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Fremde im eigenen Land
Veraltetes Gesetz bringt Probleme mit sich

20. März 2019 | Von Mareike Enghusen
Aktivistin Lina Abou Habib setzt sich für die politische und ökonomische Stärkung von Frauen ein. Foto: Mareike Enghusen

Libanesische Frauen, die einen ausländischen Mann heiraten, dürfen ihre Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder übertragen. Die Betroffenen fühlen sich von ihrem eigenen Land diskriminiert.

Von Mareike Enghusen, Beirut

Wenn die Libanesin Nadira (die ihren Nachnamen nicht sagen möchte) mit ihrem amerikanischen Ehemann und den beiden Söhnen aus dem Urlaub nach Beirut zurückkehrt, dann gibt es diesen Moment am Flughafen, den sie alle hassen. Vor der Passkontrolle muss sich die Familie aufteilen: Nadira stellt sich in die Schlange für libanesische Staatsbürger*innen, während ihr amerikanischer Ehemann und die beiden gemeinsamen Söhne sich bei den Ausländer*innen einreihen. Zwar sind beiden Söhne im Libanon aufgewachsen, einer von ihnen sogar dort geboren. Doch Nadira kann ihre Nationalität nicht auf die beiden übertragen – weil sie eine Frau ist.

Die libanesische Staatsbürgerschaft besitzt „jede Person, die einem libanesischen Vater geboren wird“, so steht es in der Verordnung Nummer 15 zur libanesischen Staatsbürgerschaft. Mütter kommen in dem Text nicht vor. Heiratet eine Libanesin einen ausländischen Mann, erhalten die gemeinsamen Kinder die Nationalität des Mannes, selbst wenn sie im Libanon geboren sind – sie werden zu Fremden im eigenen Land.

Sie müssen also regelmäßig ihre Aufenthaltsgenehmigung erneuern und eine Arbeitserlaubnis beantragen, zahlen höhere Studiengebühren und können nicht kostenlos öffentliche Krankenhäuser besuchen, sondern müssen sich teuer privat versichern. Und eine ganze Reihe von Berufsfeldern, darunter Medizin, Pharmazie und Jura, ist ihnen versperrt: Denn für die Aufnahme in die entsprechenden Berufsverbände, die dafür nötig ist, ist ein libanesischer Pass Pflicht.

Nadira (Mitte) und ihre Söhne (Foto: privat).

Nadiras Söhne haben deshalb ihr Heimatland verlassen. Ihr älterer Sohn, der 28-jährige Omar, studiert Medizin in den USA; in seinem Heimatland wird er nicht praktizieren dürfen. Der 22-jährige Bassem studiert Betriebswirtschaft in Dubai. „Er wollte eigentlich Pilot werden, aber Libanons Airline wollte ihn nicht ausbilden, weil er kein Libanese ist“, berichtet seine Mutter. Auch Bassem werde wohl nicht zurückkehren, vermutet sie – obwohl er sein Heimatland liebe.

Furcht vor demografischen Verschiebungen

Nadira hat früher als Medizintechnikerin gearbeitet. Mit der Geburt ihres ersten Kindes gab sie ihren Beruf auf. Heute widmet sie einen Großteil ihrer Zeit einer Frauenrechtskampagne, die gegen das diskriminierende Gesetz kämpft. „Meine Staatsbürgerschaft ist ein Recht für mich und meine Familie“, lautet ihr Slogan. Mitentwickelt hat sie Lina Abou Habib, Vorsitzende einer Nichtregierungsorganisation namens „Collective for Research and Training on Development–Action“, kurz CRTDA, die sich für die politische und ökonomische Stärkung von Frauen einsetzt.

Das Büro befindet sich in Badaro, einem wohlhabenden Viertel Beiruts, nahe des libanesischen Nationalmuseums. Abou Habib, die zahlreiche Artikel zu Frauenrechtsthemen veröffentlicht hat, sitzt in einem Raum mit vollen Bücherregalen und Aktionspostern an der Wand. „Dass Frauen ihre Nationalität im Gegensatz zu Männern nicht an ihre Partner und Kinder übertragen können, bedeutet, dass der Staat Frauen nicht als Bürger wahrnimmt,“ sagt sie, „ihre Existenz ist an einen Mann gebunden, als Schwester, Tochter oder Ehefrau.“

Das Gesetz, das nur Kindern eines libanesischen Vaters die Staatsbürgerschaft gewährt, stammt aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals hatten andere arabische Länder ähnliche Regelungen, die meisten haben diese jedoch inzwischen abgeschafft. Im Libanon verteidigen politische Autoritäten wie Staatspräsident Michel Aoun die Regelung bis heute. Zur Begründung verweisen sie auf die demografische Balance – eines der sensibelsten Themen des Landes, insbesondere das Verhältnis zwischen den drei größten Gruppen, also den Christen, den schiitischen und den sunnitischen Muslimen.

Seit 1943 gilt im Libanon eine ungeschriebene, aber seitdem stets befolgte Abmachung: Präsident*innen müssen christlich sein, Premierminister*innen sunnitisch und Parlamentssprecher*innen schiitisch. Diese Verteilung beruht auf einer Volkszählung im Jahr 1932 als die christliche Gemeinde eine knappe Mehrheit stellte. Doch weil deren Mitglieder seitdem eine niedrigere Geburtenrate hatten und zudem in größeren Zahlen auswanderten als andere Gruppen, sind sie in die Minderheit geraten. Präzise demografische Daten gibt es jedoch nicht: Niemand wagt es, nachzuzählen, um den gesellschaftlichen Frieden nicht zu gefährden. Bis heute ist die libanesische Gesellschaft traumatisiert von dem Bürgerkrieg, in dem von 1975 bis 1990 verschiedene Bevölkerungsgruppen einander bekämpften. 

Dazu leben laut UN-Angaben rund eine halbe Million Palästinenser*innen im Libanon, Flüchtlinge der israelisch-arabischen Kriege sowie deren Nachkommen. Seit 2011 sind zudem anderthalb Millionen Syrer*innen in das kleine Nachbarland geflohen. Es sind diese Bevölkerungsgruppen, die die Verteidiger*innen des derzeitigen Staatsbürgerschaftsgesetzes im Blick haben: Palästinensische und syrische Männer, die in der großen Mehrzahl Muslime sind, könnten andernfalls libanesische Frauen heiraten, damit sie die Staatsbürgerschaft erhalten und so den Anteil der Muslime weiter in die Höhe treiben.

Die Argumentation hat allerdings einen Haken, wie Nadira anmerkt: „Wenn libanesische Männer ausländische Frauen heiraten, ändert das die Demografie etwa nicht? Muslimische Männer dürfen sogar vier Frauen heiraten! Und trotzdem wird das demografische Argument nur gegen Frauen benutzt.“ Wie viele Frauen im Libanon mit Ausländern verheiratet sind, ist nicht bekannt. Im Innenministerium kursiere die Zahl von rund 15.000 betroffenen Familien, sagt Abou Habib. Sie attestiert jenen, die eine Gesetzesreform ablehnen, allen voran dem christlichen Präsidenten und seiner Entourage, wörtlich „Sexismus und Rassismus“.

Die Kampagne zeigt Wirkung

Zugleich zeigt sie sich optimistisch. Denn einen Erfolg hat ihre langjährige Kampagne bereits erzielt: Das Thema ist in den politischen Diskurs vorgedrungen. Während des letzten Parlamentswahlkampfs im Frühling 2018 versprachen mehrere Politiker*innen, das Gesetz zugunsten der Frauen zu ändern. Im Herbst schrieb der Abgeordnete Hadi Abul Hassan sogar einen Gesetzesentwurf, nach dem libanesische Frauen ihre Staatsangehörigkeit automatisch an ihre Kinder weitergeben könnten. Bewegt hat sich seitdem nichts. Trotzdem hätten Frauen begonnen, das Recht auf die Weitergabe ihrer Staatsbürgerschaft als grundsätzliches Menschenrecht zu verstehen und selbst einzufordern, erklärt Aktivistin Lina Abou Habib.

So fühlt sich Nadira von den jüngsten Diskussionen ermutigt und sagt: „Zum ersten Mal hat das Thema das Parlament erreicht. Ich bin sicher, wenn wir weiter Druck machen, können wir das Gesetz ändern.“ Sie hofft, dass das bald geschieht, denn sie vermisst ihre Söhne. Doch den Libanon verlassen möchte sie nicht: Ihre Eltern leben noch hier und brauchen ihre Hilfe. Zugleich sorgt sie sich um ihre eigene Zukunft: Sie fürchtet, dass ihre Söhne wegen der schwierigen Umstände nie in den Libanon zurückkehren werden: „Was wird aus mir, wenn ich selbst einmal alt bin? Dann sollten meine eigenen Kinder bei mir sein.“

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Von Mareike Enghusen, Tel Aviv

Mareike Enghusen berichtet als freie Auslandsreporterin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vor allem aus Israel, Jordanien und den palästinensischen Gebieten. Mehr unter: http://www.mareike-enghusen.de.

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