Im Bus haben sie ihr eine Waffe an die Schläfe gedrückt und geschrien: Sie solle endlich damit aufhören, sich gegen den Fortschritt und die Bauern zu stellen. Und einmal traten sie ihr mit Füßen ins Gesicht, so dass sie ins Krankenhaus eingeliefert und operiert werden musste. Sofía Gatica hat viele Feinde. Doch davon lässt sich die Argentinierin nicht einschüchtern. Sie ist Lateinamerikas Gallionsfigur im Kampf für eine saubere Umwelt.
Von Diana Deutschle, Córdoba
Wenn Sofía Gatica an diesem Sonntagmittag kämpferisch die Faust in die Luft streckt, mitten auf der Plaza de Mayo, dem bedeutendsten Platz von Buenos Aires, umgeben von wichtigen Gebäuden der Geschichte Argentiniens, hat das etwas Monumentales: Nichts regt sich, nur der heiße Sommerwind raschelt durch die Transparente ihrer Mitstreiter, darüber kreisen die Vögel.
„Fuera Monsanto! Raus mit dir, Monsanto”, schreit die Frau mit der eckigen Brille plötzlich und ihre ausgeprägten Gesichtszüge, die hohen Wangenknochen und die schmalen, trotzigen Lippen, scheinen wie in Stein gemeißelt. Ihr Blick bohrt sich in die Türen der Casa Rosada, dem rosafarbenen Sitz der argentinischen Regierung. Es ist als ob die Zeit still steht – ein Moment für die Ewigkeit – und die Zeit gekommen wäre für eine neue Leitfigur, die sich für die Rechte ihrer Landsleute einsetzt, und gegen den Ausverkauf Argentiniens.
Augenblicke wie diese hat Sofía Gatica einige erlebt in den letzten 15 Jahren. So lange ist sie als Umweltaktivistin schon auf den Straßen Argentiniens unterwegs und riskiert immer wieder ihr Leben. Eine Heldin will sie aber nicht sein. „Mujer guerrera” nennt sie sich in ihrem Facebook-Account, was so viel bedeutet wie Kriegerin.
„Ich entscheide selbst wann ich weiterkämpfen muss“
Sie sagt: „Ich habe vor niemandem Angst. Auch wenn sie mich zusammenschlagen, mir die Haare ausreißen, ich stehe immer wieder auf. Mich kriegen sie nicht klein. Auch vor der Polizei halte ich den Kopf hin, damit die anderen Frauen möglichst nichts abbekommen. Was brauche ich schon mehr zum Leben als einen funktionsfähigen Körper? Im Krankenhaus liege ich auch nicht rum bis mir Arzt sagt: „Sie sind vollauf gesund. Sie können gehen.“ Ich entscheide selbst wann ich weiterkämpfen muss. Ich bin da, um unsere ureigenen Rechte zu verteidigen. Das, was uns gehört. Und unser Recht, in Würde und ohne Gifte zu leben.”
Mutige Worte für eine 47-jährige Verwaltungsangestellte mit fliederfarbenen Fingernägeln, die niemals eine Kriegerin sein wollte und auch nicht dazu erzogen wurde. Sofía wuchs unbeschwert auf einem Hof mit grünen Wiesen voller Obstbäume auf. Ihre Eltern waren Kleinbauern in Córdoba, einer Provinz nordwestlich von Buenos Aires: „Wir waren eine große Familie mit zwölf Kindern. Ich träume heute immer noch von unserem wunderbaren Leben, unseren Milchkühen, die den ganzen Tag auf der Weide grasten. Es gab alles, und es war so friedlich. Wir lebten im Paradies – ich vermisse das Paradies.”
Kaum gegensätzlicher könnte Sofías heutiges Leben sein: Jeden Tag verbringt sie nach der Arbeit in einem Zeltlager in dem kleinen Ort Malvinas. Es ist ein Widerstandscamp, das sie gemeinsam mit ihren Gesinnungsgenossen errichtet hat: Hier, inmitten von unzähligen Sojafeldern, wollte der US-Konzern Monsanto die weltweit größte Saatgutfabrik bauen. Hier bewachen Sofía und ihre Mitstreiter die Tore zu einem Bau, der ihrer Meinung nach nicht weitergehen darf.
„Sie bemächtigen sich einfach unserer Erde. Mit ihrem vielen Geld kaufen sie unsere Politiker und dann pflanzen sie genmanipulierte Pflanzen und lassen sie mit krebserregenden Pestiziden bespritzen. Wir können das doch nicht einfach hinnehmen. Das ist Völkermord. Wir müssen das verteidigen, was uns gehört“, sagt sie entschlossen.
Der Tod ihres Neugeborenen gab den Ausschlag
Angefangen hatte alles mit dem Tod ihres neugeborenen Kindes 1999. Das Mädchen starb drei Tage nach der Geburt an einer Missbildung der Nieren. Kein Arzt hatte dafür eine Erklärung. Sie erinnert sich: „Fast erstickte ich an der Trauer. Es war so unfassbar. Ich fragte mich immer: Warum, warum? Ein paar Wochen später fiel mir auf, dass so viele Kinder hier bei uns im Viertel Ituzaingó plötzlich starben oder als Krüppel auf die Welt kamen – mit drei oder sechs Fingern, ohne Kieferknochen. Das hatte es früher so nie gegeben. Und dann noch die vielen Erwachsenen, die unter Allergien litten, an Neurodermitis oder die Leukämie bekamen und starben. Da wusste ich, dass etwas nicht stimmt.”
Sofía Gatica, damals Hausfrau und Mutter dreier Kinder, begann die Nachbarn zu fragen, unter welchen Beschwerden sie litten oder woran Verwandte gestorben waren. Gemeinsam mit 16 anderen Müttern, die selbst Kinder verloren hatten oder deren Kinder krank waren, erstellte sie einen Lageplan des Viertels. Daran konnten sie erkennen, dass mehr als 200 von 5.000 Menschen im Viertel Ituzaingó schwer erkrankt waren. Die meisten von ihnen lebten in unmittelbarer Nähe der Sojafelder. Das war die Geburtsstunde der „Mütter von Ituzaingó”, der Protestgruppe um Sofía Gatica.
Die Frauen vermuteten, dass die genmanipulierten Pflanzen, die mit dem glyphosathaltigen Monsanto-Pestizid gespritzt wurden, für die vielen Todesfälle und die Krebserkrankungen verantwortlich sind. „Wir ahnten nicht, dass Soja schädlich sein könnte. Wir machten Salat und Sojaschnitzel davon, unsere Kinder spielten am Ackerrand während die Bauern ihre Felder mit Pestiziden von Monsanto spritzten”, erinnert sich Sofía mit brüchiger Stimme. Die Mütter forderten vom Staat Gesundheitsstudien und eine Art Sicherheitsgürtel für das Viertel, der per Gesetz garantiert ist.
Unabhängige Ärzte bestätigten die Pestizidbelastung
Mehr als ein Jahr lang passierte nichts. Sofía Gatica und die Mütter von Ituzaingó beauftragten also selbst Ärzte mit Untersuchungen. Die Ergebnisse bestätigten ihren Verdacht und zwangen die Politiker zum Handeln. Die Stadtregierung stellte 2002 Ituzaingó unter Schutz. Neue Gesetze schrieben den Bauern vor, einen Mindestabstand zu den Häusern einzuhalten. Erst in 2.500 Metern durften sie Pestizide spritzen. „Doch die Sojabauern scherte das einen Dreck,” sagt Sofía Gatica bitter, „sie spritzten einfach illegal weiter und wenn wir uns vor die Traktoren warfen, um sie zu bremsen, sattelten sie auf Flugzeuge um, die über unsere Häuser hinwegflogen.”
Panamerikanische Gesundheitsorganisationen schlugen zunehmend Alarm. Argentiniens Präsidentin, Christina Kirchner, reagiert sieben Jahre später: Eine nationale Kommission sollte herausfinden, ob glyphosathaltige Agrarchemikalien, wie die von Monsanto, Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen haben.
Das Ergebnis: Mehr als 80 Prozent der Kinder in Ituzaingó haben Glyphosat im Blut und die Krebsrate liegt dort bei 33 Prozent – gut 40 mal höher als der Landesdurchschnitt. Die Menschen aus Ituzaingó seien „kontaminiert”, so der Regierungsbericht. Eine generelle Beantwortung der Frage, ob das mit Glyphosat bespritzte Soja Krebs auslöse, darauf gibt es keine Antworten. Bis heute hat die argentinische Regierung dazu keine Stellungnahme abgegeben.
Es war der erste Prozess dieser Art in Argentinien. Sofía Gatica streicht über ihre fliederfarben lackierten Fingernägel und sagt: „Ich bin damit nicht zufrieden. Die Täter bekamen eine Haftstrafe von drei Jahren, die sie unter Hausarrest absitzen durften, wie es in Argentinien oft der Fall ist. Das heißt, wir haben den Kampf gegen Monsanto noch lange nicht gewonnen.”
Sofía Gatica gewann 2012 eine Art Nobelpreis für Umweltschutz
Für ihren Kampf gegen den Einsatz von Pestiziden bekam sie 2012 als erste Lateinamerikanerin den Goldman Environmental Prize in New York verliehen, eine Art Nobelpreis für Umweltschutz. Mit dem Preisgeld von 150.000 US-Dollar finanzierten sie und die Mütter in Ituzaingó ein Gesundheitszentrum und bauten das Trinkwassernetz in der Region aus.
Die internationale Anerkennung beeindruckte die argentinische Regierung wenig: Sie genehmigte Monsanto ein Jahr später Pläne für die größte Saatgutfabrik des Kontinents – eben jene, vor deren Gelände Sofía Gatica Tag für Tag im Protestcamp sitzt.
„Natürlich war ich in einem Zwiespalt: „Mama, hör auf!“, flehten meine Kinder, „aber ich kann doch nicht zusehen, wie meine Enkel als Krüppel auf die Welt kommen und noch mehr Menschen sterben.” Die drastischen Folgen nimmt sie in Kauf, nicht nur für sich selbst, auch für die Familie: „In der Nacht schrillt immer wieder das Telefon und wir bekommen Drohungen, dass eine unserer Töchter entführt wird oder dass sie uns umbringen. Immer mal wieder muss die Polizei uns bewachen und mich zur Arbeit ins Gesundheitszentrum begleiten. Vor einiger Zeit ist einer unserer beiden Hunde spurlos verschwunden. Man hat versucht, unser Haus anzuzünden. Gott sei Dank, konnten wir das Feuer mit Hilfe von Nachbarn rechtzeitig löschen.”
Sofía Gatica ist selten zuhause, bei ihrem Ehemann, einem Klempner, und ihren drei Kindern: „Sie unterstützen mich in der Sache, auch wenn sie lieber hätten, dass ich aufhöre, mich in Gefahr zu bringen. Mein Ältester ist mittlerweile Polizist und weiß genau, was passiert. Aber ich muss weiter machen bis alle in Argentinien wissen, wer und was sich hinter Monsanto wirklich verbirgt.”
Als in Córdoba die ersten Kolonnen tonnenschweren Lkw vorfahren sollten, organisierten die Protestmütter ein Musikfestival, direkt vor der Einfahrt zur Baustelle. Sofía warf sich vor die Fahrzeuge auf den Boden, um sie aufzuhalten. „Die Polizisten trugen mich weg oder schlugen auf mich ein. Doch in diesem Augenblick überlegst du nicht. Die Lastwagen brachten Materialien, die sie dringend auf der Baustelle brauchten, und genau das wollten wir unterbinden. Wir wollten, dass dieser Wahnsinn endlich aufhört“, erklärt sie.
Den Mächtigen ein Dorn im Auge
Mehrfach versuchte seitdem die Polizei, das Camp aufzulösen. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt, eine junge Frau musste sogar wegen eines Gerinnsels im Kopf im Krankenhaus operiert werden. 26 Mitstreiter von Sofía Gatica sitzen derzeit im Gefängnis. Immer wieder werden die Camp-Demonstranten von Unbekannten attackiert. Die Polizei schaute meist tatenlos zu. „Diese Aggressionen werden von den Mega-Konzernen organisiert – wir sind ihnen ein Dorn im Auge,” ist sich die Aktivistin sicher, „unsere Regierung ist die Komplizin der internationalen Konzernriesen, sie interessiert nur die Verhandlungen und die Gewinne.”
Argentinien ist der drittgrößte Exporteur von Sojabohnen weltweit. Auf 20 Millionen Hektar Land wächst heute Gensoja, das vor allem als Tierfutter nach Europa und in die USA exportiert wird – und der Anbau nimmt weiter zu. Während früher drei Liter Pestizide pro Hektar gespritzt wurden, sind es heute bis zu zwölf Liter. Das Land ist von Sojafeldern durchzogen, immer mehr Kleinbauern müssen dem Marktdruck nachgeben und ihr Land an die Sojaindustrie verkaufen.
Die Tore der Monsanto-Baustelle sind bis heute geschlossen. Einer Klage der Anwohner wegen möglicher Umwelt- und Gesundheitsschäden wurde stattgegeben und der Bau per richterlicher Anordnung eingestellt. Wie lange, ist noch unklar. Der US-Konzern Monsanto will dagegen angehen und arbeitet derzeit an einer Umweltstudie, die das Gegenteil beweisen soll.
„Es wird nie aufhören,” sagt Sofía Gatica müde, „ich habe oft so ein bedrückendes Gefühl, dass es mir ganz eng wird in der Brust. Die Sorge, dass ich den Menschen nicht alle Antworten auf ihre Fragen geben, ihre Hoffnungen nicht erfüllen kann, das macht mich tieftraurig. Aber ich darf das nicht zeigen, nicht zeigen, wie es wirklich in mir aussieht. Das könnte den Gegner stark machen und dieser Gedanke gibt mir den Kampfgeist zurück.”
Der juristischer Kampf gegen Monsanto hat für sie oberste Priorität. Die Großmutter eines einjährigen Jungen hat Klage gegen sechs Agraringenieure von Monsanto eingereicht. Sie sitzt in einem der klapprigen Campingstühle des Protestlagers und starrt mit fixem Blick in ihren Mate-Tee: „Ich weiß, dass ich Recht habe. Niemals werde ich schweigen – und mich verstecken schon gar nicht.”