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Die weibliche Samurai
Japans Frauen im Schwertkampf

29. April 2024 | Von Eva Casper | 11 Minuten Lesezeit
Kaho Nouchi ist eine der wenigen Tate-Profis in Japan. Fotos: privat

Tate ist eine Form des Bühnenkampfes in Japan – und eine Männerwelt, sagt Kaho Nouchi. Sie wollte trotzdem nie etwas anderes machen. Über den Kampf ums Gewinnen auf und abseits der Bühne. 

Von Eva Casper, Kyoto

 

Zusammenfassung:

Kaho Nouchi bricht in der männlich dominierten Welt des Tate, einer japanischen Bühnenkampfkunst, als Lehrerin und Performerin neue Wege für Frauen. Sie betont, dass Tate Unterhaltung ist, keine echte Kampfkunst, und dass die Sieger im Voraus feststehen. Nouchi, die seit ihrem dritten Lebensjahr Tate trainiert, führt die Schwertkampfgruppe „Sukedachi-ya Ohako“. Sie gibt nicht nur Unterricht und tritt in Shows auf, sondern nutzt auch soziale Medien und Online-Kurse, um international zu lehren. Ihre Stärke zieht sie aus der Balance zwischen Aktion und Ruhe, und sie betrachtet Stärke als Geerdetsein und Furchtlosigkeit. Nouchis Arbeit und die anderer Frauen wie Kyo Kasumi in den USA zeigen, dass Tate offen für alle ist, unabhängig von Geschlecht oder Alter.

 

Ein Zweikampf. Die Stöcke knallen aufeinander. Ein Schritt nach vorn, ein Schritt zurück, ausweichen, vorstoßen. Gewinnen oder verlieren – das ist hier die Frage. Doch plötzlich stockt das Duell, als wüssten die Kontrahent*innen nicht mehr weiter. Lehrerin Kaho Nouchi hilft und erklärt noch einmal genau die Choreografie. In welche Richtung muss ich ausweichen? Wie genau den Stock halten? Nouchi lehrt Tate (ausgesprochen: Taté), eine Form des Bühnenkampfes in Japan. 

Wer schon mal einen Samurai-Film gesehen hat, dem ist auch Tate schon begegnet. Filme wie „Last Samurai“ mit Tom Cruise und der Klassiker „Sieben Samurai“ greifen darauf zurück. Oder die Serie „Shōgun“, die im Februar auf Disney+ gestartet ist und auch kämpfende Frauen zeigt. Ein Gefecht mit Schwertern oder anderen Waffen möglichst spannend darzustellen ist das Ziel dieser Kunstform. Die Schüler*innen lernen an diesem Tag allerdings mit Holzstöcken.

Unterhaltung steht im Vordergrund

In einem echten Schwertkampf würde sie wohl nicht bestehen, sagt Nouchi. Bei Tate gehe es um Unterhaltung. Es soll echt aussehen, aber niemanden verletzen. Trotzdem, müssten sie sehr aufpassen. Anders als bei einem echten Konflikt stehe auch vorher fest, wer gewinnt. Welche Rolle mag sie lieber: Gewinnerin oder Verliererin? Gewinnerin natürlich, lacht Nouchi. Wie entscheidet sich das? „Da ich die Anführerin bin, spiele ich immer die Gewinnerin.“

Kaho Nouchi bei einem Bühnenauftritt.

Eine Show auf der Bühne dauere in der Regel zwischen 15 und 60 Minuten. Eine Geschichte wird dabei nicht erzählt, es geht nur um die Darstellung eines Kampfes. Die Gruppe entwirft die Choreografie selbst und übt sie ein – oft nur an einem einzigen Tag. Im Tate gibt es ein Set an festen Bewegungsabläufen. Anfänger*innen lernen 30 davon. Insgesamt gebe es aber rund 200. Profis wissen eine Vielzahl der Moves auswendig und können daher schnell lernen. Ihr Publikum in den Shows sei ganz gemischt, sagt Nouchi: Jung und Alt, Männer und Frauen.

Mit drei Jahren angefangen 

In dem Trainingsraum in Osaka, der drittgrößten Stadt Japans, sind die Frauen heute in der Überzahl: drei Schülerinnen, drei Schüler sowie Nouchi und ihre Schwester Yuri als Trainierinnen. In der Welt des Schwertkampfes ein eher ungewöhnlicher Anblick. „Tate ist eine Männerwelt“, sagt Nouchi. Kämpfen, selbst wenn es nur der Unterhaltung dient, verbinden viele immer noch mit männlich geltenden Attributen: Stärke, Aggressivität. Sie ist eine der wenigen Frauen, die in dieser Branche ihren Weg geht. 

Schon im Alter von drei Jahren habe sie mit Tate angefangen, erzählt Nouchi. Ihr Vater habe bei zahlreichen Filmen als Trainer und Choreograf mitgewirkt. Außerdem trat er im Theater auf. Sie sei immer bei ihrem Vater backstage gewesen und habe ihn auf der Bühne gesehen. Das fand Nouchi nach eigenen Angaben „richtig toll“. 2003 habe ihr Vater eine Schule gegründet, um Tate zu lehren. Da begann auch Nouchi bei ihm eine professionelle Ausbildung. Ihr Hobby war ungewöhnlich, negativ aufgefasst wurde es aber nicht. Ihre Mitschüler*innen fanden es eher cool, erinnert sie sich. 

Zeigt den Männern inzwischen, wie es geht – Kaho Nouchi beim Unterricht.

Sie hat ihr Leben früh dem Tate verschrieben. Als Kind habe sie jeden Tag zwei Stunden geübt. Sie erzählt sehr positiv von ihrem Vater, sagt aber auch, dass es keine leichte Zeit gewesen sei. Ihr Vater sei sehr streng gewesen. Wieder und wieder habe sie im Training Bewegungen wiederholen müssen. „Ich wurde nicht verhätschelt.“ Dass ihr Vater gleichzeitig ihr Mentor war, habe sich auch auf ihr Familienleben ausgewirkt. 

In Japan gilt oft das Motto: Lernen durch Beobachten. Wer eine Kunstform wie Tate zur Perfektion bringen will, muss die Mentorin oder den Mentor genau studieren, ihre oder seine Bewegungen nachahmen. Sie habe ihren Vater „365 Tage im Jahr“ beobachtet – selbst, wie er eine Tasse hielt, lacht Nouchi. Sie hätten damals eher eine Lehrer-Schülerin-Beziehung gehabt. Nouchi liebt Tate. Das wird deutlich, wenn sie davon erzählt. 

Zweifel am Karriereweg

Als das Interview beginnt, besteht sie darauf, erst über Tate sprechen zu wollen, dann über sich. Trotz ihrer Leidenschaft hatte sie lange Zweifel, ob sie es wagen sollte, Profi zu werden. Weibliche Vorbilder hatte sie nicht. Ihre Eltern hätten sie zwar unterstützt, trotzdem blieben Zweifel. Einen Schwertkampf mit Frauen? Möchte irgendjemand so etwas überhaupt sehen? 

Erst ein Schlüsselmoment änderte ihre Meinung. 16 oder 17 sei sie damals gewesen. Sie hatte ihre erste Solo-Performance auf der Bühne. Das Publikum applaudierte. „Es war ein High-Moment“, erzählt Nouchi. Da habe sie beschlossen, eine professionelle Karriere anzustreben. Zunächst arbeitete sie als Assistentin für ihren Vater, unterstützte ihn in der Lehre und trat in Shows auf. 

Schwertkampf zu Dritt: Kaho Nouchi bei einer Performance unter freiem Himmel.

2014 gründete sie mit ihrer Schwester und weiteren Schüler*innen ihres Vaters eine eigene Schwertkampfgruppe namens „Sukedachi-ya Ohako“. Sukedachi heißt Helfer*in oder Bodyguard, Ohako lässt sich mit Spezialität oder Besonderheit übersetzen. „Es bedeutet, dass es unsere Spezialität ist, mithilfe des Schwerts anderen zu helfen und als Bodyguard zu agieren.“ 

Die Mitglieder der Gruppe geben Unterricht und treten in Shows auf, hauptsächlich in Osaka. Nouchi ist die Chefin und ihr Gesicht nach außen. Sie postet regelmäßig Videos auf YouTube und Instagram. Da zeigt sie Tate-Performances, Szenen aus ihrem Alltag – und macht Werbung für Produkte. 

Denn Nouchi ist auch eine gefragte Influencerin. Auf Instagram hat sie mehr als 61.000 Follower. Und sie gibt Online-Klassen für Schüler*innen in 13 verschiedenen Ländern, unter anderem in Deutschland, Mexiko und den USA. Sie reiste auch schon nach Spanien und zur Expo 2017 in Kasachstan, um dort ihr Heimatland zu vertreten. Das Besondere: Sie ist ein Tate-Profi und kann davon leben.  

Berühmte Kriegerinnen

Tate kommt aus dem traditionellen japanischen Theater, ist also keine Martial Arts wie Judo oder Karate. Kampfszenen darzustellen war im Theater nicht unüblich. Zudem handeln viele Geschichten vom Leben der Samurai, einer Kriegerkaste im mittelalterlichen Japan. Sie übten teilweise großen politischen und kulturellen Einfluss aus.    

In Shows treten Kaho Nouchi und ihr Team in traditionellen Gewändern.

In den historischen Erzählungen Japans über die Samurai dominieren Männer. Kämpfende Frauen waren eine Ausnahmeerscheinung. Dennoch gab es sie. Die wohl berühmteste unter ihnen ist Tomoe Gozen. Sie taucht in den Heike-Erzählungen auf, die vom Kampf zweier Herrscher-Clans Ende des 12. Jahrhunderts handeln und wird dort als gefürchtete Kriegerin beschrieben, die es „mit Tausenden“ Kämpfern aufnehmen könne. 

Unter Wissenschaftler*innen ist aber umstritten, ob Gozen tatsächlich existiert hat. Unbestritten ist dagegen die Existenz von Nakano Takeko, die Mitte des 19. Jahrhunderts gelebt hat, ein Frauen-Bataillon gründete und für das damalige Fürstentum Aizu kämpfte. Oder Fujinoye (um 1189), die mit ihrer Verteidigung der Burg Takadachi in Gemälden verewigt ist.

Tate in den USA

Auch wenn Frauen im Tate immer noch in der Minderheit sind, ist Nouchi nicht die Einzige, die es geschafft hat: Kyo Kasumi, 53, lernte Tate in Japan. Als Kind habe sie den Film „Charlie’s Angels“ gesehen und sei fasziniert von der Idee gewesen, dass Frauen stark sein und Männer „besiegen“ könnten. Sie ging in die USA und eröffnete 2014 in New York ihre eigene Tate-Schule; auf ihrer Webseite bezeichnet sie sich als erste Japanerin, die den Bühnenkampf in den USA lehrt. Außerdem produziert sie Schwertkampffilme. 

Kyo Kasumi ist Tate-Trainerin in den USA.

Zu Beginn sei sie einmal für eine Performance abgelehnt worden. Ein Samurai könne nicht von einer Frau dargestellt werden, habe es geheißen. Diese Vorstellung zu ändern sei auch ein Grund gewesen, warum sie ihre Schule gegründet habe. Heute beobachtet Kasumi, dass es seit der #MeToo-Bewegung mehr weibliche Hauptfiguren in Action-Filmen und -Szenen gebe. Tate sei grundsätzlich offen für alle – unabhängig von Alter oder Geschlecht. Das sei eines der schönsten Dinge daran. 

Nouchi liebt am meisten die Balance aus Bewegung und Stille und die Reaktionen des Publikums, das mit den Kämpfer*innen mitfiebert. Bei einem Auftritt lege sich ein Schalter um, werde sie „ein anderer Mensch“ und „eine schöne, unglaublich starke Frau“. Was Stärke für sie bedeutet? Geerdet sein, meint Nouchi, vor Gefahr nicht zurückzuschrecken. Ob sie im Alltag auch so sei? Da sei sie fröhlicher, lache viel. Auf der Bühne lache sie nicht. 


 

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Von Eva Casper, Kyoto

Eva Casper berichtet als freie Korrespondentin aus Japan. Nach ihrem Studium der Kunst- und Medienwissenschaft hat sie die Deutsche Journalistenschule besucht und für die Süddeutsche Zeitung und den Bayerischen Rundfunk gearbeitet. Seit 2019 lebt sie in Kyoto und beschäftigt sich vor allem mit Gesellschaftsthemen, Politik und Gleichberechtigung.

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