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Im Pillenparadies
Frauen und Medikamentenkonsum

Foto: Unsplash

Nehmen Frauen in anderen Ländern eigentlich mehr Schlaftabletten ein als hierzulande? Und wie schnell kommt man an rezeptpflichtige Medikamente? Unsere Korrespondentinnen wagen einen Blick nach Spanien, Deutschland und Irland.

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Von Christine Memminger, Barcelona

Den Ruf als „Pillenparadies“ hat Spanien zu Recht. Mit einer der höchsten Apothekendichten Europas und verhältnismäßig vielen rezeptfreien Medikamenten ist es kein Wunder, dass sich Urlaubsgäste hier gerne mit Souvenirs in Pillenform eindecken. Hochdosierte Schmerzmittel, Antidepressiva, Betäubungsmittel wie Kodein, die Antibabypille oder die „Pille danach“, all das ist in Spanien rezeptfrei zu bekommen – und die Liste ließe sich fortführen.

Selbst wenn ein Medikament eigentlich nur auf Rezept herausgegeben werden darf, zeigt die Praxis, dass viele Apotheken es damit nicht so genau nehmen. Rezepte müssen nicht elektronisch erfasst werden und nur selten werden Apotheken kontrolliert. Dazu kommen, zumindest für den deutschen Geldbeutel, verhältnismäßig günstige Preise. Eine Schachtel mit 30 Ibuprofen-Tabletten à 400 mg kostet beispielsweise gerade mal zwei Euro.

Im internationalen Vergleich liegt Spanien beim Konsum in vielen Medikamentengruppen ganz weit vorne. Besonders häufig nehmen spanische Frauen vor allem Antidepressiva und Beruhigungsmittel. Wie eine Statistik der der OECD-Länder zeigt, wird Spanien beispielsweise beim Verbrauch von angstlösenden Beruhigungsmitteln nur von Portugal übertroffen. Laut einer Studie der Stiftung Atenea konsumieren spanische Frauen doppelt so oft Psychopharmaka wie spanische Männer. Die Autor*innen weisen auch auf spezielle Gefahren hin.

Weil die Wartezeiten für Therapieplätze sehr lang sind, würden Hausärzt*innen oft bereits beim ersten Termin starke Beruhigungsmittel verschreiben – vor allem an Frauen mittleren Alters. Deren Vorbildfunktion innerhalb der Familie sei ausschlaggebend dafür, dass auch junge Spanierinnen immer häufiger zu Beruhigungsmitteln greifen, und zwar als Selbstmedikation auf Empfehlung der Mutter. Viele Frauen würden Psychopharmaka als reine Schlafmittel missbrauchen und gerieten grundlos in eine Abhängigkeit.

Das Gesundheitsministerium kann darüber hinaus keine genaue Aussage über den Medikamentenkonsum von Frauen treffen. Klar ist: Die Regierung will den Ruf als „Pillenparadies“ so schnell wie möglich loswerden. Immerhin für Antibiotika sowie für die hohe Dosis Ibuprofen mit 600mg pro Tablette gilt inzwischen Rezeptpflicht. Die Erfahrung einer Apothekerin, die nicht namentlich genannt werden möchte, zeigt jedoch: Statt eine niedrigere Dosis eines Schmerzmittels einzunehmen, würden viele ihrer Kund*innen nun einfach zwei Tabletten einwerfen und dadurch am Ende sogar mehr Medikamente konsumieren als vor der Rezeptpflicht.

Dass 400mg Ibuprofen meist genauso gut wirken, nur nicht so schnell, wüssten viele nicht. „Das ist ein kulturelles Problem“, meint sie. „Tabletten sind zu Hause immer verfügbar, vor allem Schmerzmittel werden ohne Bedenken eingenommen. Und die Eltern geben diesen Umgang an ihre Kinder weiter.“ Auf der Liste der zehn meistverkauften Medikamente in Spanien stehen fünf Schmerzmittel, ganz vorne Nolotil, das in manchen EU-Staaten auf Grund seiner möglichen Nebenwirkungen nicht einmal zugelassen ist.

Die Einnahme von Hormonen zur Verhütung ist in Spanien dagegen nicht so populär. Nur 17 Prozent der Spanierinnen verhüten mit der Antibabypille und diese Zahl sinkt seit Jahren immer weiter. Interessanterweise geben die Frauen einer repräsentativen Umfrage der spanischen Verhütungsgemeinschaft SEC zufolge als Grund vor allem an, dass sie die Nebenwirkungen fürchten. 30 Prozent der Frauen haben jedoch bereits mindestens einmal die „Pille danach“ genommen, die seit 2009 frei in Apotheken erhältlich ist.


Von Anne Klesse, Hamburg

Frauen in Deutschland nehmen mehr Medikamente ein als Männer. Laut dem GKV-Spitzenverband, der Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland, werden ihnen im Schnitt 18 Prozent mehr sogenannte definierte Tagesdosen verordnet. Das liegt an mehreren Punkten: 56 Prozent der Frauen zwischen 18 und 29 Jahren, so eine Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, verhüten mit der Anti-Baby-Pille. Das macht schon einen großen Teil aus.

Außerdem schlucken viele Frauen regelmäßig Schmerzmittel gegen Menstruationsbeschwerden. Laut der klinischen Pharmakologin Professor Petra Thürmann, Direktorin des Philipp Klee-Instituts für Klinische Pharmakologie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal, ist der teils gewohnheitsmäßige Gebrauch von Ibuprofen, Paracetamol und Co. auch auf einen sozialen Effekt zurückzuführen: „In der Forschung nennen wir das Medikalisierung – Mädchen werden von ihren Müttern in der Medikamenteneinnahme sozialisiert nach dem Motto: ,Das hat mir immer geholfen, vielleicht hilft es dir auch.‘“

Ein weiterer Punkt für den höheren Medikamentenkonsum von Frauen hierzulande liegt laut der Expertin für Gendermedizin in dem ausgeprägteren Gesundheitsbewusstsein. Frauen bekommen nicht nur häufiger rezeptpflichtige Medikamente verschrieben, sie kaufen in den Apotheken auch – vermutlich nicht nur für sich selbst, sondern für die gesamte Familie – öfter frei verfügbare Mittel. Als vierten Punkt führt die Forschung an, dass bei Frauen deutlich häufiger die Diagnose Depression gestellt wird – oft in Verbindung mit einem chronischen Schmerzleiden wie Migräne oder Rückenbeschwerden. Gegen die Depression sowie gegen Schmerzen werden dann mehrere Medikamente auf einmal verschrieben.

In Deutschland ist die Gendermedizin eine vergleichsweise junge Wissenschaft. Dabei gibt es zum Beispiel in den USA bereits seit 1991 eine spezialisierte Zulassungsbehörde namens „Office on Women’s Health“. Dort ist schon lange bekannt, dass manche Krankheitsbilder wie beispielsweise Herzinfarkte bei Frauen andere Symptome zeigen und dass viele Medikamente bei ihnen anders wirken als bei Männern. Das liegt unter anderem am durchschnittlich geringeren Körpergewicht sowie an der unterschiedlichen Ausstattung der Leber und Nieren. Auch spielen Körperfettanteil, körpereigene Hormone und Botenstoffe eine Rolle. Außerdem leiden Frauen öfter an Nebenwirkungen.

Das Problem: Neue Medikamente werden vor allem an Männern getestet – unter anderem deshalb, weil sich mehr freiwillige männliche Testpersonen melden als weibliche. In der Folge nahmen Frauen in der Vergangenheit oft eine für sie nicht passende Dosierung der verschriebenen Medikamente ein. Dabei gab es bereits Bemühungen von Ärztinnen, unterschiedliche Wirkungsweisen im Arzneimittelgesetz zu vermerken. Auf europäischer Ebene wurde das bislang abgelehnt. In Deutschland müssen Antragsteller*innen für klinische Studien mit Arzneimitteln immerhin angeben, ob beide Geschlechter berücksichtigt werden. „Das ist zwar ein Anfang, hat aber natürlich viel weniger Wirksamkeit als eine behördliche Vorgabe“, so Professor Thürmann.

Rund 25.000 Menschen jährlich, so Schätzungen des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB), sterben hierzulande an falsch oder überdosierten Arzneimitteln – erheblich mehr als bei Verkehrsunfällen. Gerade ältere Patient*innen nehmen dem DÄB zufolge oft acht und mehr Medikamente täglich ein. Weil Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer haben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie stärker von Falsch- und Überdosierung betroffen sind.


Von Mareike Graepel, Dublin

Mythen und Klischees bedienen die Irinnen in Sachen Medizin nicht: Weder an Elfen-Kräfte noch Druiden-Zaubertränke glauben die Frauen auf der Grünen Insel. In einem Land, in dem das Gesundheitssystem immer wieder von Skandalen heimgesucht wird, ist das Vertrauen in die Pharmabranche und die Apotheker*innen vor Ort jedoch erstaunlich groß.

Während Ärzt*innen und Kliniken wegen Berichten über vermasselte Gebärmutterhalskrebs-Untersuchungen, überteuerte Behandlungen, zu wenig Betten und Hepatitis-C-kontaminierte Blutkonserven oft kritisch gesehen werden, ist der Gang in die Apotheke für alle Ir*innen selbstverständlich. „Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind aber weiblich“, so Kathy Maher, Gemeindeapothekerin im County Meath nördlich von Dublin. „Die Kundinnen suchen in der Regel Beratung und Behandlung für sich selbst, aber oft auch für Familienmitglieder – für Kinder, Partner oder ältere Eltern.“

Eine von der Irish Pharmacy Union in Auftrag gegebene und vom Marktforschungsinstitut  „Behaviour and Attitudes“ durchgeführte repräsentative Umfrage zeigte im April 2019, dass 73 Prozent der Befragten dem „Rat und der Patientenversorgung, die sie in der Apotheke erhalten” stark zustimmen. Dennoch nehmen Irinnen offenbar mehr Präparate ein, als sie eigentlich bräuchten. Frauen in Irland gehören neben Rentnern und sozial schwachen Menschen zu den Patientengruppen, die deutlich mehr Medikamente verschrieben bekommen als notwendig, so eine gemeinsame Studie von University College Dublin, Trinity College und dem Royal College of Surgeons in Irland.

„Von den befragten Frauen nahmen 67 Prozent mindestens fünf Medikamente gleichzeitig ein, verglichen mit 60,8 Prozent der Männer“, heißt es in der Studie. Der Medikamentenkonsum sei auch abhängig vom Bildungsgrad: „Diejenigen mit dem niedrigsten Wirtschafts- und Bildungsniveau nahmen doppelt so häufig Mehrfachmedikamente ein wie diejenigen mit dem höchsten Wohlstand und Bildungsniveau.“

Die Tatsache, dass der Gender-Pay-Gap natürlich auch Frauen in Irland betrifft, macht die Ergebnisse einer vom Online-Gesundheitsservice „Medbelle“ in Auftrag gegebene Umfrage besorgniserregend: Irische Patient*innen zahlen demnach mehr als das Sechsfache des internationalen Durchschnitts für die gängigen, allgemein erhältlichen Präparate. Für Frauen, die in Irland einen höheren Medikamentenkonsum haben, eine große finanzielle Belastung. Irland liegt demnach bei den Arzneimittelkosten auf Platz 16 von 50 Ländern, wobei die Preise etwa 15 Prozent über dem internationalen Durchschnitt liegen. Deutschland liegt im Übrigen auf Platz zwei.

Laut Siobhán Kane von der Irish Pharmacy Union gibt es keine spezifischen Zahlen, welche Präparate von Frauen häufiger gekauft werden als von Männern – weder für rezeptpflichtige noch rezeptfreie Medikamente liegen derzeit differenzierte Zahlen vor. In Apothekerkreisen heißt es, „gefühlt“ würden von Frauen – vor allem Müttern, Großmüttern oder Tagesmüttern – am häufigsten fiebersenkende Mittel für Kinder gekauft. Außerdem gibt es nicht selten bei Hausfrauen die Tendenz, vermehrt rezeptfreie Schlaftabletten zu konsumieren. Auf der anderen Seite beobachten die irischen Pharmazeut*innen – ähnlich wie in den Niederlanden – einen Rückgang der Verschreibungszahlen von Antibiotika.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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