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Bitte nicht lächeln
Über die Schwierigkeiten, Frauen am Hindukusch zu fotografieren

16. November 2016 | Von Veronika Eschbacher
Wenn schon ein Foto, dann lieber verschleiert. Fotos: Tahmina Saleem

Bilder von Afghaninnen zu machen, ist in dem konservativ-islamischen Land ein äußerst schwieriges, mitunter gefährliches Unterfangen. Die junge Fotografin Tahmina Saleem scheut dennoch keinen Aufwand, spannende Frauen vor die Kamera zu bekommen.

Von Veronika Eschbacher, Kabul

Unsicherheit ist in Afghanistan ein ständiger Begleiter. Ähnlich wie draußen, wo sich plötzlich Selbstmordattentäter in die Luft sprengen oder Raketen einschlagen, kann sich auch drinnen, in afghanischen Häusern, die Situation innerhalb eines Wimpernschlags ändern. Azim etwa, ein Mann Mitte 40 aus der konservativen Provinz Ghor, hatte an diesem Herbsttag seiner Frau Arifa die Erlaubnis gegeben, mit einer Journalistin über die getötete Tochter Zahra zu sprechen. Der Mann im traditionellen, dunkelblauen Salwar Kameez,  lächelt wohlgesinnt, mit müden, aber freundlichen Augen, als er ins Haus bittet. Er lässt Tee bringen und erlaubt den sehr jungen, männlichen Übersetzer in den kargen Raum mit den Frauen, zieht sich selbst aber mit den Männern in ein anderes Zimmer zurück.

Doch als er Minuten später im Vorbeigehen aus dem Augenwinkel sieht, dass eine mitgekommene Frauenrechtsaktivistin Bilder von seiner nur mit einem Kopftuch verschleierten Frau schießt, dreht er plötzlich durch. Er stürmt in das Zimmer, beginnt zu wüten und zu schreien: „Ma namus dorim!“ – „Wir haben Ehre!“ ruft er, mit einer Stimme, wie ein Erdbeben. Alle Frauen im Zimmer versteinern, seine Frau beginnt, zu zittern. „Sie hat ein Foto gemacht, ich habe es genau gesehen!“, schreit er weiter und läuft der Frauenrechtsaktivistin nach. Er will, dass in der Sekunde noch alle sein Haus verlassen, macht entsprechende Gesten, als er in der Tür steht und weiterbrüllt, aber keiner traut sich, sich zu bewegen. Kein Zureden hilft – er beruhigt sich erst, als alle Bilder nachweislich gelöscht sind. Seine Frau darf schließlich weitersprechen, aber erst, nachdem sie die Burka übergezogen hat.

Bereits ein Blick reicht, um Schaden anzurichten

Die Reaktion von Azim ist exemplarisch für das extrem konservative Land. Und Azim hat den Grund seiner hochemotionalen Reaktion auch direkt beim Namen genannt: Kein Afghane will, dass seine Namus beschmutzt wird. Namus bedeutet übersetzt Ehre, umfasst aber mehr als das Wort Ehre im Deutschen. Konkret ist die Namus die Frau und die Töchter oder Schwestern eines Afghanen – respektive ihre moralische Unversehrtheit. Männer betonen oft, dass Namus als Schutzverantwortung gegenüber den eigenen Frauen zu sehen ist. Frauenrechtsaktivistinnen kontern, dass gerade dieses Konzept – von dem manche Afghanen sagen, es stamme aus dem Islam, andere, es stamme aus der afghanischen Kultur und Tradition – die afghanischen Frauen von der Teilnahme an einem normalen gesellschaftlichen Leben ausschließt.

Denn schon ein flüchtiger Blick eines fremden Mannes auf eine Frau kann der Namus ihres Ehemannes oder Bruders, die immer rein und unbefleckt sein soll, schaden. Kein Mann will benamus – ehrlos – sein will. Der Schutz der eigenen Namus geht soweit, dass viele Afghanen den Vornamen der Ehefrau ihres besten Freundes nicht kennen, denn für Erzkonservative ist sogar das schon zu viel. Geschweige denn ein Foto, das anderen Männern gezeigt werden kann oder gar im Internet landet. Dann wird es heißen: „Hast du gesehen? Ihr Bild war im Internet!“

Laut Frauenrechtsaktivistin und Fotografin Rada Akbar lassen sich Frauen nicht fotografieren, weil sie denken, dass ihr Gesicht nicht ihr Eigentum ist. „Ihr Gesicht gehört entweder ihrem Mann, dem Vater, oder dem Bruder – und diese geben keine Erlaubnis, sie abzulichten.“

So ist es nicht verwunderlich, dass es nur wenige Bilder aus Afghanistan gibt, die Frauen nicht in der sie praktisch komplett verhüllenden, typischerweise hellblauen Burka zeigen. Auch in sozialen Medien haben die allerwenigsten Frauen ein echtes Foto als Profilbild. Sie verwenden vielmehr Bilder von Stars, Comics, Blumen oder Ornamente. Wer privat mit dem Handy Fotos von Afghaninnen schießt, wird oft später angerufen und eindringlich gebeten, diese nicht in sozialen Medien zu posten und herumzuzeigen. Afghanische Modehäuser müssen sogar Models aus dem Ausland einfliegen, um ihre Kollektionen abbilden und promoten zu können.

„Es ist meine Verantwortung, ihr Leben und ihre Arbeit zu zeigen“

Doch afghanische Fotografinnen wie Tahmina Saleem aus Kabul sind von der Wichtigkeit, die Gesichter von Frauen zu zeigen, überzeugt. „Ich weiß, dass unsere Frauen mit vielen Schwierigkeiten klarkommen müssen, aber sie akzeptieren sie auf ihre Weise und machen ihre Arbeit, sie leisten einen Beitrag zur Gesellschaft“, sagt die 23-Jährige. „Deswegen ist es meine Verantwortung, ihr Leben und ihre Arbeit auch zu zeigen.“

Deshalb verwendet Saleem viel Zeit und Mühe dafür, die Gesichter von Frauen vor die Kamera zu bringen. Obwohl sie vormittags auf der Universität von Kabul unterrichtet, dann Auftragsarbeiten fotografiert, am späten Nachmittag ihr eigenes Masterstudium verfolgt und nachts an ihrer Master-These schreibt, läuft sie in der verbleibenden Zeit abends zu jeder öffentlichen Veranstaltung, in der es um Frauen geht. Meist tummeln sich bei diesen Veranstaltungen progressive Frauen, die im afghanischen Polit-Betrieb oder als Aktivistinnen engagiert sind. Diese Frauen sind es auch, bei denen Saleem am ehesten eine Chance hat, ein Einverständnis einzuholen. „Ich nutze jede Chance, um sie kennen zu lernen, mit ihnen über meine Arbeit zu sprechen und ihre Kontaktdaten zu bekommen“, sagt Saleem.

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Tahmina Saleem will ihre Landsfrauen vor die Kamera bringen. Foto: privat

Mit ihrem Langzeitprojekt „First Ladies“ kann sie bei vielen der von ihr angesprochenen Frauen zumindest Interesse generieren. „First Ladies“ porträtiert afghanische Frauen, die als erste in eine Männerdomäne vorstoßen. Saleem fotografierte dafür etwa Sabiba Harabi, die erste Gouverneurin Afghanistans; Fazila Zamir, die erste professionelle Rubab-Spielerin (Rubab, eine Laute, ist das Nationalinstrument Afghanistans); Zahra Naarin, die Chefin des weiblichen Radteams der Provinz Bamyan oder Leeda Ozori, die erste afghanische Paragleiterin.

Fotoshootings stoßen oftmals auf Unverständnis

Doch auch bei Frauen, die mutig genug sind, sich in einer Männerdomäne zu bewegen, ist ein Einverständnis kein Selbstläufer. Tahmina Saleem leistet im Vorfeld viel Aufklärung. Das beginnt mit dem Ablauf des Fotoshootings – das besonders auf öffentlichen Plätzen den Unmut konservativer Passanten hervorrufen kann. Diese riefen der Frau, die sich fotografieren lässt, oft zu, dass ihr Bild ins Ausland verkauft und nur für schlechte, unmoralische Zwecke verwendet werde. Saleem erklärt aber auch alle Details rund um die Veröffentlichung. „Die Frauen sollen im Vorfeld verstehen, was mit den Bildern passiert“, sagt sie. Ihr Einverständnis, das sich die Fotografin immer schriftlich einholt, sei nicht zuletzt aufgrund von Sicherheitsbedenken wichtig. Frauen, die sich öffentlich exponieren, werden oft eingeschüchtert und bedroht.

Saleem selbst wurde – nicht zuletzt durch ihre viele Vorarbeit – noch nie von einem männlichen Familienmitglied wegen ihrer Fotos beschimpft. Manchmal aber würden die Frauen im Nachhinein ihre Erlaubnis widerrufen. Oder Details der Abmachung später verdrehen. In einem Frauenhaus etwa hatten sie einzelne Frauen gebeten, Fotos ohne Kopftuch zu machen. Als sie in ihr Büro zurückkehrte, meldete sich die Leiterin der Einrichtung aufgeregt. Die Frauen hatten ihr erzählt, Saleem selbst hätte sie dazu aufgefordert, die Kopftücher abzunehmen.

Aktuell arbeitet Tahmina Saleem mit zwölf Fotografinnen und Fotografen daran, eine Bildagentur zu eröffnen. Auch dafür will sie – „die schlechten Seiten des Lebens einer Frau in Afghanistan kennen wir doch zur Genüge“ – künftig noch mehr starke afghanische Pionierinnen finden.

Sehen Sie hier Bilder von Tahmina Saleem:

 Weiterführende Links:

Projekt First Ladies

Sahar Speaks 

 

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Von Veronika Eschbacher, Wien

Veronika Eschbacher war, bis zum Fall Kabuls 2021, Büroleiterin der Deutschen Presse-Agentur für Afghanistan und Pakistan. Davor war sie freie Korrespondentin für die USA und Afghanistan. Ihre journalistische Laufbahn begann als Redakteurin für Außenpolitik und Außenwirtschaft bei der österreichischen Tageszeitung „Wiener Zeitung“. Sie beschäftigt sich in ihren Reportagen und Analysen vor allem mit politischen und sozialen Themen, aber auch mit Fragen der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik.

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