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Feuer und Flut
Das Volk rettet sich selbst

23. Juli 2025 | Von Heike Papenfuss | 13 Minuten Lesezeit
feuer und flut
Fassungslos erlebten die Menschen in Valencia wie das Wohnhaus ausbrannte und Schlamm die Straßen überflutete. Foto: Carmen Soriano & privat

Am 22. Februar 2024 brennt in Valencia ein dreizehnstöckiges Wohnhaus lichterloh. Innerhalb weniger Stunden verlieren rund 450 Menschen ihr gesamtes Hab und Gut. Im gleichen Jahr zerstören heftige Überschwemmungen zahlreiche Orte in der Region. Zwei Frauen erzählen, was Feuer und Wasser anrichteten und wie die Katastrophe sie verändert hat.

Von Heike Papenfuss, Valencia

 

Zusammenfassung:

Berte Fleissig verlor durch einen Wohnhausbrand in Valencia alles – und fand durch Solidarität neue Stärke. Monate später half sie selbst Flutopfern in ihrer Region, die wie sie alles verloren hatten. Die Katastrophen veränderten ihr Leben, zeigten ihr die Kraft von Gemeinschaft und machten sie offen für Hilfe. Heute engagiert sie sich weiterhin für Betroffene – und pflanzte als Zeichen des Neuanfangs eine Avocado am Ort ihrer alten Wohnung. 

 

Von Heike Papenfuss, Valencia

Der Poniente, ein Westwind an der Mittelmeerküste, wehte besonders heftig an diesem Nachmittag des 22. Februar 2024. Nicht zuletzt deshalb verbreitete sich das Feuer, das auf einem Balkon in einem der oberen Stockwerke des Hauses ausbrach, rasend schnell. Nach kurzer Zeit stand das ganze Gebäude in Flammen. Zehn Menschen starben, 450 verloren ihr komplettes Hab und Gut.

Berte Fleissig wohnte mit ihrem damaligen Freund im dritten Stock des Hauses. Die 38-Jährige lebt seit acht Jahren in Valencia und arbeitet dort remote für eine deutsche Firma im internationalen Marketing. Zum Zeitpunkt des Feuers war sie auf Geschäftsreise in Deutschland. „Ich war gerade auf dem Weg zum Flughafen, um meinen Freund abzuholen, der zu Besuch kam, als mir eine Freundin aus Valencia ein Video schickte. ‚Hier brennt ein Haus‘, schrieb sie, ‚aber ich denke nicht, dass es eures ist‘ “, schrieb sie, erinnert sich Fleissig.

Teresa García (links) und Berte Fleissig (rechts) haben durch Feuer und Wasser alles verloren. I Foto: Heike Papenfuss

Kurz darauf schrieb ihre Chefin, dass sie in der Tagesschau von einem schlimmen Wohnungsbrand in Valencia gehört habe. Dann überschlugen sich die Nachrichten: Videos, Anrufe, WhatsApps von Freund*innen und Kolleg*innen. Schnell wurde Fleissig klar, das brennende Haus war das, in dem sie wohnten. Ihr Freund wollte sofort zurückfliegen. Sie selbst war fassungslos: „Wir sind erst einmal spazieren gegangen, um uns zu beruhigen und haben überlegt, was wir tun. Ich dachte, das ist ein schlechter Film. Morgen früh wache ich auf und es war alles nur ein Alptraum.“

Zwei Tage später flog ihr Freund zurück nach Valencia, Berte Fleissig blieb bei ihren besorgten Eltern in Deutschland. Erst als sie eine Woche nach dem Brand vor dem Haus stand und das ausgebrannte Gebäude mit eigenen Augen sah, verstand sie wirklich, was passiert war. „Es roch immer noch komisch. Die Polizei und die Feuerwehr waren noch da. Sie haben das Haus abgesichert wie einen Hochsicherheitstrakt, weil immer wieder Menschen versuchten, noch einmal in ihre Wohnungen zu gehen und zu schauen, ob sie noch etwas retten können.“

„Wir haben bei Null angefangen“

Für sechs Monate stellte die Stadt allen Betroffenen ein gerade fertiggestelltes Wohnhaus zur Verfügung: „Das Haus war bezugsfertig, was in diesem Fall lediglich hieß, dass es eine Tür gab, die man abschließen konnte. Oft gab es kein fließendes Wasser, nicht immer Strom, die Aufzüge haben teilweise nicht funktioniert. Die Wohnungen waren möbliert mit einem Bett, einem Tisch und vier Stühlen. Ein Haus mit 400 Menschen, die gerade alles verloren hatten“, erzählt sie rückblickend.

400 traumatisierte Menschen, die nicht wussten, wie sie ihren Alltag bewerkstelligen sollten, die unfähig waren, zur Arbeit zu gehen. Kinder, aus ihrem Umfeld gerissen, die nicht in die Schule oder in den Kindergarten gingen. Zuhauf ungelöste Fragen, vor allem die, wie es für sie alle weitergehen sollte. „Es war eine gruselige Atmosphäre“, erinnert sich Fleissig.

Die psychische Belastung war groß, „eine Achterbahnfahrt“, sagt sie. Sie hatte Albträume, fühlte sich heimatlos und entwurzelt. „Ich sah alles wie durch eine Taucherbrille. Da war Trauer, Verzweiflung, Angst und Rastlosigkeit.“ Um sich abzulenken, stürzte sie sich in die Arbeit: „Ich war in den Wochen nach dem Brand so produktiv wie nie.“

Im dritten Stock wohnte Berte Fleissig mit ihrem Freund. I Foto: privat

Was plötzlich alles fehlt

Im Vergleich zu anderen war Berte Fleissig in einer privilegierten Situation. Sie und ihr Freund hatten überlebt. Da sie zum Zeitpunkt des Brandes auf Reisen war, hatte sie ihren Laptop und einige wichtige Papiere, wie Ausweis, Führerschein und Bankkarte retten können. Einer ihrer Nachbarn war in der Dusche vom Brand überrascht worden und hatte gerade noch Zeit, sich ein Handtuch umzuschlingen und das Haus zu verlassen.

„Man merkt erst, was alles fehlt, wenn es fehlt“, meint Berte Fleissig nachdenklich. „Du duschst, willst Haare föhnen und denkst: Achso, kein Föhn. Es regnet und du musst erst einen Regenschirm kaufen. Jeder alltägliche Gegenstand war einfach weg, ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte, welche Dinge ich zuerst kaufen sollte. Man fängt einfach bei Null an.“

Doch es sind nicht diese alltäglichen Dinge, die sie vermisst. „Es ist ein Lebensabschnitt, der vorbei ist. Es ist eine Mischung aus Schmerz, Nostalgie und Sehnsucht, das Verlorene wieder zurückhaben zu wollen. Ich muss nicht vor dem Gebäude stehen, um mich zurückzuversetzen. Es gibt viele Trigger, die diese Zeit zurückholen, ein Lied oder Erfahrungen, die mich mit der Zeit dort verbinden.“ Und es sind die Erinnerungsstücke, an die Großeltern, an eine Reise – Dinge, die emotional aufgeladen sind und nun für immer fort sind.

Stück für Stück setzt Berte Fleissig ihr Leben wieder zusammen, findet eine neue Wohnung und schafft alles Notwendige neu an. Finanziell geholfen haben eine Subvention der Regionalregierung und viele private Spenden. Vor allem die Unterstützung von Freund*innen, Kolleg*innen und Bekannten tragen sie durch diese Zeit. „Ich war das erste Mal in meinem Leben in einer Situation, in der ich Hilfe angenommen habe. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, gut vernetzt zu sein. Bis dahin war ich immer der Fels in der Brandung. Es war schwierig für mich zu lernen, dass ich auf andere angewiesen bin.“

Apokalyptisch – das Wasser hinterließ in den Orten eine Spur der Verwüstung. I Foto: Filo Baixauli

„Wir hatten solche Angst!“

Dann kam der 29. Oktober 2024. In der Region Valencia traten Flüsse über die Ufer, Schluchten liefen voll Wasser, Brücken stürzten ein und Straßen verwandelten sich in reißende Flüsse. Es war der Tag einer Flutkatastrophe, wie sie die Region lange nicht erlebt hatte. Die Verantwortlichen reagierten viel zu spät, die Warnungen erreichten die Bevölkerung erst abends nach 20 Uhr. Bis dahin waren schon viele Menschen ertrunken. 227 Tote waren es am Ende.

Zurück blieben zerstörte Häuser, zertrümmerte Autos, die sich in den Straßen auftürmten und Menschen, die alles verloren hatten. Als Berte Fleissig davon hörte, reagierte sie sofort: „Ich hatte das Gefühl, dass ich das, was ich an Solidarität und Hilfe erfahren habe, zurückgeben musste.“ Sie nahm sofort Urlaub und machte sich mit dem Fahrrad auf den Weg in die Vororte Picanya und Paiporta – zusammen mit vielen anderen Freiwilligen.

Mit Eimern und Putzzeug zogen sie los und schaufelten den Schlamm, den das Wasser zurückgelassen hatte, aus den Häusern, räumten die zerstörten Möbel aus den Häusern und versorgten die Flutopfer mit Lebensmitteln. Eine der Betroffenen, der Berte Fleissig geholfen hat, ist Teresa García*. „Wir hatten solche Angst!“, erzählt sie unter Tränen.

Drei Monate nach den schrecklichen Ereignissen ist sie noch immer stark traumatisiert. Stockend erzählt sie, wie sie und ihr Mann von unterwegs aus dem Auto mit einer Kollegin telefonierten, die panisch berichtete, dass das Wasser stieg und dass sie Angst hätte zu ertrinken. Teresa García rief sofort ihre beiden Kinder an, die 15-jährige Carla und die 19-jährige Maite, die zuhause in der Erdgeschosswohnung waren: „Sie sagten, dass Wasser unter der Tür hereinkomme. ‚Legt Decken hin und dichtet die Tür ab‘, meinte ich zu ihnen.“

Doch das Wasser stieg schnell. Verzweifelt rief die Mutter einen Nachbarn an und bat ihn, zu den Kindern hinunterzugehen. Gemeinsam mit einem anderen Mann befreite er die Mädchen aus der Wohnung und sie retteten sich in eine der oberen Etagen. „Ich hatte solche Angst um meine Kinder, dass sie auf die Straße hinausgehen. Dort sind Menschen von der Strömung weggerissen worden und ertrunken“, erzählt die Spanierin, und weint.

Das Volk rettet das Volk

Aus ihrer Wohnung konnte Teresa García nichts retten. Das Wasser hatte alles zerstört. Seitdem wohnt sie mit der jüngeren Tochter bei ihren Eltern, ihr Mann mit der älteren Tochter bei den Schwiegereltern. Das ist beengt und keine Lösung auf Dauer. Vor allem ihre Töchter möchten zurück nach Hause. Die Familie versucht, ihr Leben wieder zu ordnen. „Ich will nicht jeden Tag an alles das denken, was wir verloren haben und an die Angst, die wir hatten.“, sagt Teresa García. Sie möchte sich vorstellen, dass sie ihre Wohnung für eine Renovierung verlassen haben und bald zurückkehren werden.

Wie Berte Fleissig hat Teresa García in wenigen Stunden alles verloren. Aber wie Berte Fleissig zählt auch sie sich zu den Glücklichen, denn in ihrer Familie haben alle überlebt. Die Opfer der Flutkatastrophe versuchen seitdem zu verarbeiten, was ihnen passiert ist. Neben der Verzweiflung und der Trauer um die Toten ist vor allem die Wut der Menschen groß. Sie werfen der Regionalregierung vor, in der Katastrophe versagt zu haben.

Tagelang wateten die Menschen durch einen stinkenden Schlamm, den das Wasser zurückgelassen hatte. I Foto: Berte Fleissig

Politische Konsequenzen bleiben aus

Seit den Ereignissen im Oktober gehen in Valencia am 29. jeden Monats die Menschen auf die Straße und fordern den Rücktritt des Präsidenten der Regionalregierung. Bisher ohne Erfolg. In den ersten Tagen nach der Flut haben die Solidarität und die Unterstützung von Menschen wie Berte Fleissig den Betroffenen geholfen. „El pueblo salva al pueblo“ heißt es seither – zu Deutsch, „das Volk rettet das Volk“. „Auf die ‚dort oben‘ haben wir lange gewartet“, sagt Teresa García.

Berte Fleissig ist überzeugt davon, dass so eine Krise das Beste und das Schlechteste aus den Menschen heraushole. Sie sagt weiter: „Einerseits diese unglaubliche Solidarität der Menschen, die sich nicht kennen und helfen, wo sie können. Und andererseits diejenigen, die die Gelegenheit nutzen und Geschäfte plündern.“ In der Rückschau haben sie diese Erfahrungen stärker gemacht.

„Es ändert die Wahrnehmung, die Lebenseinstellung. Ich habe zehn Tage jeden Tag von morgens bis abends geholfen, da kamen mir andere Probleme so nichtig vor.“ Sie unterstützt die Menschen hier noch heute, verteilt mit anderen Helfern gespendete Gegenstände vom Küchenherd bis zu Musikinstrumenten für die Musikschule. Und sie hält den Kontakt, zeigt, dass sie die Menschen hier nicht vergessen hat.

Berte Fleissig selbst schaut nach vorne. Als sie eine neue Wohnung gefunden hat, vergräbt sie ihren alten Wohnungsschlüssel im Park vor dem alten Haus und pflanzt eine Avocado daneben: „Ich wollte symbolisch mit dem Alten abschließen und etwas pflanzen, das für Fruchtbarkeit und Blüte steht. Die Avocado hat einen robusten Kern – vielleicht kann daraus etwas Neues entstehen.“

* Name geändert


 

Steady


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Von Heike Papenfuss, Valencia / München

Heike Papenfuss ist freie Journalistin und Autorin. Sie arbeitete für Print, Radio und TV. Für das Bayerische Fernsehen realisierte sie Reportagen und Dokumentarfilme. Sie ist (Mit-)Autorin unterschiedlicher Bücher, zuletzt „Neues Leben für alte Häuser“ (Hirmer 2023). Mit ihrem Medienbüro Heike Papenfuss hat sie sich auf Porträts interessanter Frauen spezialisiert. Neben dem Schreiben gehört ihre Leidenschaft Spanien und der spanischen Sprache.

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