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Gehen, um zu bleiben
Interview mit Anika Landsteiner

26. Juli 2017 | Von Pauline Tillmann
Foto: Maximilian Heinrich

Früher hat sie geschauspielert, jetzt ist sie Buchautorin. Die 30-jährige Münchnerin Anika Landsteiner reist für ihr Leben gern, bloggt darüber und hat das erzählerische Sachbuch „Gehen, um zu bleiben“ geschrieben. Mit 15 Geschichten über „Mut“, „Freiheit“ oder „Scheitern“ will sie den Leser zum Umdenken und bewussten Reisen bewegen. Ein Interview von Pauline Tillmann.

Ist das Buch bei einer Weltreise entstanden?

Die Geschichten sind in dem Zeitraum 2010 bis 2016 entstanden. Das heißt, ich war immer wieder ein paar Wochen oder Monate unterwegs. Ich habe per se kein Problem mit Weltreisen, aber ich habe noch keine gemacht. Persönlich reise ich gerne langsam und komme zurück, um das Erlebte zu reflektieren. Ich höre von vielen, die eine Weltreise machen, dass es ziemlich durchgetaktet ist und oft eine Reizüberflutung stattfindet. Deshalb ist das Zurückkommen auch ein schöner Baustein im Buch.

Warum bist du losgefahren? Oder anders gefragt: Warum hast du überhaupt angefangen, zu reisen?

Ich bin schon immer viel unterwegs gewesen, weil meine Eltern mit mir in den Urlaub gefahren sind, vorzugsweise nach Spanien oder in die Türkei. Ich war mit 14 Jahren, wie viele andere Teenager, in einem absoluten Amerikafieber. Das heißt, ich hatte den Traum nach New York zu reisen. Da meine Eltern das aber nicht wollten, haben sie mich mit meiner besten Freundin und ihrer Familie mitgeschickt, die eben nach New York gefahren sind. Und da habe ich gemerkt wie es sich anfühlt, mit 14 über den großen Teich zu fliegen und die eigenen Eltern nicht dabei zu haben. Das war der absolute Wahnsinn! Und dann habe ich immer mehr eigene Reisen gemacht, wie 2010 nach Kalifornien und 2011 den Jakobsweg. Dabei habe ich gemerkt, dass Reisen nicht nur Entspannung ist, sondern einem ganz viel geben kann – und dass ich darüber schreiben möchte.

USA, Griechenland, Benin – deine Reisedomizile waren ja ganz unterschiedlich. Wo hat es dir denn am besten gefallen?

Das Land, das mich immer wieder umhaut, ist Indien, weil es eine ganz andere Welt ist. Es ist viel lauter und bunter als alles was ich vorher gesehen habe und das gefällt mir unglaublich gut.

Was war die wichtigste Erkenntnis beim Reisen?

Dieses Offen sein. Man ist im Alltag und in den sozialen Media in einer absoluten Blase, man denkt die Leute ticken genauso wie ich. Und dann geht man raus und wird mit eigenen Vorurteilen konfrontiert, sieht fremde Dinge, sieht Dinge, die einen berühren und zum Umdenken animieren. Es ist ein bisschen ausgelutscht, dass Reisen die beste Schule ist, aber für mich ist es so. Ich habe beim Reisen mehr gelernt als in der Schule und ich glaube grundsätzlich, man kann dabei sehr viel für sich mitnehmen.

Du hast drei Monate in einer Hilfsorganisation in Malawi gearbeitet und erklärst in einem Kapitel, warum ein Kontinent kein Land ist. Was ist das größte Problem aus deiner Sicht in Hinblick auf die Afrika-Berichterstattung in Deutschland?

Vor allem, glaube ich, die Pauschalisierung. Es wird von Afrika generell gesprochen. Damit hat natürlich auch der Tourismus zu tun. Der gemeine Tourist wird nach Afrika geschickt, nicht nach Namibia oder den Senegal. Da steigen die meisten schon aus, weil sie nicht wissen wo es liegt. In Zeiten der Flüchtlingskrise habe ich das besonders stark gemerkt: Ich bin aus Benin zurückgekehrt, wo zeitgleich viele Flüchtlinge in München angekommen sind und in den Medien war immer die Rede von „dem Schwarzafrikaner“ oder „dem Nordafrikaner“ oder auch „der Afrikaner kann sich nur fortpflanzen“, „generell ist er faul“. Einen ganzen Kontinent, der unfassbar riesig ist, diese pauschalen und fremdenfeindlichen Sätze überzustülpen, fand ich wirklich krass – und vor allem in welcher Menge ich das gesehen habe.

Die Balkanroute ist dicht, deshalb machen sich momentan wieder mehr Menschen auf Richtung Mittelmeer. Wie siehst du persönlich die Flüchtlingskrise in Deutschland?

Ich war von mir selber schockiert wie wenig ich mich vorher damit auseinandergesetzt habe. Ich finde die Debatte darüber grundsätzlich gut. Leute, die sich vorher null mit Politik oder Gesellschaft auseinandergesetzt haben, haben sich eine Meinung gebildet. Gleichzeitig war der Rechtsruck erschreckend, vor allem das Unreflektierte aus der Bevölkerung. Dass so viele Ängste vorhanden sind, ohne jegliche Grundlage, und auch dass diese Ängste weiterhin geschürt werden. Dass zum Beispiel einige Deutsche meinen, ihnen würde nun etwas weggenommen werden, das hat mich persönlich sehr geärgert. Aber im Großen und Ganzen schaue ich – gerade in München – auf das Positive, auf den Zusammenhalt, und auch auf die Stärkung bei Leuten, die sich damit erstmals auseinandergesetzt haben.

Reisen muss man sich leisten können. Wie hast du das Ganze eigentlich finanziert?

Ich muss dazu sagen: Ab und an kommt eine Pressereise rein, aber im Buch selber kommt das nur in ein oder zwei Kapiteln vor. Das heißt, ich bekomme Unterstützung vom Reiseziel – entweder als Komplettpaket oder beispielsweise in Form eines kostenlosen Mietwagens. Ansonsten ist es tatsächlich so, dass man Prioritäten im Leben setzen muss. In meinem Fall heißt das: auf andere Dinge verzichten. Das gebe ich auch als Tipp an Menschen, die ihr Geld jede Woche in den H&M tragen und mich fragen, wie ich es mir leisten kann, nach Sansibar zu fliegen. Da kriege ich echt immer einen Hals! Ich bin kein Großverdiener, aber ich gehe kaum shoppen, kaum feiern und rauche nicht. Außerdem ist es nicht so teuer wie alle immer denken. Ich kann für 400 Euro nach Sansibar fliegen und in einer Strandhütte schlafen – und habe dann weniger ausgegeben als in dem Monat, in dem ich in München lebe.

„Gehen, um zu bleiben“ ist dein Erstlingswerk. Kann man vom Bücher schreiben heutzutage eigentlich leben? Oder anders gefragt: Was machst du, um deine Miete zu bezahlen?

Ich hatte das Glück, dass ich mit dem Goldmann-Verlag an einen großen Publikumsverlag gekommen bin und da konnte ich mir dank des Vorschuss die nötige Zeit nehmen und sagen: Ich klinke mich mal für ein paar Monate aus. Daneben mache ich Auftragsarbeiten, zum Beispiel Reiseberichte für Magazine wie „Jolie“.

Hast du schon die Idee fürs nächste Buch im Kopf?

Ich möchte in Zukunft sowohl Sachbücher als auch Romane schreiben, weil ich beides besonders gerne mag. Aber eine konkrete Idee fürs nächste Buch habe ich noch nicht, weil ich mit dem Kopf noch komplett bei meinem aktuellen Buch und der dazugehörigen Pressearbeit bin.

Aber das nächste Reisedomizil steht schon fest, oder?

Im Herbst bin ich viel auf Lesereise. Danach geht es zum ersten Mal nach Mittelamerika, zur Belohnung sozusagen – und zwar nach Panama und Costa Rica. Die Reise ist eher privater Natur, aber natürlich habe ich Block, Stift und mein Handy dabei, um Notizen zu machen und Fotos zu schießen. Ich kann Privates und Berufliches einfach nicht trennen.

Anika Landsteiner, vielen Dank für das Gespräch!

Auszug aus dem Kapitel Benin: „Wut“ oder „Warum ich an einen unbekannten Ort reiste“

(…) Noch wütender macht mich aber das Bild des Afrikaners, das viele Deutsche haben, die sich nicht die Mühe machen, es zumindest einmal zu hinterfragen.

Die sind ja so süß, die Negerkinder mit den Afros, darf man da mal reinfassen? Unglaublich, dieses Haar. Aber, nun ja, die sollen schön da unten bleiben, bloß nicht zu uns kommen, deswegen schicken wir da jetzt mal Geld hin. 

Wie es den Eltern dieser Kinder geht, interessiert kaum jemanden. Und ob das Kind in fünfzehn Jahren auf dem Weg in seine Zukunft im Mittelmeer ertrinkt, tangiert ebenfalls viel zu wenige. Und das, das ist mindestens genauso ungerecht und falsch wie meine drei Erlebnisse in Benin. Für diese Erkenntnis hätte ich nicht mal das Land verlassen müssen.

Als Denise, ein vielleicht vierjähriges Mädchen, auf meinen Schoß kletterte und ihre Pommes mit mir teilte, als wir uns ins Auto setzten, ich brumm brumm sagte, sie das aufgriff, mich anstrahlte und nachahmte, mit ihren kleinen Händen das Lenkrad umfassend, krallten sich diese Minuten mit ihr so tief in mich hinein, dass es weh tat. Und als Lars, Deniz, ich und der Rest des Teams ein paar Minuten später wirklich losfuhren, ich ihr zuwinkte und sie, auf dem Arm ihrer Mutter, bitterlich weinte, wusste ich, dass wir es einfach schaffen mussten, diejenigen, die nach Deutschland kommen wollten, willkommen zu heißen, aufzunehmen und daran zu arbeiten, dass das Zusammenleben funktionieren würde. Die Welt ist zu klein, um sich gegenseitig auszugrenzen.

Die EinDollarBrille bei der Arbeit zu begleiten, hat mich an trüben Tagen immer wieder aus meiner eigenen Hilflosigkeit herausgezogen. Aus der Spirale von Gedanken, den ewigen Fragen – was ist gut, was ist schlecht? Was kann ich tun, was muss ich tun? Fragen, die mich aufrüttelten und die mich noch so lange begleiteten, bis ich schließlich in Malawi ein paar Antworten fand.

Kinder, Hausfrauen, Verkäufer oder alte Menschen mit einer Brille versorgen, die es ihnen ermöglicht, zum allerersten Mal ihre Umwelt scharf sehen zu können. Mit Kindern Seifenblasen pusten. Fotos schießen und sich beim Blick auf das Display die Bäuche halten vor Lachen. Denise zu beobachten, wie sie auf Deniz’ Schultern saß und dann, als sie müde wurde, einfach den Kopf auf seinem ablegte. Der alte Mann, ein selbsternannter König, der uns in sein Haus einlud und erzählte, dass er so viele Enkelkinder hatte, dass er sie gar nicht zählen konnte. Der Besuch im Python-Tempel in Ouida, wo mir eine der Schlangen in die Hände gelegt wurde. Der Stolz der Mitarbeiter des Tempels, die diese im Voodoo-Glauben als heilig angesehenes Tier verehren. Die Fußballspiele von Kindern und Jugendlichen in der Abendsonne. Die großen Kleinigkeiten an jedem einzelnen Tag breiteten sich letztlich wie ein irrsinnig gutes Glücksgefühl in mir aus. Eins, das stärker war. (…)

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Von Pauline Tillmann, Konstanz

Pauline Tillmann ist Gründerin und Chefredakteurin von DEINE KORRESPONDENTIN. 2011 bis 2015 war sie freie Auslandskorrespondentin in St. Petersburg und hat für den ARD Hörfunk über Russland / Ukraine berichtet. Zuvor hat sie beim Bayerischen Rundfunk volontiert. Pauline ist regelmäßig als Coachin, Beraterin und Speakerin im Einsatz. 2022 erschien ihr Buch „Lust auf Lokal – das Handbuch für Community-Journalismus“, außerdem hat sie das Buch „Frauen, die die Welt verändern“ herausgegeben. Mehr unter: http://www.pauline-tillmann.de.

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Sabrina ProskeMünchen
Saado Ali* ist eine junge Mutter aus Nordsomalia. Sie flieht hochschwanger mit ihrem kleinen Sohn Yusuf vom Krieg. Zwischen provisorischen Zelten und Planen setzen plötzlich ihre Wehen ein. Mit uns spricht sie erstmals über ihre Erfahrungen als Schwangere in einem Kriegsgebiet.

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