Vorbilder wie Glastonbury oder Roskilde sagte Sabot, dass solche Festivals im Norden Europas eine frühere Sensibilität für ökologische Themen zeigten, die „We Love Green“ nachzuvollziehen und weiterzuentwickeln versuche.

Ankunft auf zwei Rädern: der Fahrradparkplatz beim „We Love Green“ 2025.

Das Festival setzt Standards

Bereits bei seiner ersten Ausgabe 2011 machte sich „We Love Green“ einen Namen als wegweisendes Festival im Bereich umweltbewusster Großveranstaltungen. Der Weg dorthin war nicht gerade einfach. „Es hat Jahre gedauert, die Menschen zu davon überzeugen, dass man in einem geschützten Park ein Festival für die ganze Familie organisieren kann“, sagt Marie Sabot über die Anfänge. Die Stadt Paris habe zunächst den Parc de Bagatelle zur Verfügung gestellt mit der Auflage, dieses Umfeld zu bewahren.

Mit wachsendem Publikum entwickelte das Festival konkrete Strategien, um Nachhaltigkeit in allen Bereichen zu verankern. Besonders früh setzte „We Love Green“ Standards im Abfall- und Ressourcenmanagement. „Wir waren die Ersten, die Bierflaschen pfandpflichtig machten und ein durchdachtes Abfallmanagement einführten – inspiriert von Festivals in Großbritannien, Skandinavien und Japan“, erklärt Sabot.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Ernährung. Statt auf das übliche, stark fleischhaltige Fast-Food-Angebot zu setzen, präsentiert das Festival eine ökologische Alternative. „Wir fördern eine Gastronomie, die lokal, saisonal, größtenteils bio und vegetarisch oder vegan ist“, unterstreicht Sabot. Darüber hinaus setzt es auf neue Energiekonzepte. Mehrere Bühnen werden ausschließlich mit erneuerbarer Energie betrieben – etwa durch Solarzellen oder Generatoren auf Pflanzenölbasis.

Ein eigens entwickeltes Energiemanagement-System ermöglicht es, den Verbrauch in Echtzeit zu überwachen und ineffiziente Strukturen sofort zu korrigieren. Auch beim Wasserverbrauch zeigt sich das Festival experimentierfreudig. Trockentoiletten – wasserlose Toiletten, bei denen die Ausscheidungen gesammelt, mit organischem Material abgedeckt und anschließend kompostiert werden – und wiederverwendbare Wasserstationen ersetzen Einwegprodukte, wodurch der Plastikmüll drastisch reduziert werden konnte.

Außerdem motiviert das Festival seine Besucher*innen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrädern oder Shuttle-Bussen anzureisen und belohnt nachhaltige Anfahrtswege mit Vergünstigungen.

Trinkwasser-Station statt Plastikflasche: nachhaltige Pause beim Festival 2025.

Mit Blick auf die Umwelt

Ende 2023 initiierte das Festival eine umfassende Studie zur Untersuchung seines Einflusses auf die Biodiversität des Bois de Vincennes. Diese Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem Ökologie-Büro Nabi Ecology und dem Zentrum für Naturwissenschaften des Nationalmuseums für Naturgeschichte durchgeführt.

Hortense Serret, Ökologin und Mitinitiatorin der Studie, erklärte gegenüber der Plattform „L‘avenir du bon“: „Das Festival bringt eine punktuelle, aber erhebliche Störung mit einem überdurchschnittlich hohen Besucheraufkommen und Lärmpegel mit sich. Es ist wichtig zu verstehen, ob diese Störungen Auswirkungen auf das Ökosystem haben. Daher konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen von Lärmbelästigung, Lichtverschmutzung und den Einfluss menschlicher Anwesenheit auf Vögel, Fledermäuse, Flora und Böden.“

Um diese Effekte zu erfassen, wurden mehrere methodische Ansätze kombiniert. So installierten die Forschenden Ultraschallsensoren zur Überwachung von Fledermauspopulationen und Vogelbrutkästen, um die Reaktionen der Tierwelt auf Lärm und menschliche Präsenz zu messen. Parallel dazu untersuchten sie die Bodenbiodiversität, um mögliche Auswirkungen auf die Bodenfauna und -flora festzustellen. Erste Ergebnisse zeigten, dass die Belastung für den Boden minimal war und keine dauerhaften Schäden verursacht wurden.

Allgemein verdeutlicht die Studie, dass das Festival zwar vereinzelt Eingriffe in das Ökosystem verursacht, die Maßnahmen zur Überwachung und Minimierung der Auswirkungen jedoch frühzeitig wirken. Kritische Stimmen betonen zugleich, dass eine kontinuierliche Forschung wichtig sei, um das Gleichgewicht zwischen Kulturveranstaltung und Umweltschutz im Blick zu behalten.

Kritik von Umweltorganisationen

Trotz der ökologischen Bemühungen rund um das Festival sind nicht alle Umweltorganisationen von den Maßnahmen überzeugt. So wird immer wieder Kritik laut, die ergriffenen Maßnahmen seien nicht ausreichend, um die realen Auswirkungen auf die Flora und Fauna im Bois de Vincennes auszugleichen. Der Verein „France Nature Environnement“ etwa hält den Standort von „We Love Green“ für problematisch, da es sich um ein ausgewiesenes Naturschutzgebiet handele, in dem zahlreiche geschützte Arten lebten.

Laut dem Verein sei es höchste Zeit, besonders empfindliche natürliche Lebensräume in Paris entschlossen zu schützen. Und zwar durch die Verlegung der Veranstaltung in eine geeignete Umgebung, in der deren Auswirkungen besser kontrolliert werden könnten – wie etwa ein Stadion – würde der Erfolg des Festivals erhalten bleiben, ohne die wertvolle Artenvielfalt der Wälder zu gefährden.

Als besonders schädlich gelten die Effekte von Lärm, Licht und intensivem Fußverkehr. Diese Belastungen erschweren es vielen Tiere, sich in ihrer Umgebung zu orientieren, miteinander zu kommunizieren und sich fortzupflanzen. „Tiere sind für die Kommunikation zwischen Partnern, die Verteidigung ihres Territoriums und die Warnung vor Gefahren stark auf akustische Signale angewiesen. Übermäßiger Lärm kann diese Signale überdecken und damit ihre lebenswichtige Fähigkeit zur effektiven Kommunikation beeinträchtigen“, hebt „France Nature Environment“ hervor.

Festivalbesucher*innen genießen Sonne, Beats und grüne Ideen.

Musik im Zeichen der Natur

Die Diskussionen rund um „We Love Green“ zeigen, wie groß die Herausforderungen sind, wenn Kultur und Umweltbewusstsein miteinander verbunden werden sollen. Lärm, Licht und menschliche Präsenz sind Faktoren, die sich schwer vollständig kompensieren lassen, auch wenn die Veranstaltenden zahlreiche Maßnahmen ergriffen haben, um ihren ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich zu halten.

Gleichzeitig ist unbestreitbar, dass das Festival in Europa bereits eine Vorreiterrolle eingenommen hat. Es schafft mit seinem umfassenden Umweltansatz, von Energie und Verpflegung bis zu Abfallmanagement und Biodiversitätsforschung ein Vorbild für andere Festivals. Damit ist es nicht nur ein Ort für Musik und Kunst, sondern auch ein Versuch, Wege zu finden, wie Menschen inmitten einer sensiblen Umgebung feiern können, ohne dass Natur und Artenvielfalt darunter leiden.


 

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Von Anna Schütz, Montpellier

Anna Schütz lebt seit 2020 in Montpellier, im sonnigen Süden Frankreichs. Als freie Journalistin arbeitet sie für vor allem französische Print- und Online-Medien und berichtet über aktuelle Nachrichten und gesellschaftliche Entwicklungen in ihrer Region, mit besonderem Blick auf lokale Initiativen, Politik und Kultur. Für DEINE KORRESPONDENTIN bringt sie Themen aus Südfrankreich ins deutsche Sprachgebiet und zeigt, was dort anders – und manchmal überraschend ähnlich – ist.

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