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Harte Fakten gegen miese Machenschaften
Perus datenjournalistische Pionierin

23. Mai 2018 | Von Caren Miesenberger
Foto: Caren Miesenberger

Die mehrfach ausgezeichnete Investigativjournalistin Milagros Salazar hat in Peru die sogenannten „Panama Papers“ mitenthüllt. Als erste weibliche Chefredakteurin eines investigativen Mediums in Peru geht sie mutig ihren Weg – und ist damit Vorbild für viele junge Journalistinnen.

Von Caren Miesenberger, Rio de Janeiro

Milagros Salazar zieht ihren beerenfarbenen Lipgloss akribisch nach und fährt mit der Hand über ihr weißes, enges Glitzertop. Es ist zehn Uhr morgens, sie hat eine sechsstündige Fahrt mit dem Nachtbus hinter sich und sieht topfit aus. Salazar, eine der erfolgreichsten Datenjournalistinnen Perus, ist ein Vollprofi. Gerade ist sie in Brasilien, wo die 38-Jährige gemeinsam mit lokalen Kollegen in einem Langzeitprojekt zu Geldwäsche und Korruption in Lateinamerika recherchiert. Die vergangenen zwei Tage verbrachte sie in São Paulo, um Interviews zu führen. Fünf pro Tag. „Es war anstrengend, aber so ist das halt!“, sagt sie mit einem Grinsen auf den frisch geschminkten Lippen. In Rio de Janeiro wohnt sie im Casa Pública, dem ersten investigativjournalistischen Kulturzentrum Brasiliens. Hier ist ihre lokale Basis am Atlantik – von ihrer Redaktion in Lima einmal quer auf die andere Seite des südamerikanischen Kontinents.

Als Mitglied des „Internationalen Konsortiums für Investigative Journalisten“ (ICIJ) war Salazar an den Enthüllungen der „Panama Papers“ beteiligt, die 2016 öffentlich gemacht wurden. Während in Deutschland Journalisten der Süddeutschen Zeitung die Recherchen initiierten und mit dem WDR und NDR zwei große Rundfunkanstalten beteiligt waren, unterstützten in Lateinamerika vor allem kleine Medien die Aufklärung der Machenschaften des Anwaltsbüros Mossack Fonseca.

Oberste Maxime: selbstbestimmt recherchieren

Salazar ist Gründerin eines ebensolchen Mediums: des investigativen Onlinemagazins „Convoca“, zu Deutsch Aufruf. Als dessen Chefredakteurin verantwortete sie die Panama Papers-Recherchen in Peru. „Das Besondere bei den lateinamerikanischen Recherchen der Panama Papers war, dass vor allem aktivistische Frauen in unabhängigen Medien daran arbeiteten“, sagt Salazar. Journalistinnen von ihrem Schlag, die sich von ihren vorherigen Arbeitgebern emanzipieren und selbstbestimmt recherchieren wollen.

Die panamaische Kanzlei Mossack Fonseca unterhielt Büros in über 40 Ländern mit knapp 600 Mitarbeitern. Infolge der Enthüllungen der „Panama Papers“ schlossen viele, bis die Kanzlei im März 2018 ihre Arbeit gänzlich einstellte. Das Peruaner Büro wurde polizeilich durchsucht – ein Verdienst von Salazar und ihrem Team: „Wir konnten über die geleakten Daten 48 Verbindungen in sieben Steuerparadiese herausfinden. Aufgrund unserer Recherchen wurden Ermittlungen gegen zwölf peruanische Staatsbürger oder Ausländer, die in Peru Geschäfte machen, eingeleitet“, sagt die kleine, elegante Frau.

Salazar strahlt Leichtigkeit aus. Viele der von ihr und ihren Mitarbeitern der „Convoca“ aufgedeckten Firmen, deren Gelder in Steueroasen wie Panama, die Bahamas, die Cayman Islands und die britischen Jungferninseln flossen, machen Geschäfte im Bergbau – vertrautes Terrain für Salazar, die sich bereits vor der internationalen Großrecherche Hunderter Journalisten auf der ganzen Welt lange Zeit in diesem Feld Insider-Informationen beschaffte. „Wir haben aufgedeckt, dass diese Personen eine kriminelle Organisation bilden“, so Salazar. Ihre lokale Expertise sei dabei sehr nützlich für das Rechercheprojekt gewesen.

Die in der peruanischen Hauptstadt Lima geborene und aufgewachsene Journalistin begann ihre Karriere nach ihrem Schulabschluss mit 17 Jahren. In die Medienbranche kam sie eher zufällig: Eigentlich wollte sie in der Lebensmittelindustrie arbeiteten. Dann sah sie während einer Busfahrt eine Schlange Jugendlicher auf der Straße vor einem Gebäude stehen. Neugierig stieg sie aus dem Bus aus, um herauszufinden, worum es sich handelte. Die Gruppe schrieb sich für das Journalistikstudium an der Universität von Lima ein. Salazar packte die Abenteuerlust – sie ließ sich spontan ebenfalls eintragen und studierte die darauffolgenden Jahre Journalismus. Parallel begann sie, für die Tageszeitung „La Republica“ zu arbeiten: Als Reporterin im Entertainment-Ressort berichtete Salazar vom roten Teppich über Stars und Sternchen. Auch wenn sie schon als Jugendliche davon träumte, investigativ zu arbeiten, kam das erst sehr viel später.

Bergbau wurde ihr Spezialgebiet

Im Anschluss an ihr Studium absolvierte sie einen Master im Fach Menschenrechte. Danach ging sie zurück zu ihrer Zeitung – dieses Mal mit dem Fokus auf Politik und Umwelt. Sie recherchierte unter anderem zu sozialen Konflikten im peruanischen Bergbau. Ab 2010 arbeitete sie vor allem zu Korruption im Bergbau. 2012 wurde sie für ihre datenbasierte Recherche über Unregelmäßigkeiten in der Fischereiwirtschaft mit dem lateinamerikanischen Preis für investigativen Journalismus in Venezuela ausgezeichnet.

„Seit meiner Recherche über Korruption in der wichtigsten Fischereibranche der Welt, die unter anderem in der New York Times erschien, interessiere ich mich sehr dafür, Themen in datenbasierten Recherchen auf den Grund zu gehen. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, mich selbständig zu machen“, sagt sie. Die Hauptmotivation war die Abwechslung. Die Peruanerin war müde davon, nur Nachrichten zu schreiben. Sie wollte zurück zu größeren, umfangreichen Geschichten. 2015 gründete sie das Onlinemagazin „Convoca“.

Damit ist sie die erste weibliche Chefredakteurin eines investigativen Mediums in Peru und in ihrem Heimatland auf weiter Flur allein: „Die Chefredakteure sind immer Männer. Ich wurde in meiner Laufbahn mit weniger Respekt behandelt und musste dreimal so viel Kraft aufwenden, nur weil ich eine Frau bin, und unter diesen Umständen noch besonders gut arbeiten.“ Nicht nur im Journalismus zeige sich Machismo. „Wir haben eine sehr toxische politische Situation. Damit eine Frau gewählt wird, muss sie hübsch sein. Und auch dann wird ihre Autorität weniger anerkannt“, fährt Salazar seufzend fort. Insbesondere in der Politik sei Sexismus omnipräsent. Aber der Kampf der Peruanerin trug Früchte: „Meine Arbeit hatte Erfolg, was dazu geführt hat, dass immer mehr Frauen das journalistische Handwerk ergreifen.“

Der Handlungsdrang der Powerfrau setzt sich auch in ihrem Privatleben fort: In ihrer Freizeit spielt sie Cajón, eine peruanische Kistentrommel. In Rio de Janeiro findet sie Gefallen an geselligen Sambarunden und geht ihrer Leidenschaft für Perkussion nach. Doch die Themen ihrer Arbeit sind immer präsent und lassen sie nie ganz abschalten. Jüngst gab es zwei Todesfälle von Journalisten, die an den „Panama Papers“ mitarbeiteten: Der tschechische Journalist Ján Kuciak wurde ermordet. Die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia starb, nachdem eine Bombe in ihrem Auto platziert wurde.

Permanente Überwachung und öffentlicher Druck

Auch in Peru ist Journalismus kein ungefährliches Unterfangen. 2016 wurde der Radiomoderator Hernan Choquepata Ordonez während seiner Sendung in der peruanischen Küstenstadt Camaná erschossen. Die polizeilichen Untersuchungen zwar laufen noch, aber Ordonez hatte sich als Moderator der Sendung „Habla el Pueblo“ – zu Deutsch „Das Volk spricht“ – nicht nur Freunde gemacht. In seiner Sendung konnten Anwohner kritisch über Geschehnisse in ihren Vierteln berichten. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ aus dem Jahr 2017 landet Peru auf Platz 90 von 180. Zum Vergleich: Deutschland befindet sich auf Platz 16.

Direkt bedroht wurde Salazar zwar bislang nicht, aber nicht alle sind von ihrer Arbeit begeistert: „Ich weiß, dass ich permanent überwacht werde. Die Autoritäten wollen wissen, wo ich bin.“ Für Salazar ist die Sorgfaltspflicht besonders wichtig, denn als unabhängiges Medium dürfe sie „nichts veröffentlichen, das irgendwie widersprüchlich ist“. In Peru sei Journalismus sehr viel öffentlichem Druck ausgesetzt.

Aber sie hat auch Hoffnung: Die wichtigste journalistische Erkenntnis, die Salazar aus den „Panama Papers“ zog, ist, dass Zusammenarbeit bedeutsamer ist als Konkurrenz. „In so einem Fall ist es am intelligentesten und wichtigsten, im öffentlichen Interesse zu denken. Nach den Panama Papers war ich überzeugt, dass wir Grenzen überwinden müssen, um ein kollaboratives Netzwerk zu haben, mit dessen Hilfe wir gemeinsam Geschichten umsetzen können“, sagt sie. Deshalb setzt Milagros Salazar nun verstärkt auf kooperativen Journalismus – und hat damit Erfolg.

 

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Von Caren Miesenberger, Hamburg

Caren Miesenberger arbeitet als freie Journalistin in Hamburg und Rio de Janeiro, parallel dazu studiert sie Geographie an der Universität Hamburg. Zu ihren Auftraggebern zählen der Freitag, taz, Missy Magazine und BuzzFeed. Sie schreibt über Feminismus, Gesellschaft und Popkultur. Außerdem ist sie ehrenamtliches Redaktionsmitglied der Zeitschrift Brasilicum und betreut den Twitteraccount der Initiative WIR MACHEN DAS. Mehr unter: www.carenmiesenberger.de.

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