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American Mom
Wenn Elternzeit Privatsache ist

2. Mai 2015 | Von Sabine Muscat
Natalie Patrick-Knox mit ihrem einjährigen Isaac. Fotos: Sabine Muscat

Die USA sind das einzige entwickelte Land ohne ein gesetzliches Recht auf bezahlten Mutterschutz und Elternzeit. Viele Frauen empfinden das als ungerecht, aber machen das beste aus ihrer Situation. Die Politik reagiert bisher nur mit zaghaften Lösungsversuchen.

Von Sabine Muscat, Washington D.C.

Als Tegan Blaine im vierten Monat mit ihren Zwillingstöchtern Clio und Anaïs schwanger war, führte ihre Ärztin ein ernstes Gespräch mit ihr. „Sie sollten Ihren Arbeitgeber darauf vorbereiten, dass Sie ihr Pensum vor der Geburt zurückfahren müssen“, mahnte die Gynäkologin. Das war leichter gesagt als getan – zumindest in den USA. In Deutschland, wo der Mutterschutz sechs Wochen vor der Geburt beginnt, hätte es dieses Gespräch wohl so nicht gegeben. Aber Tegan Blaine arbeitet für die US-Regierung – und in den USA sieht der Gesetzgeber keine Auszeit für werdende Mütter vor.

„Ich habe meine Arbeitszeit gegen Ende der Schwangerschaft von vorher rund 60 auf 40 Wochenstunden abgesenkt“, erzählt Blaine, Abteilungsleiterin bei der U.S. Agency for International Development, dem amerikanischen Entwicklungshilfeministerium. „Aber im letzten Monat vor der Geburt war ich physisch nicht mehr in der Lage ins Büro zu gehen.“ Ihr Chef setzte im Ministerium durch, dass sie von zu Hause arbeiten durfte. „Normalerweise hätte ich entweder antreten oder Urlaub einreichen müssen“, sagt Blaine. Dabei brauchte sie den Urlaub doch für die Zeit nach der Geburt. Denn die drei Monate Mutterschutz, die US-Unternehmen ab einer gewissen Größe ihren Mitarbeiterinnen nach der Geburt gewähren müssen, sind unbezahlt.

Tegan Blaine mit Clio und Anais.
Tegan Blaine mit Clio und Anais.

„Ich hatte genug Urlaubs- und Krankentage angespart, um mir einen bezahlten Mutterschutz zu ermöglichen“, sagt Blaine. „Aber das heißt auch, dass ich nach Ende der drei Monate keinen freien Tag mehr übrig hatte.“ Zusätzlich zu ihrem Urlaub bekommen US-Angestellte ein festes Kontingent an Krankentagen – bezahlt krank sein dürfen sie nur so lange, bis diese Tage aufgebraucht sind.

Bezahlter Mutterschutz und Elternzeit sind eine Selbstverständlichkeit in europäischen Ländern. In den USA sind sie ein fernes Traumziel. Laut einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen von 2014 hatten nur zwei der untersuchten 185 Länder kein Recht auf einen bezahlten Mutterschutz: Papua Neuguinea und die USA. Die Zwillingsmutter Blaine sagt dazu: „Die USA sind auf diesem Gebiet wirklich rückständig.“

US-Präsident Barack Obama ist sich des Problems bewusst und plädierte im Januar in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation für eine Ausweitung des Mutterschutzes, den die Bundesstaaten Kalifornien und New Jersey bereits im Alleingang eingeführt haben. Regierungsbehörden wie Blaines Ministerium hat er angewiesen, ihren Mitarbeiterinnen künftig eine sechs Wochen lange bezahlte Elternzeit zu gewähren. Aber die Widerstände im republikanisch dominierten Kongress gegen einen „Nannystaat“ nach europäischem Vorbild sind groß – ein Gesetzentwurf der demokratischen Senatorin Kirstin Gillibrand für eine staatlich garantierte Mutterschutz- und Elternzeitregelung liegt schon lange auf Eis.

Shilpi Malinowski mit Sohn Hugo.
Shilpi Malinowski mit Sohn Hugo.

Sogar der unbezahlte Mutterschutz – also das Recht auf Rückkehr in den Job – ist in den USA ein Privileg, das nur Mitarbeiter der Regierung oder größerer Unternehmen ab 50 Angestellten genießen. Shilpi Malinowskis früherer Arbeitgeber gehörte nicht dazu. Das kleine Online-Magazin Urban Turf berichtet über den Immobilienmarkt in Washington, D.C. Malinowski war die einzige fest angestellte Reporterin der Publikation – bis sie Mutter wurde.

„Die zwei Gründer waren nicht begeistert, als ich ihnen erzählte, dass ich schwanger war“, sagt sie. „Sie konnten es sich nicht leisten, meine Stelle freizuhalten.“ Sie arbeitete bis in die 40. Schwangerschaftswoche, bevor sie ihren Job aufgab. Ihr Sohn Hugo kam eine Woche später im Dezember 2013 zur Welt. In einer Geste des guten Willens zahlte ihr Arbeitgeber ihr immerhin ein Monatsgehalt Abfindung.

Fast eineinhalb Jahre später ist Malinowski immer noch mit Hugo zu Hause. Wie schön es sein kann, sich Zeit für ein Baby zu nehmen, erfuhr sie durch eine Cousine, die in Großbritannien lebt. „Sie kam uns mit ihrer neun Monate alten Tochter besuchen, als ich noch schwanger war – und sie wirkte so glücklich!“ Die Cousine setzte ein ganzes Jahr aus und durfte danach an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. „Sie wurde sogar in ihrer Abwesenheit befördert!“, staunt Malinowski.

Ihrem früheren Arbeitgeber trägt sie den Mangel an Familienfreundlichkeit trotzdem nicht nach. „Die USA sind eine marktorientierte, individualistische Gesellschaft“, sagt sie pragmatisch. „Deshalb habe ich mir eben meinen eigenen Mutterschutz gebastelt.“ In den letzten Monaten im Job sparte sie so viel es ging. „Wenn ich mir heute eine Tasse Kaffee oder ein neues Kleid gönne, zahle ich dafür aus dem, was ich zurückgelegt habe“, erzählt sie. Aber sie hat auch Glück: Als Ingenieur hat ihr Ehemann ein gutes Einkommen. Die Malinowskis vermieten die untere Etage ihres Reihenhauses in der Nähe des US-Kapitols und können davon den Kredit finanzieren. Und anders als die meisten Amerikaner in ihrem Alter haben sie keinen Autokredit und keine Schulden aus dem Studium. Außerdem trägt sie selbst mittlerweile wieder zum Haushaltseinkommen bei. Sie schreibt freiberuflich für die Washington Post, und Hugo hat zwei Mal die Woche eine Tagesmutter.

Für Tegan Blaine, deren zwanzig Jahre älterer Mann im Vorruhestand ist, wäre dieses Modell nicht möglich gewesen. „Ich bin bei uns die Brotverdienerin“, sagt sie. Dass ihr Mann seit der Pensionierung nur noch freiberuflich von zu Hause arbeitet, war dennoch ein Segen, denn so kann er tagsüber auf die Kinder aufpassen. In Blaines Ministerium gibt es zwar eine Kindertagesstätte, die von einem privaten Betreiber gemanagt wird. Aber die Plätze sind begehrt – und teuer. „Ich ließ mich auf die Warteliste setzen, als ich drei Monate schwanger war und habe nie wieder von denen gehört“, sagt Blaine. Und selbst wenn, hätte sie wohl abgelehnt, denn die Betreuung hätte dort pro Kind und Monat 1.850 Dollar gekostet.

Staatliche Kita-Zuschüsse wie in Deutschland gibt es in den USA nicht. Eltern können einen Teil der Betreuungskosten von der Steuer absetzen – aber in teuren Städten wie New York oder Washington ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Natalie Patrick-Knox und ihr Mann haben für ihren Sohn Isaac eine „Nanny“, eine Tagesmutter, eingestellt, die sie sich mit einer anderen Familie teilen. „Das kostet uns rund 2000 Dollar im Monat – fast so viel wie die Miete“, sagt sie. Patrick-Knox arbeitet für eine gemeinnützige Organisation, ihr Mann ist Journalist. Ein zweites Kind kommt für die beiden erst in Frage, wenn Isaac in die Pre-School geht, die in Washington ab dem Alter von drei Jahren kostenlos ist.

Trotz ihres niedrigeren Gehaltes hatte Patrick-Knox Möglichkeiten, von denen die Ministeriumsangestellte Blaine nur träumen konnte. Ihr Arbeitgeber, „Jobs With Justice“, ist eine Organisation, die sich für Arbeiterrechte einsetzt – da war es Ehrensache, dass sie drei Monate bezahlten Mutterschutz nehmen durfte. Danach arbeitete sie drei weitere Monate Teilzeit. Und wenn sie vor dem Weißen Haus für höhere Mindestlöhne demonstrierte, kam Isaac eben im Tragetuch mit.

 

 Info-Box: Mutterschutz und Elternzeit im Vergleich

Deutschland:

  • Der Mutterschutz gilt für festangestellte berufstätige Frauen sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt. In den acht Wochen nach der Geburt besteht zum Schutz der Frau sogar absolutes Beschäftigungsverbot.
  • Jeder Elternteil kann bis zu drei Jahre Erziehungsurlaub nehmen und ist in dieser Zeit nicht kündbar.
  • Eltern können nach der Geburt eines Kindes bis zu 14 Monate Elterngeld vom Staat erhalten, wenn sich beide Partner die Zeit aufteilen. Elterngeldempfänger erhalten bis zu 67 % ihres früheren Nettoeinkommens oder maximal 1.800 Euro.
  • Jedes Kind hat ab Vollendung des ersten Lebensjahres einen Anspruch auf einen staatlich subventionierten Kita-Platz.

 

USA:

  • In den USA müssen Arbeitgeber ab einer Größe von 50 Mitarbeitern ihren weiblichen Angestellten nach der Geburt drei Monate Mutterschutz gewähren. Ein Beschäftigungsverbot gibt es aber nicht.
  • Der Mutterschutz ist unbezahlt, die Frau hat lediglich ein Rückkehrrecht an ihren Arbeitsplatz. Einzelne Bundesstaaten haben aber einen bezahlten Mutterschutz eingeführt.
  • Kita-Plätze werden nicht vom Staat subventioniert, aber es gibt Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern solche Plätze anbieten. Eltern müssen in der Regel auf private Angebote zurückgreifen.
  • In den USA hängt die Situation von Müttern und Familien stark vom Arbeitgeber ab. In der Tech-Industrie im Silicon Valley konkurrieren Unternehmen um qualifizierte Mitarbeiterinnen, indem sie bezahlten Mutterschutz oder subventionierte Daycare anbieten. 

 

Weiterführende Links: 

http://www.bloomberg.com/news/features/2015-01-28/maternity-leave-u-s-policies-still-fail-workers

http://www.newyorker.com/news/daily-comment/paid-family-leave-obama-work

 

Geschichte hinter der Geschichte:

Mein Leben als American Mom begann am Heiligabend 2013. Mein US-amerikanischer Mann und ich fuhren mit unserem neugeborenen Sohn vom Krankenhaus zu unserer Wohnung in Washington. In Deutschland hätte ich mich sicher ein paar Tage länger im Krankenhaus erholen können, dachte ich wehmütig. Aber in den USA ist nach zwei Nächten Schluss – und letztlich war ich froh, an Weihnachten zu Hause zu sein.

Danach war ich auf mich gestellt. Es gab keine Hebamme, die zu Hausbesuchen kam, und erst recht kein Elterngeld. Nach zwei Monaten unbezahlter Auszeit fing ich langsam wieder an zu arbeiten – erst in Teilzeit und sechs Monate später wieder voll. Das alles war in Washington mein ganz normaler Alltag.

Nur wenn ich mit deutschen Freundinnen telefonierte, die Babys hatten, wurde mir klar, dass zwischen unseren Situationen Welten lagen. Meine amerikanischen Freundinnen rissen umgekehrt die Augen auf, wenn sie hörten, wie großzügig die Regelung in Deutschland ist. Die USA und Deutschland sind zwei Extreme – und ich persönlich glaube, dass die USA des Guten zu wenig tun, die Deutschen aber zu viel.

Laut einer Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit ist die Zahl der berufstätigen Frauen im Vergleich mit anderen OECD-Ländern weit zurückgefallen, seit diese Länder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit großzügigen Elternzeitregelungen fördern. Die Studie konstatiert aber auch, dass in den USA überdurchschnittlich viele Frauen in Führungspositionen arbeiten. Je länger die Elternzeit, desto stärker sinken die Karrierechancen.

Als American Mom habe ich die Erfahrung gemacht, dass es irgendwie trotzdem geht. Irgendwo finden sich immer ein Raum zum Milchpumpen, eine Tagesmutter oder ein Daycare-Platz. Und wenn beide Partner an einem Strang ziehen, findet sich auch genug Zeit für das Kind und für das Leben als Familie. Am meisten aber hat mich beeindruckt, wie sehr Eltern in Washington einander gegenseitig helfen. Amerikaner sind gute Netzwerker – und das gilt auch für amerikanische Eltern.

Die drei Frauen in meinem Artikel kenne ich über solche Netzwerke. Tegan lernte ich über den Nachbarschafts-Email-Verteiler kennen, auf dem Eltern Infos austauschen und Playdates oder Tauschbörsen für getragene Babykleidung organisieren. Natalie traf ich im Schwangerschafts-Yoga. Nach der Geburt unserer Söhne gründeten wir mit anderen Familien einen Babysitter-Klub, in dem wir gegenseitig auf unsere Kinder aufpassen. Shilpi kenne ich auch durch diesen Klub.

Ich würde mir wünschen, dass der amerikanische Staat Müttern und Eltern das Leben leichter macht – etwa durch die Einführung eines bezahlten Mutterschutzes und subventionierter Kita-Plätze. Aber ich finde auch, dass der deutsche Staat über das Ziel hinausschießt, wenn er Besserverdiener durch Elterngeld subventioniert oder Arbeitgeber zwingt, eine Stelle drei Jahre lang frei zu halten. Dadurch bremst er, meiner Meinung, nach genau die Selbständigkeit und Eigeninitiative, die wir doch auch unseren Kindern fürs Leben vermitteln wollen.

Sabine Muscat hat zu diesem Thema auch auf Englisch im Expat Blog des Wall Street Journal veröffentlicht: http://blogs.wsj.com/expat/2015/03/10/would-you-rather-be-a-new-mom-in-the-u-s-or-germany/

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Von Sabine Muscat, Washington D.C.

Sabine Muscat war in den vergangenen Jahren freie Korrespondentin in Washington, D.C. Dort hat sie unter anderem für N24 und das Wall Street Journal gearbeitet und auf Deutsch und Englisch publiziert. Sie berichtete über aktuelle politische Ereignisse, aber auch über Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft. Sabine Muscats Blog: http://flyingcarpetblog.com.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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