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„Die Revolution hat den Frauen geholfen“
Frauenrechte in Ägypten

11. April 2018 | Von Mareike Enghusen
Fotos: privat

Die ägyptische Frauenrechtlerin und Filmemacherin Alexandra Kinias, 53, ist in Kairo aufgewachsen und lebt heute mit ihrem Mann in den USA. Vor zwei Jahren hat sie das Online-Magazin „Women of Egypt“ gegründet, um sensible Frauenrechtsthemen aufzugreifen und jungen ägyptischen Frauen eine Stimme zu geben. Mareike Enghusen hat sie interviewt.  

Ahmed Fahmy, ein bekannter Sänger und Schauspieler in Ägypten, beschrieb kürzlich in einem viel diskutierten TV-Interview wie er seiner Ehefrau vorschreibe, was sie zu tun und zu lassen habe. Er behauptete gegenüber einer Moderatorin, es sei unmöglich für eine Frau, auf Augenhöhe mit einem Mann zu agieren. Wie weit verbreitet sind solche Haltungen in Ägypten? 

Was er dort gesagt hat, lehne ich absolut ab. Seine Frau, die in derselben Show aufgetreten ist, scheint seine Haltung allerdings zu akzeptieren. Deshalb ist es eine private Angelegenheit zwischen den beiden, über die zu urteilen ich nicht berechtigt bin. Sie werden jedoch etliche Fälle wie diesen in ägyptischen Medien finden. Vor kurzem trat ein Psychologe in einer Fernsehdiskussion auf, der behauptete, Frauen hätten eine „Dummheits-Drüse“ im Gehirn: Wann immer sie in die Nähe eines Mannes kämen, der ihnen gefalle, veranlasse diese Drüse sie, sich dumm zu verhalten. Wir haben das Video und viele andere dieser Art auf unserer Webseite geteilt, um darauf aufmerksam zu machen, dass solche Äußerungen inakzeptabel sind.

Bei der Webseite, von der Sie sprechen, handelt es sich um das Online-Magazin „Women of Egypt“, das Sie 2016 gegründet haben. Was gab den Anstoß dafür?

 Angefangen habe ich mit einer Facebook-Seite unter dem gleichen Namen, um bemerkenswerte Frauen und ihre Geschichten vorzustellen. Aber es gibt so viele Geschichten, die erzählt werden sollten! Um ihnen Raum zu geben, habe ich die Webseite gegründet. Heute arbeiten zwischen 25 und 30 Frauen ehrenamtlich daran mit. Wir bieten jungen Frauen Praktika an, um ihnen zu helfen, ihre eigene Stimme zu finden. Außerdem haben wir begonnen, über allgemeine Frauenrechtsthemen in Ägypten zu berichten – wie zum Beispiel Heirat unter Minderjährigen, sexuelle Belästigung und Genitalverstümmelung.

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Einige dieser Themen gelten in Ägypten als äußerst sensibel. Welche Reaktionen bekommen Sie darauf?

Zu meiner Überraschung kennen die meisten Leute die Statistiken nicht. Dass beispielsweise 92 Prozent der ägyptischen Frauen von Genitalverstümmelung betroffen sind, weiß kaum jemand und fast jeden schockiert diese Zahl. Indem wir die Menschen darüber aufklären, schaffen wir Bewusstsein. Und Bewusstsein ist nötig, um diese Dinge zu bekämpfen.

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Erhalten Sie auch feindselige Reaktionen?

Nicht viele, aber es kommt vor. Als die Regierung in Tunesien ankündigte, die Heirats- und Erbrechtsgesetze zu reformieren, um Frauen gleiche Rechte einzuräumen, haben wir dazu einen Artikel veröffentlicht, der stark diskutiert wurde. Viele Männer und Frauen schrieben, die Reformen würden gegen die Scharia und den Islam verstoßen. Für gewöhnlich versuchen wir, solche Themen zu vermeiden, denn wir möchten Frauen stärken und dabei so viele Menschen wie möglich an Bord holen, anstatt sie zu vergraulen. Hier und da testen wir Grenzen aus, aber das ist nicht unser wichtigstes Anliegen.

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In einem Ihrer Artikel kritisieren Sie eine ägyptische Autorin, die sich für Polygamie einsetzt und schreiben, manche Frauen seien die größten Feinde ihres eigenen Geschlechts. In welchem Maße tragen Frauen selbst dazu bei, bestehende Ungerechtigkeiten zu erhalten?

Diese Frau war keine bekannte Autorin, aber ihr Plädoyer für Polygamie verschaffte ihr viel Aufmerksamkeit – das Ganze war eine Show. Es gibt jedoch auch Frauen, die ernsthaft glauben, dass Frauen den Männern untergeordnet sein sollten. Entweder ist ihnen nicht klar, dass sie ihrem eigenen Geschlecht schaden, oder sie glauben, weil sie selbst unterdrückt sind, sollten andere es auch sein – da spielt viel Psychologie mit hinein. In den letzten 40, 50 Jahren, in denen der gesellschaftliche Fortschritt zurückgedreht wurde, sind ganze Generationen von Frauen in einer Kultur aufgewachsen, in der viele Missstände selbstverständlich erscheinen nach dem Motto: „Okay, wir werden belästigt, aber das ist Teil der Kultur“. Ich entgegne: Nein, ist es nicht, ihr habt nur gelernt, das zu glauben!

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Auf Fotos von Kairoer Studenten aus den 50er, 60er Jahren tragen viele junge Frauen offene Haare und Minirock. Heute wirkt die ägyptische Gesellschaft weit konservativer. Was steckt hinter diesem Wandel?

Viele Aspekte haben dazu beigetragen und es ist schwer, sie in Kürze zusammenzufassen. Aber insgesamt ist dieser Wandel das Ergebnis des neu erwachten Islamismus. Die Entwicklung reicht noch weiter zurück: Die Muslimbrüderschaft gibt es schon seit den 20er Jahren. Doch der Einfluss des saudischen Wahhabismus (einer ultrakonservativen, von Saudi-Arabien propagierten Auslegung des Islam, Anm. d. Red.) seit den 70er Jahren hat ihr zur Blüte verholfen. Zudem haben die Präsidenten Anwar Sadat und später Hosni Mubarak die Muslimbrüder toleriert, um im Gegenzug politische Unterstützung von ihnen zu erhalten.

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In welcher Beziehung stehen die Unterdrückung von Frauenrechten und Religiosität?

Religion war und ist der wichtigste Faktor hinter der Unterdrückung von Frauenrechten. Die Religion wird von religiösen Gelehrten benutzt, um diese Unterdrückung zu rechtfertigen. In Ägypten werden Angelegenheiten wie Hochzeit, Sorgerecht, Erbe und Ähnliches noch immer von der Scharia geregelt. Und obwohl die Verfassung die Gleichberechtigung der Geschlechter festschreibt, können Frauen nicht Präsidentin oder Richterin werden, weil Frauen laut Scharia nicht über Männer entscheiden dürfen. Außerdem wird Religion dazu missbraucht, Frauen die sich angeblich nicht züchtig genug kleiden, auf der Straße zu belästigen: Sie seien keine guten Frauen, heißt es dann. Wenn eine Frau jedoch etwas erreicht, wird es heruntergespielt. Deshalb stellen wir auf unserer Webseite Frauen vor, die auf diversen Feldern erfolgreich sind. Viele Leser reagieren überrascht: Wow, es gibt Frauen, die erfolgreiche Wissenschaftlerin, Bergsteigerinnen, Autorinnen oder Athletinnen sind! So wollen wir jungen Mädchen zeigen, dass sie sein können, was immer sie wollen.

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Manche Islamkritiker, in Ägypten wie im Westen, halten moderne Frauenrechte für unvereinbar mit dem Islam. Was denken Sie?

Sie können eine Frau sein, Muslima und erfolgreich. Sie können alles sein, was Sie wollen – das ist kein Widerspruch. Ägypten ist seit Hunderten von Jahren ein muslimisches Land. Es war muslimisch als in den 20er Jahren die feministische Bewegung begann und in den 50ern und 60ern ihren Höhepunkt erreichte. In jener Zeit, als die Medien unter staatlicher Kontrolle standen, trat die Popkultur aggressiv für Frauenrechte und Gleichberechtigung ein – darunter einige bekannte ägyptische Filme.

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Apropos Filme: Darf Ihr eigener Film Cairo Exit“, der 2010 in Kairo gedreht wurde, noch immer nicht in Ägypten gezeigt werden?

So ist es. In Ägypten braucht man eine Genehmigung, um auf der Straße zu filmen und dafür muss man sein Drehbuch bei der Zensurbehörde einreichen. Mein Drehbuch wurde abgelehnt, die Zensoren verlangten mehrere Änderungen. Zum Beispiel gibt es in dem Film eine Liebesaffäre zwischen einem christlichen Mädchen und einem muslimischen Jungen. Die Zensoren wollten, dass ich die Religion der beiden nicht erwähne. Aber das hätte den Film sinnlos gemacht. Also haben wir undercover gefilmt. Der Film wurde bei der Eröffnung eines Filmfestivals in Dubai gezeigt, er hat Preise in Europa gewonnen, er wird auf DVD verkauft, man findet ihn auf YouTube – nur in Ägypten wird er nie gezeigt werden. Das ist schlichtweg dumm.

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Hat der Aufstand von 2011 die Lage der Frauen in Ägypten beeinflusst?

Die Revolution hat den Frauen in mancher Hinsicht geholfen. Frauen spielten damals eine wichtige Rolle, sie marschierten auf der Straße neben den Männern, sie brachen soziale Barrieren. Seitdem hat sich vieles verändert, selbst in den konservativen ländlichen Gegenden Ägyptens. Kürzlich hat ein Mädchen aus Oberägypten einen Jungen wegen Belästigung angezeigt und er wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Früher hätte die Polizei das Mädchen gar nicht ernst genommen!

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Trotz all der Herausforderungen, die es weiterhin gibt, sind Sie also optimistisch?

Absolut! Die gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte lassen sich nicht über Nacht rückgängig machen. Aber ich beobachte viele kleine Schritte in die richtige Richtung. Und mit unserer Facebook- und Webseite versuchen wir jeden Tag, diesen Wandel zu unterstützen. Das kann harte Arbeit sein, es erfordert viel Zeit und Aufwand, jeden einzelnen Tag. Aber unser Lohn sind die Dankesnachrichten, die wir von Leserinnen und Lesern erhalten: Sie schreiben uns, dass wir ihr Leben verändern, dass wir ihnen die Augen öffnen und Frauen dabei helfen, ihre Stärke zu erkennen und zu nutzen. Diese Nachrichten motivieren uns, weiterzumachen.

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Von Mareike Enghusen, Tel Aviv

Mareike Enghusen berichtet als freie Auslandsreporterin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vor allem aus Israel, Jordanien und den palästinensischen Gebieten. Mehr unter: http://www.mareike-enghusen.de.

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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