Lerne inspirierende Frauen aus der ganzen Welt kennen.

Lerne inspirierende Frauen weltweit kennen.

Freiheit auf Rädern
Afroamerikanerinnen treiben Rollschuh-Revival an

6. April 2022 | Von Marinela Potor
Für Brittney Smith und andere Afroamerikaner*innen ist Rollschuh fahren mehr als eine Freizeitbeschäftigung. Fotos: Marinela Potor

Rollschuh fahren erlebt in den USA derzeit ein Comeback. Angetrieben wird der Trend vor allem von Afroamerikanerinnen. Denn: Für sie steckt dahinter ein kulturelles Erbe und ein lang erkämpftes Recht auf Freiheit. 

Von Marinela Potor, Cincinnati

Sobald Brittney Smith ihre Rollschuhe anzieht und aufs Parkett tritt, hält sie nichts mehr. Die Afroamerikanerin wirbelt im Kreis, fährt vorwärts, rückwärts, seitwärts und tanzt ohne Hemmungen zu einem R&B-Lied, das der DJ auflegt. Es ist Ü30-Abend in der Rollschuharena „The Place“ in Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio. Neben Smith tummeln sich hier zahlreiche andere Rollschuhbegeisterte. Die Mehrheit ist afroamerikanisch. Viele kommen schon seit Jahren hierher – und alle kennen sich.

Es werden Begrüßungen ausgetauscht, neue Rollschuhe begutachtet und vor allem wird gemeinsam gefahren und getanzt – soweit sich das in Corona-Zeiten umsetzen lässt. Die Atmosphäre erinnert an ein fröhliches Familienfest und es ist genau dieses Gemeinschaftsgefühl, das Brittney Smith schätzt: „Wir alle kennen und lieben uns. Die Menschen hier sind deine Familie außerhalb deiner eigenen Familie.“ Smith studiert Geschichte an der University of Cincinnati und schreibt gerade ihre Doktorarbeit. Sie hat zwei Kinder und arbeitet neben dem Studium in einem Vollzeit-Job.

In ihrem hektischen Alltag bietet ihr das Rollschuh fahren die einzige Möglichkeit zum Abschalten. Das macht sie viermal die Woche bei verschiedenen Erwachsenenabenden, darunter auch bei „The Place“. Brittney Smith skatet zwar regelmäßig auch mit ihren Kindern, aber diese Abendstunden sind als „mentaler Raum“ nur für sie reserviert. Sie erklärt: „Wenn ich Rollschuhe anhabe, denke ich nicht über die Probleme in meinem Leben nach. Es ist so, als würden all meine Sorgen beim Skaten weggewaschen werden. Ich kann mich vollständig in einer Bewegung, in einer Technik, in einem Lied verlieren. Das macht süchtig!”

Beim Rollschuh fahren kann Brittney Smith wirklich abschalten.

Afroamerikaner*innen mussten sich Recht auf Rollschuh fahren erkämpfen

Freiheit. Freude. Familie. Diese Begriffe fallen immer wieder in Gesprächen mit Rollschuhfahrer*innen an diesem Abend. Insbesondere für Afroamerikaner*innen ist es mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung. Es ist ein Recht, das sie sich hart erkämpfen mussten. Denn nicht immer gab es Orte wie „The Place“, wo sie willkommen waren. Als der Sport in den USA in den 1930er Jahren an Beliebtheit gewonnen hat, steckte die Nation noch mitten in der Jim-Crow-Ära. Brittney Smith beschreibt diese Zeit als „100 Jahre Rassentrennung nach der Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1865“.

Die Grundidee der Jim-Crow-Gesetze war – auch ohne Sklaverei – weiterhin exklusiv Weiße Orte und Aktivitäten beizubehalten. Das bedeutete im Umkehrschluss: Schwarze Menschen davon auszuschließen. „In der geschichtlichen Aufbereitung sprechen wir oft von der Rassentrennung in der Erziehung oder in öffentlichen Räumen. Doch wir vergessen, dass auch die Freizeit von Rassentrennung geprägt war“, so Smith. Afroamerikaner*innen durften in dieser Zeit vielerorts nicht ins Kino oder in Parks – und auch nicht Rollschuh fahren.

Es habe zwar ihrer Kenntnis nach kein Gesetz gegeben, dass dies ausdrücklich verboten hätte, doch Afroamerikaner*innen wurden laut Smith schlicht nicht in die Arenen eingelassen. Da sie sich das Skaten jedoch nicht verbieten lassen wollten, schafften sie ihre eigenen Räume. In Chicago etwa gab es den Nachtclub „Savoy“, der an bestimmten Tagen Rollschuhfahrer*innen auf die Tanzfläche ließ. Schwarze Kirchen installierten zwischen Kirchenbänken Rollschuhbahnen für die Gemeindemitglieder. Viele Menschen bauten ihre Keller oder Wohnzimmer um und trafen sich hier zum Skaten.

Subkultur aus Mode, Musik und Tanz

So entstand mit der Zeit eine lebendige Subkultur. Afroamerikaner*innen begannen überwiegend zu Funk und R&B zu fahren und entwickelten dabei regionale Stile. Ohio ist etwa für den sogenannten „Shuffle“ bekannt, eine Art rhythmisches Wippen. In Chicago wiederum gibt es den „JB-Stil“, weil dort die Musik von James Brown besonders beliebt ist und St. Louis hat den Gesellschaftstanz auf Rollschuhen perfektioniert.

Weil viele Schwarze Skater*innen sich die teuren Rollschuhe nicht leisten konnten, bauten sie diese aus ihren Straßenschuhen. Daraus entwickelte sich sogar ein eigener Modestil. Wer etwas auf sich hielt, kam mit selbstdesignten Modellen in die Arena.

In den 1980er und 90er Jahren fand schließlich Hip-Hop-Musik Einzug in die Schwarze Skate-Kultur. Kunstschaffende wie Dr. Dre, Queen Latifah oder Salt-N-Peppa begannen ihre Karriere in Rollschuharenen.

Nicht-Weiße Gäste waren nicht willkommen

Doch selbst zu dieser Zeit, als Rassentrennungspraktien schon lange illegal waren, war es für Afroamerikaner*innen nicht leicht, Orte für ihr Hobby zu finden. Denn die meisten Rollschuharenen waren nach wie vor in der Hand von Weißen Besitzer*innen und viele von ihnen wollten keine Afroamerikaner*innen in ihren Hallen. So fanden sie legale Mittel und Wege, um Nicht-Weiße Gäste auszuschließen. Ein Mechanismus, den unter anderem der Dokumentarfilm „United Skates“ aufgedeckt hat.

Demnach spielten einige Arenen bewusst keinen Hip-Hop, Soul oder R&B und als Schwarze Skater*innen begannen, Kopfhörer mitzubringen und zu ihrer eigenen Musik zu fahren, wurde sogar dies verboten. Oftmals war auch der Einlass mit selbstgestalteten Rollschuhen nicht gestattet, genausowenig wie das Bilden von Tanzformationen. All diese Verbote, die sich explizit gegen die Schwarze Skate-Kultur richteten, begründeten die Arenen mit Sicherheitsbedenken. Den afroamerikanischen Skater*innen signalisierten sie damit aber: Ihr und eure Art zu skaten sind hier nicht erwünscht.

Das ist teilweise auch heute noch der Fall. Deshalb ist Brittney Smith dankbar, dass es in ihrer Region ungewöhnlich viele Rollschuharenen gibt, die Schwarze Skater*innen willkommen heißen. Dazu gehört auch die Arena „Skateway“ in Middletown, einem kleinen Ort, etwa 50 Kilometer nördlich von Cincinnati. An einem Freitagabend tummeln sich hier unter einer leuchtenden Diskokugel rund 100 Rollschuhbegeisterte, überwiegend im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren. Heute sind vor allem Weiße Skater*innen da. Doch die Besitzerin Linda Rall wirbt ganz bewusst auch um Schwarze Kund*innen.

Die Skateway-Arena in Middletown ist ein beliebter Treffpunkt für die Menschen im Ort.

Eine Branche kämpft ums Überleben

„Seien wir ehrlich, es sind die afroamerikanischen Skater, die unsere Arenen am Leben erhalten“, sagt sie. Denn während die afroamerikanische Skate-Gemeinschaft die Rollschuhkultur über Generationen hinweg stolz aufrechterhalten hat, ist das Hobby unter Weißen US-Amerikaner*innen fast ausgestorben. Die Branche kämpft damit auch teilweise ums Überleben. „Wer eine Rollschuharena betreibt, wird damit nicht reich. Es ist sehr viel Arbeit und nicht viel Geld“, stellt Linda Rall daher klar. „Ich mache das seit über 30 Jahren, weil ich das Rollschuh fahren liebe. Es macht mir Freude, mit meiner Arena etwas an die Gemeinschaft zurückzugeben und einen Ort zu bieten, an dem alle einfach Spaß haben können.“

In ihren 30 Jahren in der Branche hat Rall viel miterlebt. Als sie etwa 1988 ihre erste Rollschuharena in einer überwiegend Schwarzen Nachbarschaft in der Stadt Dayton übernahm, standen wenige Jahre später die Behörden vor der Tür: Rall sollte gefälligst ihre Arena schließen. „Die Stadt wollte die Schwarze Bevölkerung vertreiben und den Stadtteil in ein wohlhabendes Viertel mit höheren Steuereinnahmen verwandeln.“ Unternehmen mit überwiegend Schwarzer Kundschaft waren nicht mehr erwünscht. So musste Linda Rall ihr Grundstück verkaufen und ihr Unternehmen nach Middletown verlegen. Damit steht sie nicht allein da.

Rollschuharenen bringen einer Stadt nicht so viele Steuergelder wie ein Baumarkt oder eine Einkaufsmeile. Immer mehr geraten daher durch angepasste Flächennutzungspläne in Bedrängnis. Während es 1980 noch rund 3.000 Arenen in den USA gab, mussten bis 2010 fast die Hälfte davon schließen, schreibt Steven Riess in seinem Buch „Sports in America“. Aktuell gibt es nur noch etwa 1.000 Arenen, schätzt die Organisation „Roller Skating Association International“. Linda Rall ist eine der Wenigen, die sich trotzdem über Wasser halten konnte. Doch dann kam Corona.

Für Brittney Smith und viele andere wie eine zweite Familie:Die Skate-Gemeinschaft „The Place“.

Corona macht Rollschuh fahren zum Trendsport

Die Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns traf Rollschuharenen wie „Skateway“ zunächst sehr hart. Gleichzeitig entdeckten viele junge Menschen im Zuge von geschlossenen Diskos, Cafés und Fitnessstudios das Rollschuh fahren als straßentaugliche Freizeitaktivität. So sind Rollschuhe in den USA seit 2020 Mangelware. Insbesondere Schwarze und Braune Frauen treiben diese Entwicklung an. US-Influencerinnen wie Mala Muñoz oder Liliana Ruiz etwa sorgten mit viralen Social-Media-Videos dafür, dass Rollschuh fahren unter Jugendlichen als neue Trendsportart gilt.

Und in den Arenen ist es eine zunehmende Zahl von Schwarzen Frauen wie Brittney Smith, die einen Ausgleich zum Familien- und Berufsleben suchen – und so wieder zum Rollschuh fahren finden. Dieser Trend bekräftigt Brittney Smith in ihren Plänen, ihre eigene Arena zu eröffnen. Sie wäre damit die erste Schwarze Besitzerin einer Rollschuharena in Cincinnati und die zweite in ganz Ohio.

Wie auch Rall geht es Smith dabei weniger ums Geldverdienen. Vielmehr möchte sie der afroamerikanischen Gemeinschaft ihrer Stadt einen Ort bieten, an dem sowohl Erwachsene als auch Kinder Sport treiben und Spaß haben können. Nach dem Motto „Black Joy Matters“ will Brittney Smith einen Raum schaffen, an dem sich alle wohlfühlen können und niemand verurteilt wird. Sie sagt zum Abschied: „Du kannst so sein, wie du wirklich bist. Rollschuh fahren ist Freiheit auf Rädern!“

Hat dir unser Artikel gefallen?
Dann spendiere uns gerne einen (oder zwei) Kaffee… Danke!

Buy Me a Coffee

image/svg+xml

Von Marinela Potor, Detroit

Marinela Potor arbeitet als freie Redakteurin für Online, Print und Radio. Ihre Themenschwerpunkte sind Wissenschaft, Green Tech und der digitale Wandel. Von 2017 bis 2021 war sie Chefredakteurin von Mobility Mag. Aktuell lebt sie in Deutschland und den USA und berichtet von dort vor allem über gesellschaftliche und technologische Trends.

Alle Artikel von Marinela Potor anzeigen

image/svg+xml
Pauline TillmannKonstanz
Nur wenigen Künstler*innen können von ihrer Arbeit leben. Stefanie Scheurell ist eine von ihnen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Grenzen zu überwinden und Menschen zum Dialog aufzufordern. Wir haben sie getroffen, über ihre Kreativität und ihre Ziele gesprochen.
Sabrina ProskeMünchen
In Somalia sind Frauen das wirtschaftliche Rückgrat der Gesellschaft und emotionale Band der Familie. Dennoch nimmt die Gewalt gegen Frauen innerhalb der Familie zu und die Zahl der Femizide steigt dramatisch an. Drei Todesfälle von Frauen aus Mogadishu gerieten auf Grund seiner Brutalität international in die Schlagzeilen. Woher kommt die Gewalt? 

Newsletter Anmeldung

Trage dich jetzt für unseren kostenfreien Newsletter ein, der dich jede Woche mit aktuellen Infos zu neuen Artikel und mit Neuigkeiten rund um DEINE KORRESPONDENTIN versorgt!

Abonniere unseren kostenfreien Newsletter