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Waschen für den Weltfrieden
Die „Dirty Girls“ helfen auf Lesbos Geflüchteten

22. Februar 2017 | Von Sabine Rossi
Der Hafen von Mytilene – für viele Flüchtlinge wurde Lesbos zum Sehnsuchtsort auf ein besseres Leben in Europa. Fotos: Sabine Rossi

Die griechische Insel Lesbos galt unter Flüchtlingen als das Tor nach Europa. Mehrere Hunderttausend kamen 2015 auf diesem Weg in die EU. Alison Terry-Evans hat vielen von ihnen geholfen. Sie hat sie mit Kleidung versorgt und gleichzeitig die Umwelt geschützt. Für ihr Projekt „Dirty Girls of Lesvos“ wurde sie im Dezember vom US-amerikanischen Foreign Policy Magazine unter die 100 Global Thinkers gewählt.

Von Sabine Rossi, Lesbos

Alison Terry-Evans: „There was an astronaut and people who were doctors and nurses or IT-specialists… you know, it is was us… that were arriving.”

Alison Terry-Evans sitzt am Hafen von Mytilene, der Hauptstadt der griechischen Insel Lesbos. Den Menschen, von denen sie erzählt, hat sie selbst aus den Schlauchbooten geholfen. Dem Astronauten, den Ärzten und Krankenschwestern, den IT-Spezialisten. Geflohen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan. Vom türkischen Festland waren sie gestartet. Rund zehn Kilometer sind es übers Wasser bis nach Europa. Doch die Meerenge hat es in sich – starke Winde, heftiger Seegang.

Jetzt liegt das Wasser im kleinen Hafen ruhig hinter Alison. Die Wintersonne spiegelt sich auf den Wellen. Einige Fischer reparieren ihre Netze. Alison kommt seit Jahren regelmäßig nach Lesbos. Sie war auch hier als im Frühjahr und Sommer 2015 täglich mehrere tausend Flüchtlinge mit Schlauchbooten an den Stränden ankamen. Zu Fuß mussten die Menschen vom Norden der Insel bis nach Mytilene im Süden laufen, um sich dort offiziell registrieren zu lassen: rund 60 Kilometer in der heißen Sonne.

Alison Terry-Evans: „We couldn’t pick people up. It was horrible, because we would have been arrested.”

Geflüchtete im Auto mitnehmen war undenkbar, erinnert sich Alison. Damit hätten sie und ihre Freunde sich zu Fluchthelfern gemacht und im schlimmsten Fall eine Gefängnisstrafe riskiert.

Alison Terry-Evans (links) sollte auf Lesbos Geflüchtete fotografieren, doch dann wurde sie zur Helferin.

Alison Terry-Evans: „Wir haben das Auto mit gesunden Snacks und Wasser beladen und es den Leuten auf der Straße gereicht. Das Wasser und die Snacks waren wichtig, aber es ging auch darum, Solidarität zu zeigen.“

Alison, die eigentlich aus Australien kommt, hat als Fotografin in London gearbeitet und war im Silicon Valley beschäftigt. 2015 erhielt sie den Auftrag, auf Lesbos die Menschen zu fotografieren, die mit Booten ankamen oder auf See gerettet wurden – den Astronauten, die Ärzte, Krankenschwestern, IT-Spezialisten…

Alison Terry-Evans: „Unmittelbar als ich am Strand ankam, hatte ich das Gefühl, dass ich die Kamera weglegen und helfen musste. Und dann sah ich, dass die Menschen ihre Kleidung einfach wegwarfen, gute Kleidung. Es war so unsinnig.“

Nass und schmutzig erreichten die meisten Geflüchteten die Strände von Lesbos. Die Helfer kleideten sie sofort neu ein, versorgten sie mit warmen Decken. Zurück am Strand blieben Berge von Hosen, Hemden, Jacken und Pullovern. Viel zu schade zum Wegwerfen, fand Alison. Damit war die Idee für die „Dirty Girls“ geboren, ein Projekt, das Geflüchteten hilft und die Umwelt schützt:

Alison Terry-Evans: „Bisher haben wir der Insel 400 Tonnen Müll erspart. Die Menschen finden das gut. Wir alle wissen doch, wie man Klamotten wäscht.“

Gemeinsam mit freiwilligen Helfern aus Lesbos und der ganzen Welt sammelte Alison die Kleidung an den Stränden ein. Mit Spenden bezahlten sie eine lokale Wäscherei, in der sie die Sachen reinigen ließen. Oft fanden sie Persönliches in den Hosen- und Jackentaschen: Schlüssel und Fotos.

Alison Terry-Evans: „Die meisten Leute lassen die Dinge ganz bewusst zurück. Wer an seinem Schlüssel hängt, hätte er ihn behalten. Viele hatten in ihren Taschen auch einen kleinen Stein, der ganz offensichtlich aus ihrer Heimat war. Und immer wieder haben wir Fotos gefunden. Es hat mich sehr ergriffen, die Menschen auf den Bildern zu sehen, feierlich angezogen vor ihren Häusern oder in einem schönen Wohnzimmer. Wenn sie dann hier ankommen, ist das eine sehr prägende Erfahrung.“

Kara Tepe gilt als Vorzeigecamp; etwa 1000 Menschen leben hier in Wellblechhütten.

Alison kennt die Flüchtlingscamps auf Lesbos. Das größte, Moria, ist ein ehemaliges Gefängnis; die hohen Mauern sind mit Stacheldraht und Flutlicht gesichert. Vor dem vergitterten Eingangstor steht ein Bus mit Polizisten. Alle tragen Helm und Schild. In Moria leben etwa 5.000 Menschen. Auch jetzt im Winter hausen etliche bei Schnee und Regen in Igluzelten, denn ausgelegt ist das Camp für halb so viele Bewohner. Moria ist ein sogenannter EU-Hotspot. Die Geflüchteten werden hier registriert, oft dauert es Monate ehe sie die nötigen Papiere erhalten, um aufs Festland weiter zu reisen.

Alison Terry-Evans: „You know, this island is like Alcatraz. The whole island is like a prison. They can’t leave.”

Eine Insel wie ein Gefängnis, das sagen auch viele Geflüchtete. Mit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei vom Frühjahr 2016 ist Lesbos, das einstige Tor nach Europa, zur Endstation geworden. Die Zahl derer, die noch eine Überfahrt wagen, ist klein. Die Waschmaschinen der „Dirty Girls“ laufen dennoch weiter: Für die rund 6.000 Geflüchteten, die auf Lesbos selbst darauf warten, in ein anderes EU-Land zu Verwandten und Freunden weiterzureisen, und auch an immer mehr Orten auf dem griechischen Festland, wo etwa 50.000 Flüchtlinge feststecken. Statt Kleidung waschen Alison und ihre Mitstreiter jetzt Decken und Schlafsäcke und sie verteilen Waschpulver, damit die Leute ihre Sachen selbst waschen können.

Alison Terry-Evans: „Wir haben dafür gesorgt, dass tausende Decken wiederverwendet werden. Aber tausende sind auch in den Müll gewandert. Ich frage mich, wie sieht es dann an anderen Orten der Welt aus, an denen Helfer Menschen mit Decken versorgen. Ich finde das abscheulich. Wir sprechen hier von einer Umweltkatastrophe, verursacht von Organisationen, deren Aufgabe es ist zu helfen.“

Die großen Hilfsorganisation könnten sich von den „Dirty Girls“ einiges abgucken, findet Alison. Zwar stehe Umweltschutz oft auf deren Agenda, aber wirklich nachhaltig seien sie nicht. Eine neue Decke koste etwa zehn Dollar, rechnet Alison vor, „wenn wir sie waschen sind es nur drei Dollar, und wir schützen die Umwelt.“

 Weiterführende Links:

„Dirty Girls“ auf Facebook: https://www.facebook.com/dirtygirlslesvos/

Foreign Policy Magazine über die 100 Global Thinkers 2016: https://gt.foreignpolicy.com/2016/profile/alison-terry-evans?df8f7f5682 

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Von Sabine Rossi, Köln

Sabine Rossi ist Redakteurin bei dem Radiosender COSMO (WDR). Spezialisiert ist sie auf den Nahen Osten, vor allem auf Syrien, wo sie nach ihrem Studium ein Jahr gelebt hat. Regelmäßig verstärkt sie das Hörfunkteam im ARD-Studio Kairo. Für „Deine Korrespondentin“ sucht sie nach starken Frauen im Nahen Osten – und die sind gar nicht so selten.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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