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„Mein Bauch gehört mir“
Ungewollt schwanger in der Corona-Krise

20. Mai 2020 | Von Sarah Tekath
#ooknubaasineigenbuik soll daran erinnern, dass das Recht auf Abtreibung auch in der Krise gilt. Foto: Sarah Tekath

In den Niederlanden ist ein Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Bedingungen legal, aber aktuell steht nicht das Gesetz, sondern die Corona-Krise der praktischen Ausführung im Weg. Viele Frauen haben aus verschiedenen Gründen schlicht keinen Zugang zu Abtreibungskliniken. Eine Petition soll das jetzt ändern.

Von Sarah Tekath, Amsterdam

Trix ist verzweifelt. In Zeiten von Corona ist die alleinerziehende Mutter, die lieber anonym bleiben will, mit ihren Kindern daheim. Eine ihrer Töchter zeigt Krankheitssymptome, sodass Trix auch offiziell den Kontakt mit anderen Menschen vermeiden muss. Hinzu kommt eine weitere Sorge: Trix ist schwanger, hat aber entschieden, dass sie das Baby nicht bekommen möchte. Das Problem: Arzttermine kann sie momentan nicht wahrnehmen.

In ihrer Verzweiflung wandte sich Trix an „Women on Waves“. Die Amsterdamer Organisation unterstützt seit Jahren Frauen in ihrem Recht auf Abtreibung. Betroffenen, die nicht in den Niederlanden leben, hilft „Women on Waves“, indem sie Eingriffe auf Schiffen in internationalen Gewässern anbietet, um nationale Gesetzeshürden zu umgehen. Das stößt allerdings immer wieder auf Widerstand der jeweiligen Länder, die das als Angriffe auf ihre Gesetzgebung verstehen.

Die Abtreibungsklinik in Amsterdam ist für Frauen mit Symptomen nicht zugänglich.

Im Normalfall haben Frauen in den Niederlanden die Möglichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft bis zur 22. Schwangerschaftswoche abzubrechen. Nach Angaben der „Patientenföderation Niederlande“ stehen dafür im Land 14 Kliniken zur Verfügung – etwa in den großen Städten Amsterdam, Rotterdam, Groningen, Almere oder Utrecht. Allerdings schreibt das niederländische Gesetz verpflichtend vor, dass eine Frau nach einer offiziellen ärztlichen Bestätigung der Schwangerschaft ab der sechsten Schwangerschaftswoche eine Bedenkzeit von fünf Tagen abwarten muss, bevor der Eingriff vorgenommen werden kann.

Danach bekommt die Schwangere Abtreibungspillen verschrieben und wird in eine der Abtreibungskliniken überwiesen. Dort nimmt die Patientin die erste Tablette unter Aufsicht, die folgenden 48 Stunden später daheim. Das niederländische Gesetz besagt nämlich, dass die erste Abtreibungspille in einer Einrichtung eingenommen werden muss, der es rechtlich gestattet ist, Abtreibungen durchzuführen.

In Zeiten von Corona möchten Frauenrechtsorganisationen dieses Vorgehen nun dringend anpassen. Allerdings ist ein medikamentöser Abbruch ohnehin nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche möglich – danach wird ein ambulanter Eingriff in einer der Abtreibungskliniken unumgänglich.

Vor Gericht gezogen

Um Frauen wie Trix zu helfen haben sich „Women on Waves“ und die Frauenrechtsorganisation „Bureau Clara Wichmann“, die sich seit mehr als 30 Jahren für eine bessere gesellschaftliche und juristische Situation von Frauen einsetzt, zusammengeschlossen. Für Trix gingen sie am 10. April vor Gericht und forderten, dass in Zeiten von Corona die Abtreibungspille den Frauen per Post zugesandt werden soll. Teil dieser Notlösung sollte eine sogenannte „Tele-Betreuung“ sein, wobei Ärzt*innen die Frauen telefonisch unterstützen können.

Beraterin Linde Bryk unterstützt Trix.

Das zuständige Gericht in Den Haag wies den Vorschlag ab – mit der Begründung, dass Abtreibungskliniken im Land nach wie vor zur Nutzung offenstehen und dass sie gewisse Qualitätsstandards im Prozess der Abtreibung einhalten wollen. „Würde ein Arzt nun eigenmächtig entscheiden, der Patientin die Pille nach Hause zu schicken, drohen im schlimmsten Fall vier Jahre Gefängnis“, sagt die strategische Beraterin Linde Bryk. Zwar sei nicht sicher, ob die zuständigen Behörden die Tat wirklich verfolgten, aber darauf wolle es kein Arzt wirklich ankommen lassen.

Abtreibungskliniken für viele Frauen unerreichbar

Abtreibungskliniken sind in den Niederlanden aktuell zwar geöffnet, aber für viele Frauen unerreichbar. Dem „Bureau Clara Wichmann“ in Amsterdam sind derzeit 19 Fälle wie der von Trix bekannt. „Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich viel höher“, erklärt Bryk. „So können beispielsweise Frauen, die umgeben sind von häuslicher Gewalt und ungewollt schwanger werden, nicht einfach zum Telefon greifen und eine Hotline anrufen, ohne dass es der Partner merkt. Deshalb können wir nicht einschätzen, wie viele Frauen wirklich betroffen sind, und wie groß die Gefahr für die Frauen ist, sollte der Partner von den Abtreibungsplänen erfahren.“

Hinzu käme noch, dass es Regionen in den Niederlanden gebe – zum Beispiel in Friesland, Zeeland oder auf den Inseln im Wattenmeer – wo es keine entsprechenden Kliniken gebe. Die mehrstündige Abwesenheit werde bemerkt, erklärt Bryk, nicht nur bei Frauen, die von ihren Partnern kontrolliert werden, sondern zum Beispiel auch bei Teenagern, die ihren Familien nichts von der Schwangerschaft sagen möchten.

Außerdem bringe eine lange Anreise mit Bus, Bahn oder Fähre ein erhöhtes Risiko mit sich, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren. Für Frauen, die selbst Corona-Symptome haben oder wie Trix in einem Haushalt mit jemanden leben, der Symptome hat, sei ein Besuch von einer Abtreibungsklinik ohnehin keine Option, da die Gefahr zu groß sei, jemanden anzustecken.

Petition fordert Notstandslösung

Auf diese Problematik will die politische Jugendorganisation „Grünlinke Jugend“ (DWARS) aufmerksam machen und fordert nun die Regierung dazu auf, eine schnelle und unbürokratische Lösung zu finden. Auf Instagram schreibt die Organisation: „Unsere Mütter und Omas haben für das Recht gekämpft, selbst über ihren Bauch entscheiden und abtreiben zu dürfen. Menschen, die schwanger sind und mit jemandem mit Covid-19-Syptomen zusammenwohnen, dürfen keine Abtreibungsklinik besuchen.“

Joelle hat mit DWARS die Petition und den Hashtag #ooknubaasineigenbuik gestartet (Foto: privat).

Joelle Canisius ist Mitglied von DWARS und sagt: „Ich war so wütend, als ich davon erfuhr, dass der Antrag abgewiesen wurde, die Abtreibungspille per Post zu versenden. Das ist eine Schändung von Frauenrechten. 50 Jahre wurde dafür gekämpft und nun wird das Abtreibungsrecht in der Krise einfach ausgesetzt. Deswegen haben wir schon am Tag nach dem Gerichtsbeschluss eine Online-Petition gestartet.“ Normalerweise dauere es knapp zwei Wochen, eine politische Aktion zu planen, aber dieses Mal ging es deutlich schneller.

Bislang wurden online mehr als 15.000 Stimmen gesammelt. Allerdings betont Joelle Canisius, dass die Petition nicht explizit das Versenden der Abtreibungspille einfordere: „Uns geht es nicht um diese spezielle Methode. Wir wollen einzig eine schnelle Lösung für die Zeit von Corona. Welche Variante die beste ist, müssen Expert*innen entscheiden.“

Canisius vermutet, dass die Kliniken momentan lieber keine Position einnehmen möchten. Allerdings sei ihrer Meinung nach den Entscheider*innen das Ausmaß des Problems nicht bewusst. „Sie glauben vermutlich, dass es nur wenige Frauen betrifft, wodurch ein Handeln nicht unbedingt nötig wird“, sagt sie. Bei den Frauen handele es sich demnach um eine unsichtbare Gruppe, weil oft auch Scham hinzukäme, denn nicht jede wolle in aller Öffentlichkeit eine Abtreibung einfordern. Auch darauf soll die Petition aufmerksam machen.

#AuchjetztgehörtmeinBauchmir

Deshalb hat die politische Jugendorganisation den Hashtag #ooknubaasineigenbuik, zu Deutsch „Auch jetzt gehört mein Bauch mir“, gestartet, bei dem Frauen ihren Bauch mit dieser Aufschrift in die Kamera halten und die Fotos auf Instagram posten. Die Aktion ist angelehnt an die niederländische Feministinnengruppe „Dolle Mina’s“, die sich in den 1970er Jahren mit ähnlichen Aufschriften auf dem Bauch fotografieren ließen, um ein Abtreibungsrecht einzufordern. Joelle Canisius glaubt an die Bedeutung solcher öffentlichen Aktion: „Wir zeigen, dass wir so eine Situation im Jahr 2020 nicht mehr akzeptieren. Unser Recht auf Abtreibung kann uns nicht weggenommen werden.“

Mittlerweile hat sich auch die Politikerin Lilianne Ploumen von der sozial-demokratischen Arbeiterpartei eingeschaltet und fragte Gesundheitsminister Hugo de Jonge öffentlich, ob er eine Lösung – wie in Großbritannien – in Erwägung ziehe, wo Abtreibungspillen bis zur 10. Schwangerschaftswoche zu Hause eingenommen werden können, ohne dass vorher ein Besuch eines Krankenhauses oder einer Abtreibungsklinik nötig sei. Eine Reaktion des Ministers blieb bisher aus. Wenn die Frauen die 22. Schwangerschaftswoche überschritten haben, ist eine Abtreibung nicht mehr erlaubt. Für Trix könnte es schon deshalb schon bald zu spät sein.

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Von Sarah Tekath, Amsterdam

Sarah Tekath kommt ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, hat zwei Jahre in Prag gelebt und schrieb dort als Freie für die Prager Zeitung und das Landesecho. Im Jahr 2014 zog sie nach Amsterdam, wo sie unter anderem für das journalistische Start-up Blendle arbeitete. Seit 2016 ist sie selbständige Journalistin und kümmert sich, gemeinsam mit Helen Hecker, um unseren Instagram-Kanal.

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Sabrina ProskeMünchen
Saado Ali* ist eine junge Mutter aus Nordsomalia. Sie flieht hochschwanger mit ihrem kleinen Sohn Yusuf vom Krieg. Zwischen provisorischen Zelten und Planen setzen plötzlich ihre Wehen ein. Mit uns spricht sie erstmals über ihre Erfahrungen als Schwangere in einem Kriegsgebiet.

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