Wie sieht Journalismus aus, der nicht nur Probleme aufzeigt, sondern auch die Wege zu ihrer Lösung? Beim Constructive World Award 2025 in Berlin wurden genau solche Beiträge ausgezeichnet – darunter die Reportage unserer Korrespondentin Helen Hecker über eine KI-gestützte Mülltonne gegen Lebensmittelverschwendung. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.
Von Helen Hecker, Berlin/Palermo
Zusammenfassung:
Beim diesjährigen Constructive World Award 2025 im Fotografiska Berlin wurden herausragende Beiträge des konstruktiven Journalismus ausgezeichnet – darunter auch eine Reportage von Helen Hecker erstmals erschienen bei DEINE KORRESPONDENTIN. Der Abend würdigte journalistische Arbeiten, die Perspektiven aufzeigen statt nur Probleme zu benennen – mit einem starken Fokus auf Beiträge von Frauen. Zudem gingen in sechs von sieben Kategorien die Auszeichnungen an Journalistinnen – ein starkes Signal für die Sichtbarkeit von Frauen im Medienbetrieb. Neben eindrucksvollen Bewegtbildproduktionen wurde auch eine Print-Reportage der Reportergemeinschaft Zeitenspiegel prämiert, die damit ein Signal für die Bedeutung freier und tief recherchierter Berichterstattung gibt.
Es gibt diese seltenen Momente, in denen sich alles richtig anfühlt – selbst in einem oft fordernden Job wie unserem. Zwischen Recherchealltag, Deadlines und gelegentlichen Zweifeln gerät leicht aus dem Blick, wofür all die Mühe eigentlich steht – bis ein Abend wie Es gibt diese seltenen Momente, in denen sich alles richtig anfühlt – selbst in einem oft fordernden Job wie unserem. Zwischen Recherchealltag, Deadlines und gelegentlichen Zweifeln gerät leicht aus dem Blick, wofür all die Mühe eigentlich steht. Bis ein Abend wie dieser deutlich macht, worum es im Journalismus wirklich gehen kann. Vergangene Woche stand ich mit vielen anderen großartigen Kolleg*innen auf der Shortlist für den Constructive World Award 2025 im Fotografiska Berlin – nominiert für meine Reportage über die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung dank Künstlicher Intelligenz, die erstmals bei DEINE KORRESPONDENTIN veröffentlicht wurde.

Ein Abend für lösungsorientiertes Erzählen
Der Constructive World Award, ausgerichtet von FOCUS online und BurdaForward, würdigt journalistische Arbeiten, die nicht nur Probleme dokumentieren, sondern zeigen, wie Menschen ihnen begegnen – klug, kreativ und mit persönlichem Engagement. Als ich meine Reportage über die beiden Schweizer Unternehmerinnen Anastasia Hoffmann und Naomie McKenzie schrieb, war mein Ziel, zu zeigen, wie viel Potenzial in technischer Innovation und Unternehmertum stecken kann, wenn sie mit Haltung und Verantwortung verbunden sind. Ihre Firma KITRO hat eine KI-gestützte Lösung entwickelt, um Lebensmittelverschwendung in Gastronomie und Hotellerie messbar und damit vermeidbar zu machen.
Am Ende ging der Preis in der Kategorie “Economic Life” verdient an die eindrucksvolle Bewegt-Reportage von Verena Garrett über die Klimaschäden in Malawi. Für mich blieb dennoch das Gefühl, dass sich die Arbeit an solchen Geschichten lohnt und dass sie gesehen wird.
Konstruktiver Journalismus: Mehr als nur ein Konzept
Konstruktiver Journalismus bedeutet nicht, die Augen vor Problemen zu verschließen. Er ist kein Schönreden, sondern ein ernstzunehmender Versuch, Zusammenhänge zu erklären, Perspektiven sichtbar zu machen und Inspiration zu geben. Nicht selten werden Themen heute nach Wortgewalt und Reichweitenpotenzial ausgewählt. Dabei besteht oft kaum Raum für Fakten, Kontext und alternative Handlungsvorschläge. Genau diese machen jedoch eine informrierte Öffentlichkeit erst möglich.
Lösungsorientierte Texte, Hör- und Videobeiträge schaffen dagegen das, was vielen Debatten fehlt: Sie fördern Vertrauen und Gemeinschaftsgefühl und liefern konkrete Ansätze, wie gesellschaftliche Probleme gelöst werden können. Egal ob es um innovative Pflegekonzepte, Bildungsprojekte in benachteiligten Regionen, nachhaltige Landwirtschaft, oder neueste Technologien zur Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung geht – konstruktiver Journalismus zeigt, was möglich ist. In einer polarisierten Welt, in der Argumente oft in der Lautstärke ideologischer Grabenkämpfe untergehen, ist das nicht bloß ein Nice-to-have, sondern ein demokratisches Fundament.

Frauen verdient im Rampenlicht
Ein weiterer Grund zur Freude an diesem Abend war, dass die Gewinner*innen in fünf von sechs Kategorien weiblich waren. Ein starkes und ermutigendes Zeichen in einer Branche, in der Führungspositionen und Preise oft noch männerdominiert sind.
Schon vor Beginn der Preisverleihung wurde das Thema Frauen und Sichtbarkeit auf der Bühne verhandelt. Im Live-Podcast sprach Journalistin Tijen Onaran mit Bundestagspräsidentin Julia Klöckner über weibliche Vorbilder. Das Publikum horchte auf, als die Frau im zweithöchsten Amt des Staates die Männerdominanz im Koalitionsausschuss kritisierte und als skandalös bezeichnete: „Man hat den Eindruck, wenn es so richtig ernst wird, machen es die Jungs unter sich aus”, so Klöckner.
Wie tief strukturelle Ungleichheiten reichen – und wie sich Frauen dagegen wehren – zeigte später auch der ausgezeichnete Beitrag von Sophia Maier. In der Kategorie „Universal Empowerment” erhielt sie den Preis für ihre RTL-Dokumentation über Frauenhass und digitale Gewalt. Darin schildern Frauen aus dem öffentlichen Leben, wie Hasswellen, Drohungen und Gewaltfantasien ihre Freiheit massiv einschränken. Die Reportage analysiert nicht nur Ursachen und gesellschaftliche Muster, sondern zeigt auch konkret, mit welchen Mitteln sich Betroffene wehren können und welche Verantwortung Medien und Politik übernehmen müssen.
Die Journalistinnen Stella Koenemann und Annette Hoth wurden dagegen für ihre beeindruckende Plan-B-Reportage für das ZDF in der Kategorie „Fundamental Survival” ausgezeichnet. Ihr Beitrag erzählt von ehrenamtlichen Sterbebegleiterinnen wie der “Death Doula” Diane Roberts oder von Pflegekräften im Projekt „Ülenkinder“, das Eltern von pflegebedürftigen Kindern unterstützt. Einfühlsam und unaufgeregt zeigen die zwei Autorinnen, was es bedeutet, menschlich zu handeln, wo Systeme versagen.

Ein starkes Signal an unabhängigen Journalismus
Ein starkes Zeichen für die Relevanz von unabhängigem, sozial engagiertem Journalismus setzte auch der Beitrag „Wissen säen“ von Rike Uhlenkamp und Rainer Kwiotek, der in der Frankfurter Rundschau erschienen ist und die Slow Food Koordinatorin Mary Madalo Harawa porträtierte. Die Aktivistin bringt Kindern und Müttern in Malawi bei, wie sie selbst Gemüse und Obst anbauen können und fördert damit gesunde Ernährung, lokales Wissen und Selbstermächtigung.
Neben vielen hochwertigen Bewegtbildproduktionen war der Beitrag von Uhlenkamp und Kwiotek die einzige Print-Reportage, die an diesem Abend ausgezeichnet wurde. Die beiden Gewinner*innen gehören zur Reportergemeinschaft Zeitenspiegel – ein seit 40 Jahren bestehender Zusammenschluss freier Journalist*innen, der gleich fünf Nominierte für den Award präsentiert.
Strukturen und Kollektive wie Zeitenspiegel sind für uns Freie oft unverzichtbar: Sie ermöglichen, mit Sorgfalt, Ausdauer und thematischer Tiefe an Geschichten zu arbeiten – Werte, die im hektischen Medienalltag allzu leicht verloren gehen. Konstruktiver Journalismus setzt genau hier an und ist in unruhigen Zeiten wie diesen nötiger denn je.

Du magst unsere Geschichten über inspirierende Frauen weltweit und willst uns AKTIV unterstützen? Darüber freuen wir uns! Entweder wirst du ab 5 Euro im Monat Mitglied bei Steady (jederzeit kündbar) oder lässt uns eine Direktspende zukommen. Wir sagen: Danke, dass du deinen Beitrag leistest, damit guter Journalismus entstehen und wachsen kann.