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Kämpferin in Nordböhmen
Roma-Frau will Kommunalpolitik aufmischen

30. Januar 2019 | Von Peggy Lohse
Renata Adamová (rechts) mit ihrem Mann Ivo Adam in ihrer Heimatstadt Chomutov. Fotos: Peggy Lohse

Renata Adamová ist Romni, Mutter und Sozialarbeiterin in Tschechien. Nun will sie als Kommunalpolitikerin in ihrer nordböhmischen Heimat Chomutov das Sozialsystem verändern – als Stadträtin für eine rechtspopulistische Partei, die landesweit mit Anti-Roma-Parolen punktete. 

Von Peggy Lohse, Chomutov

Renata Adamová muss immer wieder zeigen, dass sie etwas kann. Als Romni, wie die Frauen der Roma-Minderheit heißen, und als Frau. Trifft sie auf fremde Menschen – Nicht-Roma, Tschechen – dann sagen Blicke oft mehr als Worte. „Sie gucken mich an und warten ab, was von mir kommt und wie ich mich gebe“, sagt Adamová, die sonst viel lächelt, genervt. „Wir sind hier geboren, unsere Eltern auch. Niemandem von uns Roma macht das Spaß, immer wieder zu beweisen, dass wir normal sind. Das ist so ermüdend!“

Als Kind wollte Renata Adamová Lehrerin werden. In der Schule war sie oft die einzige Romni in der Klasse. Roma-Kinder in Tschechien müssen wegen mangelhafter Sprachkenntnisse im Vorschulalter oft spezielle Fördergrundschulen besuchen. Adamová aber machte Abitur und eine Ausbildung zur Sozialassistentin. Seit zehn Jahren arbeitet sie nun schon bei der Hilfsorganisation „Světlo“, zu Deutsch Licht, in der Nähe von Chomutov. Heute ist sie 43 Jahre alt, Ehefrau, Mutter zweier erwachsener Töchter und stolze Großmutter. Sie ist eine leidenschaftliche Sozialarbeiterin und kümmert sich nicht zuletzt um andere Roma.

Von der Sozialassistentin zur Politikerin

Sie weiß, dass sie mit diesem Lebenslauf eine große Ausnahme ist. Neben ihrem Vollzeitjob sitzt sie in regionalen Expertenkommissionen für Minderheitenangelegenheiten. Das wäre für eine tschechische Frau schon ungewöhnlich, für eine Romni ist es geradezu außergewöhnlich. Viele Roma arbeiten in Tschechien, wenn überhaupt, in schlecht bezahlten, körperlich anstrengenden Jobs. Frauen oft als Reinigungskräfte, Männer auf dem Bau.

Und nun ist Adamová auch noch Politikerin: Anfang Oktober 2018 wurde sie für die populistische Partei ANO des umstrittenen tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš in den Chomutover Stadtrat gewählt. Mit mehr als 25 Prozent der Wählerstimmen ist ANO stärkste Kraft in der Kleinstadt und stellt zehn der insgesamt 35 Stadträte. Adamová ist nun eine von vier Stadträtinnen. Und: Die einzige Romni, wie einst in der Schule.

Das Perfide dabei: In den Nachbarstädten Ústí und Most machte ANO Wahlkampf mit Anti-Roma-Sprüchen wie „Stadt ohne Parasiten“. Republikweit kandidierten bei den Kommunalwahlen 170 Roma. Für ANO gerade einmal vier. „Ich habe Pro und Contra abgewogen und ehrlich gesagt sprach mehr dagegen. Aber es ist doch etwas Neues, die Sichtweise einer Romni in diese Partei einzubringen“, hofft sie. „Ich kann niemanden umkrempeln, aber vielleicht einige Vorurteile entkräften.“

Chomutov ist eine Industriestadt in Nordböhmen nahe der deutsch-tschechischen Grenze. Kohle- und Metallbetriebe bescherten der Stadt im 19. Jahrhundert eine schnelle Industrialisierung und gewissen Reichtum. Heute sind nur noch wenige in Betrieb. Immerhin: Die Wälder des nahen Erzgebirges erholen sich langsam. Die meisten Tourist*innen sind Deutsche, die hier günstiges Bier, deftiges Essen und billigen Sex suchen. Die sozialen Probleme in der 50.000-Einwohner-Stadt spitzen sich von Jahr zu Jahr weiter zu.

Hauptthemen für Sozialarbeiter*innen und Politiker*innen sind Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit. Jede*r Fünfte ist verschuldet – und zwar Tschechen genauso wie Roma. Sogenannte „wohngeldfreie Zonen“ befeuern den Mangel an erschwinglichem Wohnraum. 2017 führte sie das benachbarte Jirkov als erste Stadt Tschechiens ein. Chomutov selbst – bereits seit 2016 von ANO geführt – zog im Juli 2018 nach. ANO war die Partei, die die Zonen auch tschechienweit politisch durchbrachte.

Neue Mieter*innen jener „Zonen“-Straßen erhalten nun keinen staatlichen Wohnzuschuss mehr, auch wenn sie grundsätzlich Anspruch darauf haben. Betroffen sind Gegenden, in denen viele Bedürftige leben. Durchschnittlich 130 Euro Wohngeld beziehen laut dem aktuellen städtischen Planungskonzept für sozialen Wohnraum knapp 3.500 Personen. Bis zu 800 von ihnen droht in den „Zonen“ nun der Entzug des Zuschusses. Die Behörden wollen mit der Maßnahme angeblich einer Ghetto-Bildung vorbeugen. Dabei bestand diese Gefahr in Chomutov gar nicht: In der Stadt gibt es neun Brennpunkt-Viertel, die weit auseinanderliegen. Es ist eher so, dass durch die „Zonen“ die bedürftigeren Menschen aus dem Zentrum an den Stadtrand verdrängt werden. Das heißt, damit wird das Gegenteil des eigentlichen Ziels erreicht.

Adamová lebt mit Mann und Hund in einer modern renovierten Mietwohnung in Chomutov außerhalb der Zonen. Ihr Arbeitstag beginnt früh. Ab 6.30 Uhr ist sie im Büro, am Nachmittag bei den Klienten. Außerdem absolviert sie nebenbei ein Fernstudium. Die Energie schöpft sie durch ihre Familie: „Ohne meinen Mann würde ich das alles nicht schaffen. Er hat mir immer geholfen, gekocht, aufgeräumt und sich um die Kinder gekümmert.“ Seit 25 Jahren sind die beiden ein Paar.

Zu den „wohngeldfreien Zonen“ – und damit zu Adamovás größter Sorge – gehören sogenannte „Ubytovnas“, für typische Armenwohnheime in Tschechien. Das berüchtigtste der neun Heime in Chomutov ist das ehemalige Elisabeth-Krankenhaus, errichtet Anfang des 20. Jahrhunderts mit ausladender Eingangshalle, großen Fenstern, hohen Decken. Es gehört zwei Prager Unternehmern.

Eingangsbereich des Elisabeth-Wohnheims.

Anna Dančová wohnt seit zwei Jahren dort. Sie ist 66 Jahre alt, arbeitet 30 Stunden in der Woche als Putzfrau auf dem Busbahnhof und zahlt monatlich umgerechnet 154 Euro für ihr kleines Zimmer. Nun hat sie große Angst, dass das Heim bald schließen könnte. Es gehört seit Sommer 2018 nämlich auch in die besagte „Zone“. Darum wohnen hier immer weniger Menschen. „Wenn es schließt, dann bin ich obdachlos!“, sagt Dančová aufgebracht. Sie ist ein Beispiel von hunderten, die bald ihr Dach über dem Kopf verlieren könnten: entweder weil ihnen ohne staatliche Hilfen das Geld für die Miete fehlt oder weil ihre Unterkunft schließt. Genau darum will Adamová in die Kommunalpolitik: „Diese Probleme können nur im Stadtrat gelöst werden.“

Adamová nennt sich selbst eine Kämpferin: „Jetzt erwartet mich ein unglaublich schwerer Kampf in der Politik.“ Dabei will sie nicht auf Konfrontationskurs gehen: Sie ist kommunikativ, will vermitteln. „Ich spreche mit allen, sage niemandem ab.“ Die Frage ist, wie wird sie stimmen, wenn die „Zonen“ auf weitere tschechische Städte ausgeweitet werden sollen? „Ich weiß, ich kann nicht die Welt retten!“, sagt sie. Aber mehr Sozialwohnungen will sie bis zu den nächsten Wahlen auf jeden Fall erreichen.

Zunächst aber wartet sie auf das Verfassungsgericht, das bald entscheiden soll, ob die „Zonen“ überhaupt verfassungskonform sind. Wenn nicht, wäre das für Adamová ein willkommener Ausweg aus dem Dilemma zwischen den Fronten: den romafeindlichen Politiker*innen ihrer Partei und den Roma, die mehrheitlich skeptisch sind wenn es um Politik in ihrem Heimatland Tschechien geht.

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Von Peggy Lohse, Prag

Peggy Lohse war Redakteurin beim „LandesEcho“ in Prag. Zuvor war sie drei Jahre in Russland, unter anderem bei der Moskauer Deutschen Zeitung. Sie hat sich auf gesellschaftliche Themen jenseits der großen Ballungsräume spezialisiert und ist dafür als Schreibende oder Fotografierende am liebsten in den abgelegeneren Regionen des Ostens unterwegs. Mehr unter: https://peggylohse.com.

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Sabrina ProskeMünchen
Saado Ali* ist eine junge Mutter aus Nordsomalia. Sie flieht hochschwanger mit ihrem kleinen Sohn Yusuf vom Krieg. Zwischen provisorischen Zelten und Planen setzen plötzlich ihre Wehen ein. Mit uns spricht sie erstmals über ihre Erfahrungen als Schwangere in einem Kriegsgebiet.

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