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Die Seiltänzerin
Über den Kampf für Frauenrechte in Afghanistan

8. August 2018 | Von Veronika Eschbacher
Frauenrechtsaktivistin Bahar Sohaili ist, aus Rücksicht auf ihre Familie, nicht mehr so laut wie früher. Foto: Veronika Eschbacher

Bahar Sohaili war die mutigste Frauenrechtsaktivistin Afghanistans. Nach massiven Drohungen von Konservativen musste sie ihren Job aufgeben. Aus Rücksicht auf ihre Familie tritt sie heute leiser auf als früher.

Von Veronika Eschbacher, Kabul

Bahar Sohaili schenkt sich behutsam Tee ein. Langsam rührt sie mit einem kleinen Löffel etwas Honig hinein, bevor sie diesen sanft auf die Untertasse legt. Von der Straße dringt ab und an Kinderlachen und Vogelgezwitscher in ihre Wohnung im Norden der afghanischen Hauptstadt Kabul, dazwischen vereinzelt Geräusche von der Baustelle gegenüber ihres Wohnblocks. Doch zumeist ist es leise. Kurz muss sie selbst über die Stille lachen: „Das passt irgendwie. Auch ich bin kein lautes Mädchen mehr.“

Dabei war die 32-jährige afghanische Frauenrechtsaktivistin lange die lauteste Frau am Hindukusch. Im Fernsehen wetterte sie über Ungerechtigkeiten, die Frauen in ihrer Heimat wiederfuhren. In Gastbeiträgen heimischer Zeitungen prangerte sie an, dass das Ehrverständnis im Land die Frauen zu Gefängnisinsassinnen mache, in sozialen Medien schrieb sie über Tabuthemen wie Menstruation, forderte, dass Frauen im öffentlichen Dienst selbst wählen können, ob sie Kopftuch tragen oder nicht. Mit Aussprüchen wie „Ich bin kein Räuber und Haare sind kein Verbrechen“ kritisierte das traditionelle Frauenbild des Islam.

Unerschrocken in ihrem Auftreten und der Überzeugung, niemals zu fallen, glich sie einer Seiltänzerin ohne Netz. Beobachtern in dem erzkonservativen Land wurde alleine beim Zusehen angst und bange, manche wähnten sie sogar auf direktem Weg in den Märtyrertod. Fernsehstationen sahen davon ab, Sendungen mit ihr zu wiederholen, Redaktionen baten sie, ihre Texte zu entschärfen, um sich nicht in Gefahr zu bringen.

Doch Sohailis Wut über die Zustände und die andauernde Gewalt gegen Frauen in ihrem Land begegneten die Konservativen mit derselben Energie. Sie starteten Kampagnen ­– erst gegen sie als Person, um sie als Islam-Gegnerin zu brandmarken, damit sie nicht mehr als Kämpferin für Frauenrechte wahrgenommen wird. Wenig später zielten sie auf Sohailis Arbeitgeber – die afghanische Fluglinie „Safi Airways“ – und forderten, sie zu boykottieren solange sie sich nicht von ihrer rebellischen Flugbegleiterin trennte. Bevor sie gekündigt wurde, zog Sohaili selbst die Reißleine und verließ das Unternehmen.

Hass und Drohbriefe

Bahar Sohaili erinnert sich wie heute an die turbulente Zeit vor zwei Jahren. Abgesehen von den täglichen Drohanrufen und Drohbriefen ließen sie ihre Freunde, einer nach dem anderen, fallen. „Ich sah einfach, dass mich die Menschen dafür hassten, was ich zum Ausdruck brachte“, erzählt sie und nippt am heißen Tee. All die Themen, die sie aufgeworfen hatte, ja Frauenrechte insgesamt, seien sehr neu für ihr Land, sagt sie, ihre Widersacher fast entschuldigend.

Andere Aktivistinnen hätten sie stets gemahnt, langsamer vorzugehen, kleine Schritte zu machen und vorsichtig zu sein. Sohaili will das bis heute nicht verstehen. „Wieso sollen wir langsam sein? Wir sind doch überall schon zu spät dran“, sagt sie und schüttelt energisch den Kopf. Im 21. Jahrhundert würden die Frauen in Afghanistan noch immer lediglich darum kämpfen, dass sie nicht sterben: „Wir kämpfen ja praktisch noch gar nicht um andere Sachen wie grundlegende Rechte.“

Doch aufgrund des starken Gegenwinds sah sich Sohaili gezwungen, ihren Aktivismus anzupassen. „Ich kann hier nicht leben, wenn ich so bin wie früher“, erklärt sie zerknirscht. Auch wenn sie mit den Angriffen umgehen könne, müsse sie ihre Familie beschützen, die durch ihre Aktionen leicht zum Ziel werden könne. Sie habe auch beschlossen, den Islam nicht mehr anzutasten. „Denn wenn man unsere Religion direkt angreift, dann verletzt man sehr viele Emotionen.“ Nicht alle ihre Leser seien Extremisten, aber sie seien Muslime, „und wenn man den Islam direkt anprangert, werden sie verletzt.“

So schreibt Sohaili heute in sozialen Medien und Tageszeitungen über Themen wie das Recht am eigenen Körper oder initiierte gemeinsam mit anderen Aktivistinnen die erfolgreiche „Where is my name“-Kampagne, die hinterfragen sollte, wieso die Namen der Frauen in Afghanistan weder auf den Geburtsurkunden ihrer Kinder noch auf den eigenen Grabsteinen zu finden sind. Üblicherweise wird die Frau von ihrem Ehemann nicht beim Namen, sondern als „Mutter meiner Kinder“ oder von anderen als „Tochter von XY“ bezeichnet. Der Name der Frau gilt als Teil der Ehre des Mannes und soll beschützt werden. Die Kampagne führte dazu, dass sogar hohe Politiker die Namen ihrer Frauen – samt Bildern von ihnen – in sozialen Medien posteten.

Frauenrechtsbewegung wächst

Bahar Sohaili kann sich aber auch noch gut an jenen Tag erinnern, der sie zur Aktivistin machte. Es schaudert sie bis heute, wenn sie an jenen milden Frühlingsmorgen vor drei Jahren zurückdenkt. Noch nie zuvor hatte sie so eine Leiche gesehen. „Sie war unglaublich zugerichtet, total verkohlt, ihr linkes Auge war offen“, erzählt sie. Doch sie habe nicht anders können, als hinzusehen. Sohaili wollte die sterblichen Überreste von Farkhunda sehen – jener 22-jährigen Frau, die am helllichten Tag in Kabul von einer Meute von 400 Männern gelyncht worden war. Es hieß, sie habe den Koran verbrannt; zu Unrecht, wie sich später herausstellte.

Der historische Tag, an dem erstmals in der Geschichte Afghanistans Frauen einen Sarg zum Grab trugen, wurde auch für Sohaili zu einer Zäsur. Das nicht nur, weil sich der Sarg auf dem langen Weg über den Friedhof tief in ihre linke Schulter schnitt. In Afghanistan sei Gewalt gegen Frauen ja alltäglich, sagt Sohaili. Und doch sei dieser Mord anders gewesen. „Denn es waren nicht religiöse Fanatiker, die sie qualvoll umbrachten, sondern normale Menschen auf der Straße, junge, modern gekleidete Männer, während die Polizei tatenlos zusah.“

Auch aus dieser Erinnerung heraus will sich Sohaili weiter als Aktivistin für Frauenrechte einsetzen. Mit diesem Wunsch ist sie nicht alleine. Insgesamt habe die Frauenrechtsbewegung in Afghanistan den vergangenen Jahren weiter zugenommen, konstatiert sie. Es gäbe heute mehr Aktivistinnen als je zuvor. Doch sie sieht die Entwicklung auch kritisch: „Viele von ihnen sind keine wahren Feministinnen.“ Zu den anfangs zumeist säkularen Aktivistinnen seien in den vergangenen zwei Jahren sehr viele religiöse Frauen gestoßen.

Für Sohaili könnten diese jedoch nur bis zu einem gewissen Grad für Frauenrechte eintreten – „dass eben Frauen nicht getötet oder geschlagen werden“, sagt sie, was vor allem aufgrund der korrupten Justiz im Land und konservativer Polizisten, die etwa Ehrenmorde nicht verfolgen, weit verbreitet sei. Für sie sei aber die Vereinbarkeit von Feminismus und Islam fraglich. „Feministinnen haben doch etwa kein Problem mit Abtreibung, im Gegenteil, sie sehen das als ihr Recht an. Aber im Islam wird das nicht akzeptiert.“ Die religiösen Aktivistinnen würden zwar Frauen verteidigen, sich aber nicht gegen die herrschenden Gesetze auflehnen, die Frauen benachteiligen, denn diese seien islamische Gesetze. „Sie betteln vielmehr Männer darum an, Frauen zu respektieren. Feministinnen betteln nicht, sie kämpfen oder nehmen sich ihre Rechte.“

Sie selbst habe sich für den, wie sie findet, schwierigeren Weg entschieden und werde auch bei diesem bleiben. Der leichtere – „den nehmen die meisten Aktivistinnen hier, sie setzen sich für Frauenrechte ein, aber akzeptieren die Restriktionen, die ihnen Männer und die islamischen Gesetze auferlegen“ – sei nichts für sie. Bahar Sohaili will lieber weiter für alle ihre Rechte einstehen, auch wenn das heißt, alles zu verlieren, irgendwann ganz alleine zu sein und insgesamt weniger aktiv sein zu können. „Aber: So bleibe ich mir immerhin selbst treu.“

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Von Veronika Eschbacher, Wien

Veronika Eschbacher war, bis zum Fall Kabuls 2021, Büroleiterin der Deutschen Presse-Agentur für Afghanistan und Pakistan. Davor war sie freie Korrespondentin für die USA und Afghanistan. Ihre journalistische Laufbahn begann als Redakteurin für Außenpolitik und Außenwirtschaft bei der österreichischen Tageszeitung „Wiener Zeitung“. Sie beschäftigt sich in ihren Reportagen und Analysen vor allem mit politischen und sozialen Themen, aber auch mit Fragen der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik.

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Sabrina ProskeMünchen
Saado Ali* ist eine junge Mutter aus Nordsomalia. Sie flieht hochschwanger mit ihrem kleinen Sohn Yusuf vom Krieg. Zwischen provisorischen Zelten und Planen setzen plötzlich ihre Wehen ein. Mit uns spricht sie erstmals über ihre Erfahrungen als Schwangere in einem Kriegsgebiet.

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