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Freie Küche
Nadia Sammut und ihre glutenfreie Sterneküche

31. Dezember 2025 | Von Anna Schütz | 10 Minuten Lesezeit
Ein Gericht aus der Küche von „La Fenière“ entsteht – ohne Weizen, ohne Butter, mit handwerklicher Präzision. Foto: Enjoytrip Soulpics

Nadia Sammut hat sich einen außergewöhnlichen Platz in der französischen Haute Cuisine erarbeitet: Als erste Sterneköchin weltweit führt sie ein Restaurant, das gänzlich auf Gluten und Laktose verzichtet. Ihr Ansatz, zeigt, dass Spitzenküche sowohl exklusiv als auch verantwortungsbewusst sein kann.

 

Zusammenfassung:

Nadia Sammut hat die französische Sterneküche neu gedacht: Aus eigener Notwendigkeit entwickelte sie eine konsequent gluten- und laktosefreie Haute Cuisine – und erhielt dafür als erste Köchin weltweit einen Michelin-Stern. Mit ihrer „Cuisine Libre“ verbindet sie Handwerk, Nachhaltigkeit und Inklusion. Als Frau an der Spitze einer männlich dominierten Branche inspiriert sie international und zeigt, wie Genuss, Gesundheit und Verantwortung zusammengehen können. 

 

Von Anna Schütz, Montpellier 

Butter, Mehl und Sahne gelten als Grundpfeiler der französischen Küche. Im Restaurant von Nadia Sammut spielen sie dagegen keine Rolle. Die Französin hat sich als handwerklich präzise Sterneköchin etabliert und gilt zugleich als eine der bekanntesten Vertreterinnen einer Küche, die den gastronomischen Anspruch mit gesundheitlicher Verträglichkeit verbinden will.  

Gluten- und laktosefrei, fermentiert, naturbelassen – Begriffe, die in der Spitzengastronomie bis vor wenigen Jahren noch so gut wie keine Beachtung fanden, bilden heute das Fundament ihrer Arbeit. Dabei entstand ihr Ansatz aus einer persönlichen Notwendigkeit: Ihre eigenen Unverträglichkeiten zwangen sie dazu, die französische Küche grundlegend neu zu denken. Der Michelin-Stern, der ihre Arbeit honorierte, machte sie auch international bekannt und wirft gleichzeitig die Frage auf, wie viel kulinarische Revolution tatsächlich in ihrem Ansatz steckt. 

Nadia Sammut, erste glutenfreie Sterneköchin der Welt. I Foto: Sébastien Dubois

Kulinarisches Erbe  

Nadia Sammut stammt aus einer Familie, in der die Leidenschaft für Gastronomie tief verwurzelt ist. Bereits ihre Großmutter Claudette war eine renommierte Köchin und eröffnete 1972 in der Provence das Restaurant „La Fenière“ – zu Deutsch ‚das Fenster‘ – das ihre Mutter Reine Sammut später übernahm. „Meine Arbeit ist aus diesen 40 Jahren Geschichte entstanden – ausgehend von den Aromen, die meine Großmutter weitergegeben hat. Ich bin zunächst hinaus in die Welt gezogen und habe mich dann gefragt: ‚Warum nicht hierher zurückkehren, nach Hause, und diese Küche für alle zugänglich machen?‘“, erzählt Sammut. 

Der Schritt war jedoch nicht rein beruflich motiviert, sondern eng mit persönlichen gesundheitlichen Erfahrungen verbunden. Seit ihrer Kindheit lebt sie mit Zöliakie und einer Laktoseintoleranz. „Seit ich klein war, bedeutete Essen für mich, danach krank zu sein. Ich hatte kein Vergnügen daran, weil Essen immer mit der Angst vor einer neuen gesundheitlichen Krise verbunden war“, erinnert sie sich.  

Gemeinsam mit ihrer Mutter überarbeitete sie die gesamten Familienrezepte und richtete das Restaurant so auf eine allergenfreie Küche aus. Sammut erklärt: „Die Vorgaben des allergenfreien Kochens bringen zwar viele Herausforderungen mit sich, aber ich habe auch großen Spaß daran, denn sie eröffnen mir neue kulinarische Möglichkeiten. Vor allem bei den Desserts stößt man dabei oft an seine Grenzen. Doch das Erstaunliche ist, dass sie dadurch nur an Leichtigkeit gewinnen.“  

Haute Cuisine ohne klassische Zutaten wie Weizen oder Butter. I Foto: Delphine Bes Ragobert

Genuss ohne Grenzen 

Nadia Sammut beschreibt ihre Küche als „Cuisine Libre“, als freie Küche: „Es ist eine Bewegung, die eine Küche frei von allen Vorschriften, frei von Allergenen und frei von Gedanken fördert.“ Alternativmehle wie Kastanien-, Buchweizen- oder Reismehl ersetzen klassische Getreideprodukte, Butter wird durch pflanzliche Alternativen ausgetauscht und industriell gefertigte Zutaten weitestgehend gemieden.  

Dazu legt sie besonderen Wert auf Fermentation und die Nutzung von Wildkräutern, um Geschmack, Textur und Nährstoffgehalt ihrer Gerichte zu erhalten. „Die Küche basiert ausschließlich auf lokalen Produkten, in enger Zusammenarbeit mit den Züchtern und Produzenten der Provence“, betont die 45-Jährige. Über das von ihr gegründete Institut „Cuisine Libre“ bildet Sammut selbst Köch*innen mit dem Ziel aus, ihr Wissen über eine verträgliche, hochwertige Küche weiterzugeben. 

Der erste Michelin-Stern für ein glutenfreies Gourmetrestaurant 

Im Jahr 2017 wurde „La Fenière“ unter der Leitung von Nadia Sammut mit einem Stern im Guide Michelin ausgezeichnet – ein Meilenstein, denn die Küche war damit das weltweit erste vollständig glutenfreie Gourmetrestaurant mit Michelin-Stern. Für die Köchin spiegelt die Auszeichnung eine große Anerkennung wider: „Das ist ein Zeichen dafür, dass sich die Gastronomie dieser inklusiven Vision öffnet und sich zugleich mit der Entwicklung der Gesellschaft auseinandersetzt.“ 

Gleichzeitig birgt der Stern aber auch einen Widerspruch in sich. Das Michelin-System beruht traditionell auf Kriterien, die aus der klassischen französischen Haute Cuisine stammen: Techniken, Zutaten und ein Geschmacksprofil, das auf Mehl, Butter und Sahne basiert. In Frankreich werde die Haute Cuisine oft in fest abgegrenzten Vorstellungen und als kulturelles Erbe gedacht.  

Ob auch Sammut mit ihrer Art zu kochen, ebenfalls Teil davon sein kann? Dass ein Restaurant ausgezeichnet wird, das diese Richtlinien aktiv umgeht, wirft durchaus die Frage auf, ob eine neue Küche anerkannt wird – oder ob es sich schlichtweg um eine Ausnahme innerhalb eines sonst unveränderten Systems handelt. 

Nadia Sammut im Gespräch über Zutaten und Zubereitung. I Foto: Enjoytrip Soulpics

Unkonventioneller Ansatz  

Bei Menüpreisen von 90 bis 160 Euro pro Person wird deutlich, dass die Küche von Nadia Sammut kein alltägliches Angebot ist und ihre Zugänglichkeit begrenzt ist. Wer regelmäßig Sterneküche konsumieren möchte, muss also bereit sein, einen spürbaren Aufpreis für Qualität, Handarbeit und Atmosphäre zu zahlen. 

Wie die Gastronomie-Journalistin Paule Masson über Sammuts Arbeitsweise schreibt, begnügt sich die Köchin nicht mit der Qualität der Produkte allein: „Sie unterstützt die Produzenten, legt großen Wert auf Anbau- und Haltungsbedingungen und arbeitet am Aufbau landwirtschaftlicher Produktionszweige. Sie kocht ausschließlich mit dem, was die Erzeuger zur Verfügung stellen, mit dem, was die nachhaltige Fischerei hervor bringt.“  

Auch beim Thema Bio gehe es, so Masson, um deutlich mehr als nur ein Label: „Die Betriebe, die „La Fenière“ beliefern, arbeiteten ohne Chemie, oft ohne Zusätze, achten auf das Wasser, vermehren ihr eigenes Saatgut, pflanzen bedrohte Arten und züchten seltene, lokale und robuste Tierrassen.“ 

Nadia Sammut bei der Arbeit in der Küche ihres Restaurants „La Fenière“. I Foto: Benjamin Bechet

Kulinarische Identität basiert auf Bio-Produkten 

Genau dieses Modell bildet den Kern von Sammuts kulinarischer Identität. Gleichzeitig schiebt es ihre Küche zwangsläufig in einen exklusiven Bereich. Wer faire Erzeugerpreise zahlt, auf industriell vorgefertigte Produkte verzichtet und kleine landwirtschaftliche Betriebe einbindet, produziert teuer und das mit allen sozialen Folgen für die Zugänglichkeit. 

Am Ende steht also die grundsätzliche Frage danach, wer sich eine gesunde Sterneküche überhaupt leisten kann. Bei aller Anerkennung für Sammuts Ansatz bleibt ein nüchterner Befund: Zwar steht ihre Küche für handwerkliche Konsequenz, gesundheitliche Sensibilität und ökologisch reflektierte Produktion, gleichzeitig richtet sie sich aber vor allem an Gäste, die bereit und in der Lage sind, höhere Preise zu zahlen. Der Anspruch auf gesellschaftliche Veränderung kollidiert damit sichtbar mit der Realität der gehobenen Gastronomie. 

Sammuts Restaurant vereint Tradition, Regionalität und gastronomische Exzellenz. I Foto: Enjoytrip Soulpics 

Ausnahme in der französischen Spitzengastronomie 

Nichtsdestotrotz ist Nadia Sammut eine Ausnahme in der französischen Spitzengastronomie: Als Frau an der Spitze eines Michelin-Stern-Restaurants, das konsequent gluten- und laktosefrei arbeitet, repräsentiert sie einen geringen Anteil der Eliteköchinnen, denn nur rund sechs Prozent der Sterneküchen weltweit werden von Frauen geführt. Das Missverhältnis wirkt umso größer, da Kochen im Alltag oft von Frauen übernommen wird.  

In der Haute Cuisine zählen jedoch andere Regeln: lange und unplanbare Arbeitszeiten, hoher Leistungsdruck, wirtschaftliche Risiken und männlich geprägte Netzwerke erschweren den Zugang zu Führungspositionen. Kochen gilt zu Hause oft als selbstverständlich, in der gehobenen Gastronomie dagegen als Machtposition – und diese ist bis heute überwiegend männlich besetzt. 

Gerade diese doppelte Sonderstellung, als Köchin mit einem unkonventionellen Ansatz, trägt dazu bei, dass Nadia Sammuts Wirkung über Frankreich hinausreicht. Durch Vorträge, Kochbücher und mediale Präsenz inspiriert sie insbesondere junge Köchinnen und Köche mit Unverträglichkeiten, zeigt neue Wege in der Gastronomie auf und trägt dazu bei, die Debatte über verträgliche, bewusste Ernährung in der Haute Cuisine zu verankern.  

Zugleich verdeutlicht ihr Modell die strukturellen Grenzen: Hoher Arbeitsaufwand, exklusive Zutaten, enge Produzentenbeziehungen und wirtschaftliche Rahmenbedingungen machen ihr Konzept anspruchsvoll und schwer auf andere Restaurants übertragbar. Ihre Arbeit zeigt, was möglich ist, doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit bleibt ihr Konzept – zumindest vorerst – eine Besonderheit. 


 

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Von Anna Schütz, Montpellier

Anna Schütz lebt seit 2020 in Montpellier, im sonnigen Süden Frankreichs. Als freie Journalistin arbeitet sie für vor allem französische Print- und Online-Medien und berichtet über aktuelle Nachrichten und gesellschaftliche Entwicklungen in ihrer Region, mit besonderem Blick auf lokale Initiativen, Politik und Kultur. Für DEINE KORRESPONDENTIN bringt sie Themen aus Südfrankreich ins deutsche Sprachgebiet und zeigt, was dort anders – und manchmal überraschend ähnlich – ist.

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Anna SchützMontpellier
Nadia Sammut hat sich einen außergewöhnlichen Platz in der französischen Haute Cuisine erarbeitet: Als erste Sterneköchin weltweit führt sie ein Restaurant, das gänzlich auf Gluten und Laktose verzichtet. Ihr Ansatz, zeigt, dass Spitzenküche sowohl exklusiv als auch verantwortungsbewusst sein kann.

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