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Mode eröffnet neue Jobchancen
Altkleider aus Europa nicht länger erwünscht

15. August 2018 | Von Simone Schlindwein
Die Fabrik „Finespinners“ ist die modernste Produktionsstätte in Uganda. Fotos: Simone Schlindwein

Ab Ende 2018 dürfen keine Altkleider mehr nach Ostafrika importiert werden. Damit wollen die Länder ihre eigene Textilindustrie fördern. Ugandas Schneiderinnen freut das: In der Modeindustrie ergeben sich dadurch mehr Arbeitsplätze für Frauen, sowohl als Selbstständige als auch in den Fabriken.

Von Simone Schlindwein, Kampala

Als der Vorhang sich öffnet und das erste Modell den Laufsteg beschreitet, geht ein Raunen durch das Publikum. Eine hochgewachsene, schöne Frau mit schokoladenfarbener Haut stöckelt auf die Bühne in Ugandas Nationaltheater. Alle Scheinwerfer richten sich auf sie. Im Hintergrund hallt der Rhythmus von Trommeln. Die burundische Schönheitskönigin präsentiert ein knielanges Kleid aus einem rostbraunen, faserigen Gewebe, gewonnen aus der korkartigen Rinde eines für Ostafrika typischen Baumes.

Das “Borkenkleid” (rechts) ist eine Kreation der bekannten Modedesignerin Annick Kabatesi.

„Borke“ heißt der Stoff, eine Art Bast, den traditionell die Könige der Ethnie der Tutsi schon vor der Kolonialzeit trugen, noch bevor die europäischen Kolonialherrscher und Missionare die Afrikaner zwangen, Stoffe anzuziehen. „Die Rückbesinnung auf die Mode und Textilien der vorkolonialen Zeit ist ein wichtiger Schritt in der Dekolonialisierung, auch in den Köpfen“, sagt die burundische Modedesignerin Annick Kabatesi nach der Vorführung. Die 34-jährige Jungunternehmerin ist mit ihrem Modelabel „Murundikasi“ weit über die Grenzen ihres kleinen, krisengeplagten Landes hinaus bekannt. Ihre Borke-Kollektionen verkauft sie mittlerweile per Internet bis nach Europa und die USA. Sie ist der Star der Fashionshow und heimst den meisten Applaus ein.

Kabatesi gilt als erfolgreiche Geschäftsfrau, eine Vorzeigefigur für einen aufstrebenden Erwerbszweig auf einem Kontinent, unter dessen Bewohnern gute Kleidung und guter Stil Statussymbole sind – sogar mehr als ein Handy oder ein Auto. Wer am Sonntag in Afrika eine Kirche betritt oder eine Hochzeit besucht, sieht Frauen in aufwendig genähten Kleidern und passenden Kopftüchern in bunten Farben und Mustern.

Doch afrikanische Kleider werden nur zu besonderen Anlässen getragen. Im Alltag schlüpft vor allem die arme Bauernbevölkerung in Secondhandware aus den Spendencontainern europäischer Hilfswerke wie denen von Volkswerke, Caritas, Kolping oder Humana. Mehr als 750.000 Tonnen Altkleider fallen pro Jahr allein in Deutschland an.

Kleidermarkt als Resterampe der weltweiten Textilindustrie

„Ratsch“ macht es, als Caroline Nambuga die Plastikverpackung mit einem Teppichmesser aufschneidet. Die 22-jährige Uganderin packt ihre mit Klebefolie verschnürten Ballen aus. Nach einem erneuten vorsichtigen Schnitt und etwas Ziehen und Zerren entfaltet sich der Inhalt auf dem staubigen Boden. „Das ist immer, als würde man Lotto spielen. Man weiß nie, was man kriegt“, lacht sie und taucht in 50 Kilo zusammengeballter T-Shirts, Kleider, Röcke, Hosen und Hemden, die sie aus der klebrigen Verpackung befreit.

Caroline Nambuga (Mitte) verkauft Altkleider in Kampala.

Eingenistet zwischen mehrstöckigen Verkaufshallen und engen, geschäftigen Gassen der Altstadt Kampalas ist der Owino-Markt einer der größten Umschlagplätze für Secondhandware in Ostafrika. Auf über sieben Hektar tummeln sich schätzungsweise 50.000 Händler und Händlerinnen. Viele haben wie Nambuga nur einen Holztisch oder eine Stange als Verkaufsstand. Einige sparen sich die Standmiete und schleppen Büstenhalter, Taschen, Leintücher, Gürtel oder Halstücher mit sich herum, um sie lauthals anzupreisen.

Mit prüfendem Blick ordnet Nambuga ihre Ware: T-Shirts und Hemden auf einen Haufen, Abendkleider und Röcke auf den anderen. Die gute Ware hängt sie auf Kleiderbügel, die mit Rissen oder kaputten Reißverschlüssen landet auf dem Boden. „Die gebe ich zur Schneiderin, die kann das ausbessern“, sagt sie und sortiert weiter.

Kleider auf Weltreise

Die hier auf dem Markt feilgebotenen Textilien haben mindestens eine Weltreise hinter sich, manche sogar zwei. Zum Teil stammt die Baumwolle, mit welcher sie in einer Textilfabrik in Asien gesponnen und gewebt wurden, von ugandischen Baumwollfeldern. In Europa und den USA werden die Kleidungsstücke getragen bis sie in der Altkleidersammlung landen. Dann werden sie in Ballen verschnürt wieder nach Afrika zurückgeschickt: per Containerschiff aus den USA, Europa oder China bis an den kenianischen Hafen Mombasa, dann per Lastwagen zum Owino-Markt nach Kampala, wo Händlerinnen wie Nambuga sie erneut in einen Kreislauf einführen. Am liebsten kauft sie Ware aus Großbritannien oder Deutschland, verrät sie, denn: „Da stimmt die Qualität und die Größe.“ Die Klamotten aus China seien meist zu kurz, vor allem die Hosen – „Außerdem ist die Qualität schlecht und der Ausschuss enorm.“

Der Owino-Markt in Kampala ist einer der größten Umschlagplätze für Secondhandware in Ostafrika.

Doch der Owino-Markt ist nur eine Station von vielen, bis ein bereits in Europa getragenes T-Shirt in Ostafrika wieder einen Träger findet. Nambuga verkauft die Kleidungsstücke weiter an ihre Stammkundinnen: meist Frauen, die irgendwo entlang der Straße Boutiquen haben, wo letztlich eine Kundin das Kleid kauft. „Sie kommen von überall her, aus den entferntesten Dörfern Ugandas, aber auch aus Ruanda, dem Südsudan oder dem Ostkongo“, sagt Nambuga.

Die junge Frau hat an Ugandas Universität Beschaffungswirtschaft studiert und findet: „Der Handel mit Gebrauchtkleidern ist ein richtig gutes Geschäft und schafft jede Menge Arbeitsplätze.“ Zudem seien gebrauchte Kleidungsstücke billig, die könnten sich auch arme Familien in Afrika leisten. Umgerechnet zwei bis drei Euro verlangt sie für ein T-Shirt, „damit die armen Kinder nicht nackt herumlaufen“, sagt sie. Doch jetzt fürchtet sie – wie so viele Händler auf dem Owino-Markt – ihren Job zu verlieren.

Denn die Staatschefs der Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC), deren Mitglied Uganda ist, haben im vergangenen Jahr beschlossen, den Import von gebrauchten Textilien, Schuhen und Lederwaren nach und nach auslaufen zu lassen, spätestens Ende 2018. Bis dahin erhöhen nun EAC-Staaten wie Ruanda, Uganda und Tansania, die sich von diesem Importstopp viel versprechen, jedes Jahr die Importsteuer. Ziel sei es, die Nachfrage nach lokal hergestellten Textilien zu erhöhen und damit den regionalen Textilsektor wiederzubeleben. Dies solle nicht nur die Wirtschaft ankurbeln, sondern vor allem Arbeitsplätze schaffen, erklärt Ugandas Handelsministerin Amelia Kyambadde. „Während wir schrittweise die Steuern auf gebrauchte Textilien erhöhen, laden wir gleichzeitig Investoren ein und ermutigen ugandische Unternehmen, in die Textilverarbeitung zu investieren, denn wir haben wirklich enormes Potenzial,“ so Kyambadde, „das ist der beste Weg, Arbeitsplätze zu schaffen.“

„Made in Uganda“ – Fertigung für den deutschen Markt

„Cotton made in Africa“ steht auf dem weinroten T-Shirt, das Joseph Wafula hochhält. Der ugandische Ingenieur steht in einer großen Fabrikhalle, in der Stoffbahnen zurechtgeschnitten werden: die Rundungen des Kragens, die Ärmel: „Das muss alles auf den Millimeter genau passen, damit wir so wenig Ausschuss wie möglich erzeugen“, so Qualitätsprüfer Wafula. Auf seinem Tisch türmen sich gelbe, grüne, blaue und rote T-Shirts. Aus der Halle nebenan hört man das Klackern der Spinnerei-Maschinen, die meisten von deutschen Herstellern.

Die Fabrik „Finespinners“ ist die modernste Produktionsstätte im Land. Mittlerweile sind darin mehr als 1.000 Ugander beschäftigt, die meisten Frauen. „In Uganda zu produzieren war eine strategische Entscheidung“, erklärt Jasvinder Bedi, Direktor von „Finespinners“. „Wir haben die Produktion in Kenia dichtgemacht und sind nach Uganda gezogen, weil wir näher an den Baumwollfeldern dran sein wollten, um die Transportkosten zu senken“, sagt er. Der Kenianer mit indischen Wurzeln wuchs in einer Unternehmerfamilie auf, die seit der Kolonialzeit in Ostafrika Textilien fertigt. „Seitdem die indische und asiatische Textilmanufakturen mehr für ihren eigenen Markt produzieren, suchen europäische und US-amerikanische Kleiderketten wieder Hersteller anderswo auf der Welt“, erklärt er – zum Beispiel in Uganda.

Die Frau hat ein passendes T-Shirt auf dem Owino-Markt gefunden.

Der deutsche Hersteller „S.Oliver“ aus Unterfranken hat jüngst T-Shirts als Test-Auftrag bestellt, „um den Lieferanten kennenzulernen“, so dessen Pressesprecherin Carolin Mäder, Pressesprecherin. Auch die Otto-Gruppe bezieht einen Teil ihrer T-Shirts aus Uganda, bestätigt die Presseabteilung. „Der Kontinent Afrika spielt für die Otto Group wegen der Initiative „Cotton made in Africa“ eine besondere Rolle“, so Nicole Sieverding, Sprecherin der Otto-Gruppe.

Diese Initiative wurde 2005 unter der von Firmengründer Michael Otto ins Leben gerufenen Stiftung „Aid for Trade“ mit Sitz in Hamburg gestartet. Nach dem Zusammensturz der Fabrikhalle Rana Plaza in Bangladesch 2013, bei dem mehr als 1.000 Menschen ums Leben kamen, wurden in den europäischen Medien die grausamen Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit in den asiatischen Spinnereien publik. Hersteller wie die Otto-Gruppe mit ihren Textilmarken Otto und Bonprix zogen deswegen weiter: nach Ostafrika, nach Äthiopien und Uganda. Hier sind Arbeitskräfte sogar noch billiger als in Bangladesch. Und die Lieferketten vom Baumwollfeld bis zu fertigen T-Shirt lassen sich besser überwachen, so Tina Stridde von der „Aid by Trade Foundation“.

Vom Baumwollfeld in Kasese in Westuganda bis zur Fabrik sind es rund 600 Kilometer. Am Eingangstor von „Finespinners“ hängt ein großes Schild: Keine Kinderarbeit. Die Cotton-made-in-Africa Initiative garantiere den Kunden Transparenz, so Sieverding von Otto: „Mit Blick in die Zukunft muss es nun allerdings das Ziel sein, die Verarbeitungskette in Afrika weiter aufzubauen, damit der Kontinent nicht nur Rohstoffe liefert, sondern auch an deren Weiterverarbeitung partizipiert.“ „Finespinners“ sei für diesen entwicklungspolitisch wichtigen Aspekt ein gutes Beispiel.

Schneiderin – eine Ausbildung mit Chancen

Vor allem die Frauen in Uganda freut das. Denn der Importstopp beschafft ihnen Arbeit: Schneiderin Pauline Nabukeera klemmt ein Stück bunten Stoff unter den Fuß ihrer Nähmaschine und treibt mit ihrem eigenen Fuß das Pedal an. In feinen Zickzackstichen näht sie den Ärmel eines Kleides an, das eine Kundin für eine Hochzeitsfeier bestellt hat. Nabukeeras 17-jährige Tochter Patricia Nabunna sitzt daneben, schneidet das Tuch zurecht, aus welchem der Rock gefertigt werden soll.

Scheiderin Pauline Nabukeera (links) mit ihrer Tochter Patricia.

Nabukeera unterhält in Kampalas ärmlichen Vorstadtviertel Kamwokya nicht nur eine gut laufende Schneiderei, sondern auch eine kleine Berufsschule: „Parovic“ heißt sie. Über 20 junge Schneiderinnen trainiert sie im Schichtbetrieb, wie sie nicht nur Löcher in billigen T-Shirts stopfen, sondern traditionelle Hochzeitskleider und die in Uganda typischen Umhänge, „Kanzu“, für Männer fertigen.

Nabukeera lächelt zufrieden, denn sie ist ihr eigener Chef und hat genug zu tun, um ihre Kinder in die Schule zu schicken. „Schneidern ist ein wirklich guter Beruf für uns Frauen, denn ich kann das Baby hier in meine Werkstatt mitnehmen, die Kunden haben immer einen Anlass, eine Hochzeit oder eine Beerdigung, zu der sie etwas brauchen. Ich verdiene gut“, sagt sie. Das ist eine Seltenheit auf einem Kontinent, auf dem die Mehrheit der jungen Menschen keine Arbeit findet, selbst nicht die gut ausgebildeten.

Tochter Patricia hat flinke Finger. Sie erzählt kess, dass sie eben ihre Sekundarschule beendet hat, jetzt Modedesign studieren will und zeigt eine mit Perlen bestickte Handtasche: „Ich entwerfe ständig neue Sachen und wenn bald der Importstopp gilt, dann will ich meine eigene Boutique aufmachen“, sagt sie mit strahlenden Augen. Die Mutter lächelt stolz: „Der Importstopp kann eine gute Chance für uns sein.“

 

 Hintergrund:

Bereits zu Kolonialzeiten, genauer seit 1903, ließen die britischen Kolonialherren in Uganda Baumwolle anpflanzen, die dann im Nachbarland Kenia gesponnen und verwebt und anschließend nach Liverpool verschifft wurde, dem größten Hafen in England. Von dort aus ging es weiter nach Manchester, dem Herz der englischen Textilindustrie jener Zeit. Von 1930 an investierten Inder, die ursprünglich von den Briten zum Bau der Eisenbahn nach Ostafrika geholt worden waren, in die ersten Spinnereien in Uganda selbst. Bis weit nach der Unabhängigkeit Ugandas 1962 boomte die Baumwollverarbeitung.

Doch während der Zeit von Diktator Idi Amin, der 1972 die Inder aus dem Land warf, kollabierte die Wirtschaft – und mit ihr der Textilsektor. Seitdem gab es lange nur noch drei Spinnereien im Land, die hauptsächlich Uniformen für Schüler, Polizisten und Soldaten fertigten. Tausende Arbeitsplätze gingen verloren. Ugandas Baumwolle wurde zum Großteil unverarbeitet nach Asien exportiert, um in Bangladesch oder Thailand verwoben zu werden. In Zukunft, so Ugandas Industrialisierungsplan, soll die Verarbeitung wieder in Uganda Arbeitsplätze schaffen – vor allem für Frauen.  

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Von Simone Schlindwein, Kampala

Simone Schlindwein ist die Afrika-Korrespondentin für die tageszeitung in der Region der Großen Seen. Außerdem arbeitet sie regelmäßig für die ARD und die Deutsche Welle. Seit 2008 berichtet sie vor allem über den Kongo, die Zentralafrikanische Republik, den Südsudan, Uganda, Ruanda und Burundi. Mehr: http://simoneschlindwein.blogspot.de.

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