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Rap und Pop für den Wandel
Junge Ägypterinnen halten der Gesellschaft den Spiegel vor

9. Oktober 2015 | Von Sabine Rossi
Mit ihrem Album „Bint al-Masarwa“ wollen die Musikerinnen um Esraa Saleh die ägyptische Gesellschaft aufrütteln. Foto: Sabine Rossi

Belästigung, Demütigung, Abhängigkeit – Erfahrungen, die fast jede Frau in Ägypten beinahe täglich macht. Das Musikalbum „Bint al-Masarwa“, auf Deutsch „Tochter Ägyptens“, hält dagegen.

Von Sabine Rossi, Kairo

Esraa Saleh kommt mit einer leuchtend grünen Bluse zum Treffen. Die Ohrringe, die unter ihren braunen Locken hervorschauen, hat sie passend gewählt. Eigentlich arbeitet sie als Managerin in einem Call Center, aber deshalb ist sie nicht hier, in dem Büro einer Fraueninitiative in Kairos Gardencity, unweit vom Nil. Es geht um ihr Album „Bint al-Masarwa“. Übersetzt heißt das so viel wie „Tochter Ägyptens“. Auf die Bitte, einen Song von ihrem Album zu singen, kehrt sie kurz in sich und legt dann los. In ihrem Lied „Fahimuna Zaman“, singt Esraa: „Seit langem wurde uns weißgemacht, dass wir Mädchen sind. Uns ist es verboten, zu sprechen und zu grüßen. Die Stimme der Frau ist tabu, deshalb muss sie schweigen.“

Doch die 26-Jährige schweigt nicht. Zusammen mit sieben anderen Frauen hat sie vergangenen Herbst an einem Workshop teilgenommen. Zunächst haben sie von ihrem Alltag erzählt – davon, wie sie als Frauen in Kairo leben, was ihnen tagtäglich zu Hause und auf der Straße widerfährt. Angefangen bei der Art, wie sich eine Frau zu kleiden hat, über Hobbys, die gesellschaftlich akzeptiert sind, bis hin zu Anmache und Belästigung. Diesen Druck und das Gefühl eingesperrt zu sein, haben die Frauen in Gedichten festgehalten. Sechs davon haben sie vertont, auf CD veröffentlicht und auf einem Konzert Anfang Juni in Kairo präsentiert. Esraas Eltern und Verwandte waren dabei.

Esraa Saleh: „Ich habe zuerst gedacht, dass es Streit geben könnte. Aber selbst meine konservativen Cousinen waren berührt von unserer Aufführung – so sehr, dass sie geweint haben. Ihre Kinder singen jetzt sogar die Lieder nach.“

Für Esraa Saleh ist das ein kleines Wunder, denn das Album provoziert. Schon das Cover ist für ägyptische Verhältnisse ungewöhnlich: Es zeigt die Nahaufnahme eines Frauenmunds, akkurat geschminkte Lippen, ein Tattoo auf dem Kinn, in den Mundwinkeln je ein Piercing, ebenso auf der Oberlippe. Eine derart geschmückte Frau würde auf Kairos Straßen – gelinde gesagt – zahlreiche Blicke auf sich ziehen. Zwar schminken sich die Frauen und kleiden sich modisch, aber es ist ein ständiges Abwägen wie viel sie von ihrer Figur zeigen.

Fast alle Ägypterinnen wurden schon mal belästigt

Immer wieder machte Kairo international Schlagzeilen, weil Frauen während der Demonstrationen auf dem symbolträchtigen Tahrir-Platz vergewaltigt wurden. Passiert ist das sowohl während der Proteste gegen den Langzeitmachthaber, Hosni Mubarak, Anfang 2011, als auch im Sommer 2013 als Tausende die Absetzung des damaligen Präsidenten, Mohammed Mursi, forderten. In einer Umfrage der Vereinten Nationen vor zwei Jahren gaben 99,3 Prozent der befragten Ägypterinnen an, schon einmal belästigt worden zu sein. Das fängt bei unangenehmen Blicken an, geht über anzügliche Bemerkungen bis hin zu handfesten Attacken.

Esraa Saleh: „Sexuelle Belästigung passiert natürlich nicht nur im Taxi. Sie passiert in großen Linienbussen, in den kleinen privaten Minibussen, auf der Straße, einfach überall. Es gibt kaum einen Mann, der sich zurückhält. Aber viele sind sich dessen nicht bewusst. Sie denken, sie machen einen Spaß.“

Für die Frauen sind selbst Blicke, Pfeifen oder das ständige „Psssst“ oft alles andere als spaßig. Viele Opfer schweigen aus Scham oder aus Furcht, gesellschaftlich geächtet und ein weiteres Mal gedemütigt zu werden. Auch ein Gesetz vom Sommer 2014, das sexuelle Belästigung unter Strafe stellt, hat daran nichts geändert. Frauen, die versucht haben, einen Vorfall zur Anzeige zu bringen, berichten davon, dass sie von den Polizisten nicht erstgenommen wurden. Einige erzählen, dass Nachbarn und Verwandte des Täters sie unter Druck gesetzt haben, bis sie die Anzeige zurückzogen.

In ihren Songs sprechen Esraa Saleh und ihre Mitstreiterinnen das Thema Belästigung nur indirekt an. Ihre Texte handeln vielmehr von den verkrusteten Werten der ägyptischen Gesellschaft. „Ihre Ehre ist nicht zwischen ihren Beinen“, singen sie in dem Song „Qulu Abuha“, übersetzt „Sagt es ihrem Vater“. Die Melodie beruht auf einem traditionellen ägyptischen Volkslied. Den Text hat Esraa geschrieben. Mit ihr singen zwei weitere junge Frauen auf dem Album. Wer will, kann sich die Songs vom Album „Bint al-Masarwa“ kostenfrei im Internet anhören – auch Esraas Lieblingssong „Anta al-kamil“.

Du bist der Perfekte. Du bist der Korrekte. Dagegen sind die Frauen unvollkommen. Du bist der Priester in der Kirche, und die Frauen sind leichte Tänzerinnen.

Esraa Saleh: „Dieses Lied entspricht dem vorherrschenden Glauben in der Gesellschaft, die großen Wert auf den Mann legt. Anta al-kamil sagt den Jungen: ‚Du bist alles.‘ In Wirklichkeit stimmt das natürlich nicht. In dem Lied klingt es für mich ironisch, und das gefällt mir.“

Esraa wünscht sich, dass sich auf lange Sicht etwas in Ägypten ändert. Deshalb möchte sie mit ihrer Gruppe auf Tour gehen und auch außerhalb Kairos auftreten. Auf dem Land seien ihre Botschaften dringend nötig, sagt sie. Einen schnellen Wandel sieht die 26-Jährige nicht, aber Esraa ist sich sicher:„Irgendwann einmal werden Frauen alle Freiheiten haben und gleichberechtigt sein.“ Dann werde sie aufhören, sich als halber Mensch zu fühlen und dann werde das strenge Korsett aufgebrochen, das alle in Ägypten einzwänge – Männer wie Frauen.

Esraa Saleh: „Ich glaube, die Jungen leiden auch. Die ganze Gesellschaft leidet unter der Unterdrückung. Die Männer sind benachteiligt, weil sie die ganze Zeit als wandelnder Geldbeutel betrachtet werden. Immer müssen sie sparen, damit sie überhaupt eine Familie gründen können. Wenn in der Gesellschaft irgendwann Mann und Frau gleichberechtigt sind, wird das die Lösung sein.“

 

Esraa Saleh präsentiert für „Deine Korrespondentin“ den Song „Fahimuna Zaman“: 

Weiterführende Links: 

Die Songs von Bint al-Masarwa auf Soundclound: https://soundcloud.com/bnt-almasarwa

Bint al-Masarwa auf Facebook: https://www.facebook.com/bntalmasarwa

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Von Sabine Rossi, Köln

Sabine Rossi ist Redakteurin bei dem Radiosender COSMO (WDR). Spezialisiert ist sie auf den Nahen Osten, vor allem auf Syrien, wo sie nach ihrem Studium ein Jahr gelebt hat. Regelmäßig verstärkt sie das Hörfunkteam im ARD-Studio Kairo. Für „Deine Korrespondentin“ sucht sie nach starken Frauen im Nahen Osten – und die sind gar nicht so selten.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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