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Inklusive Bett und Ausbeutung
Hausangestellte in Peru kämpfen für mehr Rechte

7. November 2018 | Von Eva Tempelmann
Die Arbeitsvermittlung der Casa Panchita hilft den Frauen, Arbeit zu finden und offizielle Verträge auszufüllen. Foto: Casa Panchita

Mehr als 30 Prozent der Hausangestellten in Perus Hauptstadt Lima arbeiten unter sklavenähnlichen Bedingungen. Das sagt die Vorsitzende der Gewerkschaft für Hausangestellte in der Region Lima. Die Frauen bekämen niedrigste Löhne, seien unversichert und alltäglichen Diskriminierungen und körperlichen Misshandlungen ausgesetzt.

Von Eva Tempelmann, Lima

Setzt man sich eine Weile in einen Park in einem wohlhabenden Stadtteil von Lima wird schnell deutlich: Die Dienstherrinnen sind weiß, die Hausangestellten indigener oder afroperuanischer Herkunft. Das Kastensystem der Kolonialzeit, das Menschen nach Hautfarbe und Herkunft unterteilt, ist in Peru immer noch präsent. Geändert hat sich nur die Bezeichnung: Sprach man früher von Dienstbotin oder Hausangestellten, ist die offizielle Bezeichnung heute „Hausarbeiterin“. Das soll nahelegen, dass das ein Job wie jeder andere ist. Die Realität sieht jedoch anders aus.

Nach Angaben des Arbeitsministeriums arbeiten heute etwa 400.000 Hausangestellte in der Millionenstadt Lima. 95 Prozent von ihnen sind Frauen. Sie putzen, waschen, kochen und hüten Kinder. Laut des aktuellen Berichts der staatlichen Ombudsstelle zur Situation von Hausarbeiterinnen arbeiten mehr als drei Viertel der Frauen unterhalb des monatlichen Mindestlohns von 850 Peruanischen Nuevo Soles, umgerechnet 220 Euro. Viele Hausangestellte haben weder eine Kranken- noch Rentenversicherung oder bezahlten Urlaub.

Im schlimmsten Fall werden sie nicht nur ausgebeutet, sondern auch psychisch und körperlich misshandelt. Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit sind alltäglich. „Die Situation vieler Hausangestellten erinnert an die Arbeitsbedingungen früherer feudaler Zeiten, als die koloniale Elite die indigene Bevölkerung für sich arbeiten ließ“, sagt Obdulia Guevara Neyra, die Vorsitzende der Gewerkschaft für Hausangestellte in der Region Lima.

„Cama adentro“ – Logis und Ausbeutung inklusive

In peruanischen Familien ist es bis in die untere Mittelschicht üblich, eine Hausangestellte zu beschäftigen. Manche kehren abends in ihr eigenes Heim zurück, aber viele leben im Haus ihrer Arbeitgeber. Selbst in neuen Hochhauswohnungen ist es noch gebräuchlich, einen Verschlag hinter der Küche als Dienstbotenzimmer auszuweisen, in der oft nur ein Bett, ein Regal und manchmal ein Fernseher Platz haben. „Cama adentro“ – Bett inklusive – bedeutet für viele aber auch: Ausbeutung inklusive.

Die Arbeitszeiten gehen weit über das normale Maß hinaus. Privatsphäre gibt es kaum. Zur Zeit der großen Landflucht und Vertreibung durch den peruanischen Bürgerkrieg in den 1980er und 1990er Jahren blieb vielen Frauen und Mädchen nichts anderes übrig, als im Haus ihrer Arbeitsgeber mitzuwohnen. Es war die einzige Möglichkeit für sie, eine Bleibe und ein Auskommen in der Stadt zu finden.

Bis heute werden junge Mädchen vom Land in die Städte geschickt, um in Haushalten zu helfen. „Oft sind es auch entfernte Verwandte, die die Mädchen in die Stadt locken unter dem Vorwand, hier könnten sie in die Schule gehen“, sagt Blanca Figueroa. Die Psychologin gründete vor 30 Jahren die Beratungs- und Weiterbildungsstelle „La Casa de Panchita“ für Hausangestellte in Lima. Hier werden Seminare für junge Hausangestellte angeboten, in denen sie über die Gesetzeslage und ihre Arbeitsrechte informiert werden.

Jeden Sonntagmorgen wird die Radiosendung “Wir sind nicht unsichtbar” ausgestrahlt (Foto: Casa Panchita).

Die Frauen erhalten Rechtsbeistand, um eine Verbesserung ihrer Arbeitsverträge zu erreichen. Es gibt Angebote für psychologische Unterstützung und eine Agentur zur Arbeitsvermittlung. Mit der Radio-Sendung „No somos invisibles“, zu Deutsch „Wir sind nicht unsichtbar“, verbreiten die Mitarbeiterinnen die Thematik auch auf nationaler Ebene. Die meisten Hausarbeiterinnen seien auf sich allein gestellt und kaum vernetzt, sagt Blanca Figueroa. Ihnen Zugang zu Informationen über ihre Rechte zu verschaffen sei eines der Hauptanliegen der „Casa Panchita“.

20 Prozent aller Kinder in Peru arbeiten

Eine solche Unterstützung hätte sich Olimpia früher gewünscht. Die kräftige Frau mit den langen schwarzen Haaren ist indigener Abstammung und kommt aus Puno am Titicicasee. Als sie sieben Jahre alt war, schickten ihre Eltern sie als Dienstmädchen zu einer Familie nach Lima. Kinderarbeit in Peru ist verboten. Dennoch arbeiten rund 20 Prozent aller Kinder in Peru – vor allem in ländlichen Gegenden. Das zeigt eine Studie im Auftrag des peruanischen Arbeitsministeriums und der Internationalen Arbeitsorganisation aus dem Jahr 2015.

In den folgenden Jahren schrubbte Olimpia Böden, hütete die jüngeren Kinder und schleppte Wasser. „Diese Jahre waren furchtbar“, sagt die heute 49-jährige. „Ich habe meinen Eltern bis heute nicht verziehen, dass sie mich damals als einziges meiner fünf Geschwister weggegeben haben.“ Die Dienstherren versprachen Olimpias Eltern, dass ihr Kind nach der Arbeit studieren dürfe, aber eine Schule hat Olimpia in dieser Zeit nie besucht.

Als sich das Mädchen beschwerte und forderte, zu ihren Eltern zurückzukehren, verweigerte ihr das die Familie. Sie habe kein Einverständnis ihrer Eltern. Olimpia floh in ein nahegelegenes Kloster, wo ihr Obdach gewährt wurde. „Ich bin gerannt, als seien die Hunde hinter mir her,“ erinnert sich Olimpia, „ich hatte furchtbare Angst, dass mich die Familie finden und zurückholen würde.“

Arbeit unter sklavenähnlichen Bedingungen 

Solche Geschichten hat die Gewerkschafterin Obdulia Guevara Neyra schon oft gehört. Sie sagt, dass Hausarbeiterinnen in Lima zu 95 Prozent Migrantinnen sind. Die meisten von ihnen kommen aus den ländlichen Provinzen im Hochland Perus, wo die Lebensbedingungen hart und Arbeitsmöglichkeiten rar sind. Aus Angst und Mangel an Alternativen blieben sie in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen gefangen. „Ich befürchte, dass mehr als 30 Prozent unter quasi sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten.“

Sie berichtet von jungen Mädchen, die die abgetragene Kleidung ihrer Hausherrin tragen mussten oder nicht entlohnt wurden, weil man sie des Diebstahls bezichtigte. Obdulia Guevara Neyra weiß, wovon sie spricht. Die Tochter von Bauern aus Huancabamba im nördlichen Andenhochland hat in Haushalten gearbeitet, seit sie sieben Jahre alt war. Ihre Eltern gaben sie zu Familien nach Lima, wie das bis heute noch üblich ist.

Gründe sind Armut, die Hoffnung auf eine Ausbildung und ein besseres Leben. Viele Kinder und Jugendliche schuften aber erst einmal viele Jahre zu harten Bedingungen. Auch Obdulia arbeitete 16 Stunden pro Tag und erfuhr tägliche Diskriminierung. Wenn die Familie „Lomo Saltado“, ein peruanisches Fleischgericht, aß, gab es für sie nur Reis. Wenn sie nicht schnell genug arbeitete, gab es Lohnabzug. „Die Diskriminierung ist wegen der tieferen kulturellen und ökonomischen Klüfte in der Hauptstadt ausgeprägter als anderswo“, bemerkt sie.

Viele Frauen werden sexuell belästigt

„Wir schätzen, dass bis zu 60 Prozent der Hausangestellten mindestens einmal sexuelle Übergriffe erlebt haben“, sagt Obdulia Guevera Neyra. „Wir haben hier junge Frauen, die nach einer Vergewaltigung durch ihre Arbeitgeber schwanger wurden und Kinder zur Welt brachten.“ Frauen trauten sich nach sexuellen Übergriffen oft nicht, ihre Täter anzuzeigen, weil die Strafen für ihre Peiniger gering seien und die Frauen nach einer Anzeige fürchten müssten, von ihren Tätern bedroht und noch mehr Gewalt ausgesetzt zu sein, erklärt Neyra.

Heute empfängt die 44-Jährige in ihren Büroräumen Frauen mit ähnlichen Schicksalen, die ihre Rechte kennenlernen und geltend machen wollen. „Viele Frauen wissen nicht, was ihnen arbeitsrechtlich zusteht und sind ihren Arbeitgebern völlig ausgeliefert.“ Von den 600 Hausangestellten, die zur einzigen Gewerkschaft dieser Art gehören, haben nur fünf Frauen einen schriftlichen Arbeitsvertrag – „das sind erschreckend geringe 0,8 Prozent“, bemerkt die Gewerkschaftsvorsitzende. Sie beklagt, dass ihre Forderungen für bessere Arbeitsrechte auf politischer Ebene kaum Gehör fänden. Es fehle an einer Lobby in der Regierung, in der Machtmissbrauch und Korruption an der Tagesordnung seien. Drei Ex-Präsidenten sitzen derzeit im Gefängnis.

ILO-Konvention zum Schutz von Hausangestellten nicht ratifiziert

Zwar gibt es seit 2003 gesetzliche Regelungen, die Hausangestellten maximal 48 Stunden Arbeit pro Woche, eine Kranken- und Rentenversicherung garantieren, aber nicht alle Arbeitgeber halten sich an diese Vorgaben. Laut des jüngsten Berichts der staatlichen Ombudsstelle zur Situation der Hausarbeiterinnen arbeiten knapp die Hälfte der Hausangestellten mehr als die erlaubten wöchentlichen 48 Stunden. Nur 13 Prozent sind rentenversichert, knapp 40 Prozent krankenversichert. Der Durchschnittslohn beträgt demnach etwa 140 Euro im Monat. Zum Vergleich: die durchschnittliche Miete für eine Wohnung liegt im Stadtbereich Lima bei etwa 500 Euro monatlich. Ein Besuch beim Arzt schlägt mit mindestens 13 Euro zu Buche.

In der Klassengesellschaft Limas haben Hausangestellte kaum Rechte (Foto: Eva Tempelmann).

Anders als andere lateinamerikanischer Länder wie Bolivien, Kolumbien oder Nicaragua hat Peru den Artikel 189 der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte nicht ratifziert. Diese haben damit kein Anrecht auf den Mindestlohn und sind bei bezahltem Urlaub und den Rückstellungen, die der Arbeitgeber für die künftige Rente tätigen muss, gegenüber anderen Branchen schlechter gestellt. Ein mündlicher Vertrag gilt bislang als ausreichend. Das rächt sich, wenn die Hausangestellte dem Staat später beweisen will, wie viele Jahre sie gearbeitet und damit ein Anrecht auf Rentenzahlungen erworben hat.

„Hausarbeit muss rechtlich aufgewertet werden“

Olimpia wurde damals von den Ordensschwestern gut behandelt. Sie half im Haushalt und ging nachmittags zur Schule. Heute arbeitet sie als Reinigungskraft für eine Organisation der deutschen Entwicklungshilfe. Außerdem putzt sie in verschiedenen Haushalten für ein mittlerweile faires Gehalt von 2,50 Euro die Stunde. Mit dem Geld kann sie die horrenden Studiengebühren für ihren Sohn bezahlen. Bildung ist in Peru ein teures Unterfangen, „aber ohne gute Ausbildung bist du verloren“, so Olimpia.

Die Bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen der „Casa Panchita“ und der Gewerkschaft der Hausangestellten sind ein erster Schritt zu mehr Gerechtigkeit. Damit sich die Situation von Hausangestellten aber langfristig verbessern kann, braucht es Gesetze, die die Arbeitsrechte der Frauen wirklich schützen. „Das Minimum ist ein schriftlicher Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in dem Lohn, Arbeitszeiten, Urlaubstage und Rentenansprüche festgehalten werden“, sagt Obdulia Guevara Neyra.

Außerdem brauche es gesetzlich geförderte Fortbildungen für Arbeiterinnen in diesem Bereich, damit sie sich im Falle des Vertragsbruches verteidigen können. „Momentan kümmern wir uns als Nichtregierungsorganisationen um diese Aufgabe, aber eigentlich muss der Staat die entsprechende Politik machen.“ Nur so könne garantiert werden, dass die Haus- und Betreuungsarbeit, die traditionellerweise Frauen machen, aufgewertet werde und die Anerkennung erfahre, die ihr gebühre.

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Von Eva Tempelmann, Münster / Lima

Eva Tempelmann hat 2014 bis 2020 mit ihrer Familie in Peru gelebt und dort als freie Journalistin, Übersetzerin und Lektorin gearbeitet. In ihren Reportagen, Interviews und Analysen berichtet sie über Umweltkonflikte in Peru, Menschenrechte und soziale Bewegungen. Sie ist Co-Autorin des Reiseführers Peru & Westbolivien (Stefan Loose, 2018) und Peru & Bolivien (Marco Polo, 2020). Mehr unter: http://www.evatempelmann.com.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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