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Gegen den Hass
Über den unermüdlichen Kampf im Netz

22. September 2021 | Von Anne Klesse
Juliane Chakrabarti engagiert sich mit tausenden Freiwilligen Hass und Hetze im Internet die Stirn zu bieten. Fotos: Anne Klesse

Hetze und Diffamierung im Internet nehmen zu. Ziel sind oft Frauen oder gesellschaftliche Minderheiten. Der Verein „ichbinhier“ hält mit tausenden Freiwilligen, die unermüdlich in den sozialen Netzwerken kommentieren, dagegen.

Von Anne Klesse, Hamburg

Wenn auf reichweitenstarken Nachrichtenseiten im Netz Artikel zu Flucht, Feminismus oder Extremismus erscheinen, wissen Juliane Chakrabarti und ihre Kolleg*innen: Heute wird ein langer, arbeitsreicher Tag. Bei bestimmten Themen können sie mittlerweile voraussagen, dass Kommentare voller Hass und Hetze – manchmal sogar tagelange Shitstorms – gegen einzelne Autor*innen folgen, zumal, wenn die Artikel auf Social Media gepostet werden. Um dem etwas entgegenzusetzen, engagieren sie sich im Hamburger Verein „ichbinhier“ für eine respektvolle Diskussionskultur im Netz.

Hervorgegangen ist der Verein aus einer geschlossenen Facebook-Gruppe, die Ende 2016 gegründet wurde. Die Idee stammt aus Schweden, wo es eine ähnliche Gruppe schon ein paar Monate länger gab. Anspruch ist es, Nutzer*innen sozialer Netzwerke, Medienvertreter*innen und politische Entscheidungsträger*innen überhaupt für das Thema zu sensibilisieren.

 

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Juliane Chakrabarti, Jahrgang 1951, ist seit 2017 dabei. Sie selbst wurde während eines Shitstorms gegen die ZDF-Journalistin Dunja Hayali aufmerksam. Hayali ist seit einem Statement zum Umgang mit Geflüchteten 2015 immer wieder übelsten Beleidigungen, Verleumdungen und Drohungen ausgesetzt. Das war auch 2017 immer wieder so.

„Ichbinhier“, damals rund 4.000 Facebook-Nutzer*innen stark, stand Hayali zur Seite: Freiwillige hinterließen Kommentare mit dem Hashtag #ichbinhier, um den Gerüchten und Falschbehauptungen in den Kommentarspalten zu widersprechen und gleichzeitig deutlich zu machen, dass es nicht in Ordnung ist, herabwürdigend miteinander umzugehen. Chakrabarti fand: „Eine sehr sinnvolle Aktion, ich habe noch am selben Tag um Aufnahme gebeten.“

Die Gruppe wuchs schnell, ein gemeinnütziger Verein sollte gegründet werden. Diplom-Pädagogin Chakrabarti hat jahrelang in Vereinen und sozialen Einrichtungen gearbeitet – zuletzt in der Leitung eines kommunalen Sozialunternehmens, das geflüchteten, obdachlosen und anderen Menschen, die es auf dem Wohnungsmarkt besonders schwer haben, Wohnungen gibt. Sie kennt sich aus mit Satzungen, Gemeinnützigkeit, Finanzierung. Noch 2017 wurde sie in den Vorstand gewählt und führt den Verein nun gemeinsam mit dem Gründer Hannes Ley und Mira Loeblein. 

Juliane Chakrabarti hat mit dem Verein „ichbinhier“ eine Möglichkeit gefunden, bei dem sie für Themen, die ihr wichtig sind, einstehen kann, ohne sich vor Wasserwerfer auf die Straße setzen zu müssen.

„Zivilcourage war mir schon immer wichtig“, sagt Chakrabarti. Jedoch habe sie früher wenig Zeit für ein Ehrenamt gehabt. Zwischen Abitur und Studium bekam sie ihre Tochter und heiratete. Ihr Mann ist mittlerweile verstorben. Mit ihrer Tochter wohnt sie in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt in einem Stadtteil in Hamburgs Süden, der ansonsten eher von prekären Wohnverhältnissen geprägt ist. Wer kann, geht lieber weg, doch Chakrabarti hatte die ehemalige Industriebrache als Gegenentwurf zu den alten Arbeiter*innensiedlungen und zur Aufwertung des Viertels selbst mitentwickelt und zog aus dem beliebten Eppendorf dorthin.

Hass im Netz führte bereits zu Mord und Terror

Offenbar geht sie gern als gutes Beispiel voran. „Als meine Tochter klein war, habe ich gegen Atomkraftwerke oder Volkszählung demonstriert. Später blieb wenig Raum für Engagement“, sagt sie. Als Rentnerin habe sie nun die Zeit und mit „ichbinhier“ eine Möglichkeit gefunden, „bei der ich für Themen, die mir wichtig sind, einstehen kann, ohne mich vor Wasserwerfer auf die Straße setzen zu müssen.“ Weniger dramatisch ist diese Arbeit dennoch nicht.

Auch die Freiwilligen selbst werden immer wieder in Kommentaren beschimpft und auch in privaten Nachrichten bedroht. Chakrabarti erzählt von einer älteren Bekannten im Verein, der regelrecht übel wurde, als sie die vielen Vergewaltigungsdrohungen gegen sich selbst kürzlich archivierte. Angst habe sie zwar nicht, aber: Walter Lübcke, Halle, Hanau – für sie drei Beispiele, wie der Hass aus dem Netz ins reale Leben schwappte und sogar zum Mord an Menschen führte.

Zur Erinnerung: Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war nach jahrelangen Todesdrohungen aus rechten Kreisen im Juni 2019 an seinem Wohnhaus erschossen worden. In Halle hatte ein bewaffneter Rechtsextremist im Oktober 2019 versucht, in eine Synagoge einzudringen, und dann eine Frau auf der Straße und einen Mann in einem Imbiss getötet sowie zwei weitere Menschen schwer verletzt. In Hanau hatte ein Attentäter im Februar 2020 neun Menschen in einer Shisha-Bar erschossen.

Nur wenige Meldestellen für Opfer von Hetze im Internet

Nur in wenigen Bundesländern gibt es staatliche Meldestellen im Kampf gegen Hasskriminalität im Internet. Hessen startete im Januar 2020 die bundesweit erste Anlaufstelle. Das Bundeskriminalamt verweist auf die in Baden-Württemberg ansässige Meldestelle „respect!“, bei der bundesweit Hinweise geprüft, an die Plattformbetreiber*innen weitergegeben und zur strafrechtlichen Verfolgung angezeigt werden. Im Frühjahr trat zudem ein neues Gesetzespaket in Kraft: Bei Beleidigungen im Netz drohen nun bis zu zwei Jahre Haft. Der Strafrahmen bei Mord- und Vergewaltigungsdrohungen im Netz wurde auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe angehoben.

Ab Februar 2022 müssen soziale Netzwerke so etwas nicht mehr nur löschen, sondern auch inklusive der IP-Adresse dem Bundeskriminalamt melden. Kritiker*innen bezweifeln, dass das funktionieren wird. Andere sorgen sich um die Meinungsfreiheit, wieder anderen gehen die Bestimmungen nicht weit genug. Doch immerhin haben Betroffene nun eine Möglichkeit, sich auch rechtlich zu wehren. Unterstützung erhalten sie weiterhin jederzeit von Initiativen wie „ichbinhier“ oder „HateAid“, einer gemeinnützigen Organiation mit Sitz in Berlin, die Opfern digitaler Gewalt unter anderem mit kostenloser Beratung und Prozesskostenfinanzierung hilft.

Häufiges Ziel solcher Attacken im Netz sind neben Menschen mit Migrationshintergrund, Politiker*innen, Muslim*innen und Geflüchteten besonders Frauen. Das zeigen etliche Studien und wird unter anderem im Forschungsbericht des „Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft“ von 2019 deutlich. In einer Studie der Hilfsorganisation „Plan International“ zu digitaler Gewalt, bei der 14.000 Mädchen und junge Frauen in 22 Ländern befragt wurden, kam heraus, dass 58 Prozent bereits Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen erlebt haben. In Deutschland sind es sogar 70 Prozent.

Diese Erfahrungen führten bei vielen Betroffenen zu psychischen Leiden und dazu, dass sie ihr Verhalten in den sozialen Kanälen änderten: Sie nutzen die Plattformen seltener, sagen weniger ihre Meinung oder verließen das jeweilige Netzwerk ganz. Diese Verdrängung ist seitens der Hater*innen gewollt, sagen Expert*innen wie Juliane Chakrabarti. „Die systematischen Anfeindungen gegenüber der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sind ein Beispiel dafür, wie Frauen aus dem Netz gedrängt werden sollen. Oft geht es darum, Narrative zu verbreiten und die Berichterstattung zu bestimmen.“

Häufiges Ziel von Attacken im Netz sind neben Menschen mit Migrationshintergrund, Politiker*innen, Muslim*innen und Geflüchteten besonders Frauen. Der Verein „ichbinhier“ will dem was entgegensetzen.

Sie ist überzeugt: „Was wir einmal aufgeben an Raum – das ist weg. Wir merken es in Ländern wie Ungarn, Polen, Russland, den USA und wie schnell sich dort antifeministische Strömungen breitmachen.“ Laut „HateAid“ unterscheiden sich die Gewalterfahrungen, die Frauen im Netz machen, stark von denen heterosexueller weißer Männer: „Häufig ist die Gewalt, die sich online gegen Frauen richtet, sexualisiert und frauenfeindlich. Das bedeutet, Täter*innen greifen Frauen einzig und allein aufgrund ihres Geschlechts an. Der Inhalt, den Frauen in diesen Fällen zuvor verbreiteten, posteten oder liketen, ist häufig nebensächlich.“

Stille Mitlesende erreichbar für Argumente und Hinweise

Der Verein „ichbinhier“ hat die Hater*innen in drei Kategorien eingeteilt: Ein großer Teil seien stille Mitlesende, die nicht selbst kommentieren, aber für Verschwörungsmythen und ähnliches empfänglich seien. „Eine andere Gruppe nennen wir die Trolle. Die sind häufig gelangweilt und leiden darunter, dass sie keine Bedeutung haben. Deren Antrieb ist der Wunsch nach Aufmerksamkeit“, so Chakrabarti. Und dann gebe es die mit politischem Programm, zu ihnen zählt der Verein etwa sogenannte Querdenker*innen. Letztere sind wohl am wenigsten erreichbar für Argumente und im realen Leben teils gewaltbereit. „Viele sind aus Wut, Ärger und Frustration gespeist darüber, was in ihrem Leben nicht gut läuft.“

Um dem etwas aktiv entgegenzusetzen, scannen Freiwillige zwischen 6 und 22 Uhr die reichweitenstärksten Webseiten wie t-online, Focus Online, Spiegel.de, Welt.de und Bild.de. „Sobald ein Artikel innerhalb von 15 Minuten mehr als 30 Prozent Hass- und Hetzkommentare hat, rufen wir unsere Community auf, aktiv zu werden“, so Chakrabarti. Dann schreiben die Freiwilligen Kommentare, die die Moderator*innen auf Beleidigungen aufmerksam machen. Sie zeigen irreführende oder falsche Behauptungen auf, argumentieren dagegen. Es gibt keine Vorschriften oder Richtlinien, das passiert weitgehend selbstverantwortlich.

Für ihre Arbeit wurden die „ichbinhier“-Macher*innen 2017 mit dem renommierten „Grimme Online Award“ ausgezeichnet, Initiator Hannes Ley erhielt 2018 stellvertretend das Bundesverdienstkreuz. Mittlerweile zählt das überparteiliche Netzwerk 44.000 aktive Mitglieder. Es sind etwas mehr Frauen als Männer, mehr als die Hälfte kommt aus psychosozialen Berufen, mehr als 70 Prozent waren bereits vorher ehrenamtlich tätig und haben selbst Erfahrungen mit Hassrede gemacht.

Juliane Chakrabarti ist überzeugt: Für Betroffene sei es wichtig zu sehen, dass sie nicht allein seien. Die meisten Hater*innen werde man*frau damit wohl nicht überzeugen, aber vielleicht die stillen Mitlesenden. Für die Aktivistin ist es vor allem das Signal, das zählt: „Im Netz dagegenzuhalten ist für mich so ähnlich, wie in der S-Bahn aufzustehen und jemandem, der einen anderen Fahrgast beleidigt, zu sagen: Lass das sein!“

 

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Von Anne Klesse, Hamburg

Anne Klesse ist freie Journalistin. Nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hat sie an der Axel Springer Journalistenschule volontiert und war Redakteurin der Welt, Welt am Sonntag und Berliner Morgenpost in Berlin. Dort schrieb sie insbesondere Porträts und Reportagen. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Wächterpreis der Tagespresse. Mehr: www.anneklesse.de.

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