In Osteuropa ist Homophobie besonders ausgeprägt. Trotzdem gibt es auch dort viele Aktivisten, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzen. Wir haben starke Frauen in Weißrussland – der „letzten Diktatur Europas“ – getroffen, die mit mutigen Initiativen neue Akzente setzen.
Von Pauline Tillmann, Minsk
Katerina Borsuks Gallionsfigur ist Conchita Wurst. Als bärtige Frau hat der junge Österreicher Thomas Neuwirth 2014 den Eurovision Song Contest gewonnen. Katerina findet, das war so etwas wie ein Lackmustest, der gezeigt hat – Zitat – „was Europa ist und auf welchem Niveau der Menschlichkeit und Toleranz wir uns bewegen“. Die 28-Jährige leitet die LGBT-Organisation „GayBelarus“. LGBT ist Englisch und umfasst Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Sie erklärt, dass sie sich vor allem auf Menschenrechtsverletzungen konzentriere und nicht – wie früher – auf öffentliche Veranstaltungen. „Das sollen jetzt andere machen“, sagt sie etwas trotzig.
Andere, damit meint sie zum Beispiel „MAKEOUT“, das „Magazin über Gender und Sexualität“. Deren Webseite http://www.makeout.by richtet sich an die LGBT-Community in Weißrussland. Vergleichbare Initiativen gibt es viele, aber in der „letzten Diktatur Europas“ – wie Weißrussland oft genannt wird – ist das doch eine Besonderheit. Vor allem weil es mit dem Schutz von Minderheiten nicht weit her ist. Auch wenn Ende August öffentlichkeitswirksam sechs politische Häftlinge entlassen worden sind – darunter der ehemalige oppositionelle Präsidentschaftskandidat Mikalaj Statkewitsch – werden Regimekritiker noch immer regelmäßig ins Gefängnis gesperrt, um sie mundtot zu machen.
Außerdem ist Weißrussland das einzige europäische Land, in dem noch immer die Todesstrafe verhängt wird. Sogar im autoritären Russland kam es seit 1996 zu keiner Hinrichtung mehr. In Deutschland wurde die Todesstrafe 1949 abgeschafft. Hinzu kommt: Es gibt keine unabhängige Justiz. Die Weißrussen sind der Willkür der Behörden schutzlos ausgeliefert. Auch deshalb herrscht in dem Zehn-Millionen-Land eine diffuse Angst. Man merkt sie nicht, wenn man durch die Straßen in Minsk flaniert oder ins Café geht, aber wenn man mit Menschen ins Gespräch kommt, ist sie deutlich spürbar.
Manche nennen Präsident Alexander Lukaschenko deshalb „du weißt schon wer“ oder einfach nur „den Onkel“. Nastia Mantsewitsch, die sich bei „MAKEOUT“ engagiert und sich selber als queer – also von der Norm abweichend – bezeichnet, spricht den Namen offen aus. Allerdings schiebt sie gleich hinterher, dass sie sich in der Politik nicht besonders gut auskennt. Durch die Proteste auf dem Maidan in Kiew 2013 / 2014, die unter anderem darin mündeten, die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch zu stürzen, haben auch Weißrussen Hoffnung geschöpft. Wären die Proteste wie beim Fall der Berliner Mauer friedlich verlaufen und wäre die Ukraine nicht aufgrund eines Krieges im Osten des Landes im Chaos versunken, hätten sie durchaus Vorbildcharakter für Weißrussland gehabt – genauso wie für Russland.
Kampf gegen Stereotype
Im Januar 2014 ging „MAKEOUT“ an den Start. Nastia Mantsewitsch sagt im Nachhinein, dass sie „von den vielen positiven Reaktionen einfach nur überwältigt“ war. Denn das digitale Magazin schließt eine Lücke, die bis dahin klaffte. Über Homosexuelle wird in Weißrussland so gut wie gar nicht berichtet. Spartenmedien, die sich vorwiegend um deren Belange kümmern, kämpfen meist mit Finanzierungsproblemen und Anfeindungen. „MAKEOUT“ wird in erster Linie durch ausländische Fördermittel aufrechterhalten. So hat die niederländische Botschaft in Minsk das Vorhaben im ersten Jahr finanziell unterstützt.
Gleichzeitig glauben noch immer viele in der Bevölkerung, dass Homosexualität eine Krankheit sei, die der Westen eingeschleppt habe. „Dabei ist die Gesellschaft viel weiter als die Politik“, so Nastia Matsewitsch. Das habe man nicht zuletzt an der Abstimmung beim Eurovision Song Contest 2014 gesehen. Während die Kunstfigur Conchita Wurst mit ihrem Song „Rise Like a Phoenix“ vom weißrussischen Publikum auf den 4. Platz gewählt wurde, hat sie die Jury auf den 25. Platz verwiesen.
Problematisch ist auch, dass sich „MAKEOUT“ in der Illegalität bewegt, weil es nicht offiziell registriert ist. Eine Anerkennung der Organisation seitens des weißrussischen Innenministeriums ist ziemlich unwahrscheinlich. Im Bruderstaat Russland wurde 2013 das sogenannte NGO-Gesetz erlassen, wonach sich Nichtregierungsorganisationen als ausländische Spione registrieren lassen müssen. Dort wird auch seit einigen Jahren offen Hetze gegen Homosexuelle betrieben – beflügelt durch das landesweite Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“.
Es untersagt zum Beispiel eine Regenbogenfahne auf offener Straße zu hissen. Aufgrund dessen haben viele Anhänger der LGBT-Community das Land Richtung Westen, vor allem nach Deutschland und die USA, verlassen. In Weißrussland ist die Situation ähnlich. Auch dort kann man eine nicht-traditionelle sexuelle Orientierung keineswegs offen ausleben. „Ich würde jedem raten, die Eltern einzuweihen, aber sich unter keinen Umständen auf dem Arbeitsplatz zu outen“, so Nastia Mantsewitsch.
In Hinblick auf ihr eigenes Outing hält sich die 32-Jährige bedeckt. Sie lebe zwar mit einer Frau zusammen, aber das heiße nicht, dass sie lesbisch sei. Denn sie sei offen für jegliche Art von sexueller Beziehung. „In erster Linie geht es mir darum, als Mensch wahrgenommen zu werden – nicht als Homosexuelle. Meine sexuelle Orientierung spielt für meine Persönlichkeit schließlich nicht die entscheidende Rolle.“
Offiziell gibt es in Minsk genau einen Schwulenclub. Der Rest findet im Untergrund statt. „Jedes Wochenende steigen geschlossene Feiern“, erklärt Katerina Borsuk von „GayBelarus“. Dort kämen bis zu 100 Anhänger der LGBT-Community zusammen. Für Weißrussland ist das eine hohe Zahl, denn jeder der Gäste setzt sich damit dem Risiko aus, von der Polizei verhaftet oder vom Inlandsgeheimdienst FSB verhört zu werden.
Überraschen mag, dass von 1999 bis 2013 – mit Unterbrechungen – große Paraden in Minsk abgehalten wurden. Doch Katerina Borsuk sagt, dass es damit erst einmal vorbei sei: „Der Druck auf unsere Vorsitzenden wurde so groß, dass sie ins Ausland geflohen sind. Viele andere wurden schikaniert oder eingeschüchtert – das ist es alles nicht wert.“ Klar ist: Die Behörden fühlen sich durch derartige öffentliche Veranstaltungen provoziert und gehen mit entsprechender Härte dagegen vor.
Den Sieg von Conchita Wurst im vergangenen Jahr sieht die Aktivistin als „großes Signal“. Sie sei eine Zeitlang auf einer Motivationswelle geritten in dem Glauben, sich für die richtige Sache einzusetzen. Gleichzeitig haben ihr Ablehnung und Aggressionen in ihrem Freundeskreis zu denken gegeben. „Viele junge Leute sind konservativ,“ sagt Katerina Borsuk, „die können Conchita einfach in keine Schublade einordnen – und das macht sie wütend.“
Bis heute ist es in Weißrussland an der Tagesordnung, homosexuelle Männer zu verprügeln. So sorgte 2010 beispielsweise ein Junge für Schlagzeilen, der eine vermeintlich schwule Frisur trug und derartig zusammengeschlagen wurde, dass er wenige Tage später seinen Verletzungen erlag. Davon will sich Nastia Mantsewitsch von „MAKEOUT“ nicht entmutigen lassen. Sie organisiert in einer Minsker Privatwohnung der Schriftstellervereinigung PEN immer wieder Kinovorstellungen, bei denen bis zu 30 Besucher über den Film, aber vor allem über ihre eigene Situation und die damit verbundenen Emotionen sprechen. „Ich würde mich nicht derart einsetzen, wenn ich nicht den festen Glauben hätte, dass das alles einen Sinn hat.“