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Ramallahs Ausnahme-Gründerinnen
Palästinensische Frauen beleben die Wirtschaft

3. Januar 2018 | Von Mareike Enghusen
Maryam (links) und Mateel Abu Ein führen Säuglings- und Kleinkindmode von „OshKosh“ in Ramallah. Fotos: Mareike Enghusen

Zwei Schwestern haben eine US-Modekette nach Palästina geholt. Inzwischen expandieren sie nach Jordanien und helfen anderen Frauen bei der Geschäftsgründung – entgegen kultureller und wirtschaftlicher Widerstände.  

Von Mareike Enghusen, Ramallah

An großen Marken mangelt es nicht in Ramallah, der palästinensischen Quasi-Hauptstadt im Westjordanland – sofern man bereit ist, ein Auge zuzudrücken. Am zentralen Manarah-Platz, einem lauten, chaotischen Kreisverkehr, wirbt das „Stars & Bucks Café“ mit vertrautem grünweißen Logo, kaum zu unterscheiden vom amerikanischen Original. Wem nach Deftigem zumute ist, der kann ein paar Ecken weiter den Imbiss „Arab Fried Chicken“ aufsuchen oder sich ein Sandwich im „SABWAY“-Restaurant bestellen. Den Palästinensern mag es an manchem fehlen – an Kreativität gewiss nicht.

In Wahrheit wagen sich kaum internationale Marken in die palästinensischen Gebiete; sie lassen sich abschrecken von politischer Instabilität, rechtlicher Unsicherheit und einer dauerdepressiven Wirtschaft. Eine Ausnahme jedoch gibt es allerdings in einer Einkaufsstraße nur ein paar Hundert Meter vom Manarah-Platz entfernt: „OshKosh“, ein Geschäft für Säuglings- und Kleinkindmode. Anders als das Bekleidungsgeschäft mit dem verdächtig improvisiert aussehenden „H&M“-Schild ein paar Straßen weiter handelt es sich bei „OshKosh Palestine“ um einen echten Ableger, ein legitimes Franchise der US-amerikanischen Marke.

Wer die pink beschriftete Ladentür öffnet, betritt eine Oase westlicher Konsumkultur: unschuldig weiße Wände, pastellfarbene Blümchendrucke für die Mädchen, freche Orange- und Blautöne für die Jungs, dazu singt leise Rihanna im Hintergrund. Trügen die Kundinnen nicht dunkle Kopftücher und bodenlange Mäntel, man könnte sich im Einkaufszentrum irgendeiner US-amerikanischen Kleinstadt wähnen.

Dass eine US-Bekleidungsfirma ein Franchise nach Ramallah vergibt, ist nur eine der Besonderheiten dieser palästinensischen Unternehmensgeschichte. Die zweite: „OshKosh Palestine“ hat sich trotz der niedrigen palästinensischen Kaufkraft als beachtlicher Erfolg erwiesen. Und die dritte: Hinter diesem Erfolg stehen zwei junge Frauen – die Schwestern Maryam und Mateel Abu Ein.

An einem schwülwarmen Morgen sitzen die Schwestern in ihrem Büro oberhalb des Ladens, einem langgezogenen Raum mit niedriger Decke und dunklen Sofamöbeln. Mateel, die jüngere, ist 32 Jahre alt, grazil und elegant in weißer Seidenbluse. Die 40-jährige Maryam, kräftiger, trägt T-Shirt und die braunen Haare offen. Beide haben Kinder: Mateel zwei Söhne, Maryam drei Töchter. Ein paar von ihnen tollen während des Gesprächs durchs Büro, spielen Verstecken hinter Sofas und Aktenbergen. Ihre Mütter bringt das nicht aus der Ruhe. Sie lehnen sich auf dem Sofa zurück und lassen sich von einem Assistenten frisch gepressten Orangensaft servieren, während sie sich die Anfänge ihrer Unternehmerinnenkarriere in Erinnerung rufen.

Ihr Vater, Mahmoud Abu Ein, führt ein erfolgreiches Geschäft für Küchenzubehör im Norden der Stadt. Maryam und Mateel hätten in die Firma einsteigen können wie es ihre Brüder getan haben. „Aber wir wollten lieber unser eigenes Geschäft gründen,“ sagt Maryam, „ein Geschäft für uns Frauen.“ Beide Schwestern haben Finanzen und Management in Ramallah studiert und anschließend einige Jahre in einer Bank gearbeitet. Dann verliebte Maryam sich während einer USA-Reise in die Kindermode von „OshKosh“. „Ich kaufte dort für meine Tochter ein“, erinnert sie sich, „und dabei kam mir der Gedanke: Dieses Geschäft würde nach Palästina passen. Die Qualität ist gut, die Produkte sind schön und nicht zu teuer. Bis dahin hatten wir hier nur chinesische und türkische Marken für Kindermode.“

Die Verhandlungen zogen sich über Jahre

Die Schwestern wandten sich an „OshKosh“ in den USA, bewarben sich um die Franchise-Rechte für die palästinensischen Gebiete und Jordanien. Zunächst stießen sie auf Granit: Zwei Jahre dauerte es, bis die Amerikaner sich auf ein erstes Treffen einließen. Von da an flogen die Schwestern alle paar Monate – auf eigene Kosten – in die USA, führten etliche Gespräche, entwarfen Businesspläne und Marketingkonzepte. Vor vier Jahren war es schließlich soweit: Maryam und Mateel Abu eröffneten die erste OshKosh-Filiale in Ramallah, wenig später eine in Amman, Jordaniens Hauptstadt. Weitere sind in Planung. Obwohl das Geld bei vielen Palästinensern knapp sitzt, scheinen die niedlichen Shirts und Höschen eine Marktlücke zu füllen. Eine halbe Million US-Dollar beträgt der jährliche Umsatz inzwischen.

In der palästinensischen Gesellschaft sind die Abu-Ein-Schwestern gleich in mehrfacher Hinsicht eine absolute Ausnahme. Nur in wenigen Weltgegenden sind so wenig Frauen berufstätig wie in den palästinensischen Gebieten: Nur jede fünfte Frau im Westjordanland und in Gaza geht einer bezahlten Arbeit nach. Das ist selbst im Vergleich zum ohnehin mageren Durchschnitt der arabischen Welt – 25 Prozent – wenig. Dass Frauen ein eigenes Geschäft gründen, kommt noch viel seltener vor: Zwei Drittel der berufstätigen Palästinenserinnen arbeiten im Dienstleistungsbereich, oft in traditionell weiblich konnotierten Berufen wie als Lehrerinnen, Kinderbetreuerinnen oder Krankenschwestern.

Dass so wenige palästinensische Frauen arbeiten, hat, wie die meisten sozioökonomischen Phänomene, verschiedene Gründe. Dazu zählt die chronische Schwäche der palästinensischen Ökonomie, bedingt durch Korruption, Misswirtschaft und die Auswirkungen des schwelenden israelisch-palästinensischen Konflikts. Die Abu-Ein-Schwestern berichten, dass die Ware, die sie aus den USA bestellen, von israelischen Zollbeamten oft tagelang im israelischen Hafen Ashdod festgehalten wird, bevor sie ins Westjordanland transportiert werden darf.

Dazu senkt ein ineffizienter, künstlich aufgeblähter öffentlicher Sektor die Attraktivität von Stellen in der Privatwirtschaft, begünstigt Korruption und Vetternwirtschaft, wie Organisationen wie die OECD beklagen. Die Arbeitslosigkeit in den palästinensischen Territorien liegt chronisch hoch: bei 18 Prozent im Westjordanland und 42 Prozent im isolierten Gazastreifen. Besonders hart trifft es die Jungen – vor allem die jungen Frauen: 62 Prozent der palästinensischen Frauen unter 25 Jahren sind arbeitslos (im Vergleich zu 35 Prozent der jungen Männer).

Trotz besserer Bildung bleiben Frauen Zuhause

An mangelnder Kompetenz liegt das nicht: Palästinensische Frauen haben im Schnitt häufiger einen Universitätsabschluss als Männer. Doch kulturelle Gründe erschweren ihren Eintritt in den Arbeitsmarkt. Im Rahmen eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gaben ein Drittel aller arbeitslosen jungen Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren an, dass Pflichten im Haushalt und bei der Kindererziehung sie von der Aufnahme einer bezahlten Arbeit abhielten.

Zehn Prozent der Frauen begründeten ihre Arbeitslosigkeit außerdem damit, dass die Familie dem Job ihrer Wahl nicht zugestimmt habe. Auch auf der Seite der Arbeitgeber haben gerade junge Frauen wenig Verständnis zu erwarten: „Palästinensische Arbeitgeber aus dem Privatsektor beschweren sich regelmäßig über den gesetzlichen Mutterschutz”, heißt es in einer weiteren Studie. „Sie halten die (vorgeschriebenen) zehn Wochen für zu lang … als Resultat stellen Arbeitgeber entweder weniger junge verheiratete Frauen an, oder sie kündigen den Frauen, sobald sie heiraten.“

Die Unternehmerschwestern Maryam und Mateel Abu Ein haben Glück gehabt: Sie kommen aus einer liberalen Familie, mussten kaum soziale Hürden überwinden und hatten finanziellen Rückhalt. „In den ersten Monaten, als wir jeden Tag bis spätabends im Geschäft bleiben mussten, haben uns unsere Männer im Haushalt geholfen“, erinnert sich Maryam. Beim Aufbau ihres Geschäfts konnten sie auf eigene Ersparnisse zurückgreifen, einen weiteren Anteil steuerte der Vater bei. Außerdem erhielten sie einen Kredit von einer jordanischen Bank, die ein spezielles Programm für die Unterstützung von Frauen unterhält.

„Wir hatten persönlich keine Schwierigkeiten,“ sagt Mateel, „aber in unserer Gesellschaft ist es sehr außergewöhnlich, dass Frauen ihr eigenes Geschäft gründen. Das hat vor allem soziokulturelle Gründe. Frauen sind hier in erster Linie für Haushalt und Kinder zuständig.“ Die beiden Schwestern wehren sich nicht gegen die traditionelle Geschlechterrolle, weil sie alles vereinen wollen: Kindererziehung, Haushalt, Unternehmertum. „Die Branche unseres Vaters ist eher ein männliches Geschäft,” sagt Mateel, „wir wollten etwas Weiblicheres machen – Kindermode schien uns perfekt dafür.“

Sie wollen Pionierinnen sein, keine Rebellinnen

Inzwischen kooperieren sie mit lokalen Nichtregierungsorganisationen, um andere Frauen zu ermutigen und zu befähigen, ihrem Beispiel zu folgen. Sie geben Workshops, halten Vorträge, erteilen Rat. Maryam sagt: „Wir sind froh, dass wir für andere Frauen ein Modell sein können, so müssen sie nicht von null anfangen wie wir.“ Es ist ein Anliegen, das nicht nur Feministen, sondern auch Ökonomen umtreibt. Studien weisen darauf hin, dass ökonomische Teilhabe von Frauen zu Armutsbekämpfung und einem höheren Bruttoinlandsprodukt beträgt. 27 Prozent ihres potenziellen Einkommens verliere die Region wegen der Diskriminierung ihrer Frauen, schätzt die Weltbank.

Die Geschichte der Abu-Ein-Schwestern zeigt, was palästinensische Unternehmerinnen bewegen können – für sich selbst, ihre Familien und ihre Gesellschaft. „OshKosh Palestine“ ist inzwischen so erfolgreich, dass die Schwestern sogar expandieren: Ende 2017 hat eine Filiale in Nablus eröffnet, 2018 ist eine weitere in Betlehem geplant. Außerdem wird es weitere Ableger in Jordanien geben. 30 Mitarbeiter beschäftigen die Schwestern inzwischen – mit Ausnahme der Fahrer ausschließlich Frauen.

Selbst ein erfolgreiches Geschäft wie „OshKosh Palestine“ ist nicht gefeit vor den Unbeständigkeiten einer Konfliktregion. „Wenn es politische Spannungen gibt wie neulich in Jerusalem, dann bleiben die Menschen lieber zu Hause und sparen ihr Geld“, sagt Mateel. „Und manchmal passiert es, dass die palästinensische Regierung aufhört, die Gehälter der öffentlichen Angestellten zu bezahlen. Das spüren wir natürlich auch. Aber: Wir machen trotzdem immer weiter!“

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Von Mareike Enghusen, Tel Aviv

Mareike Enghusen berichtet als freie Auslandsreporterin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vor allem aus Israel, Jordanien und den palästinensischen Gebieten. Mehr unter: http://www.mareike-enghusen.de.

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