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„Ich weiß, dass ich etwas Einzigartiges tue“
Interview mit Palästinas einziger Bierbrauerin

22. September 2015 | Von Mareike Enghusen
Pionierin Madees Khoury muss sich in der Männerdomäne Bierbrauen durchsetzen - und das in Palästina. Fotos: Mareike Enghusen

Madees Khoury, 29, ist die einzige palästinensische Bierbrauerin. 1994 gründete ihr Vater die Taybeh-Brauerei im Westjordanland, zehn Kilometer von Ramallah entfernt. Sie soll das Geschäft eines Tages übernehmen. Am vergangenen Wochenende veranstalteten die Khourys zum zehnten Mal ein Oktoberfest.

Madees_04Wie war das Oktoberfest in Taybeh dieses Jahr?

Schön! Am Samstag hatte ich soviel zu tun damit, Bier auszuschenken und Besucher durch die Brauerei zu führen, dass ich nicht einmal zum Essen gekommen bin. Sonntag war es etwas ruhiger, und ich konnte ein bisschen herumlaufen, mir ein paar Bands anschauen, meine Freunde treffen – und Bier trinken.

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Am 19. September wurde das Oktoberfest in München eröffnet. Waren Sie schon mal da?

Noch nicht, aber ich will hinfahren. Vielleicht nächstes Jahr mit ein paar Freunden. Ich würde auch gern in München Kurse im Bierbrauen belegen. Ich braue zwar schon seit acht Jahren, aber wenn es um Bier geht, kann man immer etwas Neues lernen.

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In welchem Alter war Ihnen klar, dass Sie in die Brauerei einsteigen würden?

Ich habe schon mit zehn Jahren Pappkartons für die Bierflaschen gefaltet. Während meines Studiums in den USA bin ich im Sommer nach Taybeh gekommen, habe der Familie geholfen und das Brauen gelernt. In Boston habe ich ein Praktikum in einer Brauerei gemacht. Und nach dem Abschluss habe ich beschlossen, meine Sachen zu packen und zurück nach Palästina zu kommen, um der Familie zu helfen.

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Sie sind die erste palästinensische Bierbrauerin, Sie sind eine Führungskraft und allein die Tatsache, dass Sie Ihr eigenes Geld verdienen, ist nicht selbstverständlich: Nur 18 Prozent aller palästinensischen Frauen gehen einer bezahlten Arbeit nach. Fühlen Sie sich als Pionierin?

Definitiv! Ich weiß, dass ich etwas Einzigartiges tue, etwas, das nicht den Vorurteilen vieler Menschen entspricht. Aber ich mag es, wenn die Leute überrascht oder geschockt sind – denn auf diese Weise entstehen Gespräche über Frauen, über Palästina, die Gesellschaft und die Art, wie die Dinge sich entwickeln und verbessern. Ich liebe das! Und ich ermutige alle palästinensischen Frauen, das Gleiche zu tun: die Vorurteile und die Tabus zu brechen und zu tun, was immer sie tun wollen.

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Was hält die Frauen davon ab?

Es ist schwierig. Viele von ihnen bräuchten Motivation, Ermutigung, Know-how oder finanzielle Unterstützung, um zu erreichen, was sie wollen. Ich habe das Glück, dass meine Familie mich stark unterstützt.

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Wie reagieren konservative Männer auf Sie?

Da ich in der Bierbranche arbeite, habe ich viel mit Besitzern oder Managern von Bars, Restaurants und Hotels zu tun – und die meisten von ihnen sind Männer. Die älteren, konservativeren unter ihnen arbeiten lieber mit meinem Vater oder meinem Onkel zusammen als mit mir. Am Anfang war das eine Herausforderung für mich. Inzwischen haben sie sich ein wenig an mich gewöhnt. Außerdem kommt eine neue Generation: Inzwischen sind es Leute in meinem Alter, die Hotels und Restaurants aufmachen – und diese Leute arbeiten lieber mit mir zusammen als mit meinem Vater!

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Viele Europäer sind der Ansicht, arabische Frauen werden von ihren Männern unterdrückt. Haben sie recht?

Ich denke, das stimmt. Viele arabische Männer lernen von kleinauf, dass der Mann der Macho ist, für die Familie sorgen muss, das Geld nach Hause bringt und so weiter. Inzwischen haben mehr Menschen die Gelegenheit, zu reisen, andere Menschen, Kulturen, Lebensweisen und Religionen kennenzulernen – auf diese Weise verändern sich Einstellungen. Aber das gilt nur für einen kleinen Prozentsatz der Palästinenser, vielleicht für ein Prozent. Viele können es sich nicht leisten, zu reisen oder im Ausland zu studieren. Also sind sie beschränkt auf ihre Heimatstadt. Dort leben sie in ihrer eigenen Blase und so lange nichts von außerhalb in diese Blase eindringt, wird sich nichts ändern.

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Da Sie den Mangel an Bewegungsfreiheit erwähnten: Welche Rolle spielt die politische Situation?

Es ist schwer, auch nur irgendeine Entwicklung in Palästina von der israelischen Besatzung zu trennen. Israelis können sich frei bewegen, anders als Palästinenser – wir sind sehr eingeschränkt. Und das israelische Durchschnittsgehalt ist fünfmal höher als das palästinensische. Die Unterschiede sind enorm.

Viele junge Palästinenser träumen davon, in den Westen auswandern und sich ein besseres Leben aufzubauen. Sie haben den umgekehrten Weg genommen – von Boston nach Taybeh. Warum?

Es stimmt, viele Palästinenser wollen auswandern, aber es gibt auch eine entgegengesetzte Entwicklung: Viele meiner Freunde, die im Ausland gelebt haben, sind zurückgekommen, haben eigene Firmen gegründet und versuchen, Palästina zu verändern, die Wirtschaft anzukurbeln und einen Staat aufzubauen.

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Die palästinensische Gesellschaft ist generell konservativ, insbesondere, wenn es um die Rolle der Frau geht. War es schwierig, sich daran zu gewöhnen, nachdem Sie so viele Jahre in den USA gelebt haben?

Als ich zurückkam, begann ich ein Master-Studium an der Birzeit-Universität (bei Ramallah). Das war ein Kulturschock. In den USA bin ich manchmal im Pyjama zum Unterricht gegangen – die Atmosphäre war sehr entspannt, sehr liberal. In Birzeit tragen die meisten Mädchen Kopftuch und kleiden sich generell konservativer. Ich habe kein Problem damit, ich respektiere das absolut. Aber ich war nicht daran gewöhnt.

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Finden Sie es schwierig, als unabhängige Frau einen liberalen Lebensstil in einer konservativen Gesellschaft zu führen?

Definitiv. Es ist hier nicht üblich für eine Frau, unabhängig zu sein, hart zu arbeiten und sich eine Karriere aufzubauen. Auf manche arabischen Männer wirkt eine junge, unabhängige Frau mit starker Persönlichkeit einschüchternd. Andererseits gibt es in Palästina so viele Menschen mit so vielen verschiedenen Ideologien und Einstellungen! Manche ermutigen mich, manche eben nicht.

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Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Ich will mich aufs Geschäft konzentrieren, weiter expandieren, verschiedene Arten von Bier brauen, in noch mehr Länder exportieren. Derzeit exportieren wir nach Schweden, Japan, Italien, die Schweiz, Deutschland und Israel. Als nächstes konzentrieren wir uns auf Großbritannien und die USA.

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Ich habe noch nie Taybeh-Bier in Deutschland gesehen. Wo kann man es finden?

Ich war schon mehrmals in Deutschland und konnte es auch nicht finden. Ich schätze, man bekommt es in Bars, die Bier aus aller Welt servieren.

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Haben Sie ein Lieblingsbier, abgesehen von Taybeh?

In Palästina trinke ich immer Taybeh, klar. Im Ausland versuche ich, etwas Neues auszuprobieren und besuche verschiedene Privatbrauereien. Es gibt ständig so viele neue Biersorten, man kommt kaum hinterher!

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Von Mareike Enghusen, Tel Aviv

Mareike Enghusen berichtet als freie Auslandsreporterin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vor allem aus Israel, Jordanien und den palästinensischen Gebieten. Mehr unter: http://www.mareike-enghusen.de.

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