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Auf der Jagd nach schlummernden Schätzen
Über die Frauen in Chiles Bergbau

11. September 2016 | Von Sophia Boddenberg
Der Tag von Olivia Mejías beginnt in der Morgendämmerung. Fotos: Sophia Boddenberg

Der Kupferbergbau ist die tragende Säule der chilenischen Wirtschaft. Bis vor wenigen Jahren war Frauen der Zugang zu den Minen noch verboten. Olivia Mejías ist eine von rund 250 Frauen, die in der größten unterirdischen Kupfermine der Welt arbeiten.

Von Sophia Boddenberg, Santiago de Chile

Olivia Mejías sieht selten das Tageslicht. Wenn sie morgens das Haus verlässt, ist es noch dunkel. Um 6.20 Uhr parkt sie ihr Auto an einem kleinen Gemüseladen und nimmt den Bus, der sie durch die Gebirgskette der Anden, durch Tunnel und Täler bis zu ihrem Arbeitsplatz fährt. In der Morgendämmerung zieht sie hier in der leeren Frauenumkleide ihren orangefarbenen Overall an, den Schutzhelm mit Kopflicht und den Werkzeuggürtel. Unter dem Overall trägt sie einen Fleecepullover und eine Leggins; es könnte heute kalt werden, denn in Chile ist Winter. Um 7.20 Uhr nimmt sie einen weiteren Bus, der sie eine halbe Stunde lang tiefer in die Berge fährt. Sie steigt aus und läuft in die Dunkelheit.

Olivia ist Geologin und arbeitet in der Mine El Teniente, dem größten unterirdischen Kupferbergwerk der Welt. In den chilenischen Anden schlummern zahlreiche Bodenschätze, darunter knapp 40 Prozent des weltweiten Kupfervorkommens. Bergbauunternehmen sind die wichtigsten Arbeitgeber des Landes: Einer von sieben chilenischen Arbeitern ist in der Branche beschäftigt.

Die unterirdischen Tunnel von El Teniente haben eine Strecke von etwa 3000 Kilometern – das entspricht beinahe der Länge von Chile selbst, des längsten Landes der Welt, das sich von der Atacamawüste im Norden bis zur Antarktis im Süden erstreckt. Jährlich produziert die Kupfermine El Teniente fast 500.000 Tonnen Kupfer, das entspricht einem Zehntel der chilenischen Gesamtproduktion. Weltweit werden jährlich 18,7 Millionen Tonnen Kupfer gefördert, ein Drittel davon kommt aus Chile. Kupfer gehört zu den Halbedelmetallen und ist von entscheidender Bedeutung für die modernen Technologien. Ohne Kupfer funktioniert kein Licht, kein Telefon, kein Auto und kein Computer. Das liegt an den außergewöhnlichen Materialeigenschaften des Werkstoffs: seiner hohen Wärmeleitfähigkeit, Widerstandsfähigkeit und Formbarkeit.

Seit über 100 Jahren wird die Mine El Teniente betrieben und ist somit die älteste Kupfermine des Landes. Im Jahr 1905 wurde sie von der Braden Copper Company mit Sitz in New York in Betrieb genommen. Die US-amerikanischen Bergwerksgesellschaften erwirtschafteten exorbitante Gewinne mit dem chilenischen Kupfer, bis der Kupferbergbau 1971 unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende verstaatlicht wurde. El Teniente gehört jetzt zu dem staatlichen Bergbauunternehmen Codelco, das 100 Prozent der Gewinne an den chilenischen Staat abführt. Mehr als Die Hälfte der Kupferproduktion entfällt jedoch auf private, meist transnationale Bergbauunternehmen. Das ist eine Folge der Privatisierungen während der Militärdiktatur (1973-1990). Der Rechtsrahmen der Diktatur, der nach Erlangen der Demokratie beibehalten wurde, hat in Chile den übermäßigen Abbau und den Verlust an Erzvorkommen sowie den Verlust an Einnahmen wegen der Transnationalisierung und geringer Steuern fortbestehen lassen.

Langjährige Leidenschaft für Naturwissenschaften

Olivia ist 28 Jahre alt, hat leicht gebräunte Haut, dunkle Haare und Augen und sieht trotz des unförmigen Overalls elegant aus. Sie trägt Ohrringe in Form kleiner Fische, einen Silberring am Finger und ein geblümtes Halstuch. In einer kleinen bunten Box nimmt sie ihr Frühstück mit zur Arbeit. „Schon in der Schule hatte ich eine Leidenschaft für Naturwissenschaften. Ich habe mich dann für das Geologie-Studium entschieden, weil die Geologie eine starke Verbindung zur Natur hat und mir mehr Freiheiten gibt als andere Wissenschaften“, sagt sie. Dass der Bergbau stark die Umwelt verschmutzt und nicht erneuerbare Naturressourcen verbraucht, ist ihr bewusst. „Das ist das einzige, was mich an der Arbeit in der Mine stört. Gleichzeitig arbeite aber gerne für Codelco, weil ich so für das Land arbeite und nicht für den Geldbeutel eines Privatunternehmers“, rechtfertigt sie sich. Zu Codelco kam Olivia gleich nach ihrem Abschluss an der Universität; das war vor vier Jahren.

Gegen acht Uhr trifft sie in ihrem unterirdischen Büro im Inneren des Bergwerks ein. Davon abgesehen, dass es keine Fenster hat, sieht es aus wie ein ganz normaler Arbeitsplatz mit Schreibtischen, Computern, Schränken. Hier arbeitet Olivia mit ihren männlichen Kollegen: einem weiteren Geologen und zwei Analysten. Alle haben ein sehr positives Bild von ihr. „Als Olivia anfing, mit uns zu arbeiten, war sie sehr motiviert. Und in den vier Jahren, die sie jetzt bei uns ist, hat ihre Motivation nicht nachgelassen. Die Minenarbeiter pfeifen ihr manchmal hinterher und schauen ihr nach. Aber sie haben sich verändert und sind mittlerweile sehr respektvoll. Olivia hat einen Posten als Aufseherin und muss ältere Männer überwachen. Am Anfang war das schwierig, weil sie jung ist und zusätzlich eine Frau. Aber sie hat mit ihrem Charakter und ihrem Wissen erreicht, dass sie respektiert wird“, sagt Ramón Valdivia, der seit 18 Jahren in der Mine arbeitet und Olivia gut kennt.

„Direkte Diskriminierung oder Respektlosigkeit habe ich persönlich noch nie erlebt“, bestätigt Olivia. „Aber die Männer schauen mir oft hinterher. Und das, obwohl ich einen Overall anhabe“, sagt sie und lacht. „Ich achte aber auch darauf, die professionelle Distanz zu behalten und keinen Raum für Kommentare zu lassen, damit ich für meine Kenntnisse und Professionalität respektiert werde, ob ich jetzt eine Frau bin oder nicht“. Die geringe Frauenpräsenz zeigt sich auch darin, dass es kaum Frauentoiletten innerhalb der Mine gibt und die zur Verfügung stehenden Kleidungs- und Schuhgrößen sehr groß sind. Olivia musste sich ihre Sicherheitsschuhe in 36 extra bestellen. Seit kurzem gibt es auch Jacken und Hosen für die weiblichen Angestellten, da es für sie im Overall recht umständlich ist, auf die Toilette zu gehen.

Mit ihrem Kollegen Ramón untersucht Olivia die Qualität und Feuchtigkeit der Mineralien
Mit ihrem Kollegen Ramón untersucht Olivia die Qualität und Feuchtigkeit der Mineralien.

Mythos: Minen sind eifersüchtig auf Frauen und rächen sich

Olivia ist die einzige weibliche Geologin, die in der Mine arbeitet und in ihrer Abteilung die einzige Frau. Insgesamt arbeiten in der Mine El Teniente circa 250 Frauen – und das bei fast 5000 Mitarbeitern. Vor nur etwa zwanzig Jahren war es für Frauen sogar verboten, die Mine überhaupt zu betreten. Das ist zum Teil auf einen alten Mythos zurückzuführen, der besagte, dass die Mine sich aus Eifersucht rächen würde, wenn eine Frau sich ihr nähere. Aber die Mentalität der Minenarbeiter wandelt sich und immer mehr chilenische Frauen finden den Weg in den Bergbau. „Früher war unser Büro voll von Fotos mit nackten Frauen und alles war unordentlich. Aber das hat sich geändert. Die Frauen leisten heute einen wichtigen Beitrag im Bergbau und ich persönlich habe viel von Olivia gelernt“, sagt ihr Teamkollege Oswaldo Dieguez, der seit 35 Jahren in der Mine arbeitet. Codelco beschäftigt mittlerweile landesweit die meisten Frauen im Bergbau: Etwa 8,5 Prozent der Beschäftigten sind heute Frauen, im Jahr 2000 waren es nur 5,8 Prozent.

Gegen 9.30 Uhr setzt sich Olivia die Schutzbrille und die Atemmaske auf und steckt zum Lärmschutz Stöpsel in die Ohren. Mit Hammer, Taschenlampe und Funksprechgerät ausgerüstet macht sie sich zu Fuß auf in den Produktionsbereich der Mine. Sie stapft über den matschigen Boden und durch oxidiertes Kupfer grün gefärbte Pfützen. Auf einem Klemmbrett trägt sie die Informationen, die sie für ihre Untersuchungen braucht. Zuerst muss sie sich beim Koordinator des jeweiligen Bereichs mit ihrer Unterschrift und der Uhrzeit registrieren. Dann wartet sie an einem Absperrband. Mit ihrer Taschenlampe gibt Olivia Lichtzeichen an den Maschinenführer. Alles, was man als Bauwerkzeuge kennt, gibt es hier in XXL: Riesige Hammer, riesige Bohrer und riesige Schaufeln, die die Mineralien zerkleinern und abtransportieren. Der Maschinenführer schaltet alles aus und lässt Olivia den Abschnitt betreten. Dieses Prozedere läuft an jeder Straße gleich ab, um ihre Sicherheit zu garantieren.

Nachdem sie die Materialien untersucht hat, dokumentiert und analysiert Olivia die Daten in ihrem unteri
Nachdem sie die Materialien untersucht hat, dokumentiert und analysiert Olivia die Daten in ihrem unterirdischen Büro.

Hohes körperliches Risiko

Neben dem Aberglauben sind das hohe Unfallrisiko und die körperlich anstrengende Arbeit Gründe dafür, dass früher keine Frauen in den Minen arbeiteten. Aber dank neuer Technologien und Maschinen ist technisches Wissen mittlerweile stärker gefragt als körperliche Arbeit. Olivia erhielt bereits als Studentin ein Stipendium von Codelco für ihre herausragenden akademischen Leistungen. Die körperlichen Risiken beunruhigen sie aber trotzdem: „Ich setze mich vielen Gefahren aus. Die Sorge, am Abend mit einer Verletzung nach Hause zurückzukehren, ist immer da. Oder, dass jemandem aus meinem Team etwas zustößt. Ich sitze eben nicht einfach in einem Büro, sondern ich arbeite unter der Erde und das bringt ein ständiges Risiko mit sich.“ Im Monat gibt es etwa 15 Unfälle in der Mine, manchmal enden sie tödlich. Zu Unfällen kommt es etwa durch Steinschläge, Schlammlawinen, Zusammenstöße mit Maschinen oder Fahrzeugen, Stürze oder Brände. Viele der langjährigen Arbeiter leiden unter Silikose, in Deutschland auch Staublunge genannt. Diese Atemwegserkrankung wird durch die Inhalation von Feinstaub verursacht.

In den Tunneln ist es stockdunkel. Nur mit ihrem Kopflicht und der Taschenlampe leuchtet Olivia sich den Weg. Zu ihren Aufgaben gehört, die Qualität und Feuchtigkeit der Mineralien zu überprüfen. Heute muss sie die Feuchtigkeit der Abbaustellen überprüfen. Zu viel Wasser ist gefährlich, weil es Schlammlawinen verursachen kann. Von den Produktionsspezialisten hat Olivia konkrete Informationen zu gefährlichen Punkten bekommen. Zuerst klopft sie mit ihrem Hammer auf die Steine und beobachtet, wie sie zerfallen. Dann fühlt sie mit der Hand, wie leicht sich das Material verformen lässt. Bei besonders viel Feuchtigkeit läuft es wie flüssiger Schlamm durch ihre Finger. Zur Beweissicherung macht sie mit dem Handy ein Foto. Dann bewertet sie den Grad der Feuchtigkeit auf einer Skala von 1 bis 5. Wenn sie eine 5 aufschreibt, heißt das, dass die Produktion an diesem Punkt stillgelegt werden muss.

Leben in Dunkelheit

Plötzlich ist ein dumpfes Grollen zu hören. Die Wände und der Boden rütteln wie bei einem Erdbeben. Aber Olivia bleibt ganz ruhig. „Das war nur eine Explosion. Besonders große Felssteine werden gesprengt.“ Sie arbeitet meist alleine und läuft täglich zwischen zwei und drei Stunden zu Fuß durch die dunklen Tunnel. Aus Energiespargründen sind nur besonders risikoreiche Stellen beleuchtet, wie zum Beispiel tiefe Löcher im Boden. Aber Olivia hat keine Angst. „Als ich angefangen habe, in der Mine zu arbeiten, haben mich die Geräusche beunruhigt, weil ich sie nicht identifizieren konnte. Aber jetzt weiß ich genau, welches Geräusch wo herkommt“, sagt sie selbstsicher. Gegen 12 Uhr ist es Zeit für das Mittagessen mit den Kollegen. Die Kantine befindet sich ebenfalls innerhalb der Mine. Heute isst sie ausnahmsweise das angebotene Menü, normalerweise bringt sie sich ihr eigenes Essen mit. Es gibt Lachs mit Reis. Nach der Pause analysiert sie die Daten, die sie vormittags ermittelt hat und informiert die zuständigen Personen über mögliche Gefahren. Um 16.30 Uhr nimmt sie schließlich den Bus zurück. Als sie zu Hause ankommt, wird es schon wieder dunkel.

Der Bergbau prägt alle Lebensbereiche von Olivia. Ihr Lebensgefährte Nicolas arbeitet auch der Mine El Teniente, sie haben sich in der Universität kennengelernt. Er ist tagsüber jedoch am anderen Ende der Produktionskette, wo die Mineralien verarbeitet werden. Das Gelände ist riesig und sich außerhalb der eigenen Abteilung zu treffen ist fast unmöglich. „Die paar Male, die wir uns in den letzten vier Jahren auf der Arbeit gesehen haben, kann ich an der Hand abzählen“, sagt Olivia. Auch ihr liebstes Hobby hat mit Kupfer zu tun: Freitags macht sie einen Kurs in einer Schmuckschmiede mit Materialien wie Kupfer und Edelsteinen. So kann sie ihre Kenntnisse als Geologin auch im Hobby anwenden. „Für mich ist die Geologie eine Leidenschaft. Wenn ich mich nochmal für eine Wissenschaft entscheiden müsste, würde ich wieder Geologie wählen“, bestärkt Olivia und strahlt dabei.

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Von Sophia Boddenberg, Santiago de Chile

Sophia Boddenberg berichtet als freie Journalistin für Radio, Online und Print aus Chile und beschäftigt sich mit Themen rund um Frauenrechte und soziale und politische Bewegungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Sie hat Journalistik studiert und ein Masterstudium in Sozial- und Politikwissenschaften Lateinamerikas in Santiago de Chile absolviert. Mehr unter: http://sophiaboddenberg.com.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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