Ein Jahr nach dem Sturz des autokratischen Machthabers Baschar al-Assad ist Syrien weitgehend aus dem Blick geraten – doch für Millionen Menschen bleibt der Alltag ein Kampf ums Überleben. Sarah Easter hat Familien besucht, die in Ruinen zurückkehren, und ein Krankenhaus, das kurz vor der Schließung steht.
Von Pauline Tillmann, Konstanz
Zusammenfassung:
Ein Jahr nach Assads Sturz leidet Syrien weiter unter den Folgen von Krieg und Vernachlässigung. Inmitten von Ruinen kämpfen vor allem Frauen und Kinder ums Überleben – oft ohne Nahrung, Heizung oder medizinische Versorgung. Sarah Easter zeigt mit ihren Begegnungen im Land, wie stark die Not ist, aber auch wie viel Hoffnung und Solidarität bleibt. Humanitäre Hilfe bleibt essenziell – jeder Euro zählt.
Sarah, du bist Krisen-Reporterin bei CARE Deutschland. Warum bist du Ende November 2025 für zwei Wochen nach Syrien gereist?
In Syrien läuft die humanitäre Krise weiter, aber die finanzielle Unterstützung bricht gerade massiv weg. Ein Jahr nach den politischen Umbrüchen denken viele, der Konflikt sei vorbei und Syrien käme alleine zurecht, entsprechend werden staatliche Mittel gekürzt und auch private Spenden gehen zurück. In den von CARE geförderten Projekten ist das deutlich zu spüren: Budgets werden zusammengestrichen, Hilfsangebote müssen reduziert oder geschlossen werden. Gleichzeitig sagen uns die Menschen dort sehr klar: „Wir sind dankbar für alles, was bisher getan wurde, aber wir können noch nicht auf eigenen Beinen stehen – bitte gebt uns nicht auf!“ Gerade mit Blick auf den Winter ist es entscheidend, dass humanitäre Hilfe weitergeht.
Wie hast du Syrien bei deiner Reise erlebt – jenseits der üblichen Bilder von Trümmern?
Natürlich sieht man die zerstörten Häuser, eingestürzte Wände und Dächer. Aber mitten in dieser Zerstörung geht das Leben weiter. Man sieht, dass die Wände kollabiert sind, das Dach kollabiert ist, aber draußen hängt immer noch eine Wäscheleine mit Kinderbekleidung. Das zeigt, wie wenig Alternativen Menschen haben – sie bleiben in Ruinen, weil sie sonst keinen Ort haben, so sie hingehen können. Gleichzeitig habe ich eine enorme Solidarität erlebt: In Camps etwa stehen viele Zelte leer, aber dort, wo Menschen noch leben, unterstützen sie sich gegenseitig, obwohl sie selbst fast nichts haben. Besonders beeindruckt mich immer wieder, wie gerade die Ärmsten noch versuchen, ihren Nachbar*innen zu helfen.

Sarah Easter arbeitet seit mehreren Jahren für CARE als Nothilfe-Reporterin und gibt den vielen Krisen auf der Welt ein Gesicht.
Wie sieht der Alltag der Menschen in den Camps konkret aus?
Der Alltag sieht so aus, dass die Menschen morgens aufwachen und erst einmal schauen müssen, wo sie ihre nächste Mahlzeit bekommen. Viele haben keine Arbeit, sie haben nicht das Geld, um einfach loszuziehen und Essen zu kaufen. Und in vielen Camps ist es auch so, dass es dort zwar Märkte gibt, aber die können sich nicht mehr halten. Also geht die Flucht für diese Menschen weiter. Sie machen Schulden, nehmen Kredite auf, nur um Essen zu kaufen, und überlegen, ob sie ihre Kinder aus der Schule nehmen müssen, damit diese auf Feldern arbeiten können.
In den Sommermonaten gab es eine sehr starke Dürre und auch jetzt zum Winter reichen die Niederschläge für die Landwirtschaft nicht aus, sodass es kaum Feldarbeit gibt und damit auch keinen Lohn. Eine Mutter erzählte mir, dass sie große Angst vor dem Winter hat, weil sie im Sommer wegen der Dürre kaum Arbeit fand, keine Ersparnisse hat und sich kein Benzin leisten kann. Sie schickt ihre Kinder los, um Müll, Plastikflaschen, alte Schuhe, alte Kleidung zu sammeln – alles, was sich verbrennen lässt, um damit heizen zu können.
Du hast erwähnt, dass die Menschen die Camps verlassen – wohin gehen sie?
Sporadisch in alle Richtungen! Sie ziehen dorthin, wo sie glauben, dass dort vielleicht noch Arbeit ist. Manche gehen zu Verwandten, andere zurück in Städte oder sogar zurück in völlig zerstörte Viertel. In diesen Ruinen wohnen Menschen dann wieder, weil sie dort immerhin keine Miete zahlen müssen – auch wenn die Häuser kaum noch intakt sind und ihnen die Mittel fehlen, sie wieder aufzubauen. Das Bild der Wäscheleine zwischen den Trümmern gehört genau zu diesen Familien, die buchstäblich zwischen den Resten ihrer früheren Existenz leben.

Gibt es eine Begegnung, die dir besonders im Kopf geblieben ist?
Ja, die Begegnung mit Hayat, einer 76-jährigen Frau in Zelt Nummer 23, werde ich nicht vergessen. Sie hat viele ihrer Kinder durch Bombardierungen verloren und lebt jetzt völlig allein in einem Zelt im Camp. Im Winter muss sie morgens mit einem Löffel das Eis in ihrem Wassereimer aufschlagen, um überhaupt trinken zu können. Und das fand ich einfach unfassbar: Wie diese alte Frau komplett alleine ist und jeden Morgen aufsteht, um mit einem Löffel das Eis zu brechen.
Früher bekam sie Unterstützung, um ihr Zelt zu heizen – diese Hilfe ist inzwischen weg. Sie hat ein bisschen Bargeld erhalten, damit sie besser durch den Winter kommt, aber sie erzählte auch, dass die Strompreise im Land um rund 300 Prozent gestiegen sind. Ihren Kühlschrank, den sie einmal geschenkt bekommen hat, benutzt sie inzwischen als Schrank, weil sie sich den Strom nicht leisten kann. Dieses eine Leben steht stellvertretend für viele ältere Menschen, die mit extremer Armut und Einsamkeit zurechtkommen müssen.
🎧 Das Interview mit Sarah Easter könnt ihr übrigens als Audio-Version in unserem DEINE-KORRESPONDENITN-Podcast hören. Uns ist Transparenz besonders wichtig. Deshalb werdet ihr merken, dass sich das Interview nur minimal (sprachliche Anpassungen) vom Audio unterscheidet.
Erleben die Menschen in Syrien nur Perspektivlosigkeit – oder gibt es auch Hoffnung, Ziele und Pläne?
Es gibt beides. Ich habe etwa ein 16-jähriges Mädchen kennengelernt, das aus der Türkei zurückgekehrt ist und in einem beschädigten Haus lebt. Sie möchte unbedingt Anwältin werden, um „die Schwachen zu schützen“, weil sie selbst in den Jahren im Camp erlebt hat, wie wenig Schutz es für Menschen wie sie gibt. Sie lernt auf dem Boden, ohne Schreibtisch, in einer überfüllten Wohnung, hatte an dem Tag eine Prüfung in islamischer Literatur, obwohl die Schulbücher noch nicht gedruckt waren.
Gleichzeitig gibt es viele, die sagen, ihnen gingen die Ideen aus. Eine Frau erzählte, sie habe immer wieder Wege gefunden, zu überleben – von einem Camp ins nächste, von einem Zelt in eine etwas stabilere Unterkunft. Aber jetzt, wo Projekte geschlossen und Hilfsangebote eingestellt werden, wisse sie zum ersten Mal nicht mehr, wie es weitergehen soll. Ich habe bei meiner Reise viel Angst und Unsicherheit erlebt, weil die meisten Menschen nicht wissen, wie sie den Winter überstehen sollen.

Du hast auch Menschen getroffen, die zurückgekehrt sind nach Syrien. Ich habe eine Dokumentation auf ARTE gesehen, wo von 1.000 Menschen die Rede ist, die aus Deutschland nach Syrien zurückgekehrt sind. Was haben dir die Menschen erzählt? Was motiviert sie, zurückzugehen?
Ich habe mit vielen gesprochen, die aus der Türkei zurückgekehrt sind, weil die Türkei die meisten syrischen Geflüchteten aufgenommen hat. Schätzungen zufolge sind es etwa eine Million, die – aus allen Ländern zusammengenommen – zurückgekehrt sind. Diejenigen, die zurückgehen, haben oft eine etwas bessere Ausgangslage: Sie hatten Arbeit, Einkommen, etwas Erspartes. Trotzdem fehlt es an Infrastruktur, die noch sehr lange für den Wiederaufbau brauchen wird. In Aleppo etwa gibt es nur wenige Stunden Strom am Tag und nur alle vier Tage Wasser.
Ein CARE-Kollege, der mit seiner Familie aus der Türkei zurückkam, erzählte, dass seine Kinder zunächst Standard-Arabisch lernen mussten, weil sie in der Türkei nur Türkisch gelernt hatten. Viele sagen, auch wenn sie einen anderen Standard gewohnt waren: „Das ist unsere Heimat. Wir sind Syrer*innen und wollen unseren Beitrag leisten, unsere Stadt und unser Land wieder aufzubauen – aber alleine schaffen wir das nicht.”
Wenn du das teilen kannst und willst – welcher Moment war für dich emotional am schwersten?
Besonders schwer war das Gespräch mit einer Mutter, die ihre neunjährige Tochter Roa verloren hat. Die Familie wollte fliehen und hatte bereits Bustickets, aber wegen starker Bombardierungen verschob sie die Abreise um einen Tag. In der Nacht schlug dann eine Fassbombe durch das Dach ihres Hauses, alle wurden verletzt, die Tochter fiel ins Koma und starb später im Krankenhaus. Die Mutter brachte den Leichnam in den Ort, in den sie eigentlich fliehen wollten – dort wurde Roa beerdigt. „Meine Tochter ist angekommen, aber tot“, sagte sie. Heute lebt die Mutter mit ihren anderen Kindern in einem Camp, kämpft darum, sie zu ernähren, und hat keine Zeit, um ihre Tochter zu trauern. Diese Überlagerung von Trauer und täglichem Überlebenskampf ist emotional sehr schwer auszuhalten.

Wie unterscheidet sich die Situation in Syrien von der in der Ukraine, in der du ebenfalls warst?
Krisen zu vergleichen ist immer schwierig, weil jede ihren eigenen Kontext hat. In der Ukraine ist der Krieg extrem akut – es gibt täglich Gefechte, Bombardierungen, Drohnenangriffe, und die Menschen leben mitten in einem aktiven Kriegsverlauf. In Syrien hat sich die Sicherheitslage in vielen Regionen etwas stabilisiert, auch wenn es weitere Spannungen gibt.
Was dort allerdings massiv ist: Die internationale Aufmerksamkeit und die Finanzierung sinken dramatisch, während 90 Prozent der Bevölkerung in Armut leben und schlicht keine Mittel haben, ihr Land wieder aufzubauen. Die Zerstörung, die man in Syrien sieht, erinnert an Frontgebiete in der Ukraine. Es braucht extrem viel Zeit, um so etwas wieder aufzubauen – und Syrien hat da noch einen sehr weiten Weg vor sich.
Wie ist die Lage im Gesundheitswesen, zum Beispiel im Krankenhaus im Aleppo-Distrikt?
Das von CARE betriebene Krankenhaus ist das letzte, das es in der Region noch gibt. Viele andere Krankenhäuser und Gesundheitsstationen mussten schließen – entweder, weil das Geld fehlte oder weil es kein Personal mehr gab oder sie die vielen Patientinnen und Patienten nicht mehr aufnehmen konnten. Das heißt, wir haben jetzt viele Mütter und Schwangere, die von Krankenhaus zu Krankenhaus eilen und niemanden finden, der sie aufnimmt. Eine Ärztin erzählte mir, dass es zwei- bis dreimal im Monat vorkommt, dass Frauen ihre Kinder auf der Straße zur Welt bringen, weil sie es nicht rechtzeitig ins Krankenhaus schaffen.
Eine Mutter, mit der ich sprach, musste zwei Krankenhäuser abklappern, bevor sie schließlich beim CARE-Krankenhaus ankam – ihre Zwillinge Ahmed und Mustafa wurden dort innerhalb von 15 Minuten geboren, wogen weniger als ein Kilo und verbrachten etwa 20 Tage im Inkubator. Sie sagte klar: Ohne dieses Krankenhaus hätten ihre Kinder nicht überlebt. Gleichzeitig ist das Krankenhaus überfüllt, jedes Wartezimmer ist voll, und auch dort reicht die Finanzierung nur noch für wenige Monate. Ohne Anschlussfinanzierung droht die Schließung. Das heißt, es werden noch mehr Babys auf der Straße oder zu Hause geboren – und die Sterblichkeit der Neugeborenen wird erheblich zunehmen.
Was bräuchte es konkret, um das Al-Amal-Krankenhaus weiter zu betreiben?
Zunächst einmal braucht es Aufmerksamkeit – damit Menschen und Entscheidungsträger*innen überhaupt verstehen, wie zentral diese Einrichtung ist. Finanziell reden wir von mindestens einer Million Euro pro Jahr, weil es ein großes Krankenhaus ist, in dem etwa 350 Geburten pro Monat stattfinden. Wir hoffen auf eine langfristige Folgefinanzierung durch die deutsche Bundesregierung oder andere große Geber, zusätzlich zu Spendenmitteln. Kurzfristige Überbrückungen helfen, aber eigentlich bräuchte es eine längerfristige Absicherung, damit das Personal planen und die Versorgung stabil bleiben kann.

Mehr Informationen:
Neben der Behandlung von Schwangeren, Neugeborenen und der Versorgung von häufig unterernährten Babys und Kindern, bietet das Krankenhaus auch allgemeine gynäkologische Sprechstunden an. Ein wichtiger Teil des Angebots ist die Beratung zu reproduktiver Gesundheit. Frauen und Mädchen erhalten Informationen zu früher Heirat und werden über die gesundheitlichen Risiken von frühen Schwangerschaften aufgeklärt. Die mobilen Ärzteteams des Krankenhauses arbeiten auch in den Flüchtlingscamps der Region. Für mehr als 20.000 Menschen wird dadurch der Zugang zu medizinischer Versorgung im Krankenhaus sichergestellt. Die monatlichen Kosten belaufen sich auf etwa 83.000 Euro im Monat.
Das Krankenhaus liegt in einer sehr dicht besiedelten Gegend. Im direkten Umfeld befinden sich fünf Flüchtlingscamps mit etwa 100.000 Vertriebenen. Weitere Camps liegen etwas weiter entfernt. Um auch Menschen aus abgeschiedenen Gegenden den Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen, unterhält CARE mehrere Ambulanzzentren (inklusive Krankenwagen). Für die Sanitäter*innen des Ambulanzteams, das rund um die Uhr zur Verfügung steht, belaufen sich die monatlichen Kosten auf weitere 25.000 Euro pro Monat.
Wisst ihr als Hilfsorganisation eigentlich nicht im Voraus, wie viel Geld ihr von der Bundesregierung im nächsten Jahr bekommt?
Es sind immer laufende Gespräche. Wir kennen natürlich den groben Haushalt und sehen, dass es in den letzten Jahren einen klaren Trend zu massiven Kürzungen gibt – in der humanitären Hilfe ebenso wie in der Entwicklungszusammenarbeit. Gleichzeitig laufen die konkreten Verhandlungen für einzelne Projekte und Verlängerungen immer weiter. Für das Krankenhaus haben wir noch Gelder für einige Monate, aber danach braucht es neue Zusagen. Und wir wissen, dass die Chancen in der aktuellen Weltlage sehr schlecht stehen.
Was bedeuten diese Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe, zugunsten des Verteidigungsministeriums, ganz praktisch?
Wir sehen weltweit, dass Budgets gekürzt werden – in Deutschland, in anderen europäischen Ländern und auch in den USA. Als Hilfsorganisationen sagen wir sehr klar: In dieser Weltlage dürfte es eigentlich keinen einzigen Cent weniger geben, sondern es müsste eher noch aufgestockt werden. Denn am Ende treffen die Kürzungen nicht abstrakte Programme, sondern ganz konkrete Menschen – wie die Mutter der Zwillinge im Aleppo-Krankenhaus. Gleichzeitig stabilisieren gut finanzierte Projekte ganze Regionen.

Was heißt es für die Menschen vor Ort, wenn Projekte eingestellt oder gekürzt werden?
Ganz konkret bedeutet es, dass Menschen vor verschlossenen Türen stehen – das Krankenhaus nimmt sie nicht mehr auf, sodass Geburten auf der Straße oder zu Hause stattfinden, mit hoher Gefahr für Mutter und Kind. In Camps gibt es dann keinen Zugang mehr zu sauberem Wasser, weil die Versorgungssysteme ohne Finanzierung nicht betrieben werden können. Lebensmittelhilfen und Winterkleidung fallen weg, Landwirt*innen bekommen keine Unterstützung mehr, was in einer Dürresituation katastrophale Ernteausfälle nach sich zieht. Ein Beispiel ist die Region Al-Hasakah im Nordosten Syriens, die als „Kornkammer“ des Landes gilt und etwa drei Viertel des Weizens produziert. Ohne Wasser und Bewässerung wächst dort nichts – das bedeutet weniger Weizen, weniger Brot oder so hohe Preise, dass Menschen es sich nicht mehr leisten können. In vielen Fällen geht es buchstäblich um Leben und Tod.
Viele Menschen in Deutschland haben selbst weniger Geld und fühlen sich angesichts der vielen Krisen ohnmächtig. Was entgegnest du jemandem, der sagt: „Meine Spende ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein“?
Ich verstehe dieses Gefühl, aber aus meinen Reisen weiß ich, wie viel selbst kleine Beträge bewirken können. In Mosambik etwa habe ich eine Frau getroffen, die jeden Tag stundenlang zu einer Wasserstelle laufen musste – ihr alter Eimer hatte ein Loch, sodass sie noch mehr Strecke machen musste, um genug Wasser zu transportieren.
Über ein CARE-Programm erhielt sie einen einfachen Eimer im Wert von einem Euro – der entscheidende Unterschied. Wir haben ausgerechnet, dass sie im Laufe ihres Lebens schon dreieinhalb Mal um die Erde gelaufen ist, nur um Wasser zu holen. Hinter jeder Spende steht also nicht die abstrakte Zahl, sondern ein einzelnes Leben wie das dieser Frau. Das heißt, jeder einzelne Euro zählt.

In Deutschland wollen sich knapp 40 Prozent der Menschen gar nicht mehr mit den schlechten Nachrichten auf der Welt auseinandersetzen. Wir sprechen von der sogenannten „News Fatigue“. Wie gehst du damit um?
Ich kann diese Überforderung gut nachvollziehen – wenn man schlechte Nachrichten nur passiv konsumiert, fühlt man sich schnell hilflos. Aber die schlimmen Dinge passieren ja trotzdem, auch wenn wir wegschauen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn diese Sachen passieren und keiner schaut hin. Wir sind diejenigen, die ein Dach über dem Kopf haben und die die Heizung anschmeißen können.
Es ist das Mindeste, dass wir diesen Menschen Aufmerksamkeit schenken – auch wenn wir in dem Moment nichts ändern können. Allein, dass ich da sitze, zuhöre und ihre Geschichten aufschreibe, bedeutet den Menschen viel; viele sagen, sie fühlten sich zum ersten Mal gesehen. Das können wir auch in Deutschland tun: hinschauen, diese Menschen ernst nehmen – und nicht so tun, als gäbe es dieses Leid nicht.
Was macht diese Arbeit persönlich mit dir – gerade, wenn du kurz vor Weihnachten aus einem Land wie Syrien nach Deutschland zurückkehrst? Und was ist dein nächster Schritt mit Blick auf Syrien?
Jede Rückkehr macht mir meine eigenen Privilegien sehr bewusst – und sie macht den Übergang in den deutschen Alltag nicht immer leicht. Ich nehme Dinge anders wahr: Regen ist für mich nach der Dürre in Syrien nicht nur „schlechtes Wetter“, sondern ein Segen. Wenn ich die Toilettenspülung betätige, denke ich daran, wie viel sauberes Wasser wir hier verschwenden und wie kostbar Wasser anderswo ist.
Ich versuche im Alltag bewusster und sparsamer mit Ressourcen umzugehen, weil ich die Geschichten der Menschen vor Augen habe, die dringend darauf angewiesen sind. Gleichzeitig hilft mir meine Arbeit, diese Eindrücke zu verarbeiten, weil ich mit den Geschichten etwas tun kann – zum Beispiel dieses Gespräch führen, damit die Namen und Schicksale, die ich kennengelernt habe, nicht im Verborgenen bleiben.
Konkret bedeutet das jetzt: Ich schreibe und veröffentliche die Geschichten aus Syrien, um so viel Aufmerksamkeit und Spenden wie möglich zu mobilisieren, damit CARE weiterarbeiten kann – insbesondere, um zum Beispiel Gesundheitsdienste wie das Krankenhaus im Aleppo-Distrikt offen zu halten und die Menschen dort nicht allein zu lassen.
Mehr über Sarah Easter:
Sarah Easter ist Referentin für Nothilfe-Kommunikation, manche sagen auch Krisen-Reporterin oder Nothilfe-Reporterin. Ihr Job ist es, für CARE Deutschland in die humanitären Krisen dieser Welt zu reisen und dort Projekte zu besuchen. Dort spricht sie mit Projektteilnehmenden und macht sich ein Bild über die aktuelle humanitäre Situation.
Sie schreibt Geschichten über Menschen, die sie getroffen hat, macht Fotos und Videos und nimmt sie mit zurück nach Deutschland, um für die Situation der Menschen Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Organisation ist für ihre Arbeit auf Spenden angewiesen, deshalb ist es Sarah Easters Job, die Arbeit von CARE zu dokumentieren, Krisen ein Gesicht zu geben und Menschen, dabei zu unterstützen, gehört zu werden. „Denn es sind sie, die jeden Tag ums Überleben kämpfen“, sagt sie.
Jedes Jahr macht sie sechs bis zu sieben Reisen und war 2025 unter anderem im Südsudan, Somaliland, in der Demokratischen Republik Kongo, Sudan, Ukraine und zuletzt in Syrien.










