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Die Frau Gottes
Lateinamerikas erste katholische Priesterin

25. Februar 2019 | Von Katharina Wojczenko
Olga Lucía Álvarez bei einer Hausmesse - sie kämpft für Gleichberechtigung in der katholischen Kirche. Fotos: Katharina Wojczenko


Als Kind spielte die 77-jährige Olga Lucía Álvarez mit ihren Geschwistern Gottesdienst und Osterprozession. Heute ist die Kolumbianerin die erste katholische Priesterin und Bischöfin Lateinamerikas. Geweiht wurde sie gegen den Widerstand der Amtskirche in Rom.

Von Katharina Wojczenko, Medellín

Olga Lucía Álvarez Benjumea lässt sich nicht aus der Ruhe bringen – nicht von den Hühnern unterm Altar, nicht von dem Kaninchen, das ihr bei der Predigt über die Füße hoppelt, nicht von dem Handy des Jungen, das bei der Lesung klingelt. Und schon gar nicht von dem Bus, der draußen alle paar Minuten über die Schlaglöcher kracht und das Haus mit Abgasen erfüllt. Großmutter Anita Manco, 86 Jahre alt, hat ein wehes Bein. Ihre Kinder haben Olga Lucía Álvarez in ihr Heim eingeladen, damit sie mit der Familie die heilige Messe feiert und der Großmutter die Krankensalbung spendet.

Álvarez ist Priesterin. Sie ist Teil der weltweiten Bewegung Vereinigung Römisch-Katholischer Priesterinnen (ARCWP). 2010 wurde sie als erste Frau Lateinamerikas in den USA zur römisch-katholischen Priesterin, 2015 zur Bischöfin geweiht – von einem Bischof, dessen Namen sie erst nach seinem Tod preisgeben will, weil er zur Amtskirche in Rom gehört. Diese erkennt die Priesterinnen nicht an und hat sie alle exkommuniziert. Was wiederum die Frauen nicht anerkennen. Oder mit Álvarez‘ Worten: „Jesus war ein Mann, und deshalb dürfen Frauen nicht Gott repräsentieren – das ist doch peinlich!“

 

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Mit den pinken Turnschuhen, dem pinken Rucksack, der weißen Bluse und kirschroten Hose erinnert die 77-Jährige an ein resolutes Schulmädchen. Wäre da nicht das schlichte Metallkreuz auf ihrer Brust. Sie braucht kein eigenes Gotteshaus. Für den Gottesdienst reicht ihr das Zimmer in dem unverputzten Haus mit Blechdach, in dem Großmutter Anita lebt. Die Familie hat den Tisch mit einem weißen Tuch gedeckt.

Das ist ihr Altar, auf dem sie die Plastikdose mit den Hostien, die kleine Weinflasche, den Kelch und ihre Bibel vorbereitet. Das Bett der Großmutter und mehrere Plastikstühle sind die Kirchenbänke. Zwei Töchter, ein Sohn, ein Schwiegersohn und drei Enkel sind gekommen. Álvarez legt sich eine Stola um, die bunt mit weiblichen Heiligen bestickt ist. Sie umarmt und küsst alle zur Begrüßung. Berührungen sind ihr mindestens so wichtig wie die Worte.

Mit der Bibel ermutigt sie Menschen

Wenn sie das Wort Gottes verständlich machen will, wird sie laut, flüstert, wirbt geradezu. Wie bei der Bibelstelle über die Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus, die sich die Familie für die Lesung ausgesucht hat. Im Aramäischen, der Sprache Jesu, habe dieser nicht grob „Steh auf!“ gesagt wie in der Übersetzung. Sondern: „Du kannst aufstehen.“ Du besitzt die Würde dazu, du hast die geistige Kraft, du bist dazu fähig, erklärt sie. „Er hat sie motiviert, er hat ihr die Angst und den Schmerz genommen“, sagt Álvarez. „Alles hängt von uns ab. Der Geist Gottes ist in uns – wir müssen es nur zulassen, ihn stärken.“

Sich seiner Würde bewusst werden und eigenmächtig handeln: Das hat Olga Lucía Álvarez Benjumea schon vielen Menschen in schwierigen Lebenssituationen gepredigt, als sie noch gar keine Priesterin war. Aufgewachsen in einem Dorf im Departamento Antioquia, lernte sie früh die sozialen Probleme Kolumbiens kennen. Dort gab es mehrere illegale Minen und über Jahrzehnte immer wieder Verschwundene und Massaker an der armen Bevölkerung.

Ihre Mutter war eine tief religiöse Frau. Ihren katholischen Glauben gab sie an ihre Kinder weiter. Von den sechs Geschwistern wurden zwei Priester – und eine Priesterin. Schon als Kinder spielten sie zu Hause Kirche, hielten Messen und Prozessionen ab. Die Altäre bastelte die Mutter aus Zeitungspapier. Den Pfarrer spielten die Geschwister abwechselnd. „Nie sagte meine Mutter: Olga darf das aber nicht“, erinnert sich Álvarez.

Olga Lucia bindet die Gemeinde in den Gottesdienst ein. Hier verteilt Grossmutter Anita eine Hostie an Tochter Lucero.

Sie wurde katholische Laien-Missionarin, arbeitete mit Afrokolumbianer*innen und Indigenen, an Orten, die nur mit Boot oder Esel zu erreichen waren, und mit Menschen in den Armenvierteln der Großstädte. Sie hörte ihnen zu, sprach mit ihnen übers Evangelium und versuchte, praktische Lösungen für ihre Probleme zu finden; zum Beispiel, indem sie Werkstätten aufbaute und Frauen zum Studium ermutigte.

Als Priesterin geht sie weiter dort hin, wo man sie braucht. Sie arbeitet mit aus dem Gefängnis entlassenen Frauen, die niemanden zum Reden haben, mit Prostituierten und besucht Familien, die sie einladen.

Auf einem Schiff bei Passau die ersten Priesterinnen geweiht

Ihren Anfang nahm die internationale Priesterinnen-Bewegung in Österreich. Begründerin ist die ehemalige Benediktinerin und Lehrerin Christine Mayr-Lumetzberger. „In den 70er Jahren haben wir Ordensfrauen erwartet, dass die Ämter geöffnet werden“, sagt die heutige Bischöfin. Doch Papst Johannes Paul II. erklärte die Frage nach der Priesterweihe von Frauen für beendet. Vor 20 Jahren entwickelte Mayr-Lumetzberger deshalb ein Ausbildungsprogramm für Priesterinnen. 2002 weihte der von der Amtskirche exkommunizierte Bischof und argentinische Befreiungstheologe Romulo Braschii die ersten sieben Priesterinnen – auf einem Schiff auf der Donau in der Nähe vom niederbayerischen Passau.

Heute sind es etwa 300 römisch-katholische Priesterinnen weltweit. Am verbreitetsten ist die Bewegung in Nordamerika. In Lateinamerika sind es derzeit zehn, neun Kolumbianerinnen und eine Venezolanerin, dazu sieben Anwärterinnen. In Österreich und Deutschland gibt es etwa 20 Priesterinnen, die größtenteils im Verborgenen arbeiten – vor allem wegen ihrer zusätzlichen Funktion innerhalb kirchlicher Organisationen. Schuld ist das Konkordat, der Staatsvertrag mit der Kirche.A

Würde bekannt, was sie tun, stünde ihr Arbeitsplatz auf dem Spiel. Unerkannt wollen auch jene Priester bleiben, die mit den Frauen zusammenarbeiten oder ihnen die Amtsausübung in ihren Kirchen erlauben. „Dank Mundpropaganda haben diese mit Taufen, Hochzeiten, Gottesdienst und Seelsorge trotzdem gut zu tun“, sagt Mayr-Lumetzberger.

Was die Frauen weltweit teilen: Sie haben eine Familie, die hinter ihnen steht, und sind finanziell unabhängig. Das ist wichtig, weil die Priesterinnen nichts verdienen. Auch Álvarez entschied sich erst für diesen Schritt, als sie schon in Rente war. Partner oder Kinder hat sie nicht. Ehe, Partnerschaft, Scheidung oder Homosexualität wären jedoch für eine Weihe zur Priesterin kein Hindernis.

„Ich habe das Evangelium gelesen und mich befreit gefühlt,“ erklärt Álvarez, „ich fühle mich verpflichtet, auch andere zu befreien.“ Bekehren wolle sie nicht. „Ich bin nie durch die Armenviertel gegangen und habe mit Weihwasser um mich gespritzt, sondern habe meinen Glauben vorgelebt.“ Alles andere lasse sich nicht mit den Verbrechen der Kirche an der einheimischen Bevölkerung während der Kolonialzeit vereinbaren.

Vor allem arbeitete sie jahrelang an der Seite von Bischof Gerardo Valencia Cano, dessen Sekretärin sie wurde. Valencia war Bischof von Buenaventura, bis heute eine von Gewalt und Armut gebeutelte Gegend an der Pazifikküste mit überwiegend afrokolumbianischer Bevölkerung. Er förderte nicht nur bewusst weibliche Missionare und ließ diese priesterliche Aufgaben übernehmen. Valencia war leidenschaftlicher Vertreter der Befreiungstheologie, als dessen Kind sich Álvarez bezeichnet.

Diese Theologie-Richtung entwickelte sich in den 60er Jahren in mehreren Ländern Lateinamerikas. Auslöser war die soziale Ungerechtigkeit. Die Befreiungstheologen interpretierten die Bibel aus der Erfahrung der Armen heraus. Sie wollten ihnen helfen, sich von Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien – statt auf Erlösung zu warten.

Für die Armen gegen Widerstände

Die Befreiungstheologen eckten an – bei den diktatorischen Regimen, bei der römisch-katholischen Kirche, die oft mit diesen Regimen kooperierte, und allen, die Macht hatten oder dahinter Sozialismus witterten. Immer wieder wurden Priester ermordet, auch in Kolumbien. Armen-Bischof Valencia kam unter dubiosen Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Das Büro der Befreiungstheologie in Bogotá, in dem Álvarez arbeitete, wurde mehrfach angegriffen.

Gleichzeitig hatte die lateinamerikanische Befreiungstheologie weitreichende Auswirkungen auf die katholische Weltkirche. Das erlebte Álvarez 1968 in Medellín als Sekretärin der Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe unmittelbar mit. Die Bischöfe prangerten die sozialen Ungerechtigkeiten an und erhoben mit Billigung des Papstes die sogenannte Option für die Armen zur Leitlinie der Kirche – also dass diese besonders Partei für Arme ergreifen will – ein Gedanke, den Papst Franziskus wieder aufgegriffen hat.

Am Trampelpfad unterhalb des Hauses der Grossmutter: Hier unten grasen irgendwo ihre Ziegen. Auf dem Bild Sohn Norberto (links) und Enkelin Manuela.

Álvarez war dabei, als sich eine Minderheiten-Strömung gegen den Widerstand der Kirchen-Hierarchie entwickelte und die Weltkirche schließlich veränderte. Dasselbe erhofft sie sich von der Frauenpriester-Bewegung. In den meisten evangelischen, anglikanischen und altkatholischen Kirchen und anderen christlichen Gemeinschaften ist die Frauenordination erlaubt. Konvertieren kommt für sie aber nicht in Frage, denn ihr Ziel ist nichts weniger als die Revolutionierung der römisch-katholischen Kirche.

Ablehnung der Frauenordination ist in der Kirche umstritten

Doch die Bischöfe im Vatikan lehnen die Frauenordination weiter ab. Das Kirchenrecht erlaubt die Weihe nur einem getauften Mann. Theologisch ist das umstritten. Befürworter der Frauenordination verweisen auf Maria und Maria Magdalena, die der auferstandene Jesus Christus als erste Menschen aufgefordert hat, das Evangelium in aller Welt zu verkünden. Die emeritierte Geschichts- und Theologieprofessorin Dorothy Irvin von der Universität Tübingen hat bei Ausgrabungen Nachweise aus den ersten acht Jahrhunderten nach Christus gefunden, dass Frauen als christliche Priesterinnen tätig waren.

Papst Franziskus setzte 2016 eine Kommission zur Frage des Frauendiakonats ein – die unterste der drei Weihestufen (Diakon, Priester, Bischof), die bisher nur Männern vorbehalten sind. Allerdings dämpfte er die Hoffnung auf Wandel: Die Kommission solle lediglich die historische Rolle von Diakonissinnen in der frühen Kirche untersuchen. Das Ergebnis steht immer noch aus. „Ich mag Franziskus sehr,“ sagt Olga Lucía Álvarez, „aber er ist wie der Freund, der dir viele schöne Dinge sagt, aber nie von der Ehe redet.“

Anlässlich seines Kolumbien-Besuchs im Jahr 2017 hat sie dem Papst einen offenen Brief geschrieben, ihm ihre Dienste angeboten und ihn um ein Gespräch gebeten. Eine Antwort bekam sie bis heute nicht. „Aber seitdem verzeichne ich auf meiner Internetseite regelmäßig Zugriffe aus dem Vatikan“, sagt Álvarez. Sie ist überzeugt:„Früher oder später wird das kommen. Die Grundlagen haben wir gelegt.“ Die Gläubigen hätten sie als Priesterin immer akzeptiert. Oder mit Großmutter Anitas Worten: „Man kann doch alles lernen – auch als Frau!“


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Von Katharina Wojczenko, Bogota

Katharina Wojczenko hat in Köln, Madrid und Paris studiert und anschließend als Reporterin bei den bayerischen Regionalzeitungen „Passauer Neue Presse“, „Main-Echo“ und „Nordbayerischer Kurier“ gearbeitet. Ihre Schwerpunkte sind soziale und gesellschaftspolitische Themen. Seit Herbst 2017 ist sie als freie Journalistin und Übersetzerin in Kolumbien unterwegs, weil sie dieses verrückte Land einfach nicht loslässt.

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