Frauen haben in Deutschland trotz Quote und aller Bemühungen auch 2025 weniger Macht als Männer. So besetzen sie weniger Führungspositionen im Vergleich zu anderen EU-Ländern. Aber: Woran liegt das? Wir haben die aktuelle Lage für euch analysiert.
Zusammenfassung:
In deutschen Chefetagen bleiben Frauen trotz Quotenregelung unterrepräsentiert – nur jede vierte Vorstandsposition im DAX ist weiblich besetzt. Ursachen sind strukturelle Ungleichheit, unbewusste Vorurteile und männliche Seilschaften. Female Headhunter wie Regina Lindner sehen jedoch Chancen durch demografischen Wandel und fordern gezielte Förderung weiblicher Talente als Schlüssel für eine diverse und erfolgreiche Unternehmensführung.
Von Anne Klesse, Hamburg
Allein vier Christians, vier Olivers, drei Mal Markus und viele andere männlich gelesene Vornamen – aber nur drei weibliche: So stellt es sich dar, wenn man die Liste der aktuellen Vorstandsvorsitzenden der 40 DAX-Unternehmen durchgeht. Der Anteil an Frauen in den Vorständen steigt dort zwar seit Jahren, lag zuletzt aber dennoch nur bei 25 Prozent.
Überhaupt sind in Deutschland weniger Führungspositionen von Frauen besetzt als in anderen EU-Ländern – hier ist nur jede dritte Führungskraft eine Frau. Fehlende Gleichberechtigung ist weltweit ein Problem. Laut Statistischem Bundesamt rangiert die Bundesrepublik allerdings weit abgehängt im unteren Drittel Europas – EU-weit liegt der Durchschnitt bei über 35 Prozent.
Bei Spitzenreiter Lettland sind es sogar 45 Prozent; in Polen, Schweden, Bulgarien und Estland liegt die Quote bei über 40 Prozent. Im September 2024 war jedes fünfte Vorstandsmitglied in den 160 deutschen Börsenunternehmen eine Frau. Das ist zwar ein leichter Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr, jedoch sind die höchsten Positionen an der Spitze der Vorstände und Aufsichtsräte weiterhin fast ausschließlich mit Männern besetzt – zu beinahe 100 Prozent.

Zur Verdeutlichung: Bei den insgesamt 46 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland machen Frauen einen Anteil von 47 Prozent aus, also beinahe die Hälfte. Denselben Anteil an Entscheidungsgewalt haben sie bei Weitem nicht. Dabei gilt seit 2016 hierzulande eine Quote – bei der Neubesetzung von Aufsichtsräten börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen müssen 30 Prozent Frauen durchgesetzt werden.
Seit 2022 muss bei großen Firmen mit Vorständen, die mehr als drei Mitglieder haben, außerdem mindestens eine Frau ins Führungsgremium. Dieses Vorhaben – obwohl niedrig angesetzt in Anbetracht der Geschlechterverteilung unter den Erwerbstätigen – scheint an vielen Stellen einfach aus dem Sichtfeld der breiten Masse – und der Verantwortlichen – zu verschwinden.
Im Personen- und Güterverkehr sind Frauen am Mächtigsten
Doch es gibt sie, diejenigen, die das Thema auch 2025 weiter umtreibt und die etwas verändern wollen. Die international arbeitende HUNTING/HER Personalberatung mit deutscher Repräsentanz in Düsseldorf hat sich des Themas angenommen. Seit 2007 ist die Headhunting-Agentur auf Frauen spezialisiert, um sie in die Top-Jobs zu bringen. HUNTING/HER-Managing Partnerin Regina Lindner weiß: „Es gibt zwar deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen, aber trotz gesetzlicher Maßnahmen und Initiativen zur Förderung von Frauen in Führungspositionen ist der Anteil weiterhin zu niedrig.“
Laut Hans-Böckler-Stiftung arbeiten Frauen in 26 von 34 Branchen seltener in leitender Stellung als Männer. Dabei gibt es seit Jahren mehr BWL-Absolventinnen als BWL-Absolventen. Die meisten Führungspersonen haben Wirtschaftswissenschaften studiert. Besonders ausgeprägt sei die Ungleichheit aber im Bereich Erziehung und Unterricht, wo demnach 50 Prozent der Männer, jedoch nur 28 Prozent der Frauen eine Leitungsposition haben.
„Der einzige Bereich, in dem Frauen die Nase vorn haben, ist der Personen- und Güterverkehr“, heißt es dort. Bemerkenswert: Seit fünf Jahren ist Sigrid Nikutta Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG und auch im Vorstand der Deutschen Bahn AG für den Bereich Güterverkehr.

Doch: Woran liegt das?
„Auch wenn sich viele Unternehmen für Diversität einsetzen, können unbewusste Denkmuster immer noch vorhanden sein. Man nennt das unconscious bias“, erklärt Expertin Regina Lindner. Das führe dazu, dass männliche Führungskräfte im Zweifel doch auf den männlichen Bewerber zurückgreifen würden. In besonders männerdominierten Branchen tun sich einige Unternehmen auch heute noch schwer mit der Ausrichtung auf eine diverse Unternehmenskultur, so Lindner.
„Viele Unternehmen sind sich dessen bewusst, aber eine derart tiefgreifende Transformation der Unternehmenskultur gelingt kaum in kürzester Zeit. Hier ist echtes Commitment seitens der Unternehmensführung gefragt.“ Dabei gibt es etliche Studien, die deutlich machen, dass divers besetzte Teams erfolgreicher sind. Eine Europäische Studie der Beratungsfirma McKinsey & Company zeigte beispielsweise, dass Unternehmen mit gemischten Führungsteams eine über 60 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, überdurchschnittlich profitabel zu sein.
Gemischte Führungsteams sind erfolgreicher
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer hat „Beschäftigung von Frauen erhöhen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken“ als eine der Leitlinien definiert, die das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen sollten. In dem Papier zu „Wirtschaftlichen Positionen der DIHK“ heißt es: „Umfängliche und möglichst kontinuierliche Erwerbsarbeit fördert zudem die Chancengleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Denn sie unterstützt unter anderem eine stärkere Präsenz von Frauen in Führungspositionen ebenso wie die Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern.“
Das Problem sind bekanntlich neben der fehlenden Teilhabe auch die Verdienstunterschiede. Laut Hans-Böckler-Stiftung liegt der sogenannte „Gender Pay Gap“ beim Vergleich der Bruttostundenlöhne zwischen zwei Prozent in den Arbeitsfeldern Wasser- und Abfallentsorgung und 30 Prozent in Kunst, Unterhaltung und Erholung. Bei der ausschließlichen Betrachtung von Vollzeitbeschäftigung schneiden Frauen nur in zwei Branchen – dem Personen- und Güterverkehr sowie den Postdiensten – beim Stundenlohn geringfügig besser ab als die Männer.

Vor allem Skills in Change-Management sind gefragt
Headhunterin Lindner hat den Eindruck, dass Unternehmen die Gleichstellung als zentralen Erfolgsfaktor für Ausbau und Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit erkannt haben und die spezialisierten Headhunter*innen deshalb mit der Suche nach passenden Führungsfrauen beauftragen. Der „Female Executive Search“, wie sie es nennt, unterscheide sich in einigen Punkten deutlich von der generalistischen Suche: Für eine erfolgreiche Suche sei eine „frühzeitige, authentische und absolute Fokussierung“ und die Nähe zur Zielgruppe – den Führungsfrauen – entscheidend.
Abgesehen von den konkreten Anforderungen der jeweiligen Stelle und Branche forderten Unternehmen von ihren Führungskräften unter anderem Skills wie Entscheidungskompetenz, situationsgerechte Problemlösungskompetenz und unternehmerisches Denken. „Wichtige Schwerpunkte liegen auch im Bereich des Krisen- und Change-Managements und natürlich im Umgang mit der Implementierung der künstlichen Intelligenz. Die Persönlichkeit sollte wertschätzend sein, offen und vertrauenswürdig.“ Aktuell werden also vor allem Führungsfrauen gesucht, die sich um Veränderungsprozesse in Unternehmen kümmern.
Internationale Unternehmen achten weniger auf Diversität
Bei einem Trend haben Frauen offenbar wenig mitzureden. Prominente US-Konzerne wie Meta oder McDonald‘s kündigten an, ihre Diversitäts- und Chancengleichheitsprogramme zurückzufahren oder sogar komplett auszusetzen. Auch Aldi Süd soll in dem Zuge sein Bekenntnis zu Diversität von seiner US-Karriereseite entfernt haben. Inwiefern weitere deutsche Unternehmen nachziehen – und ob das dann auch die Karrierechancen von Frauen betreffen wird, muss sich noch zeigen.
In einer Studie des ZEW Mannheim, der Technischen Universität München und der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung identifizierten die Forschenden zwei Effekte: Je höher der Frauenanteil in Führungspositionen in einem Unternehmen bereits ist, desto unwahrscheinlicher ist die Besetzung einer Führungsposition mit einer weiteren Frau. Wissenschaftler*innen nennen es „Sättigungseffekt“.
Und zweitens: Die Chance der Beförderung einer Frau in eine Führungsposition ist höher, wenn eine andere Frau aus der Führungsposition ausscheidet – der sogenannte „Ersetzungseffekt“. Die Studie zeigte, dass Männer häufiger in Spitzenpositionen befördert werden, während Frauen eher auf Führungspositionen mit geringerem Einfluss landen. Deshalb, so heißt es dort, machten Quoten dann Sinn, „wenn sie nicht zu Alibibesetzungen einladen.“

Weibliches Potenzial als wertvolle Ressource
Was gibt Hoffnung? Vielleicht spielt die Zeit den Frauen in die Karten. Denn: Schon aufgrund der demografischen Entwicklung könnten Unternehmen hochqualifizierte weibliche Führungskräfte nicht ausschließen. In Deutschland nimmt die Zahl der Menschen im Erwerbsalter insgesamt ab. Selbst wenn sehr viel mehr Personen ins Land kommen als fortziehen, würden laut Statistischem Bundesamt schon Mitte der 2030er-Jahre 1,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 66 Jahren fehlen.
Derzeit stehen demnach knapp 94 Prozent der Männer zwischen 40 und 44 Jahren sowie gut 84 Prozent der Frauen gleichen Alters dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Und die Arbeitnehmenden werden im Schnitt immer älter: Waren 2011 noch 17,5 Prozent der Erwerbspersonen 55 Jahre und älter, so lag ihr Anteil 2023 schon bei mehr als einem Viertel. In den kommenden Jahren werden geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen und weniger geburtenstarke Jahrgänge nachkommen.
Männer haben Seilschaften, Frauen Netzwerke
Vielleicht – so die Hoffnung mancher Expertin – werden diese Entwicklungen und auch Impulse von aus dem Ausland eingewanderten Arbeitskräften neuen Schwung für die Förderung weiblicher Führungskräfte bringen. Recruiterin Lindner empfiehlt Unternehmen, „das vorhandene weibliche Potenzial als eine eigenständige, wertvolle Ressource“ zu betrachten und diese im Rahmen eines gezielten Talentmanagements zu entwickeln, um sie auch langfristig im Unternehmen halten und fördern zu können.
Eine entsprechende Unternehmenskultur und ein Commitment des Top-Managements seien dazu unabdingbar. Bisher deuten Studien wie von der deutsch-schwedischen Allbright-Stiftung tatsächlich darauf hin, dass Frauen eher rekrutiert als intern gefördert werden. Es sei noch viel zu tun, um die Geschlechtergleichheit durchzusetzen, heißt es bei der Hans-Böckler-Stiftung. „Dazu beitragen könnte ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, das Unternehmen verpflichtet, Gleichstellungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen.“
Darüber hinaus empfiehlt die Stiftung einen angemessenen Mindestlohn. Von diesem würden Frauen besonders profitieren. Und: „eine Stärkung der Mitbestimmung“. Die Hoffnung dahinter: Frauen befördern eher Frauen als Männer es tun. Ob das tatsächlich immer so ist, muss man sehen. Es heißt, Männer haben ihre Seilschaften, Frauen Netzwerke. Sie spinnen also Verbindungen in alle Richtungen – und ziehen nicht unbedingt nachkommende Frauen mit hoch.

Du magst unsere Geschichten über inspirierende Frauen weltweit und willst uns AKTIV unterstützen? Darüber freuen wir uns! Entweder wirst du ab 5 Euro im Monat Mitglied bei Steady (jederzeit kündbar) oder lässt uns eine Direktspende zukommen. Wir sagen: Danke, dass du deinen Beitrag leistest, damit guter Journalismus entstehen und wachsen kann.